Von Krümeln und Visionen
Der Ausbau von Wilhelms Häfen kostet viele Steuergelder – neue Jobs finden dort jedoch nur wenige. Die Hafenprofis beschwören das Prinzip Hoffnung
(hk/jm) In einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung e.V. (WHV) – Detlef Weide – und dem Vorsitzenden des Landtagsausschusses für Häfen und Schiffahrt – Wilfried Adam (SPD) – ging es um den Nutzeffekt und die Perspektiven der Jade- und der Binnenhäfen.
Gegenwind: Herr Weide, daß es auf der Jade aufwärts geht – durch die Wiederinbetriebnahme der Raffinerie – ist bekannt; auch daß die NWO zugelegt hat. Aber wie sieht’s am Binnenhafen aus?
Weide: Der nimmt eine ausgesprochen positive Entwicklung, weil gerade in diesem Hafengebiet ab 1992 beginnend viel Umschlag dazugekommen ist. Das liegt möglicherweise darin begründet, daß die dort ansässigen Hafenbetreiber auch mit kleinen Aufträgen zufrieden sind, was sich eben doch rechnet.
Gegenwind: Was wird dort umgeschlagen?
Weide: Schrott, Baustoffe allgemein – Sand, Steine Holz – eben alles, was man so auf dem Bau braucht.
Gegenwind: Herr Adam, haben Sie irgendwie feststellen können, daß sich die rasante Umschlagentwicklung positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat?
Adam: Ja, es wurden neue Arbeitsplätze geschaffen: Siehe Beta. Es sind zudem auch Arbeitsplätze gesichert worden: Siehe Binnenhafenbereich. Die Jadewerft dort leidet allerdings unter der allgemeinen Werftenkrise.
Wilhelmshaven kann von der Möglichkeit des Arbeitsplatzangebotes aber nicht mit Hamburg, Bremen oder Bremerhaven verglichen werden. Dort werden Güter umgeschlagen, die wesentlich mehr Arbeitskräfte binden. Ich warne immer davor zu sagen: Wir haben 33 Mio. t Umschlag und jetzt sind wir auf einem Arbeitsplatzwert, zu vergleichen mit Hamburg, Bremen und Bremerhaven.
Gegenwind: Also sportlich gesehen sind wir gut aber wirtschaftlich gesehen tut sich nicht viel!?
Adam: Nein, nein! Wir stehen beim Umschlag mengenmäßig ganz oben. Das bindet aber nicht die Masse von Arbeitsplätzen wie Containerumschlag beispielsweise, weil die Containerladung auch länger in einem Hafen bleibt.
Gegenwind: Gehen die nicht gleich auf die Bahn und werden zu VW geschickt?
Adam: Nein, nein! Es ist nicht so, dass die nur aus dem Schiff geholt und dann auf den Waggon gesetzt werden; das ist nur ein Teil der Tätigkeit. In der Regel wird der Umschlag in einem Hafen – sagen wir mal im Containerbereich – auch gelagert, umgeladen, verarbeitet, weiterverladen. Und deshalb hat auch eine solche Tätigkeit – weil Arbeitskraft bindend – eine wesentlich höhere Wertschöpfung.
Gegenwind: Wie wirkt sich der Tonnagezuwachs auf das Steueraufkommen der Stadt aus, wird da etwas spürbar? – Wieviel Mehreinnahmen hat die Stadt z.B. durch die Wiederinbetriebnahme der Beta-Raffinerie?
Adam: Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil es ein Steuergeheimnis gibt.
Gegenwind: Herr Weide, gibt es eine Kosten-/Nutzen-Rechnung zur Wirtschaftlichkeit der neuen Kaianlagen am Binnenhafen?
Weide: Mit Sicherheit, denn sonst würde das Ministerium dafür kein Geld geben. Man müßte sich bei den Betrieben erkundigen, welcher Zugewinn erzielt wurde, nachdem die Anlagen fertig waren. Doch steigende Schiffs- und Tonnageaufkommen belegen schon, daß unsere Hafenanlagen nach erfolgtem Ausbau wirtschaftlicher geworden sind.
Adam: Am Beispiel Midgard kann man sagen, daß die Piers so voll waren, daß der Zubau des Braunschweigkais als Verlängerung zum Lüneburgkai unbedingt erforderlich war, damit die eine Erweiterungsfläche schaffen konnten. Die alte platzt aus allen Nähten. Bei Midgard gehe ich davon aus, daß das auch Arbeitsplätze bringen wird, wenn nach Inbetriebnahme des Braunschweigkais dort mal mehr Schiffe reinkommen und dann dort auch mehr Umschlagtätigkeit herrscht.
Gegenwind: Herr Adam zugestanden: die Lagerfläche ist knapp. Aber die Piers sind dort schiffsmäßig überhaupt nicht ausgelastet.
Adam: Da hat die Midgard doch viele Baufahrzeuge stehen, die müssen doch irgendwo herkommen …
Gegenwind: Um lange da rumzustehen. – Da kommt fast jede Woche ein Salzdampfer für ICI, das macht wahrscheinlich den größten Teil des Umschlages überhaupt aus am Lüneburgkai.
Weide: Da müßte man die Firma fragen. Aber es könnten sicher mehr Schiffe kommen.
Doch noch etwas zum Arbeitsplatzeffekt: Unsere Mitgliedsfirmen im Hafen mussten in letzter Zeit niemand entlassen. Das ist ja schon mal was. Ich weiß, daß hin und wieder sogar jemand eingestellt werden konnte. Ich weiß zwar keine Zahlen – aber auch ein einzelner, der wieder Arbeit und Brot findet, macht uns zufrieden. Man kann aber nicht vorhersagen, daß durch eine Kaiverlängerung um 30 m – zwölf Arbeitsplätze entstehen, leider nicht. Doch ich wage mal eine Prognose: Ich weiß z.B. von Jade Stahl, daß sie dort bald einen zweiten Schiffsliegeplatz zum Schrott verladen haben werden. Bei gleichzeitiger Beladung mehrerer Schiffe muß dann zumindest ein weiterer Kranführer eingesetzt – vielleicht neu eingestellt – werden. Das wird den betroffenen Arbeitnehmer freuen. Anlaß und Ursache für seinen Arbeitsplatz sind ihm wahrscheinlich sehr egal.
Gegenwind: Es muß eigentlich deprimierend sein, wenn man da Kosten und Nutzen vergleicht: Da wird für mehrere Millionen ein Kai gebaut und gewiß ist lediglich, daß zeitweise ein zusätzlicher Kranführer gebraucht wird.
Adam: Wenn Sie das so sehen, dann müssen Sie aber auch die allgemeine weltwirtschaftliche Lage sehen. Die wirkt sich auch auf Wilhelmshaven aus.
Gegenwind: Wissen Sie näheres über Auslastungsgrad, Kosten/Nutzen am SW- und NW-Kai bei der KW-Brücke?
Weide: Man ist dort zufrieden über die monatlich ansteigenden Zuwächse.
Gegenwind: Wieso zufrieden eigentlich? Da legt ein Schiff mit Splitt an, das hat eigene Löscheinrichtungen; da wird keine einzige Person beschäftigt außer denen, die das Schiff festmachen und nach Fertigstellung die Leinen wieder losschmeißen.
Adam: Daß der Bereich dort kein Personal bindet, da haben Sie recht und da fehlt mir auch so einiges im Hafen: z.B. Krananlagen, um auch andere Verkehre an den Hafen zu binden. Ich sage mal, das ist ein schöner Hafen, aber kein Hafen mit Leben.
Weide: Ich bin dort ja nun auch fast jeden Tag! Da ist schon Leben drin, wenn der Dampfer seinen Splitt auf den Kai schüttet. Und es geht erst richtig zur Sache, wenn er abgelegt hat. Dann kommen die Lastwagen, dazu kommen Kran und Schaufellader. Da ist schon was los!
Adam: Ich hätte gern gesehen, wenn wir es schaffen würden, dort einen Fährverkehr hinzubekommen …
Gegenwind: … Am Nordwestkai?
Adam: Ja. – Es ist eine Schande, wie das leere Kraftwerk dort immer mehr in sich zusammenfällt, da ist keine Fensterscheibe mehr, die heile ist. Und meine Vision ist, da Fährverkehr hinzubekommen, weil dort viel Fläche vorhanden ist und das Kraftwerkgebäude zum Terminal ausgebaut werden könnte. Das ist meine Vision für diesen Bereich. Aber Sie wissen wie ich, daß Fährverkehr schon gar nicht mehr zu finanzieren ist.. .
Gegenwind: … und der Markt ist verteilt.
Adam: Insofern stellt sich natürlich die Frage, sind wir nicht mit dem Engagement hier nicht einige Jahrzehnte zu spät angefangen!?
Weide: Wir haben als WHV auch eine Vision in diese Richtung: Güterfährverkehr nach Esbjerg. Die große Hoffnung ist, daß langfristig eine dauerhafte Verbindung zwischen Esbjerg und Wilhelmshaven entstehen könnte. Wir möchten nun auch die Schweden, Dänen und Norweger davon überzeugen, daß sie ihre LKW’s nach Esbjerg fahren, dort auf ein Fährschiff stellen und die Fahrer an Land belassen. Nach zehn Stunden Überfahrt kommt das Schiff hier an, Fahrer besteigen die Laster, fahren sie von Bord und dann über unsere Autobahnen zum Kunden bis ins Rheinland.
Gegenwind: Dann müßten Sie ja eigentlich gegen eine Küstenautobahn sein. Beides nebeneinander wird wohl kaum gehen. Dazu kommen noch Überlegungen zur Verlagerung des Güterverkehrs · auf die Schiene. Es gibt also sehr viele konträre Bestrebungen.
Weide: Also, selbst in Dänemark ist das sehr wohl positiv aufgegriffen worden. Man denkt dort wie wir darüber nach. Es ist auch bereits eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung in Auftrag gegeben worden bei der EG, die da ein bißchen mithilft. Und wir glauben vom ersten Ansatz – es wird sich rechnen.
Man könnte übrigens mit dem Fährdienst sofort anfangen, denn die RoRo-Rampe ist schon da. Und dann ist der Hafen belebt.
Gegenwind: Bei Realisierung werden LKW’s durch Wilhelmshaven brummen, am Nordwestkai auf ein Schiff rollen und das legt anschließend ab. Ist die Wertschöpfung denn da größer, als beim Öl z.B.?
Weide: Mit Sicherheit ist die viel größer. Was nicht so sehr viel pro Tonne bringt, das sind die Massengüter, die dann durch die Pipeline verschwinden. Aber eine Tonne Auto …
Adam: Es ist doch unser aller Interesse, soviel wie möglich hierherzuziehen. Dadurch bleibt doch auch mehr hängen. Der Schiffsausrüster, der heute mit zehn Leuten zehn Schiffe abfertigt, braucht vielleicht morgen zwanzig Leute, weil er zwanzig Schiffe abfertigen muß …
Gegenwind: Also bringt auch die Einrichtung einer Fährverbindung nur Krümel für die Stadt…
Weide: Viele Krümel; Umsatzsteuer…
Gegenwind: Um diese vielen Krümel aber erst mal einsammeln zu können, muß ich Millionen und Abermillionen investieren. Wir können Gott danken, daß das Land das bezahlt, bzw. der Bund und das Land; die Stadt könnte es gar nicht.
Adam: Sie haben nichts dagegen, wenn ich Gott nun nicht danke …
Gegenwind: Nein. – Wie ist der Planungsstand zum Einsatz von Trägerschiffen, die Binnenschiffe im Huckepackverfahren über das Hohe Weg Watt von der Jade zur Weser transportieren sollen? *)
*) Dieses Gespräch wurde bereits im Dezember geführt. Bekanntlich hat es inzwischen einigen Wirbel um die parteipolitischen Vermarktungsrechte der Erschließung des im Nds. Nationalpark Wattenmeer gelegenen Hohe-Weg-Watts für die Binnenschiffahrt gegeben. Mit den dahintersteckenden Interessen und den in Rechnung zu stellenden schädlichen Auswirkungen auf dieses international als schutzwürdig anerkannte Küstengewässer befaßt sich der Gegenwind-Artikel „Hohe-Weg-Watt“ in dieser Ausgabe.
Adam: Shuttleschiffe zur Weser und die große Chance der Mittelweseranbindung – für uns nicht unwichtig und für mich faszinierend. Im Ministerium ist man eigentlich ganz optimistisch, daß es auch finanzierbar ist. Aber die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Weide: Das allerwichtigste für unseren Hafen ist, daß wir Anschluß an das Binnenwasserstraßennetz bekommen, sonst graben uns die Holländer ab.
Gegenwind: Könnte das dazu führen, dass die Bahnstrecke Wilhelmshaven-Oldenburg nicht elektrifiziert wird?
Adam: Die Strecke Wilhelmshaven-Oldenburg bis 1999 zu elektrifizieren ist beschlossene Sache.
Gegenwind: Wechseln wir mal zu Containerverkehren. Wie ist da der Stand?
Weide: Für heute oder morgen sehen wir keine Chance, einen Containerverkehr auf Wilhelmshaven zu ziehen. Mit einer zum Containerhafen ausbaufähigen Spülfläche am tiefen Fahrwasser – dem JadePort – könnten wir uns jedoch rechtzeitig ins Gespräch bringen. Wenn dann mal jemand einen neuen Umschlagplatz sucht, weil die anderen Containerhäfen ausgelastet sind, dann kennt man uns und weiß was wir zu bieten haben. Vision natürlich.
Gegenwind: Also Sie hoffen auf ein ungehemmtes Wirtschaftswachstum, was praktisch die Suche nach neuen Flächen erzwingt!?
Weide: Ja. – Natürlich ist kein Reeder, der seit hundert Jahren Hamburg anläuft, von uns davon zu überzeugen, daß er da nicht mehr hingehen soll. Das passiert nicht. Das sagen uns alle! Ein wichtiger Reeder hat das deutlich formuliert und gesagt: ‚Für uns ist Hamburg der Hafen! Wenn wir mit unseren Schiffen mal nicht mehr dort hinkommen können, dann bleibt unsere Zentrale trotzdem mit Sicherheit in Hamburg.
Aber wenn sich neue Verkehre auftun – z.B. aus China, das jetzt zunehmend auf dem Weltmarkt in Erscheinung tritt – da könnten wir uns vorstellen, daß die neuen Händler und Transporteure nicht die Neuen in einem überfüllten Hafen sein wollen sondern die Ersten in einem neuen Containerhafen. Vision natürlich – unsere Chance für übermorgen.
Adam: Was Herr Weide in Hamburg erfahren hat, haben wir in China auch zur Kenntnis nehmen müssen: Die werden nicht von Hamburg und Bremen weggehen, weil das die Zentren sind. Aber wir arbeiten daran, daß Schiffe nicht zu den Rheinmündungshäfen umgeleitet werden, wenn Hamburg keine mehr aufnehmen kann.
Gegenwind: Also die Bremer und Hamburger machen sich doch gegenseitig Konkurrenz und versuchen sich gegenseitig Umschlagvolumen abzujagen.
Adam: Es gibt inzwischen Gespräche zwischen Niedersachsen und Bremen eine gemeinsame – sagen wir mal – Jade/Weser-Region zu machen, weil Bremerhaven wirklich aus allen Nähten platzt und die ‚ Verkehre zu uns verlagern wollen, damit das in der Region bleibt.
Gegenwind: Aber es ist bekannt, daß Bremerhaven einen Container Terminal 3 baut und dazu Watt aufgespült hat. Darüberhinaus müssen die Bremer Häfen darum kämpfen, ihren Umschlag zu halten.
Adam: Aber Sie wissen sicher auch, daß die übernächste Generation von Containerschiffen tiefgehendes Fahrwasser …
Gegenwind: Stimmt nicht!
Adam: Wenn Ihre Erkenntnisse andere sind als unsere, empfehle ich Ihnen, gehen Sie damit doch ran an die Landesregierung, wenn die öffentlich macht und sagt, die nächste Generation der Containerschiffe braucht tiefgehendes Fahrwasser und da ist Wilhelmshaven …
Gegenwind: Im Moment sind Containerschiffe mit maximal 4.500 Ladekapazität in Fahrt – die geplanten der 5. und 6. Generation sollen 6.000 Stück transportieren können bei einem Tiefgang von 13,50 m! Hamburg vertieft auf 16 m. Die Außenweser wird bis Bremerhaven auf 14,5 m vertieft.
Adam: Die Weservertiefung ist noch nicht genehmigt. Wenn, die Weser vertieft wird, dann gehen nämlich die niedersächsischen Kutter aus Dorum etc. über Kopf! Und da gibt es noch knallharte Auseinandersetzungen. Und ich stehe dann ein bisschen mehr auf der Seite der Kutterfischer denn auf der Seite der Bremer.
Gegenwind: Na gut. – Gibt es eine Strategie, Hafenpolitik gegen oder gemeinsam mit Hamburg zu machen?
Adam: Gemeinsam! Ich habe doch eben am Beispiel Bremen/Bremerhaven gesagt, daß Gespräche zwischen dem Land Niedersachsen und dem Land Bremen laufen und daß die Initiative Weser/Jade Region von Bremen kommt. Das was die Bremer Häfen nicht aufnehmen können, soll nach Wilhelmshaven und meinetwegen auch nach Nordenharn kommen, jedenfalls in diesem Bereich bleiben. Und ich habe dem Wirtschaftsministerium empfohlen, für den Bereich Hamburg zumindest Cuxhaven mit anzubieten.
Weide: In die Verteilung der Warenströme, können wir allerdings zur Zeit nicht groß eingreifen.
Gegenwind: In den vergangenen Jahren sind die Reedereien, Stauereien, Spediteure usw zu kompakten Transportsystemen zusammengewachsen. Diese sind wiederum durch logistisch perfektionierten Datentransfer aneinander und damit auch an einen Stammhafen gebunden. Das kann man ohne Hilfe von außen gar nicht implantieren.
Weide: Das sehen wir auch so und da gibt es auch keinen Widerspruch. Man hat da im Kneipengespräch andere Vorstellungen. Aber das ist Träumerei und wirklichkeitsfremd.
Gegenwind: Und jetzt noch mal einen Schritt weiter. – Also ein wichtiger Teil für den Jade Port fehlt denn ja schon: Der Service rund um den Containerhafen! Meinen Sie denn, daß es in Wilhelmshaven auch mal gelingen wird, Containerpackstationen aufzubauen oder wird es tatsächlich nur eine Containerschleuse und ein Lagerplatz für Container“
Weide: Warum soll das nicht sein? Also – jetzt träume ich mal: Wenn wir es schaffen sollten, einen Containerhafen zu bauen, dann kommt die Suprastruktur dafür ganz von allein.
Mehr als in jeder anderen Stadt der alten Bundesrepublik erleben wir in Wilhelmshaven seit Jahr und Tag, wie schwer es ist, den Bürgern Arbeit zu verschaffen und die Stadt auf eine solide Finanzgrundlage zu stellen.
Inzwischen steigt die Arbeitslosigkeit europaweit unaufhaltsam an. Und das Bemühen, neue Industrie oder auch mittelständisches Gewerbe nach Wilhelmshaven zu ziehen, gleicht mehr denn je einem Lotteriespiel.
Es ist also kein Wunder, daß man sich hier äußerst intensiv auf den Hafen konzentriert, denn so was hat nicht jede andere Stadt und die Zahl der Mitbewerber um die Ansiedlung von hafengebundenem Produktions-, Transport- und Verladungsgewerbe ist überschaubar. Auch sind für Hafenbaumaßnahmen scheinbar leichter Gelder in der Landes- bzw. Bundeskasse loszueisen, als für andere Infrastrukturmaßnahmen. Doch immerhin, die Stadt wird mit zur Kasse gebeten, wie als jüngstes Beispiel die Verlängerung der – von der Firma Jade Stahl genutzten – Umschlagkai am Handelshafen zeigt: 1,2 Mio Mark mußten aus dem schuldengebeutelten Stadtbudget zugebuttert werden.
Wilhelmshaven muß zudem die Tatsache akzeptieren, daß es alte organisch gewachsene Häfen mit dem Fundament jahrhundertealter Handelsbeziehungen gibt, die mit ihren umfassenden Dienstleistungsangeboten in der Lage sind, allen Ansprüchen der Ex- und Importeure zu genügen. Ihre Häfen passen sie laufend an neue Entwicklungen an. Die vorläufig einschneidensten Schritte waren die Weiterentwicklung vom Stückgut- zum Containerumschlag und die Verflechtung aller Frachtbeteiligten in zentral gesteuerte Transportsysteme. Letzteres war die Reaktion auf die Forderung der Industrie, just in time die gewünschten Güter anzuliefern bzw. abzuholen, damit diese bei non stock eine lean production fahren können. Was auf gut deutsch heißt, dass sich der Güterstrom jetzt so haargenau in den Produktionsfluß des verarbeitenden Gewerbes einfügen muß, daß die kostspielige Vorratshaltung von Rohmaterial und Fabrikationsgütern überflüssig wird.
Die hochentwickelten Zentralhäfen fangen die Güterströme – wie Baumkronen das Licht – ein, so daß in deren Schlagschatten nichts gleichwertiges mehr aufwachsen kann. Und unter einer ausladenden Baumkrone muß man sich damit zufrieden geben, was das Blätterdach noch an Licht durch läßt. In Konkurrenz zu Bremen und Hamburg zu treten, zieht deshalb in
Wilhelmshaven auch niemand ernsthaft in Erwägung. Man setzt auf Zusammenarbeit mit den bremischen Häfen und hofft, dadurch am Bremer Umschlag partizipieren zu können. Zudem scheint man darauf zu hoffen, daß die großen Zentralhäfen die Güterströme in nicht allzu ferner Zukunft aus Platzmangel nicht mehr verkraften können. Gesetzt den Fall, dass sich dies bewahrheiten sollte, was müsste dann ein Bremer Verantwortlicher tun?!
Natürlich könnte er nur die Ladungsanteile über Wilhelmshaven leiten, die am wenigsten Gewinne, Steuern bzw. Arbeitsplatze abwerfen, die also die geringste Wertschöpfung haben. Er dürfte aber keineswegs den Gütertransport insgesamt aus der Hand geben sondern lediglich einen Wilhelmshavener Subunternehmer mit einem Teilauftrag betrauen. Er könnte ihn damit beauftragen, ein Schiff zu be- oder zu entladen, alles andere müßte in Bremer Hand bleiben. Natürlich müßte man ihm in Wilhelmshaven einen großen Lagerplatz anbieten. Es ist nämlich keineswegs der Fall, daß der Hafenumschlag in Bremen und Bremerhaven nicht mehr zu steigern wäre. Der Engpaß liegt vielmehr im Mangel an Lagerfläche für nicht eilbedürftige Güter. Und wenn diese in Wilhelmshaven bei so geringer Platzmiete zwischengelagert werden können, daß die Schaffung neuer Lagerflächen auf kostbarem Bremer Grund keinen Gewinn abwirft, dann muß er das selbstverständlich ausnutzen, ganz im Einklang mit den ehernen Regeln der Marktwirtschaft …
Das war zwar nur ein Gedankenspiel – aber dahinter steckt die reale Möglichkeit, daß Wilhelmshavens teure Hafeninfrastruktur auch in Zukunft weitestgehend ungenutzt bleibt und mit hohem Steueraufwand erschlossenes Hafengebiet als Halde zum Auftürmen von Massengütern, Vorratslagern für die Industrie oder von Leercontainern genutzt wird. Seeschiffe brauchten erst gar nicht nach Wilhelmshaven umgeleitet zu werden, wenn z. B. eine billige Binnenschiffsverbindung vom Container Terminal in Bremerhaven über das Hohe Weg Watt zu einem ‚Außenlager Wilhelmshaven‘ bestehen würde. Wird Wilhelmshaven dann der auf den Schlick gebaute Platzmietentarif an der Küste?
Sollte es tatsächlich möglich sein, einen solchen Hafen mit Stromkajen am tiefen Wasser – ohne hydro- und morphologisch negative Auswirkungen auf den Tiefwasserhafen – zu bauen, dann bleibt die Frage zu beantworten, was man sich davon wirtschaftlich verspricht.
Was durch das Andocken an die bremische Hafenlogistik geschehen könnte, ist ja oben schon ausgemalt worden. Aber selbst wenn das Bild zu schwarz ausgefallen sein sollte und tatsächlich Containerschiffe der 6. Generation ihre 6.000 Schachteln im JadePort löschen würden: Würde das die Kernprobleme Wilhelmshavens – die Massenarbeitslosigkeit und die Finanzschwäche – spürbar verringern?
Zweifel sind da angebracht, denn genauso wie das Kennzeichen eines Betriebes im angebrochenen nachindustriellen Zeitalter die leere Fabrikhalle ist, so ist das Kennzeichen eines postmodernen Hafens der (menschen-)leere Container Terminal. Für den Umschlag im JadePort würden nur eine Handvoll Leute benötigt und dazu ein Containerbüro mit Betriebsfunk, Telefon und Anschluß ans Bremer Datennetz um die Befehle aus der Zentrale entgegenzunehmen.
Nennenswerte Beschäftigung entsteht durch einen Container Terminal erst, wenn der Inhalt der Container im Hafen selbst ein- und ausgeladen wird. Dies geschieht in Packstationen, in der ankommende kleine Ladungspartien nach Zielorten sortiert in Containern verstaut werden.
Um mal einen Richtwert für den Arbeitsplatzeffekt einer solchen Station zu haben: Die Firma Transbaltic hat in Hamburg im vergangenen Herbst eine neue Containerpackstation in Betrieb genommen. Der Neubau steht auf einer Fläche von 41.000 m2. Dort können jährlich 200.000 t hochwertige Stückgüter in Container verpackt werden. Dadurch sollen mittelfristig 55-60 Arbeitsplätze geschaffen werden. (Quelle: Schiff und Hafen Heft 10/93 )
Daraus folgt: Selbst wenn die Träume der Hafenprofis wahr werden sollten, wachsen die Bäume an der Jade nicht in den Himmel
Jochen Martin
Sorry, the comment form is closed at this time.