Gegenwind-Gespräch: Werner Ahrens
Jul. 232002
 

Mir wird schlecht...

Gegenwind-Gespräch mit Werner Ahrens

(noa) In einer Presseerklärung über die Expertenkommission der Regierung zur Senkung der Arbeitslosigkeit (Hartz-Kommission) schreibt die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland: „Wenn das realisiert wird, was der Öffentlichkeit an Brocken vorgeworfen wurde, dann beginnt die Jagdsaison auf Arbeitslose. … Die Arbeitslosen sind heute verpflichtet, sich um Arbeit zu bemühen, aber in Zukunft sollen sie beweisen, dass sie an diesem Wettlauf um nicht vorhandene Arbeit teilgenommen haben.“


Der Gegenwind sprach mit Werner Ahrens von der Arbeitsloseninitiative über die Ergebnisse der Hartz-Kommission.

Gegenwind: In eurer Presseerklärung zeigt ihr euch sehr enttäuscht von der Bundesregierung.
Werner Ahrens: Wenn ich morgens die Zeitung aufschlage und nur die Überschriften lese, dann wird mir schlecht.

Sag’ mal ein Beispiel.
Ganz schlecht wird mir immer, wenn gesagt wird, dass die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe notwendig sei. Ganz schlecht wird mir, wenn auf Menschen herumgetrommelt wird, die schon am Ende des Existenzminimums ihr Leben gestalten müssen. Ganz schlecht wird mir, wenn von Missbrauch durch die Betroffenen die Rede ist. Auf der nächsten Seite stehen dann utopische Summen von Abfindungen für irgendwelche Manager, die unkommentiert genannt werden. Dann kommt mir die Wut hoch.

Andererseits findet Missbrauch durch Betroffene ja statt.
Der Prozentsatz von Leuten, die sich Sozialhilfe ungerechtfertigt erschleichen, ist so geringfügig, dass man ihn gar nicht nennen kann. Es gibt kein Sozialamt, das freiwillig mehr bezahlt, als im Gesetz niedergeschrieben ist. Und deswegen kann der Missbrauch gar nicht hoch sein. Auf der anderen Seite ist der Missbrauch, der von denen betrieben wird, die in diesem Land das Geld besitzen, viel größer, als der, der von Sozialhilfeberechtigten betrieben wird.

Ihr schreibt auch, die Forderung, dass Arbeitslose ihre Bemühung um Arbeit nachweisen sollen, sei eine Beweislastumkehr, und Arbeitslose würden damit schlechter behandelt als Straftäter, für die die Unschuldsvermutung gilt. Aber wie soll denn ein Arbeitsamt jemandem nachweisen, dass er sich nicht um Arbeit bemüht hat?
Im Sozialgesetzbuch III wird den Erwerbslosen auferlegt, dass sie sich ernsthaft bemühen müssen, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Dies müssen sie auch durch ihre Unterschrift unter den Arbeitslosengeldantrag bestätigen. Man muss auch Nachweise erbringen in Form von Bewerbungen und in Form von Ablehnungen durch Arbeitgeber – wenn es die denn überhaupt gibt; denn viele Arbeitgeber schreiben nicht einmal zurück.

Gibt es Erfahrungen darüber, was dann passiert? Nehmen wir an, ich habe zehn Bewerbungen losgeschickt und eine Ablehnung bekommen, die anderen neun Betriebe haben gar nicht geantwortet – was passiert mir dann?
Die Logo ALISachbearbeiterInnen beim Arbeitsamt wissen das auch, und in der Regel hat das keine Repressalien zur Folge. Auf der anderen Seite werden Arbeitsangebote, die Erwerbslosen zugeschickt werden, nicht daraufhin überprüft, ob sie auch den gesetzlichen oder tariflichen Bestimmungen entsprechen. Oft sind das Angebote von Seelenverkäufern, und neulich hatte ich einen Fall auf dem Tisch, wo eine solche Arbeitnehmerüberlassungsfirma einen Stundenlohn von nur 5 Euro geboten hat. Dafür soll dann sofort gearbeitet werden, und zwar in Schicht, und solche Dinge dürften eigentlich nicht passieren. Das zu überprüfen, können die Arbeitsämter ohne drastische Personalaufstockung jedoch nicht leisten.

Was passiert, wenn jemand einen solchen Job ablehnt?
Es kann zu einer Sperrzeit kommen, wenn die Betroffenen nicht wissen, wie sie sich dagegen wehren können.

Wie sollen die Betroffenen es machen?
Das einfachste wäre, hier bei uns vorbeizukommen. Wir würden uns darum kümmern. Wir würden zunächst überprüfen, ob diese 5 Euro Lohnwucher wären, denn der ist strafbar.

Heißt das tatsächlich Lohnwucher?
Ja, da gibt es ein Urteil aus 2001, in dem wirklich der Begriff „Lohnwucher“ steht.
Laut SGB III müssen Erwerbslose in den ersten drei Monaten einen Arbeitslohn annehmen, der 20% unter dem letzten Bruttoverdienst liegt. Vom 4. bis 6. Monat darf der Verdienst 30% unter dem letzten Lohn liegen, und ab dem 7. Monat darf der Lohn der Leistung entsprechen, die gerade von Arbeitsamt gezahlt wird, egal ob es Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe ist.

Und wenn diese 5 Euro genau dem augenblicklichen Arbeitslosengeld entsprechen, dann muss man den Job antreten?
Wenn die sonstigen Vertragsbestimmungen den gesetzlichen Anforderungen genügen, z.B. dem Bundesurlaubsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz, dann ja. Auf jeden Fall muss laut SGB III vor Verhängung einer Sperrzeit eine Anhörung stattfinden, und wenn sie ausgesprochen ist, kann man dagegen Widerspruch einlegen und, wenn der Widerspruch abgelehnt wird, dagegen klagen.

Zur Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe – was spricht aus eurer Sicht dagegen?
Die ArbeitslosenhilfeempfängerInnen würden auf Sozialhilfeniveau runterrutschen.

Sind sie da nicht ohnehin schon?
Nein. Die Arbeitslosenhilfe kann durchaus höher liegen.

Wenn es eine Anschlussarbeitslosenhilfe ist?
Es gibt keine andere. Die originäre Arbeitslosenhilfe ist abgeschafft worden, d.h., wer die Anspruchsvoraussetzungen für Arbeitslosengeld nicht erfüllt, bekommt von vorneherein Sozialhilfe.

Und wer viel verdient hat und damit ein einigermaßen hohes Arbeitslosengeld und danach eine hohe Arbeitslosenhilfe bekommen hat, wird nach der geforderten Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe sehr große Einbußen hinnehmen müssen?
Ja. Und es ist der Wille aller Parteien, diese beiden Leistungen zusammenzulegen. Die SPD sagt zwar oft, wir wollen keine Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau, aber im Hartz-Konzept ist es indirekt niedergeschrieben.

Hartz ist ein Manager, nicht wahr?
Ja, Hartz ist ein Manager aus dem VW-Konzern, und wenn Manager irgendwelche Konzepte ausarbeiten, kann man sich vorstellen, in welche Richtung das geht.

Wie kam es überhaupt zu der Kommission?
Nun, alle Welt redet von der Senkung der Arbeitslosigkeit, und die Regierung hat halt diese Kommission gegründet. Warum Hartz hineinberufen wurde, wie das zuging, weiß ich nicht. Die CDU hat als Gegenpart zum Hartz-Konzept das so genannte Offensiv-Gesetz entwickelt. Darin habe ich kurz gelesen und es vor Wut wieder weggelegt, weil es noch viel schlimmer ist das Hartz-Konzept.

Und bei beiden, also beim Hartz-Konzept und dem Offensiv-Gesetz, handelt es sich um Wahlkampf?
Sicher ist das Wahlkampf, und was davon durchgesetzt wird, kann man im Moment nicht beurteilen. Die Regierungskoalition sagt nun allerdings, das Hartz-Konzept muss als Paket komplett Gesetz werden und soll nicht auseinandergerissen werden.
Wir sind der Meinung, dass das Hartz-Konzept lediglich die Betroffen in die Verantwortung nimmt, während diejenigen, die die Erwerbslosigkeit verursachen, nur Geschenke bekommen.

Was für Geschenke?
Einmal Lohnkostenzuschüsse. Die gibt es ja schon, und dann die so hoch gelobten „Personal-Service-Agenturen“, die in erster Linie auf Leiharbeit abzielen. Da kommen die schon erwähnten 5 Euro-Jobs zum Tragen, und wenn diese Beschäftigen dann später in Rente gehen, müssen sie diese neue Grundsicherung in Anspruch nehmen, die es ab dem nächsten Jahr geben wird, weil die Rente zu niedrig sein wird.

Aber das liegt doch nicht am Konzept der Personal-Service-Agenturen, sondern daran, dass es außer im Baugewerbe keinen Mindestlohn gibt.
Wenn in dem Konzept ein Mindestlohn vorgesehen wäre, könnte man sich darüber unterhalten. Aber die Zeichen sprechen nicht dafür. Man kann das damit vergleichen, was jetzt im Bundesrat gescheitert ist, dass die Öffentliche Hand darauf achten sollte, dass Aufträge nur an Betriebe vergeben werden, die Tariflöhne zahlen. Das ist das Stichwort Tariftreue, und wenn das schon scheitert, besteht wenig Hoffnung, dass in anderen Bereichen sich mehr bewegen wird.

Ihr lehnt die Personal-Service-Agenturen also ab, weil ihr befürchtet, dass sie auf Leiharbeit mit Minimallöhnen rauslaufen werden.
Ja. In diesen Agenturen werden die gering Qualifizierten angestellt sein, für die es keine Arbeit gibt. Das kann man daran sehen, dass aus dem Modell „Kombilohn“ nichts geworden ist. Da gibt es unterschiedliche Modelle, bei denen Arbeitgeber Lohnanteile oder die Versicherungsbeiträge zugeschossen bekommen, wenn sie gering Qualifizierte einstellen. Die Untersuchungen zu diesen Modellen sollen bis 2004 abgeschlossen sein, aber es ist schon jetzt abzusehen, dass sie nichts bringen, weil in diesem Bereich kaum Arbeitsplätze da sind. Die Wirtschaft braucht diese Menschen nicht.

Auf der anderen Seite kann man immer wieder lesen, dass viele Stellen unbesetzt sind, weil die Unternehmen keine ausreichend qualifizierten Kräfte finden.
Wer ist den zuständig für Qualifizierung? Der Steuerzahler, jeder einzelne Bürger, oder diejenigen, die Menschen mit gewisser Qualifikation benötigen? Ich bin der Meinung, die Arbeitgeber sollen ausbilden. Dann haben sie auch die Arbeitnehmer, die sie brauchen.
30,3 Mio Arbeitplätze gab es zu Ende 2001, und die Tendenz ist abnehmend, weil Großbetriebe entlassen. Die Arbeitslosigkeit wird sich nie abschaffen lassen, wenn die Arbeit nicht auf mehr Schultern verteilt wird. Wir benötigen unbedingt eine Arbeitszeitverkürzung und gleichzeitig einen drastischen Abbau von Überstunden. Wir haben über 2 Mrd. Überstunden offiziell, inoffiziell sind es knapp 4 Mrd. Das kann es nicht sein. So lässt die Arbeitslosigkeit sich nicht abbauen.

Danke für das Gespräch

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