Giftküche
Jun 071993
 

ICI-Atlantik: Zwei Chlorgasausbrüche

ICI-Sprecher: Eine solche Sache gefällt uns überhaupt nicht

(buw-hk) Einen Steinwurf entfernt von der Wohnbebauung in Rüstersiel steht das Chlorgaswerk der ICI. Zwei Chlorgasausbrüche brachten der Bevölkerung die Bedrohung, der sie durch das Chlorgaswerk ausgesetzt ist, wieder eindringlich ins Bewußtsein.

Seit mehr als einem Jahrzehnt fordert die Bürgerinitiative Umweltschutz Wilhelmshaven (BUW) die Stillegung der Chlorgasfabrik der ICI-Atlantik auf dem Rüstersieler Groden. Gründe für die Stillegungsforderung der BUW:

  1. Die Produktion von Chlorgas in unmittelbarer Nähe zur Wohnbebauung Rüstersiels stellt eine nicht vertretbare Gefährdung dar;
  2. Bei ICI-Atlantik wird mittels des Amalgam-Verfahrens Chlorgas produziert. Unnötige Umweltbelastungen (z.B. mit Quecksilber) sind die Folge;
  3. Das Chlorgas wird durch eine ca. 10 km lange Pipeline zum ICI-Werk Voslapp transportiert – eine in der Bundesrepublik einmalige Gefahrenquelle.
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Foto: Klöpper

Doch das alles ficht die Betreiber des Werkes und die Aufsichtsbehörden nicht weiter an. Hier steht man stur zu einmal getroffenen Entscheidungen. Auch die zwei Störfälle bei der ICI-Atlantik am 26. Mai 1993 (siehe Kasten) werden daran nichts ändern. Ein Umdenken wird erst dann eintreten, wenn es zu spät ist, wenn die über Rüstersiel oder über Campingplatz und Badestrand wabernden Chlorgaswolken zu einer lebensbedrohenden Situation für Anwohner und Badegäste werden.
Der SPD-Ortsverein Rüstersiel hat die Veröffentlichung der Alarmpläne der ICI verlangt. Denn in Rüstersiel hört man natürlich die Alarmsirenen im ICI-Werk – doch kein Mensch weiß so recht, was er tun soll: „Gilt der Alarm nur fürs Werk oder kommt auf uns eine Giftgaswolke zu? Soll ich aufs Dach steigen oder besser in den Keller gehen?“
Die Stadt Wilhelmshaven mit ihrem ehemals rührigen Umweltdezernenten Jens Graul kommentierte die Störfälle ganz im Stil des neuen Schreiberschen Denkens: „Keine Gefahr“. Kommentar der Geschäftsleitung zu den Störfällen: „Eine solche Sache gefällt uns überhaupt nicht.“ Dem können wir uns nur anschließen.

Der Chlorgasunfall
Am 26. Mai 1993 vormittags um 10.17 Uhr: Bei der Wiederinbetriebnahme einer Chlorgaspumpe tritt ca. 1 Kilogramm Chlorgas aus. Die Warngeräte an der Betriebsgrenze zeigen 2,5 ppm*) an.
Das Chlorgas wird mittels eines Wasserschleiers niedergeschlagen Bei dem Versuch das minus 34°C kalte Chlorgas in eine andere Leitung zu drücken, platzt um 11.12 Uhr diese Kunststoffleitung – 3 bis 4 Kilogramm Chlorgas treten aus. Die Meßgeräte zeigen 4,5 ppm an.
Bedienungsfehler gibt die Betriebsleitung der ICI als Grund für die beiden in einem ursächlichen Zusammenhang stehenden Störfalle an.


*) ppm - parts per million: Gibt an, wie viel Teile eines Stoffes sich in einer Million Teilen eines anderen Stoffes befinden. Hier 2,5 Teile Chlorgas in einer Million Teile Luft.
Kommentar:

Glück gehabt?
Die beiden Störfälle bei der ICI am 26. Mai führten zum Glück nicht zu einer lebensbedrohenden Situation, dennoch gibt es keinen Grund, die Sache auf sich beruhen zu lassen und zur Tagesordnung zurückzukehren.
ICI-Atlantik produziert nicht irgendeine Allerweltschemikalie, sondern einen Stoff, der auch als Kampfgas einsetzbar ist – womit sich jedes weitere Wort über Gefährlichkeit und Wirkung von Chlorgas erübrigt.
Beide Störfälle führt die Betriebsleitung der ICI auf menschliches Versagen zurück. Die computergesteuerte Betriebs- und Überwachungsanlage, die den Besucherinnen des Werkes immer gerne als Garant für die Sicherheit des Betriebes präsentiert wird, ist eben auch nur so zuverlässig und sicher, wie die Menschen, die im Werk arbeiten, wie die, die die Anlagen bedienen.
Wenn es möglich ist, daß eine defekte Pumpe in Betrieb genommen wird und eine Stunde später dann das Chlorgas in eine Plastik-Leitung umgeleitet wird, woraufhin diese platzt, kann es mit dem angeblich so hohen Sicherheitsstandard der Anlage und dem Ausbildungsstand der Mitarbeiter nicht so weit her sein.
Die Konsequenz kann nicht sein, daß die Mitarbeiter der ICI nun in Werkstoffkunde etwas besser unterrichtet werden oder der Computer mit den entsprechenden Daten gefuttert wird. Die Konsequenz kann nur heißen: Legt die Anlage still!

Hannes Klöpper

 

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