Gespräch mit Frau Aljets
Jun 271995
 

Helfersyndrom

Gegenwind-Gespräch mit Ratsfrau Aljets

GEGENWIND: Frau Aljets, das Ordnungsamt der Stadt Wilhelmshaven bringt mittlerweile seit einigen Jahren bei Czech in der Gökerstraße 109 unter.
Aljets: Wir hatten Ende 92/ Anfang 93 das Unterbringungsproblem für Asylbewerber. Bei Czech wurden die Asylbewerber/innen untergebracht, die nicht mehr in den beiden Flüchtlingsheimen unterkommen konnten. Das war die Zeit, als wir hier nicht nur die Asylbewerber/innen, die wir durch die ZAST (Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber/innen – Anm. d. Red.) zugewiesen bekamen, unterbringen mußten. Wir hatten zudem das Problem, daß Asylbewerber/innen mit einem Busunternehmen kamen, die Leute wurden am Rathausplatz ausgeladen, und die Stadt hatte das Unterbringungsproblem. Wir waren damals alle froh, wenn wir es gerade auch am Wochenende immer geschafft hatten, daß niemand auf der Straße bleiben mußte.

Mittlerweile sind bei Czech in etwa im gleichen Verhältnis Bürgerkriegsflüchtlinge und städtische Wohnungslose untergebracht. Ist Ihnen bekannt, daß von Seiten der Stadt über alternative Unterbringungsmöglichkeiten nachgedacht wird? Also zum Beispiel in der Form, daß Übergangswohnungen geschaffen werden oder, dass Obdachlose dezentral untergebracht werden sollen?
Ich denke, wir müssen die beiden Probleme voneinander trennen. Das Problem der Bürgerkriegsflüchtlinge ist das Problem aller Städte. Das ist eigentlich ein bundespolitisches Problem. Die Städte bekommen keine finanziellen Mittel zur Unterbringung dieser Menschen. Die Bürgerkriegsflüchtlinge werden wir nicht anders untergebracht bekommen. Wir können es uns als Stadt Wilhelmshaven angesichts unserer Haushaltsmisere nicht leisten, diesen Leuten zu erlauben, sich eine eigene Wohnung zu nehmen. Wir dürfen angesichts der Haushaltssituation .gar keine freiwilligen Leistungen gewähren. Das andere Problem ist das Problem der Wohnungslosen. Über die Unterbringung von Wohnungslosen bei Czech wurde der Sozialausschuß erst spät informiert.

Wie kam es zur Unterbringung der Obdachlosen bei Czech? Ist die Stadt an Czech herangetreten?
Ich kann nicht sagen, wie das gelaufen ist. Irgendwie haben sich die Beamten vom Ordnungsamt und das Ehepaar Czech über das Problem der Asylunterbringung kennengelernt. Czechs hatten ja schon immer den Wunsch, eine weitere Etage umzubauen. Plötzlich fehlte ihnen dann das Asylstandbein. Ich sehe die Unterbringung der Wilhelmshavener Obdachlosen in der Gökerstraße 109 nicht als Dauerlösung. Wir haben dieses Problem in der letzten Sozial- und Gesundheitsauschußsitzung behandelt. Frau Dr. Lienau vom Gesundheitsamt hatte ja zuvor die Beendigung einer Sucht“beratung“ bei Czech veranlaßt. Es muß geprüft werden, welche Möglichkeiten es gibt, depravierte (Depravation = Persönlichkeitsverfall, von lat. depravare = verderben – Anm. d. Red.) Alkoholiker unterzubringen. Denn es handelt es sich bei den Unterbringungen wohl weitestgehend um Menschen mit Alkoholproblemen. Bis vor zwei Jahren gab es kaum städtische Wohnungslose. Die Zahl der städtischen Wohnungslosen hat aber zugenommen. Wir haben uns damit im Sozialausschuß bereits im letzten Jahr beschäftigt, zu der Zeit, als Dr. Milger noch Sozialdezernent war. Der hat das immer ein bißchen geschoben. Jetzt wird das Problem geschoben, weil wir keinen Haushalt haben.

Die Betreuung von sogenannten depravierten Alkoholikern ist eine freiwillige Leistung der Kommune, die im Moment nicht möglich ist?
Ja, das ist eine freiwillige Leistung. Die Anlaufstelle für Durchwanderer ist eine Pflichtaufgabe, und darum hat die Stadt dafür auch einen Vertrag mit der Diakonie. Mit der Diakonie ist zum Beispiel vereinbart daß dort die Sozialhilfe ausgezahlt wird. Die Unterbringung von städtischen Obdachlosen ist eine ordnungspolitische Aufgabe. Das ist auch eine Pflichtaufgabe der Stadt. Aber ein zusätzliches Betreuungsangebot für diese Menschen wäre eine freiwillige Leistung. Die Stadt muß Wohnungslose lediglich ordnungspolitisch unterbringen. Wie sie das macht, ist ihr überlassen. Es ist ja in vielen Städten so, dass die Unterbringungen nicht sehr wohnlich sind.

Die Unterbringung bei Czech ist in der Vergangenheit auch von Seiten der Rats- und Ausschussmitglieder aufgrund der Zustände, die dort herrschten, kritisiert worden. Sind den zuständigen Ausschüssen die aktuellen Zustände bekannt?
Wir waren Ende letzten Jahres zuletzt in der Gökerstraße 109 und hatten den Eindruck, daß unseren Auflagen, die wir gemacht hatten, in einigen Bereichen nachgekommen wurde.

Was waren das für Auflagen?
Wir hatten Czechs gesagt, daß einiges geändert werden muß. Wir haben z. B. gesagt, daß die beiden Gruppen (Bürgerkriegsflüchtlinge und Wohnungslose) getrennt untergebracht werden müssen. Die sind jetzt auf getrennten Etagen untergebracht. Es ging uns auch darum, dass verschiedengeschlechtliche Leute. die nicht miteinander verwandt sind, nicht in einem Zimmer untergebracht werden. Es gab zuerst keine Türen, sondern nur Vorhänge aus Wolldecken zwischen den Zimmern. Wir hatten gesagt, daß ein persönlicher Bereich gewährleistet sein muß.

Wie würden Sie jetzt die Unterbringungssituation einschätzen?
Es hat sich ein bißchen was verändert. Man kann den Zustand mittlerweile als erträglich und menschenwürdig bezeichnen. Es ist allemal besser, bei Czech unterzukommen, als unter der Brücke zu schlafen.

Die Unterbringung bei Czech ist jetzt aktuell wieder in die Diskussion geraten, weil dort im ehemaligen Luftschutzkeller des Gebäudes bei einem Alkoholabhängigen ein sogenannter „kalter Entzug“ stattgefunden hat. Ist dieses den städtischen Behörden bekannt gewesen?
Es war den Behörden bekannt geworden und sie haben entsprechend gehandelt. D. h., Frau Dr. Lienau vom Gesundheitsamt war dort und hat das abgestellt. Es ist bekannt geworden, nur es scheint mehr dahinter zu stecken als zunächst bekannt war. Frau Czech hatte diesen Mann wohl zunächst privat aufgenommen. Frau Czech hat ein Helfersyndrom. Sie hat mich im November letzten Jahres im Gemeindehaus der Banter Kirche angesprochen und hat mir ihr Drogenkonzept erläutert.

Es gab also seinerzeit von Frau Czech die Absicht, Hilfe im Drogenbereich quasi institutionalisiert anzubieten?
Ich habe ihr gesagt: Frau Czech, Sie brauchen sich da gar keine Hoffnung zu machen. Für mich läuft so etwas nur mit einem anerkannten Wohlfahrtsverband, der entsprechend ausgebildete Mitarbeiter hat.

Zu dem Zeitpunkt, als Frau Czech Sie mit ihrem Konzept ansprach, war der alkoholabhängige Wohnungslose, von dem jetzt die Rede ist, noch nicht in der Gökerstraße untergebracht?
Nein. Für mich scheint es im nachhinein so zu sein, als wenn die Unterbringung dieses Alkoholabhängigen als Testlauf betrachtet wurde.

Geht es der Frau Czech vornehmlich darum, irgendeine soziale Maßnahme anzubieten, die von der Stadt finanziell gefördert wird?
Das ist nur eine Seite. Ihr „Helfersyndrom“ ist sicherlich stark entwickelt. Und zwar in einer Weise, die sicher für den Betroffenen nicht gut ist.

Wie ist das zu verstehen?
Wenn ich nur den Wunsch habe zu helfen, aber nicht die Fachkenntnisse, dann mache ich manches schlimmer, als es ist.

Der betreffende Alkoholabhängige, der bei Czech „untergebracht war, soll angeblich eine Anzeige gegen Czech gemacht haben.
Nein es wurde keine Anzeige erstattet. Das Sozialamt hat bis zur Staatsanwaltschaft in Oldenburg nachgefragt. Das ist das Problem dabei. Dieser junge Mann wird sich vermutlich nie wieder in eine Entzugseinrichtung begeben. Der wird immer diesen Keller im Hinterkopf haben. Man muß sich auch langfristig Gedanken machen, was man mit Leuten machen kann, die sich zu Tode trinken wollen. Wenn jemand selber den Wunsch nicht hat, trocken zu werden, nützt die beste Therapie nichts. Darum muß man, meine ich, auch akzeptieren, wenn sich jemand entscheidet, sich zu Tode zu trinken. Aber das muß auch noch in Menschenwürde passieren können.

Was war der Anlaß, dass sich der Gesundheitsausschuß mit Czech beschäftigt hat?
Der Anlaß war diese Geschichte. Es kann ja wohl nicht funktionieren, daß jemand neben allen Institutionen privat Suchttherapie betreibt. Es wurde hier ja auch ambulant medikamentös behandelt mit Arzneimitteln, die eigentlich nur stationär gegeben werden dürfen. Auch hier stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit.

Frau Aljets, wir danken für das Gespräch.

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