Gespräch mit Frau Czech
Jun 271995
 

Christliche Nächstenliebe

Gegenwind-Gespräch mit Frau Czech

GEGENWIND: Frau Czech, Sie beherbergen hier Bürgerkriegsflüchtlinge und Wohnungslose.
Czech: Das trifft zu. Die Bürgerkriegsflüchtlinge sind in dem umgebauten Wohnbereich untergebracht. Wir haben – Gott sei Dank – die Bank überzeugen können, daß wir Gelder für Ausbaumaßnahmen brauchten. Wir haben einen Bauantrag genehmigt bekommen für die Unterbringung von 135 Personen.

Haben Sie einen Vertrag mit der Stadt?
Nein.

Woran liegt das? Wollen Sie einen Vertrag und die Stadt nicht oder umgekehrt?
Wir wollen einen Vertrag. Es ist nach wie vor ein Schwebezustand – oder ein geparkter Zustand. Es ist gut für die Stadt, wenn Notunterkünfte da sind, aber eine vertragliche Festlegung gibt es nicht.

Haben Sie den Eindruck, die Stadt will sich nicht festlegen?
Kann sich nicht festlegen – aufgrund der Finanzlage.

Aber die Unterbringung von Wohnungslosen ist eine ordnungspolitische Notwendigkeit und damit Pflichtaufgabe einer Kommune. Insofern hätte die Stadt schon die Möglichkeit, einen Vertrag abzuschließen.
Wir sind aufgefordert worden, einen Vertrag zu entwerfen. Seit September 94 ist uns nicht einmal signalisiert worden, ob unser Entwurf auch nur auf Rechtsgültigkeit geprüft wurde.

Heißt das, daß das Ordnungsamt von Fall zu Fall entscheidet und wohnungslose Menschen zu Ihnen schickt?
Ja. Im November 1993 gab es die erste Anfrage, ob wir Obdachlose unterbringen können. Nun, das Haus ist groß genug, und wir konnten. Aber für die erforderlichen Umbauten mußten wir Geld haben, und ein Vertrag hätte uns bei den Banken vieles erleichtert. Erst aufgrund der Einnahmen bekamen wir Geld, sonst hätten wir Bereiche unseres Hauses gar nicht umbauen können.

Wie ist momentan die Belegung?
Im Bereich der Bürgerkriegsflüchtlinge sind nicht alle Plätze belegt, da wir Rücksicht auf Familienzugehörigkeit nehmen. Im anderen Bereich sind 27 Wohnungslose in neun Dreibettzimmern untergebracht. Es gibt Gemeinschaftsküchen und -duschen und z. T. abgeschlossene Wohneinheiten, so daß wir suchtfreie Obdachlose außerhalb des „nassen“ Bereichs unterbringen können.

Gibt es tatsächlich suchtfreie Wohnungslose?
Wir haben bislang in zwei Fällen Suchtfreiheit geschafft, und wir haben drei Leute dazu bekommen, sich in Therapien zu begeben, die noch nicht abgeschlossen sind, da es sich um Langzeittherapien handelt.

„Geschafft“, das klingt, als gäbe es hier außer Unterbringung auch Betreuung.
Ja. Gefordert ist vom Ordnungsamt lediglich Unterkunft mit Koch-, Wasch- und Duschgelegenheit. Aber wenn ein neuer Bewohner kommt, spreche ich zunächst mit ihm, stelle fest, ob ärztliche Behandlung erforderlich ist, und ich stehe für Gespräche zur Verfügung. Das wird unterschiedlich genutzt – manche sehe ich ganz selten, andere kommen fast täglich in mein Büro. Wenn Leidensdruck da ist, dann rate ich auch dringend zur Therapie. Ich achte auch darauf, wen ich mit wem zusammen unterbringe – bei dreien, die in einem Zimmer wohnen, ist immer einer, der Wert auf Mahlzeiten legt und darauf achtet, daß einer, der sich darum nicht kümmert, regelmäßig ißt.

Geld bekommen Sie doch aber nur für die Unterkunft.
Das ist richtig, aber wo es notwendig ist, helfe ich.

Sie sprachen von alkoholkranken und anderweitig süchtigen Menschen – haben Sie Kontakt zur Drogenberatung oder anderen Stellen der Diakonie?
Es besteht nur ein rein formaler Kontakt zum Tagesaufenthalt der Diakonie. Ich hätte es gut gefunden, mit der Diakonie ein gemeinsames Konzept für die Betreuung Wohnungsloser zu entwickeln, aber das wurde leider abgelehnt.

Nun haben Sie ja in letzter Zeit Aufsehen erregt durch eine „Alkoholtherapie“, die Sie hier im Haus – im Keller zumindest in einem Fall durchgeführt haben. Soweit wir wissen, hat diese Sache sogar den Gesundheits- und den Sozialausschuß beschäftigt.
Das war keine Therapie. Es handelte sich um einen Entzug. Der junge Mann war zu dem Zeitpunkt nicht therapiefähig und -willig. Hier im Haus ging es nur um den Entzug. Erst nach einem Entzug geht es darum, aufzudecken, warum, durch welche Mechanismen man immer wieder trinkt, und zu lernen, das abzustellen. Ich habe den betreffenden jungen Mann kennengelernt durch die Abstinenzgruppe der Guttempler, die hier im Haus getagt hat …

… Haben Sie hier auch einen Gruppenraum?
Ja. Im Winter trafen sich da die Guttempler, und einige Zeit war er auch der Treffpunkt einer Gruppe Eßgestörter. Außerdem kommen Kinder und Jugendliche aus der Umgebung zu Rollenspielen hierher.

Kann jede und jeder diesen Raum nutzen? Kostet das Miete?
Die Kinder bezahlen nichts, und den Guttemplern habe ich den Raum auch unentgeltlich zur Verfügung gestellt – es war ja nur für eine Übergangszeit. Ansonsten kostet er Miete.

Und der bewußte junge Mann hat also bei den Guttemplern teilgenommen?
Ja. Und Herr K.* von der Guttempler-Gruppe fragte mich, ob S.* (Die vollständigen Namen sind der Redaktion bekannt) hier im Hause wohnen könne, da es zu Hause nicht mehr gehe. Aber natürlich kann ich mir die Leute nicht aussuchen, die hier untergebracht werden. Einige Zeit später nahm dann S.’s Mutter Kontakt zu mir auf und bat mich um Hilfe, da zu Hause alle es nicht mehr miteinander aushielten, und ich nahm dann S. und seine Verlobte in meine Privatwohnung auf. S. wollte entziehen, da seine Verlobte ihm im Aussicht gestellt hatte, ihn zu heiraten, wenn er trocken würde. Am Anfang ging es S. nur darum, für seine Verlobte zu entziehen. Klar war, daß er 24 Stunden am Tag betreut werden mußte, was von einer Person allein nicht geleistet werden konnte. Deshalb haben wir uns das geteilt.

Wie kam es zur Unterbringung im Keller? Soweit wir wissen, handelt es sich um einen fensterlosen Raum, einen ehemaligen Luftschutzkeller.
Als S.’s Verlöbnis in die Brüche ging und S. in ein Zimmer im Wohnbereich der Obdachlosen sollte, wollte er das nicht. Er wollte einen Schutzraum getrennt von den nassen Alkoholkranken, und den Keller sah er als seinen Schutzraum an. Das war „sein Reich“. Ich brachte ihm eine Schreibmaschine hinunter, Bastelmaterial, auch Kerzen, als er nach Kerzenlicht verlangte.

Wir haben gehört, der junge Mann habe einen Strafantrag wegen Freiheitsberaubung gestellt oder stellen wollen.
Ich habe das auch gehört, aber bislang ist weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft zu uns gekommen.

Auf welcher Grundlage könnte S. denn einen solchen Strafantrag stellen?
Wir hatten einen Vertrag mit ihm abgeschlossen für diesen Achtwochenzeitraum. Er war auch nüchtern, als er ihn unterschrieben hat. Er wollte entziehen – zunächst, wie schon erwähnt, für seine Verlobte, aber während der Zeit kam er nach der Lektüre eines Buches, das ihm sein Arzt geliehen hatte, so weit, zu sagen, er entzieht für sich. „S. für S.“ war dann die Devise. Freiheitsberaubung war das nie. Der Keller war offen. Nur ganz am Ende der vertraglich vereinbarten Zeit mußten wir ihn einmal über ein Wochenende einsperren. Da bekam er nur die Mahlzeiten gebracht, konnte sich aber nicht frei bewegen.

Warum?
Wir hatten zu der Zeit einen Pflegesohn, der, nachdem er immer wieder ausgebüchst war, nun dazu übergangen war, oft und viel krank zu werden. Und er wurde zum Wochenende vor dem 1. Mai schwer krank. Wir brauchten einen HNO-Arzt, und die notdiensttuenden Ärzte konnten uns nicht helfen. An diesem Wochenende waren wir mit dem Pflegesohn so sehr beschäftigt, dass wir uns um S. nicht kümmern konnten, und wenn die Luftschutzkellertür zufällt, bekommt man sie nicht mehr auf. In dem ganzen Trubel hat auch niemand von uns S. verständlich machen können, warum er jetzt ausnahmsweise eingesperrt sein mußte. Das wäre das einzige, was mir eine Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung verständlich machen würde.

Warum haben Sie sich der Aufgabe eines Entzugs gestellt? Sie haben dafür ja nichts bekommen.
Mein Bereich ist soziale Arbeit, ist die christliche Nächstenliebe. Wenn ein Signal kommt, daß jemand Hilfe braucht, dann helfe ich, ob ich dafür Geld bekomme oder nicht.

Aber Sie müssen ja leben, und Sie müssen Geld verdienen.
Für die Unterbringung der Bürgerkriegsflüchtlinge und der Wohnungslosen (und früher der Asylbewerber) bekommen wir Geld, das stimmt. Sonst wäre es uns ja auch nicht möglich gewesen, das Haus entsprechend umzubauen. Ich habe Diplom-Pädagogik studiert und wegen eines schweren Unfalles, durch den ich anderthalb Jahre arbeitsunfähig war, den Abschluß nicht gemacht. Daß ich im sozialen Bereich tätig sein will – bezahlt oder ehrenamtlich, war nach dieser schweren Zeit für mich klar. Daß ich meinen Abschluß, den ich ja nun einmal nicht gemacht habe, so bekomme, erwarte ich nicht. Aber ich würde mir wünschen, daß das, was ich kann – was ich schon gemacht habe – anerkannt wird.

Was zum Beispiel?
Ich habe im Studium den Bereich der Verwaltung kennengelernt, habe im Frauenhaus mitgearbeitet, pädagogisch gearbeitet von Vorschuleinrichtungen bis hin zur Erwachsenenbildung, habe parallel dazu psychologisch gearbeitet im Bereich der Kommunikation und der Familientherapie. Und seit 1978, also schon vor meinem Studium, habe ich im Bereich der Integration von Flüchtlingen gearbeitet. Und ich bilde mich laufend weiter. Es wäre schön, wenn das, was ich weiß und kann, anerkannt würde.

Sie sprachen von einem Pflegesohn. Haben Sie auch Pflegekinder?
So darf ich es nicht nennen. Ich sage dann halt „Gastkinder“ dazu, wenn alleinerziehende Mütter oder Väter wegen eines Krankenhausaufenthaltes oder aus sonstigen Gründen ihre Kinder für eine Zeit zu uns bringen.

Wie kommen diese Kontakte zustande?
Das sind zum Beispiel Schulkameraden meiner Söhne oder mittlerweile auch schon deren Bekannte. So etwas spricht sich ja herum. Inzwischen ist unsere Telefonnummer auch schon so etwas wie ein Kinder-Sorgentelefon geworden – wenn ein Kind Ärger zu Hause hat und sich nicht traut, heimzugehen, vermittle ich dann, indem ich mit allen Beteiligten spreche.

Auch das ehrenamtlich, nebenbei?
Ich sagte doch schon, daß Kommunikation einer meiner Schwerpunktbereiche ist.

Und die Betreuung von Süchtigen ein weiterer?
Ja. Ich denke auch, daß Suchtkranke, die wahrscheinlich nicht mehr da rauskommen werden, zumindest ein menschenwürdiges Leben zu beanspruchen haben …

… so daß sie, wenn sie sich totsaufen wollen, das würdig tun können?
Ja. Ich habe das einmal durchgerechnet. Dafür müßte ich natürlich Personal einstellen, ein Sozialarbeiter, eine hauswirtschaftliche Kraft und ein weiterer Hausmeister wären erforderlich. Ich könnte ein betreutes Wohnen für solche Menschen für einen Tagessatz von etwas über 20 DM zusätzlich zu den 20 DM, die wir für die „normale“ Unterbringung bekommen, anbieten.

Was aber bei der gegenwärtigen haushaltslosen Lage Wilhelmshavens nicht möglich ist.
Nun, die Berechnungen liegen im Schreibtisch.

Frau Czech, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

* Die vollständigen Namen sind der Redaktion bekannt.

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