Hartz IV
Sep 012011
 

Bereite Mittel

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Noch einmal das Thema Zuflussprinzip

(noa) Das Problem hat uns keine Ruhe gelassen. Immerhin haben wir es häufig mit Menschen zu tun, denen angesichts künftig zu erwartender Einnahmen das Arbeitslosengeld II schon vorzeitig gekürzt oder ganz entzogen wird und die dann vollkommen verzweifelt sind, weil sie kein Geld zum Leben haben, ihre Miete nicht bezahlen können und Schulden machen müssen, bis das Geld tatsächlich zufließt.Job-Center-Kunden, die den Mut haben zu fragen, bekommen die Antwort, der Monat, in dem der Zufluss kommt, sei entscheidend, bekommen, wenn sie beharrlich genug sind, auch den Abschnitt des § 11 SGB II ausgedruckt, in dem das so steht. Aber das kann doch nicht richtig sein! Wovon sollen sie in dem fraglichen Monat leben?

Wir fragten den im Gegenwind schon öfter mal erwähnten Oldenburger Rechtsanwalt Alfred Kroll. Er gab uns die Auskunft, dass im SGB II in einkommensrechtlicher Hinsicht der Grundsatz der „bereiten Mittel“ gilt. Der Bedarf, so Kroll, ist zu Beginn eines Monats sicherzustellen. Eine Rente z.B. wird erst zum Ende eines Monats ausgezahlt. In diesem Fall muss das Job-Center dem Hilfesuchenden zur Überbrückung der zeitlichen Notlage ein Darlehen bewilligen.

„Es gehört zu den Prinzipien des Grundsicherungsrechts, dass Antragsteller zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes grundsätzlich nur auf sog. bereite Mittel verwiesen werden dürfen.“ (aus einem Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen – Az.: L 13 AS 58/07 ER)

Genau das hat uns auch der gesunde Menschenverstand gesagt, und alle Betroffenen erwarten auch genau das. Aber zahlreiche Hartz IV-Berechtigte berichten, dass sie beim Job-Center auf die Frage, wovon sie leben sollten, bis das Geld kommt, lediglich ein Schulterzucken oder ein Kopfschütteln erleben. Familie J. aus unserer Meldung in der letzten Ausgabe bekam statt eines Darlehens einen Vorschuss angeboten, als Frau J. ab Dezember eine Rente wegen Erwerbsminderung bekam. Mit einem Vorschuss hätte sich das Problem jedoch nur in den Januar hinein verlagert, und so versuchte Herr J. es bei seiner Sparkasse. Es bestand schon ein Soll auf dem Girokonto aus Zeiten, zu denen Herr J. noch Geld verdiente, und das musste er nun erheblich vergrößern. Doch die Sparkasse nimmt Überziehungszinsen in Höhe von 12,85 % p.a. – ein Darlehen vom Job-Center ist zinsfrei. Es war also keineswegs Jacke wie Hose, wo die Familie ihre Schulden hatte. Und als nun das neue Schuljahr anstand, der zweite Sohn zur Schule und der dritte zum Kindergarten kam und große Geldausgaben (Schulranzen und Hefte, Stifte etc. für den größeren, Hausschuhe, Turnschuhe und Regenbekleidung für den jüngsten Sohn) auf die Familie zukamen, wurde ihnen wieder einmal bewusst, wie sehr die Miesen auf dem Girokonto drücken. Wir schilderten den Fall Herrn Burkert, dem Geschäftsführer des Job-Centers. Er stimmte seiner Mitarbeiterin, die ein Darlehen für die aktuellen Ausgaben ablehnte, zu, doch bezogen auf das im Dezember nicht gewährte Darlehen sah auch er, dass das falsch gelaufen war. Familie J. solle sich von ihrer Sachbearbeiterin einen Termin geben lassen, er habe sie schon informiert.

Das klingt so, als würde das Job-Center jetzt umschwenken und das Prinzip der bereiten Mittel anwenden. Aber dieser Eindruck täuscht: Ein junger Mann bekam zum 1. August nur einen halben Monatsbetrag angewiesen, weil er am 17. August eine schulische Ausbildung beginnen würde und dann ja BAFöG-berechtigt wäre. Diese Ausbildungsförderung kommt natürlich nicht am ersten Tag einer Ausbildung, von der noch gar nicht klar ist, ob sie laufen wird – bis zum Schuljahrsbeginn stand noch nicht fest, ob es genügend Anmeldungen für eine Klasse geben würde. Der junge Mann ging nach der mündlichen Auskunft, so sei das nun mal, zur Notfallzeit zum Job-Center, landete bei einem anderen Sachbearbeiter, der das mit den bereiten Mitteln verstand und seine Kollegin entsprechend instruierte – und das Geld wurde tags darauf bar ausgezahlt. (Die Sachbearbeiterin rief den jungen Mann rein, legte ihm ein Papier hin, sagte nur „durchlesen und unterschreiben“ und gab ihm eine Karte für den Geldautomaten.) Anders ist es bei einem Abiturienten, der am 1. September ein Freiwilliges Soziales Jahr beginnen wird. Er bekam einen Bescheid, in dem die Vergütung, von der er noch nicht weiß, wann sie ausgezahlt wird, von der er jedoch annimmt, dass sie jeweils zum Ende des Monats kommt, ab September angerechnet wird. Er wird, wenn er im Job-Center niemanden findet wie der o.g. junge Mann, im September seine Miete und den Abschlag für die GEW nicht bezahlen können.

Herr J. hat mittlerweile seinen Termin beim Job-Center, den er auf den Rat von Herrn Burkert hin erbeten hatte, gehabt. Man gewährte ihm ein Darlehen in der Höhe einer Monatsrente seiner Frau – jetzt! – im August statt damals im Dezember. Das Darlehen ist rückzahlbar in Monatsraten von zweimal 10 % des monatlichen Regelbedarfs – da es sich ja um zwei Antragsteller handelt. Das ist schon eine kleine Erleichterung, da das Soll auf dem Girokonto deutlich kleiner wird und damit auch die Zinsen geringer sind. Aber was ist mit den Zinsen für diesen Betrag, die neun Monate lang angefallen sind? Diese Frage beantwortete die Sachbearbeiterin mit der Bemerkung, Herr J. hätte sich ja früher wehren können! Herr J. fragte Werner Ahrens, den Sozialberater der ALI, um Rat. Dieser fand, dass eine Rate von einmal 10 % genügen müsse, da Frau J. als Rentnerin gar nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft zählt, und riet dazu, die Angelegenheit einschließlich der Frage nach den Zinsen vom Sozialgericht entscheiden zu lassen.

Was sollen aber alle anderen machen, denen irgendwann durch Job, schulische Ausbildung, Studium oder Rente ein Zufluss an Geld winkt, damit sie im Monat des Zuflusses noch einmal Alg II als Darlehen bekommen? Der Rat der ALI: Gleichzeitig mit der Mitteilung, dass Lohn, BAFöG oder Rente zu erwarten ist, das Darlehen für den Monat des Zuflusses schriftlich (!) beantragen und einen rechtsmittelfähigen Bescheid bis zu einem Tag deutlich vor dem Zuflussmonat fordern, damit zur Not noch Luft für ein Eilverfahren vor dem Sozialgericht ist. Das ist keine hundertprozentige Garantie für eine geldlose Zeit, da die zuständige Sachbearbeiterin ja krank oder in Urlaub sein kann, aber dieses Vorgehen vergrößert die Chancen auf rechtzeitige Auszahlung des Darlehens.

Ja, klagen!

Kaum jemand ruft gerne das Gericht an und verärgert damit die Behörde, von der er abhängig ist. Manchmal geht es aber nicht anders. Das SGB II ist in dieser Frage widersprüchlich in sich: Einerseits legt es die Zahlung von Alg II zu Beginn des Monats fest, andererseits bestimmt es die Anrechnung von zufließenden Mitteln im Monat des Zuflusses.Ob der Gesetzgeber hier schlicht getorft hat (das glaube ich) oder ob es Absicht war, die Bedürftigen zur Verzweiflung zu treiben (das glauben die Betroffenen), sei dahingestellt.

Es wird vermutlich keine Schikane eines einzelnen Job-Center-Beschäftigten sein, wenn er sich an den Buchstaben des Gesetzes hält. Es ist dann aber Sache des Vorgesetzten, seine MitarbeiterInnen anzuweisen, zur Vermeidung von verlorenen Prozessen oder auch aus Menschlichkeit das Gesetz so anzuwenden, dass die Bedürftigen nicht in noch größere Not geraten. Mit der Verabschiedung eines Gesetzes ist noch kein Recht geschaffen. Es sind die Gerichte, die anlässlich von konkreten Einzelfällen die Gesetze im Sinne übergeordneter Rechtswerte deuten und anwenden. So war es damals mit dem Bundessozialhilfegesetz, so ist es mit den Hartz-Gesetzen. Wenn es viele Beschlüsse und Urteile wie das des LSG Niedersachsen-Bremen gegeben hat, kommt das zuständige Ministerium auch irgendwann dahin, eine entsprechende Anwendungsvorschrift zu erlassen. Jede/r einzelne Kläger/in hilft mit, dass das bald passiert!

Anette Nowak

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