Hallo Schröder
Nov 011997
 

TV-GLOTZER

Der Kampf um die Linse

Es war der 13., aber gottlob kein Freitag, sondern ein Mittwoch. Mittwoch, der 13. August. Hoher Besuch hatte sich an der Jade angesagt. Unser aller Ministerpräsident, Gerhard Schröder, beehrt sich, das Wattenmeerhaus zu besichtigen und auch noch einen Grundstein für die Advancebank, Zweigstelle WHV, gekonnt mit Mörtel zu versehen und auf eine schon erstellte Mauer zu pappen.
Natürlich hatte sich bei solch hohem und seltenem Besuch auch ein Fernsehteam von “Hallo Niedersachsen” eingefunden. Nur 1 Minute und 30 Sekunden hatten die Fernsehleute – wie bei solchen Berichten üblich – für diesen Beitrag zur Verfügung. Also hieß es: Schröder anpeilen und immer flott verfolgen. Zwar waren seine Leibgardisten stets um ihn herum, doch der Fernsehgucker hätte doch noch ein wenig von der Landschaft mitbekommen, wenn nicht die Wilhelmshavener SPD-Promis den verbleibenden Vorder-, Mittel- und Hintergrund völlig abgedeckt hätten. Für sie die seltene Chance, vor, neben und hinter Schröder für ein paar Sekunden ins Fernsehen zu kommen.
So warfen sich unser OB Eberhard Menzel, MdL Wilfrid Adam und der Wolltesogern-MdB Norbert Schmidt mutig der surrenden Kamera entgegen und kämpften verbissen und völlig unsozial um einen Platz in Schrödernähe. Da gab es kein Pardon. Hafen-Willi versuchte es mit einem Rempler gegen Menzel, konnte ihn aber nicht entscheidend abdrängen, da er selbst wegen seiner Körperhöhe nicht ganz standfest war; musste er doch immer auf Zehenspitzen gehen, um auch von Hals bis Haaren vorteilhaft ins Bild zu kommen. Mit halbertem Kopf hätte man ihn vielleicht nur für Jan Schnapp gehalten. Überhaupt nicht fernsehkundig schien Parteichef Schmidt zu sein. War er in den ersten Sekunden des Beitrags wie ein Platzanweiser des Heidepark-Parkplatzes dem Landesvater vorangeeilt, so stolperte er kurz danach ins Abseits, und die Kamera zeigte nur noch seinen Rücken. Nur mit einem eingesprungenen doppelten Rittberger gelang es ihm, sich wieder vor die Linse zu bringen. Wäre auch zu schade gewesen, wo er doch als Pauker sogar einen kostbaren Ferientag geopfert hatte, nur um dann sagen zu können: “Habt ihr gesehen; ich war dabei.”

Der erste Schreiber unserer Stadt mit seinem kantigen Gesicht hatte sich wohl von seiner zuständigen Dienststelle einen genauen Stehplatz er- rechnen lassen, wo er von der Kamera hundertprozentig erfasst werden musste. So konnte er gelassen den Schwenk zu ihm abwarten. Und abgesehen davon, dass für eine Zehntelsekunde auch ein Dezernent mit ziemlich frischem Doktortitel zu sehen war, konnte unser Glotzengucker weder weitere Ratsherren noch Verwaltungsobere entdecken.
In den letzten Sekunden versuchte der Kameramann, schnell noch eine Großaufnahme von Schröder zu machen. Einen so richtig landesväterlich lächelnden Gerhard. Das Bild hätte sich gut als Wahlkampfplakat gemacht. Aber da schoben sich plötzlich die spitze Nase und die Bartstoppeln des ersten Bürgers unserer Stadt ins Portrait. Und das auch noch von links. Wahlplakat futsch.
Ach ja, eine prominente Person vermisste unser Fernsehgucker. Wo war nur MdB Gabriele Iwersen? Hatte man ihr vielleicht einen falschen Termin untergejubelt?

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