Hartz IV – 2
Feb 012005
 

Nicht nachvollziehbar

Gespräch mit Werner Ahrens über die Beratungstätigkeit der ALI seit Hartz IV und die Zukunft der Arbeitsloseninitiative

(ub/noa) Am 10. Januar gab es nach einer Weihnachtspause wieder eine Montagsdemo. Erstmalig nahmen MitarbeiterInnen der Firma Torde teil und wurden mit Beifall begrüßt. Nachdem die Teilnehmerzahl der Montagsdemos bis zum Ende des Jahres langsam, aber stetig gesunken war, waren nun wieder 80 bis 85 Leute dabei. Das offene Mikrofon wurde eifrig genutzt. TeilnehmerInnen stellten fest, dass der Protest gegen Hartz IV, der ihrer Meinung nach ungebrochen weitergeht, bundesweit von den Medien verschwiegen wird. Die Demonstration war uns Anlass, am nächsten Tag mit Werner Ahrens von der Arbeitsloseninitiative über die geänderte Situation seit der Gültigkeit von Hartz IV zu sprechen.

Gegenwind: Die Montagsdemonstrationen gehen weiter. Waren sie nicht nur bis Ende 2004 geplant?
Werner Ahrens: Nein. Es war klar, dass die Leute, die unter Hartz IV fallen, die Probleme damit erst in diesem Jahr bekommen.

Wie geht es mit euch weiter? Die WZ berichtete Ende letzten Jahres, ihr geht “mit dem Messer im Rücken“ ins neue Jahr.
So gravierend ist es noch nicht. Wir bleiben! Und wir machen weiter, solange wir können, solange wir Geld haben.

Bist du noch angestellt, oder machst du die Beratung jetzt ehrenamtlich?
Ich bin angestellt, allerdings mit reduzierter Arbeitszeit. Statt einer vollen Stelle habe ich jetzt noch 28 Stunden. Das wird auf jeden Fall noch drei oder vier, vielleicht auch fünf oder sechs Monate gehen – je nach Spendenaufkommen und Mitgliederentwicklung.

Das heißt, es ist noch etwas Geld da, und ihr hofft auf mehr?
Ja. Wir machen die Beratung an vier Orten im gewohnten Umfang weiter. Die Beratung in Schortens und Bockhorn ist weggefallen. In Varel und Jever machen wir weiter, weil das auch AA- und ARGE-Standorte sind; in Sande machen wir weiter, weil das im Landkreis Friesland ziemlich zentral liegt. Und in Wilhelmshaven sowieso.

Was war seit Beginn des Jahres bisher bei euch los? Wie viele Beratungstermine waren schon?
Bisher waren zwei Termine in Wilhelmshaven, und es waren 48 Ratsuchende da. Das waren mehr als sonst. Die meisten kamen wegen Alg II. Ich habe bisher nur einen einzigen Alg II-Bescheid gesehen, der richtig und nachvollziehbar war. Alle anderen waren nicht unbedingt falsch, aber doch jedenfalls nicht nachvollziehbar. Es gibt in diesen Bescheiden Reduzierungen gegenüber dem, was im Antrag stand, die nicht erklärt oder begründet werden.

Wir haben von mehreren Leuten gehört, dass ihnen damals, als sie den Antrag abgegeben haben, bei der Agentur für Arbeit gesagt wurde, ihre Miete würde voll bezahlt, aber jetzt im Bescheid stellt sich heraus, dass da Kürzungen vorgenommen wurden.
Ja, nach spätestens 6 Monaten werden eh nur noch die “angemessenen“ Unterkunftskosten – 258 Euro für eine allein lebende Person in Wilhelmshaven – bezahlt. Auch in Wilhelmshaven haben zahlreiche Alg II-Empfänger ein Schreiben bekommen, in dem sie aufgefordert werden, ihre Miethöhe zu senken – durch Verhandlungen mit dem Vermieter, durch Untervermietung oder wie auch immer.

Neulich wurde ja bekannt, dass im Bundesland Brandenburg jeder Dritte “zu teuer“ wohnt – wie ist das hier?
Das können wir noch nicht abschätzen. Wir haben heute den 11. Tag der Gültigkeit von Hartz IV, da kann das noch nicht gegriffen haben. Das stellen wir dann im März fest. Viele Bewilligungsbescheide wurden nur für drei Monate ausgestellt. Da wird dann die volle Miete eventuell zunächst mal noch gezahlt, aber nach drei Monaten muss ein neuer Antrag gestellt werden, und dann geht es vielleicht los mit den Umzügen.

Was passiert nun im Fall von nicht nachvollziehbaren Anträgen? Man muss erst Widerspruch einlegen, und wenn der abgelehnt werden, klagen?
Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Man kann den Ombudsrat anrufen. Es wurde ja eine Stelle mit drei Ombudsleuten eingerichtet. Das sind Kurt Biedenkopf, Christiane Bergmann und Hermann Rappe, und man kann ihnen schreiben (Postfach 040140 in 10061 Berlin) oder montags bis donnerstags zwischen 9 und 17 Uhr und freitags von 9 bis 15 Uhr dort anrufen (0800-4400550).

Eine Stelle mit drei Leuten für die ganze Republik?!?! – Was rätst du den Leuten, die ihren Bescheid nicht verstehen?
Sie sollen herkommen. Wir sehen uns den Bescheid gemeinsam an, und wenn ein Widerspruch sinnvoll erscheint, dann raten wir dazu.

Und wenn der Widerspruch abgelehnt wird, ist der nächste Schritt dann die Klage beim Sozialgericht? Kostet das etwas?
Nein, eine Klage beim Sozialgericht ist kostenfrei. Sie kann kostenpflichtig sein, dann nämlich, wenn keine Aussicht darauf besteht, sie zu gewinnen. Wenn einem das Sozialgericht das mitteilt, kann man die Klage ja immer noch zurückziehen.

Wie viele Widersprüche haben Ratsuchende mit dir in diesen paar Tagen schon gemacht?
Neununddreißig.

Da ist ja gut was los! – Was habt ihr für Erfahrungen mit 1-Euro-Jobs?
Bisher waren die ja freiwillig. Erst jetzt seit dem 1.1. können Erwerbslose auch gegen ihren Willen eingesetzt werden. Unsere Befürchtung hier ist, das diese “Arbeitsgelegenheiten“ ausgenützt werden zur Lohnsenkung. Für die Betroffenen ist so ein 1-Euro-Job ja eine Zubrot, eine Möglichkeit, für eine gewissen Zeit die Haushaltskasse etwas aufzubessern, aber tatsächlich ist es Ausbeutung. Die Leute haben befristet ein paar Euro mehr, und sie fallen aus der Arbeitslosenstatistik.

Befristet?
Eine Person darf so eine Arbeitsgelegenheit sechs Monate, in Ausnahmefällen höchstens ein Jahr haben.

Fällt das Geld unter die Nebenverdienstregelung, wonach man nur 15 % davon behalten darf, oder…
Nein, das darf man ganz behalten. Es gilt ja nicht als Lohn, sondern als Aufwandsentschädigung. Die wird auch nur bei Anwesenheit bezahlt. Wird man krank, bekommt man nichts, und es gibt auch keinen bezahlten Urlaub. Wir machen uns nun Sorgen, dass das Konzept ausgeweitet wird, so dass nicht nur gemeinnützige Einrichtungen, sondern auch die Privatwirtschaft das nutzen können. Der DIHT hat schon gefordert, dass Industriebetriebe für eine “Leihgebühr“ von drei bis vier Euro pro Stunde, die sie an die Arbeits-Agentur bezahlen, 1-Euro-Kräfte bekommen sollen. Das wäre eine fatale Entwicklung, durch die Arbeitsplätze vernichtet würden.

Gibt es Handreichungen und Tipps für Hartz IV-Betroffene?
Während der demonstrationslosen Zeit haben wir fleißig gearbeitet und uns vorbereitet. Es gibt “Muster-Widersprüche“. Am besten ist aber, die Betroffenen kommen in die Beratung, weil doch jeder Fall anders ist als der andere.

Es gab am 3. Januar bemerkenswert wenig Proteste vor den Arbeitsagenturen. Auch in Wilhelmshaven blieben die Ämter verschont. Ihr habt hier offenbar nicht zum „Agenturschluss“ aufgerufen.
Nein. Die Beschäftigten der Arbeits-Agentur und der ARGE können ja nichts dafür. Die müssen ein Gesetz ausführen, das sie nicht verschuldet haben und das sie in der Kürze der Zeit z.T. nicht mal richtig studieren und verstehen konnten. Das kann man ihnen nicht vorwerfen. Diese Stellen wären der falsche Ort für Proteste. Schuld an der Situation ist die Politik.

Richtig wäre also Protest vor den Parteibüros oder den Wohnungen der Bundestagsabgeordneten.
Ja. Die Beschäftigten sollen nicht zu Schuldigen gemacht werden. Sie bekommen ja den Schwarzen Peter, ebenso wie die Betroffenen, die Erwerbslosen, die zu Schuldigen gemacht werden. Z.B. die bisherigen Sozialhilfeempfänger. Sie haben im Moment mehr, aber auf Dauer weniger, denn die ganzen einmaligen Leistungen, sei es Bekleidungsgeld, sei es ein Zuschuss für die Klassenfahrt des Kindes oder den Schulbuchkauf, sei es die Weihnachtsbeihilfe, die entfallen ja alle. Die stecken in den 49 Euro, um die das Alg II über der Sozialhilfe liegt. Für die besonderen Situationen, für die es früher die einmaligen Beihilfen gab, sollen sie jetzt sparen. Das Gesetz erlaubt ihnen, 750 Euro zu sparen. Fragt sich nur, wovon sie etwas abzweigen sollen? Von den 311 Euro pro Ehepartner oder von den 207 Euro Sozialgeld pro Kind? Davon kann man nichts zurücklegen, das geht in den laufenden Lebensunterhalt! Tatsächlich wird niemand mehr haben als vorher, aber viele werden weniger haben!

Noch mal zurück zu euch, zur Arbeitsloseninitiative. Vor einigen Monaten war jemand von euch bei einer Sitzung mit einer Stelle der Landesregierung und bekam gesagt, ihr sollt euch darum bemühen, an den jeweiligen Orten in der ARGE zu arbeiten. Warum seid ihr nicht in der ARGE?
Wir sagen: Die Arbeitslosen brauchen eine unabhängige Beratung. Das sagen übrigens nicht nur wir. Auch der ehemalige Arbeitsamtsdirektor Dr. Lienau sagte das auf der Weihnachtsfeier der ALI. Es wird noch Gespräche mit der ARGE geben, aber klar ist schon jetzt: Wir lassen uns nicht ins SGB II einbinden. Aber natürlich können wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen.

Wartet ihr nun, bis die ARGE Kontakt zu euch aufnimmt, oder…
Nein, wir haben Kontakt aufgenommen und haben schon Termine.

Das Förderprogramm Arbeitslosen- und Sozialhilfeinitiativen (FAS) ist ja jetzt ganz eingestellt, oder?
Das existiert nicht mehr. Wir freuen uns über die Zuschüsse aus Sande, aus Jever und vom Landkreis Friesland – insgesamt 2500 Euro für dieses Jahr – und wir hoffen auf Geld aus Wilhelmshaven, aber das Landesgeld aus dem FAS-Programm – 22.000 Euro für eine volle Stelle – ist ganz entfallen.
Die Gewerkschaften, besonders die IGM, unterstützen uns, aber die haben ja auch nicht viel Geld. Wenn wir unsere Mitgliederzahl verdoppeln könnten, wären wir alle Sorgen los. Dann würde wir auch Friesland, Sande und Jever nicht mehr belästigen.

Wir danken für das Gespräch.

Spenden an die ALI bitte auf Konto Nr. 2520815
bei der Sparkasse Wilhelmshaven (BLZ 28250110)

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