Zuviel für einen Abend
Zwei brisante Themen auf einer Veranstaltung des Stadtelternrates
(noa) Gleich zwei Themen standen auf der Tagesordnung der Informationsveranstaltung des Stadtelternrates am 19. Februar: „Gewalt in der Schule“ und „Sexuelle Gewalt an Kindern“.
Die „WZ“ hatte in ihrer Ankündigung der Veranstaltung beide Themen vermischt zu der Frage „Sexuelle Gewalt an Kindern auch in Schulen?“, und der Grund war wahrscheinlich keine Sensationsgier, sondern ein echtes Missverständnis. Der Stadtelternrat hatte seine Pressemitteilung zwar deutlich formuliert, aber eine einzige Veranstaltung reichte nicht für beide Themen. So war für das eine wie für das andere Thema zu wenig Zeit, beide wurden nicht ausreichend bearbeitet, um den anwesenden Eltern Sicherheit in ihrem Umgang mit beiden Erscheinungen zu geben.
Kriminalhauptkommissarin Wilma Reinhardt stellte das Thema „Gewalt in der Schule“ aus ihrer Sicht als Beauftragte der Kripo Wilhelmshaven für Jugendsachen dar.
Gewalt tritt überall dort auf, wo Kinder und Jugendliche sich treffen, auf Spielplätzen und an anderen Treffpunkten, in Discos, Parks, auf dem Schulweg und in der Schule. Zu den Ursachen sagte Reinhardt, das Schlimmste sei, wenn Kinder selbst Opfer von Gewalt sind oder waren, denn sie geben weiter, was sie erlebt haben.
Gewalt in der Schule hat viele Gesichter, so Reinhardt; sie äußert sich als Sachbeschädigung, als das Ärgern von Lehrern, als Mobbing in vielfältiger Form, als körperliche Gewalt und als räuberische Erpressung. Mobbing unter Schulkindern wird Thema für die Polizei, wenn Opfer von zu Hause weglaufen, um nicht mehr zur Schule zu müssen, oder wenn sie gar versuchen, sich das Leben zu nehmen. Wenn die Schule mit Mobbing, mit körperlicher Gewalt und räuberischer Erpressung angemessen umgehen kann und diese Erscheinungen wirksam unterbinden kann, ist das allemal besser, als wenn die Polizei hinzugezogen werden muss, doch ganz und gar falsch ist es, wegzuschauen und körperliche, soziale und psychische Gewalt zu erdulden.
Nach polizeilichen Erfahrungen ist kriminelles Verhalten (mit Ausnahme der körperlichen Gewalt) eine Episode im Leben eines Kindes/Jugendlichen. Man probiert z.B. aus, ob man tatsächlich jemanden mit Drohungen so beeindrucken kann, dass er einem die neuen Turnschuhe oder das Taschengeld gibt. Solche Vorkommnisse müssen auf jeden Fall gestoppt werden, da sie sich sonst fortsetzen. Deshalb ist in solchen Fällen eine Anzeige wichtig. Zwar sind Kinder unter 14 Jahren nicht strafmündig, aber der junge Täter wird dann zusammen mit seinen Eltern vorgeladen, und es findet ein erzieherisches Gespräch statt. Die Erfahrung zeigt, dass Kinder davon meist so beeindruckt sind, dass sie dergleichen in Zukunft bleiben lassen.
Wolfgang Klemenz war als Vertreter der Opferhilfsorganisation „Weißer Ring“ eingeladen. Er stellte einleitend fest, dass bei uns die Opfer im Vergleich zu den Tätern benachteiligt sind. Nach einer Straftat steht der Täter im Mittelpunkt des Interesses, während das Opfer nur Zeuge ist. Deshalb gibt der Weiße Ring den Opfern schnelle, unbürokratische Hilfe. Entscheidet sich ein Opfer für eine Anzeige, dann bietet die Organisation ihm Vorbereitung auf, Begleitung zur und Nachbereitung der Gerichtsverhandlung, benötigt das Opfer Rechtsberatung, bekommt es einen Beratungsscheck über 150 Euro. Eine Anzeige ist nicht Voraussetzung für die Hilfe, die streng vertraulich geleistet wird.
25 % der Arbeit des Weißen Ringes gilt der Vorbeugung, und Klemenz stellte mit Bedauern fest, dass die Schulen das Angebot von Unterrichtsmaterial zur Gewalt in der Schule wenig nutzen.
Edeltraud Schmidt saß als Vertreterin der Beratungsstelle „Schlüsselblume“ zwar eigentlich für das zweite Thema auf dem Podium; als Leiterin einer Wilhelmshavener Hauptschule wurde sie nach Klemenz’ Ausführungen jedoch aufgefordert, auch zum ersten Thema etwas beizutragen, und sie gab ihren Eindruck wieder, dass es Gewalt an Schulen schon immer gegeben hat, dass aber in den letzten Jahren die Form sich geändert hat: Sie ist massiver geworden.
Redebeiträge aus dem Publikum auf öffentlichen Veranstaltungen sind bestimmt nicht immer repräsentativ, und für diese Veranstaltung gilt, dass man nur hoffen kann, dass sie das auch bei dieser Veranstaltung nicht waren. Eine Mutter jedenfalls vertrat, dass es für ein Kind, das in der Schule Gewalt erlitten hätte, gefährlich wäre, wenn die Eltern etwas dagegen unternähmen, weil dann nämlich dem Kind erst recht weitere Gewalt drohe. Frau Reinhardt wiederholte an dieser Stelle zwar, dass es wichtig und notwendig ist, in einem solchen Fall etwas zu unternehmen, schilderte noch einmal, was einem gewalttätigen Kind bevorsteht, wenn es angezeigt wird, machte deutlich, dass aller Erfahrung nach das Problem gestoppt werden kann, wohingegen es mit Sicherheit andauert, wenn man still hält, doch sie erreichte zumindest diese Mutter nicht – und wer weiß, wie viele TeilnehmerInnen der Veranstaltung mit der gleichen Meinung wie sie nach Hause gegangen sind. Sie stand jedenfalls im Raum, als aus Zeitgründen das zweite Thema eingeläutet werden musste.
Nur etwa 40 Minuten blieben für Edeltraud Schmidts Vortrag zu diesem Thema und die Diskussion darüber.
Angesichts der bekannten Zahlen – jedes 3. bis 4. Mädchen, jeder 6. bis 7. Junge erleidet sexuelle Gewalt in irgendwelcher Form – muss jede und jeder davon ausgehen, betroffene Kinder und entsprechende Täter zu kennen. 300000 Kinder werden jährlich Opfer sexueller Gewalt, und Frau Schmidt wies darauf hin, dass darunter nicht nur Vergewaltigung, sondern auch subtilere Formen fallen. Wann immer ein Kind zum Objekt der Befriedigung eines Erwachsenen wird, nimmt es Schaden.
In den allermeisten Fällen kommt der Täter aus dem engeren Umfeld des Kindes, in 30 % der Fälle ist der leibliche Vater der Täter. Meistens dauert der „Missbrauch“, wie die sexuelle Gewalt oft auch genannt wird (als ob es auch einen „angemessenen sexuellen Gebrauch“ von Kindern gäbe!) jahrelang an, da den Tätern das Schuldbewusstsein fehlt.
Sexuelle Gewalt hat für Kinder psychosomatische, emotionale und soziale Konsequenzen. Vertrauensverlust, Sprachlosigkeit, Schamgefühl, Ohnmacht, Selbstzweifel und Angst sind die Folgen, an denen das Opfer lebenslang zu tragen hat.
Sexuelle Gewalt ist immer noch ein Tabuthema. Oft bemerkt man Verhaltensauffälligkeiten an Kindern und kommt zu allen möglichen Erklärungen dafür, aber nicht auf die Idee, dass es sich um ein Opfer handeln könnte. Wenn jemand dann doch einmal einen solchen Verdacht hegt, sollte er/sie in erster Linie anerkennen, dass er/sie ein Problem hat: Wie geht man nun damit um? Frau Schmidt betonte eindringlich, dass man auf jeden Fall Ruhe bewahren und Fachleute um Rat fragen soll.
Und ungefähr an dieser Stelle erging es dem Thema ebenso wie vorher dem anderen: Die Zeit drängte, und ein ruhiges Gespräch, in dessen Verlauf die ZuhörerInnen Vorstellungen über angemessenes Verhalten in einer solchen Krise hätten entwickeln können, war nicht mehr möglich.
Immerhin haben die BesucherInnen der Veranstaltung aber drei Fachleute kennen gelernt, an die sie sich bei Bedarf wenden können.
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