Kein fertiges Konzept, aber viele Ideen
GEGENWIND-Gespräch mit Vertretern der Wilhelmshavener Alternativen Liste
(ub/noa) In der WZ ist die WALLI im Wahlkampf reichlich kurz gekommen. Der GEGENWIND hat sich in mehreren Ausgaben zunächst mit der Entstehung und dann mit dem Programm der WALLI auseinandergesetzt und dabei auch kritische Worte gefunden. In unserer letzten Ausgabe vor der Kommunalwahl kommt die WALLI selber zu Wort. Wir sprachen mit Hildegard Korell, Karl Josef Dellwo, Johann Janssen und dem WALLI-OB-Kandidaten Joachim Tjaden.
Gegenwind: Fangen wir mit dem Wahlkampf an – wir wundern uns darüber, dass euer Plakat keine Aussage enthält. Wir hätten erwartet, dass ihr eure Ablehnung des JadeWeserPorts darauf zum Ausdruck bringt.
Tjaden: Der JadeWeserPort ist nur ein Punkt, den wir zur Sprache bringen, und mehrere Aussagen auf ein Plakat zu bringen wäre schwierig. Und das Geld spielt eine Rolle.
Korell: Wir bestreiten den Wahlkampf aus Bordmitteln und können uns einen Vierfarbdruck oder mehrere Drucke nicht leisten.
Janssen: Und wir wissen (was andere Parteien auch wissen), dass die Leute auf Aussagen gar nicht reagieren. Es muss etwas Plakatives sein. Unser Wahlplakat enthält eine Aussage für Demokratie.
Dellwo: Außerdem: Wenn wir unserer Wahlplakataussage „Aalglatt sind sie alle – wir nicht!“ nur halbwegs gerecht werden, unterscheiden wir uns schon sehr von den anderen Parteien.
Gegenwind: Wie erlebt ihr den Wahlkampf?
Tjaden: Vielfältiger, als es sich in der Presse widerspiegelt. Nehmen wir die Veranstaltung des Frauenrings – in der WZ standen keine Aussagen, die dort gemacht worden sind, nur, dass van Weelden die Veranstaltung beendet hat. Aber alle Aussagen, die die anwesenden OB-Kandidaten getroffen haben, sind nun nur den Besuchern der Veranstaltung bekannt.
Gegenwind: Du hast Gelegenheit, sie im Gegenwind veröffentlicht zu sehen, wenn du sie jetzt noch mal sagst.
Tjaden: Wir haben unsere Vorstellungen zur Jugend genannt, wir haben unsere Sicht zum JadeWeserPort geäußert, wir haben uns dagegen ausgesprochen, dass Ausländern hier in Gettos leben…
Gegenwind: … Gettos – wie wollt ihr das Problem lösen? Ausländer und Aussiedler ziehen dorthin, wo sie schon Verwandte und Freunde leben haben und wo der Wohnraum billig ist, und das ist nun mal in FGroden und in der Südstadt bzw. in Bant.
Tjaden: Aber man muss sie integrieren. Dabei muss man mit der Jugend anfangen.
Korell: Die Frage ist, wie man diese Jugendlichen erreicht. Sie schließen sich in Gangs zusammen, und dann geht es los mit Russlanddeutschen gegen Türken oder so. Um eine Durchmischung zu erreichen, brauchen wir z.B. mehr Streetworker.
Tjaden: Es muss Veranstaltungen geben. Wir erreichen die Leute, ausländische wie deutsche, nur über die Jugend. Erwachsene kann man nicht mehr ändern, aber Jugendliche kann man dahin führen, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalität für sie selbstverständlich wird.
Gegenwind: Es ist schwierig, Menschen zu integrieren, die unter sich bleiben wollen.
Janssen: Letztlich haben wir dazu kein Konzept. Wir wollen mit anderen zusammenarbeiten in dieser Frage, mit den anderen Parteien und mit interessierten Bürgern. Ganz wichtig ist die Sprache, und da passiert zu wenig.
Dellwo: In Holland ist es so, dass Ausländer an Sprachkursen teilnehmen müssen. Dann finden sie eher Arbeit, und die zwischenmenschliche Kommunikation findet statt.
Gegenwind: Sollte man da nicht unterscheiden zwischen Menschen, die freiwillig hierher kommen, die z.B. eine Greencard haben, und solchen, die Asyl suchen? Sonst müsste man ja einen Asylbewerber abweisen, wenn er nicht sofort einen Sprachkursus macht.
Korell: Ich weiß nicht, ob man da Unterschiede machen muss. Es läuft alles über die Sprache, egal ob ich für fünf Jahre komme oder den Rest meines Lebens hier verbringen will – ich muss mich verständlich machen können.
Dellwo: Aber ich habe schon auch Schwierigkeiten damit, etwas zur Pflicht zu machen.
Janssen: Da haben wir wie gesagt kein fertiges Konzept.
Tjaden: Man kann doch auch Sachen ausprobieren. Man muss doch nicht etwas für teures Geld jahrelang machen, was nicht funktioniert.
Gegenwind: Ihr habt vorhin von der Zusammenarbeit mit anderen Parteien gesprochen. Wie stellt ihr euch das vor? Ihr sagt ja, dass ihr keine Koalition eingehen wollt.
Korell: Auf kommunaler Ebene sollte es keinen Fraktionszwang geben Man sollte von Frage zu Frage sehen, mit wem man Gemeinsamkeiten hat. Es ist ja so, dass oben etwas beschlossen und unten abgenickt wird, und wenn jemand eine gute Idee hat, verhindert der Fraktionszwang, dass andere sich dem anschließen.
Janssen: Wir wollen keine Koalition, weil wir befürchten, so gekauft zu werden wie die Grünen. Deswegen werden wir uns an den Sachproblemen orientieren und jeweils versuchen, im Rat Partner zu finden. Unser Programm ist eine grobe Richtlinie, an der die Leute sehen können, wie wir grundsätzlich denken.
Gegenwind: Wir haben aus vielen Gesprächen den Eindruck, dass für viele, die erwägen, euch zu wählen, die Enttäuschung über die Grünen ausschlaggebend ist. Wo grenzt ihr euch von den Grünen ab?
Korell: Sich von den Grünen abzugrenzen ist im Moment ja ganz einfach.
Dellwo: Wenn ein Trittin sagt, es gäbe keinen Grund mehr, gegen Atomkraftwerke zu demonstrieren, dann haben sie sich von ihren Grundsätzen weit entfernt.
Tjaden: Bezüglich des Atomausstieges haben die Grünen sich auf Bundesebene einfach verkauft. Wenn ich mir den Atomvertrag anschaue… da wurde mit den Betreibern vereinbart, dass, wenn sie ein AKW abschalten, sie ein anderes doppelt so lange betreiben können wie geplant. Wenn ein Betreiber von drei Kraftwerken, die für 30 Jahre geplant waren, zwei sofort nach dem Vertrag abschaltet, darf das dritte 90 Jahre lang betrieben werden – das kann doch kein Vertrag sein, der mit den Grünen gemacht wurde!
Janssen: In Wilhelmshaven ist der Hauptpunkt der JadeWeserPort. Da sind wir tief enttäuscht, dass jemand 4000 Hektar…
Tjaden: … das sind 8888 Fußballfelder!
Janssen: … an die Industrie verkauft und zubetonieren lässt. Das ist für uns der Sündenfall der Wilhelmshavener Grünen. Sie machen keine grüne Politik mehr, und es herrscht Enttäuschung auf der ganzen Linie.
Tjaden: Gila Altmann sagte neulich, die Regierung betrachte das Wattenmeer als Welterbe, ähnlich wie die Tropenwälder. Wir haben eine Regierungsformation, die so denkt, aber auf kommunaler Ebene stimmen die Grünen der Vernichtung von 4000 Hektar Wattenmeer zu! Dass man prinzipiell für den Hafen ist, weil man denkt, er bringe uns etwas, das sehe ich ja noch ein. Aber dass man ohne Einwände zustimmt, dass eine massive Verlegung der Fahrrinne stattfindet, dass die Doggerbänke durchgebaggert werden, dass der anhängende Kanal durch Butjadingen geht, das sehe ich nicht mehr ein!
Gegenwind: In einer Stadt mit so hoher Arbeitslosigkeit spielt der Umweltschutz wohl eine untergeordnete Rolle. Da hofft man auf jeden Arbeitsplatz. Welche Alternativen zum JadeWeserPort seht ihr da?
Tjaden: Erst mal: Der Hafen wird ganze 63 Arbeitsplätze auf der Betonplatte bringen – mehr als 63 Arbeitsplätze hat man mit der Firma Reichelt ziehen lassen. Gut, diese Firma ist ja noch in der Region. Aber 63 Arbeitsplätze schaffe ich auch mit ein paar Kiosken oder einem Aldi-Markt.
Gegenwind: Die Kioske oder der Aldi-Markt brauchen aber auch Kunden. Und Wilhelmshavens Einwohnerzahl sinkt.
Tjaden: Um die Abwanderung aus Wilhelmshaven ins Umland zu stoppen, muss hier vernünftiger Wohnraum her. Wir haben hier Tausende leerstehender Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, die von den Eigentümern nicht renoviert werden, weil es ihnen zu teuer ist. Die brauchen Hilfe bei der Ausschöpfung von Fördermitteln. Jetzt haben wir verfallende alte Häuser, in denen niemand wohnen will, und daneben entstehen Neubauten – das ist doch verrückt. Und wenn eine junge Familie bauen will, soll sie das Grundstück auch bezahlen können, damit sie in Wilhelmshaven bleibt und nicht ins Umland getrieben wird.
Gegen die Abwanderung müssen kleine und mittlere Betriebe angesiedelt werden. Das klappt hier bisher nicht. BMW ist statt nach Wilhelmshaven nach Leipzig gegangen, weil dort die Grundstücke preisgünstiger sind – so etwas ist für mich nicht nachvollziehbar. Wenn sich hier eine Firma mit 100 Arbeitsplätzen ansiedeln will, schenke ich ihr das Grundstück, und zur Not pflastere ich ihr auch noch die Einfahrt! Dann wollte auch ein Zeppelinwerk sich hier niederlassen, und niemand weiß, woran das gescheitert ist. Niemand weiß, wer angefragt hat, welche Antwort (ob überhaupt eine) gegeben wurde – das wissen ja nicht einmal die Stadträte.
Gegenwind: Ihr habt diesen Mangel an Transparenz schon beklagt. Werdet ihr sie herstellen?
Janssen: Das steht schon im Vorwort unseres Programms. Das ist wichtig.
Tjaden: Hier gibt es in keiner Frage eine öffentliche Information, stattdessen eine Gerüchteküche. Es gibt das Gerücht, dass der JadeWeserPort 12.000 Arbeitsplätze bringt und dass BMW sowieso nicht hierher wollte. Aber klare Informationen gibt es nie.
Janssen: Mehr Transparenz wird mehr Effektivität bringen, weil es mehr Ideen geben wird. Menzel hat gelegentlich gute Ideen und er ist unbestritten bienenfleißig, aber er ist kein Teamarbeiter. Wir wollen die Bürger in die politischen Entscheidungen einbeziehen. Gegenwärtig beschränkt sich die Beteiligung der Bürger ja darauf, dass wir auf Festen Wurst essen.
Tjaden: Wir denken an Ideenwettbewerbe. Es gibt in Wilhelmshaven viele gute Leute mit guten Ideen. Aber diese Ideen werden nicht nachgefragt. Man sieht das am Beispiel der Agenda 21. Da sitzen engagierte Leute und tragen zusammen, was man hier tun könnte, aber die Stadt hat nicht einmal eine Stelle für die Koordination eingerichtet.
Gegenwind: Mal ein ganz anderes Thema: Es ist ja stark anzunehmen, dass ihr den nächsten Oberbürgermeister nicht stellen werdet, und auch Marianne Fröhling und Michael von Teichman werden es nicht schaffen. Wer wäre euch lieber: Eberhard Menzel oder Hans van Weelden?
Korell: Wir haben mit beiden schlechte Erfahrungen. Auf eine Einladung der Bürgerinitiative gegen den JadeWeserPort hat Menzel gar nicht und van Weelden mit einer Honorarforderung reagiert.
Janssen: Es ist egal. Wir werden uns auf den OB einstellen, auf den einen so, auf den anderen anders.
Gegenwind: Wie ist eure Kommunikation mit den Gewerkschaften? Die sind auf die Hafenplanungen ja sofort angesprungen.
Tjaden: Die Gewerkschaften sind auf die 12.000 Arbeitsplätze-Leimrute gekrochen. Sie sind uneingeschränkt für den Hafen und können im Moment auch gar nicht anders. Vielleicht gehen sie mit der Bevölkerung, wenn diese sieht, dass das doch nicht so viel wird.
Gegenwind: Die Gewerkschaften sind also nicht Vorreiter, sondern passen sich dem Trend an?
Tjaden: Ja.
Gegenwind: Und wie schätzt ihr die Stimmung der Bevölkerung zum JadeWeserPort, speziell im Stadtnorden, ein?
Tjaden: In den nördlichen Stadtteilen sind die informierten Leute wohl mehrheitlich gegen den Hafen, aber viele sind einfach nicht informiert. Wir hören gelegentlich Leute sagen: Na gut, dann bade ich halt neben dem Hafen. Das sind Menschen, die überhaupt wenig informiert sind.
Janssen: Der Hafen ist eine Glaubensfrage. Viele Leute wollen gar keine Informationen, sondern sie wollen an der Hoffnung, am Glauben an Arbeitsplätze festhalten. 63 Arbeitsplätze auf der Betonplatte sind sicher. Die 4000, 8000 oder 12.000 weiteren könnten vielleicht entstehen, wenn durch mit dem Hafen Ansiedlungen kämen. Aber das war woanders nicht der Fall und wird auch hier nicht der Fall sein.
Tjaden: Aber mit den Illusionen von 4000, 8000 oder 12.000 kommt man noch über zwei bis drei Wahlperioden, denn das Planfeststellungsverfahren und der Bau dauern ja.
Gegenwind: Gibt es Konzepte, die etwas näher an der Realität sind als der Hafen?
Janssen: Konzepte nicht, aber Beispiele. Da gibt es einen Ort namens Gersthofen (in der Nähe von Augsburg, Anm. d. Red.), da hat ein findiger Bürgermeister viele verschiedene Werke angesiedelt. Der Ort hatte früher eine Monostruktur und hat jetzt mehrere unterschiedliche Standbeine – und der Ort wächst! Nur ein Beispiel: Der Gesundbrunnen – der boomt! Ärzte in Sachsen raten ihren Patienten zu einem Urlaub an der Nordseeküste, und die Leute kommen hierher und besuchen auch den Gesundbrunnen. Und das Interieur stammt aus den 50er Jahren und müsste dringend erneuert werden. Da ist eine Finanzspritze notwendig und würde sich auszahlen.
Korell: Wir haben hier unsere Möglichkeiten für den Tourismus lange noch nicht ausgeschöpft.
Dellwo: Aber bitte einen sanften Tourismus statt „Mallorca an die Küste“, wie es neulich in der Zeitung stand!
Gegenwind: Was meint ihr mit „sanftem Tourismus“?
Tjaden: Man kann Ferienhäuser auf oder in die Umwelt bauen. Wir sind dafür, sie in die Umwelt zu bauen und nicht drauf, und das ist es doch auch, was die Urlauber wollen. Die wollen im Grünen sitzen und die Vögel zwitschern hören und nicht die Wand des nächsten Hauses anschauen.
Wir haben hier noch Ecken, die Touristen anziehen könnten. Die Schleuseninsel kann aktiviert werden. Da gibt es ja die Idee der Deichtorbrücke, aber die kann kein Mensch bezahlen und die brauchen wir auch nicht. Wie wär’s aber mit einem Fährverkehr von der Jadewerft aus?
Janssen: Wir wollen diese ganzen Ideen auf Bürgerversammlungen diskutieren.
Gegenwind: Wie soll das praktisch laufen? Wenn ihr ein paar Leute in den Rat schicken könnt, habt ihr ja eine Plattform. Wie läuft das dann ab?
Janssen: Ganz einfach: Die Bürgerversammlung wird einberufen, und fürs erste Mal wird eine Thematik vorgegeben, z.B. „Ideenbörse für die Entwicklung Wilhelmshavens“.
Gegenwind: Worin unterscheidet sich diese Bürgerversammlung von den Stadtteilkonferenzen, wie sie in FGroden und im Stadtsüden schon existieren?
Janssen: Es geht in den Bürgerversammlungen um die Entwicklung von ganz Wilhelmshaven. Außerdem werden die Stadtteilkonferenzen von bestimmten Gruppen dominiert, und das soll bei der Bürgerversammlung nicht sein. Man muss auch dafür sorgen, dass die Politiker nicht alles an sich reißen.
Gegenwind: Will jemand von euch noch ein Schlusswort sprechen?
Korell: Ja… Mich bedrückt die Interesselosigkeit und Politikverdrossenheit, die viele Leute zeigen. Ich versuche immer wieder, Menschen für unsere Sache zu begeistern, aber vielfach winken sie nur ab und wollen von Politik nichts wissen.
Tjaden: Wenn jemand sich wirklich überhaupt nicht entscheiden kann und gar nicht weiß, wen er wählen soll, dann wünsche ich mir, dass er hingeht und bei irgendeinem Demokraten sein Kreuzchen macht. Denn wenn 100 Leute die Republikaner wählen und niemand die anderen Parteien, dann sind die Republikaner an der Macht – denn deren Wähler gehen zur Wahl!
Gegenwind: Wir danken euch für das Gespräch.
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