Glatze 2
Jan 261993
 

Der arme Skinhead

„Glatze“ verharmlost die Schlägertruppe der Rechtsextremisten

(hk) Wohl selten gab es ein so einheitliches Jubeln über ein zeitkritisches Stück wie bei „Glatze“. Der Inhalt dieses 1992 verfaßten Stücks des Leipzigers Peter Dehler ist schnell erzählt: -Man nehme alle bekannten Urteile und Vorurteile über Skinheads, Marktwirtschaftsbürger, Rechtsradikalismus – packe alles in einen Sack, gut schütteln, mit ’ner Handvoll Psychologie würzen – heraus kommt „Glatze“ – der nette Skinhead, der unverstandene Jugendliche, der leidende Skin, der unpolitische Skin. Eine Herangehensweise an gesellschaftliche Probleme, wie wir sie oft in aktuelle Themen beackernden Filmen und Theaterstücken vorgesetzt bekommen.

Die Mixtur, aus der Erfolge sind; weil sie nichts neues bieten, nicht provozieren, nichts zur Diskussion stellen. Der Zuschauer geht selbstbestätigt nach Hause. Fragen tauchen kaum auf – höchstens die seit James Deans „… denn sie wissen nicht was sie tun“ im Takt der Generationen wiederkehrenden Fragen der verständnislosen Alten, warum die Jugend ihre Wertordnung nicht widerspruchslos hinnimmt.
Meine Kritik richtet sich dabei allerdings nicht gegen das Stück an sich, sondern gegen die Art, wie es vermarktet wird. „Glatze“ wird als Stück gegen Ausländerfeindlichkeit gepriesen, und wie beim alljährlichen Weihnachtsmärchen werden ganze Schulklassen in die Vorstellung gekarrt. Doch „Glatze“ ist kein Stück gegen Ausländerfeindlichkeit, ist kein Stück zur Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus. Es ist ein Stück, welches um Verständnis für die unverstandenen Skins und letztlich deren Aktionen wirbt. Nicht alle Skins sind so schlimm, die meisten wissen doch gar nicht, was sie tun…
Sich so mit den Skins auseinanderzusetzen ist auch richtig und wichtig (und hoffentlich nicht zu spät). Nur, wenn ich heute sehe, daß eine Gruppe Skins in vorderster Front vor einem Asylbewerberheim steht und das Leben und die Gesundheit dieser Menschen massiv bedroht, ist es mir erst einmal völlig wurscht, welch‘ schwere Kindheit der Bursche hatte, ob sein Vater ein saufender Polizist oder sonstwas ist. Da geht es nur darum, diesen Leuten das Handwerk zu legen. Denn die wissen genau was sie tun!
Allein im letzten Jahr wurden mehr als 2000 Straftaten, von Hakenkreuzschmierereien über Friedhofsschändungen und Brandanschläge bis zu Totschlag und Mord, durch Rechtsextreme begangen. Skinheads nehmen dabei einen besonders hohen Anteil ein. Diese mordend und brandschatzend durch die Lande ziehenden Horden haben nichts mit „Glatze“ zu tun. Haben nichts mit diesem armen, mißverstandenen, angelnden Skin zu tun.
Dieses Stück ist erfolgreich, weil das Erstarken des Rechtsextremismus uns angeblich immer mit der unbeantwortbaren Frage nach dem „Warum“ konfrontiert (ob diese Frage nach dem „Warum“ wirklich so schwer zu beantworten ist, wage ich zu bezweifeln):
Der Autor sagt deutlich, daß sein Stück diese und andere Fragen nicht beantworten kann. Dennoch wird es vermarktet, als wären hier Ansätze zur Beantwortung von·Fragen gegeben – nicht einmal Fragestellungen, die im Ansatz zur Problembewältigung führen könnten, wirft das Stück auf.
„Glatze“ ist nicht hilfreich bei der Auseinandersetzung mit den Faschisten, weil deren Taten als Einzelaktionen, aus einem konfusen Gesellschaftsblickwinkel heraus begangen, verharmlost werden.
Blöderweise wird zum Schluß auch noch der liebe Skinhead erschossen – Volkszorn! Er wird nicht erschossen, weil die Skins mordend durch die Lande ziehen, sondern weil sie eine Katze umgebracht haben .- ein schönes Bild der deutschen Gegenwart, in der das Leben bzw. der Tod einer Katze mehr Empörung hervorruft als der Tod eines Ausländers.
Und wieder entsteht Mitleid mit dem liebenswerten und jetzt toten Skinhead. Der Skinhead, so die Essenz des Stückes, ist selbst nur das verrohte Spiegelbild unserer Gesellschaft, er steht nicht wirklich außerhalb. Seine Aktionen stoßen auf heimliche Förderung und offene Unterstützung. Diese zumindest seit Hoyerswerda und Rostock allgemein bekannte Tatsache wird in „Glatze“ noch herausgearbeitet, doch dann beginnt der Eiertanz um die Gunst der Skinheads und das Stück macht sich der Verharmlosung schuldig, einer Verharmlosung die letztendlich zur weiteren Duldung neofaschistischer Gewalttaten führen kann.
Aber darum geht es ja auch nicht – Dehlers „Glatze“ hat nichts mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen des Jahres 1993 zu tun und sollte zukünftig auch nicht mehr als „Muß“ für die Jugend vermarktet werden.

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