Globanalisierung
Jan 122000
 

Mit Ebermann und Trampert ins nächste Jahrtausend

Mit Ebermann und Trampert ins nächste Jahrtausend

(iz) Am 6.12. ging es in der „Perspektive“ um die Frage aller Fragen: Verpasst Deutschland den Anschluss ans nächste Jahrtausend? Und wie beknackt muss man sein, um diese Frage überhaupt zu stellen? Die beiden ehemaligen Basis-Grünen Rainer Trampert und Thomas Ebermann waren auf Einladung des Antifaschistischen Bündnisses nach Wilhelmshaven gekommen, um die „postmoderne Blödwelt“ kabarettistisch zu sezieren.

Je dichter das Jahr 2000 rückt, um so dichter rückt die Welt zusammen. Das nennt man Globalisierung.

Je dichter die Welt zusammenrückt, um so unübersichtlicher wird sie. Um so schlichter werden die Erklärungsmuster derjenigen, die daran schuld sind, dass die Welt unübersichtlicher wird, und die nicht wollen, dass uns das beunruhigt. In der Regel klappt das ganz gut. Politik, Wirtschaft und Medien arbeiten recht ordentlich zusammen daran, dass die Weltordnung weiter so funktioniert, wie sie funktioniert. Das nennt man Globanalisierung.
So haben es die beiden Autoren zwar nicht ausgedrückt, aber es wäre eine Form, das Ergebnis der dreistündigen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zusammenzufassen.
Thomas Ebermann und Rainer Trampert sind Störenfriede, sind „Langzeitantennenkönige“ (taz), die den Niedergang der 68er-Bewegung bis zum heutigen Neoliberalismus aufmerksam beobachten und analysieren. Bekannt als ehemalige Vordenker der Grünen und lange der Parteispitze zugehörig, haben sie die ehemalige Alternativpartei schon vor zehn Jahren verlassen. So konnten sie sich selbst treu bleiben, müssen sich nicht für den olivgrünen Kriegsminister Fischer schämen und können in Ruhe ihre Wahrnehmungen sortieren, die sie in Büchern, Zeitschriften und auf Lesereisen unters Volk streuen.
Grausam wird das Weltbild harmloser Arbeitnehmer, Zeitungsleser, Autofahrer, Steuerzahler und Anhänger der bewaffneten westlichen „Friedensmissionen“ erschüttert: Nichts ist, wie es scheint.

Mengele modern

Mit einem kurzen Managertraining „Sprenge deine Grenzen!“ nach authentischen Vorlagen wird das Publikum auf das Gewinnerprinzip eingestellt: Erfolg ist ein Naturgesetz. Trennt euch von Grüblern. Fazit: „So kommen die Mengeles dieser Welt heute noch ans Ziel“.
Die Autoren zitieren Originaltexte aus der Presse, aus Bundestagsdebatten, aus Lafontaines „Das Herz schlägt links“ bis zum „Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler“. Eingebettet in neue Rahmentexte und Zusammenhänge oder nur in der Aneinanderreihung entlarven sich all diese Aussagen selbst, ohne dass es weiterer Kommentare bedarf. Will ein britischer Konzern Mannesmann kaufen, heißt es „feindliche Übernahme“. Aber umgekehrt?

VerDINGung des Menschen

Symptomatisch verschwindet der Mensch aus dem Sprachgebrauch: Kinder = Humankapital. Beschäftigte = zu optimierende Res- source. Der frühe Tod unproduktiver Menschen könnte die Lohnnebenkosten am nachhaltigsten senken. „Warum hast du dich von Renate getrennt?“ „Sie war nicht mehr mein Ding.“ Aber: der Aktienindex erholt sich. Money lives.
Neulich: Holzmann-Beschäftigte grölen die neue deutsche Nationalhymne: „Holzmann, Holzmann über alles“ und „Gerhard, Gerhard“. Rückkehr zu völkischer Opferbereitschaft und Führerkult?

Aufarbeitung auf Deutsch

Bundestagsdebatte zur Wehrmachtsausstellung. Unisono entrüsten sich alle Parteien – nicht über das, was deutsche Soldaten Menschen in Polen, der Sowjetunion, Jugoslawien angetan haben. Grünen-Abgeordnete Christa Nickels weiß von der „erbitterten Aufarbeitung in deutschen Familien“ zu berichten. Auch ihr Vater war dabei: „Ich habe ihn nie zu fragen gewagt“. Ein wahrhaft empirisches Beispiel für die Aufarbeitung. Sie ist erschüttert: „Was wurde da nur mit den armen deutschen Soldaten gemacht?“

Geostrategien

Minutiös legen die Autoren dar, welche strategische Bedeutung die Gebiete haben, die „aus humanitären Gründen“ gegen künstlich aufgebaute Feinde „verteidigt“ werden. Kosovo, Tschetschenien, Kurdistan müssen befriedet werden. Nicht wegen der dort lebenden Menschen, sondern wegen der dort befindlichen Rohstoffe und Transportwege. Welcher der Friedensstifter interessiert sich für Bürgerkriege in Ländern, die politisch und wirtschaftlich uninteressant sind? 1000 Panzer an die Türkei: Kurdistan ist eine strategisch wichtige Route – Unruhen unerwünscht. Von Grosny (Tschetschenien) zum Schwarzen Meer führt eine Ölpipeline – ein guter Grund, dort einzugreifen.
Propaganda gab’s im Kosovo-Krieg bekanntlich nur aus Belgrad; bei der NATO hieß das Berichterstattung. Wie kam die Bombe in die Chinesische Botschaft in Belgrad? Wer immer noch glaubt, die NATO benutze veraltete Stadtpläne zur Navigation ihrer computer- gesteuerten strategischen Waffen, ist in der postmodernen Blödwelt gut aufgehoben. Wer sich erinnert, dass China in der UNO gegen ein Engagement in Restjugoslawien votierte, kommt wahrscheinlich zu anderen Erkenntnissen.

„Alles, was geschieht, ist gut, weil es geschieht“

Esoterik: Die Prophezeiungen der Celestine, „Band 1-10 plus Erläuterungsheft“. Haufenweise Zitate von geläuterten Leuten. Die sich so frei fühlen, nachdem sie gelernt haben, wie gut es tut, über Leichen zu gehen. Wie im Managerseminar, nur anders verpackt. Einer der größten Lacherfolge des Abends, obwohl diese Facette des Blödwelt-Lifestyle nicht so harmlos ist, wie es scheint. Esoterische Literatur strotzt von Antisemitismus und biologischem Rassismus. Mit dem Credo „Alles, was geschieht, ist gut, weil es geschieht“ lässt sich alles erklären und rechtfertigen. Auch Auschwitz.

Abrakadabra

Nicht minder schwarze Kabarettvorlagen liefert das „Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler“. Politik und Wirtschaft verhilft es zu ruhigem Schlaf – gut zu wissen, über welche Marginalien sich der legendäre Otto Normalverbraucher aufregt, die ihm den Blick fürs Wesentliche verstellen. Häppchenweise aufbereitet in der BILD-Zeitung, in der die Verblödung sicherheitshalber täglich aufgefrischt wird. Mit diesem Zaubertrick kann man eine Fregatte (für 1 Milliarde DM) hinter einem Zierkarpfen auf der Gartenschau (für 5.000 DM) einfach verschwinden lassen.
Nach zweistündigem Vortrag mischten sich Ebermann und Trampert unters Publikum, wo in kleinen Gruppen weiter analysiert und diskutiert wurde. Für viele der Zuhörer waren sicher nicht alle Analysen neu, vieles eine Bestätigung oder Ergänzung dessen, was sie selbst wahrnehmen. Denn diejenigen, die es am meisten anginge, die sich in der schönen du-sollst-nicht-merken-Scheinwelt geborgen fühlen, besuchen solche Veranstaltungen nicht. Sie verzweifeln lieber an Orangenhaut, steigenden Bauzinsen, Benzinpreisen und Zierkarpfen als an der Realität.

Risiken und Nebenwirkungen

Lösungen bieten Trampert und Ebermann nicht an. Keine neue Ideologie, keine neue Partei. Sie übernehmen einzig die Fleißarbeit, eine Menge der Informationen, die täglich gezielt lanciert werden, im aktuellen wie historischen Zusammenhang und zwischen den Zeilen zu lesen. Das könnte – wenn auch nicht in diesem Umfang – jede/r, wozu der Vortrag einen Anstoß bietet. Doch wo kämen wir hin, wenn jede/r die kapitalistische Welt(un)ordnung durchschauen würde? Einer der aufmerksamsten Zuhörer der Veranstaltung war ein Vertreter der lokalen politischen Polizei. Die soll ja dafür sorgen, dass das System weiter so funktioniert, wie es funktioniert, und die Menschen überwachen, die es kritisieren. Bei so viel Aufmerksamkeit der Überwacher muss die Veranstaltung aus Sicht der Überwachten also wirklich gut gewesen sein.

 Posted by at 0:40

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top