Grüne
Mrz 271996
 

Legal wie Massentierhaltung

Kritische Mitglieder der Grünen gehen in die Offensive

(iz) Im letzten GEGENWIND berichteten wir über die Krise der Wilhelmshavener Bündnisgrünen: die Neuaufnahme der Eheleute Czech in die Partei hielten einige Mitgliedern für fragwürdig, da das Ehepaar in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der von ihm betriebenen Asylbewerberunterkunft in die öffentliche Diskussion geraten war. Es kam zu Protestaustritten, darunter auch Andreas Koût, der gleichzeitig sein Ratsmandat zurückgab. Andere Kritiker blieben und suchten auf der letzten Mitgliederversammlung die Diskussion mit dem Vorstand sowie Czechs persönlich.

Gesprächsgrundlage war ein Brief, den Edgar Schäfer, langjähriges Parteimitglied, an alle Wilhelmshavener Bündnisgrünen gerichtet hatte. Schäfer rollt darin die katastrophalen Zustände in der von Czechs betriebenen Asylbewerberunterkunft erneut auf, unter Berufung auf Informationen der Bürgerinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit (BIGAF) sowie Berichte im GEGENWIND vom Februar 1993 (Nr. 112) und August 1993 (Nr. 116).
Kern der Kritik ist, daß die Unterkunft hoffnungslos überbelegt war und die sozialen und hygienischen Rahmenbedingungen für eine menschenwürdige Unterbringung nicht erfüllt waren. Die Vorwürfe beschränken sich nicht auf die Betreiber und die zuständigen Behörden, sondern treffen klar auch die eigene Partei, die um die Mißstände wußte, ohne entsprechende Aktivitäten zu deren Behebung an den Tag zu legen. Mehr noch: um die Parteiaufnahme der Czechs zu rechtfertigen, hatte der Vorstand die bekannten Informationen und Berichte als „nicht bekannt, nicht hieb- und stichfest“ dargestellt.
Der Vorstand räumte jetzt ein, daß man in der Tat damals hätte mehr bewegen müssen, um das Problem nicht nur öffentlich zu machen, sondern auch abzustellen. Man hätte sich jedoch auch darauf verlassen, daß Andreas Koût als Ratsmitglied „an der Front“ gewesen sei und von ihm entsprechende Signale hätten, kommen müssen. ,,1993 hat die Kommunalpolitik versagt, auch wir, auch Andreas“, so der Vorsitzende Werner Biehl im Rückblick auf die Untätigkeit der informierten Entscheidungsträger.
Was die Entscheidung über die Aufnahme der Czechs betrifft, hätte sich der Vorstand durch die massiven Angriffe einiger Mitglieder unter Druck gesetzt gefühlt und so schließlich nicht anders entscheiden können.
Czechs blieben bei ihrer schon bekannten Version, daß sie in erster Linie hätten helfen wollen. Sie fühlten sich durch die Zuweisung weiterer Bewohner seitens der Behörden überrollt; die Verbesserung der räumlichen Gegebenheiten sei mangels Baugenehmigung unterblieben; hinsichtlich der Ausstattung kam keine Hilfe von der Stadt („nur Stahlschränke, Stahlbetten und sonst nichts, die sollen ja nicht lange bleiben“ zitierte Frau Czech den damaligen Sozialdezernenten Milger); eine SozialarbeiterIn hätte nicht eingestellt werden können, da die wechselnde Belegungsdichte keine festen Einnahmen garantieren könnte. Sie selbst hätte die Zustände als unhaltbar empfunden, jedoch nichts unternommen, weil die BIGAF als möglicher Kooperationspartner für Protestaktionen sie letztlich persönlich angegriffen hätte.
Um ihrer persönlichen Verletztheit Ausdruck zu verleihen, verglich sie die Ablehnung ihrer Aufnahme durch kritische Parteimitglieder mit den Vorurteilen gegen ehemalige Strafgefangene, denen man zehn Jahre nach Verbüßen der Strafe noch ihre Verfehlung vorwirft und somit die Resozialisierung erschwert. Und schließlich sei sie nicht verantwortlich für das geltende Asylrecht.
Die Kluft zwischen Rechtssprechung und Moral hatte auch Schäfer in seinem Brief aufgegriffen – mit einem Beispiel, wie sich jemand an Steuergeldern bereichern kann, ohne sich dadurch strafbar zu machen. „Das ist ebenso legal in diesem unseren Lande wie die Massentierhaltung, solange man seine Mitarbeiter nicht vergiftet“, ist seine Schlußfolgerung.
Zur Ergänzung der kontroversen Positionen siehe auch den Leserbrief von Werner Biehl

 

Kommentar:

Jede Interessensgemeinschaft lebt, wächst und entwickelt sich durch ihre internen Konflikte – solange sie demokratisch ausgetragen werden. Den Konflikt unreflektiert nach außen zu kehren, schadet dem gemeinsamen Nenner, der trotz Meinungsverschiedenheiten im Detail alle Mitglieder dieser Partei, dieses Vereins verbindet. Die einsame Entscheidung des Vorstandes der Wilhelmshavener Bündnisgrünen, in Kenntnis der begründeten massiven Gegenposition vieler Mitglieder, war ebenso undemokratisch und schädlich wie die Trotzreaktion der Kritiker, die mit Getöse ihre Parteibücher auf den Tisch geknallt haben. Wenn nicht die Ratten, sondern die Lotsen das sinkende Schiff verlassen, ist die Chance einer Wende zu neuen Strömungen vertan und der Untergang um so wahrscheinlicher – womit auch die Lotsen vorerst ihren Halt verlieren.
Um so erfreulicher ist die ,,Jetzt-erst-recht“-Haltung derjenigen, welche die Kritik teilen, jedoch statt der Flucht die Offensive antreten. Offene Worte – nun war sie da, die wirkliche Auseinandersetzung, wenn auch -vielleicht – zu spät. Da räumte der Vorstand Fehler ein – wenngleich es unfair ist, im Nachhinein dem ,,Frontman“ Schuld zuzuweisen – Andreas Koût, nachdem er Partei und Mandat aufgegeben hat und sich nicht mehr in diesem Rahmen dazu äußern kann. Und auch Frau Czech ließ mit ihrer Parabel vom ewig bescholtenen Strafgefangenen durchblicken, daß ihr Handeln in der Vergangenheit nicht ganz in Ordnung war.
Die Kritiker ließen den Vorstand zu Wort kommen, sie hörten sich auch Czechs Geschichte an, freilich ohne jedes Argument gelten zu lassen. Und so blieb Edgar Schäfers treffendste Frage an Czechs scheinbar unbeantwortet im Raum stehen: ,,Wenn ihr die Mißstände denn auch als solche empfunden habt, warum habt ihr dann nicht einfach die Tür der Unterkunft zugemacht?“ Eine rhetorische Frage, freilich: jeder Tag, an dem sich die Tür öffnete, brachte Czechs für jeden Bewohner 20 DM ein. Hier scheiden sich die Geister, hier enden die Möglichkeiten, durch eine Diskussion Verständnis und Toleranz zu bewirken. Die Fehler der Vergangenheit lassen sich nicht ungeschehen machen – weder Czechs
Verhalten noch das des Vorstands noch die Parteiaustritte. Die offene Auseinandersetzung mag jedoch als – die vielleicht letzte – Chance für einen Neubeginn begriffen werden für eine Partei, die sich auch und gerade durch ihre Struktur und Umgangsformen immer positiv von anderen abheben wollte

Imke Zwoch

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