Gegenwind-Gespräch: Tierschutz
Jun 261996
 

Von Mäusen und Menschen

Die Vorgänge um den Tierschutzverein – aus der Sicht der ehemaligen 1. Vorsitzenden Heidi Iken

(noa) .Unter der Überschrift „Neue Besen“ meldeten wir im letzten Gegenwind, dass der Wechsel im Vorstand des Tierschutzvereins auch Kündigungen von Tierpflegerinnen nach sich gezogen hat. Wir zitierten die neue 1. Vorsitzende, Frau Helga Leerhoff, derzufolge die Entlassungen notwendig gewesen (und von der Stadt gefordert worden) seien, um die Personalkosten zu senken.

Daraufhin erreichte uns ein Brief der ehemaligen 1. Vorsitzenden, Heidi Iken, in dem sie uns darauf hinwies, daß die entlassenen Tierpflegerinnen durch erheblich teurere Neu- bzw. Wiedereinstellungen ersetzt wurden. Das Schreiben war nicht als Leserbrief gedacht, doch es veranlaßte uns, mit der Frau zu sprechen, über die monatelang in der WZ geschrieben wurde, die aber selber eher wenig zu Wort kam. Bei dem Gespräch waren auch Heidi Ikens Bruder Rolf Hensel, ehemaliger Kassenprüfer beim Tierschutzverein, und ihre Tochter Bianca Iken, bis vor kurzem Mitarbeiterin im Tierheimbüro, zugegen.

Von Menschen …

Gegenwind: Frau Iken, Sie sind ja richtig prominent geworden in den letzten Monaten.
Iken: Das hätte ich mir in den 18 Jahren als 1. Vorsitzende des Tierschutzvereins gewünscht, daß die WZ mal über den Tierschutz berichten würde!

Gegenwind: Für die Öffentlichkeit sah es so aus, als hätte alles mit einer Durchsuchung des Tierheims durch die Polizei angefangen – wie stellt sich das, was von Februar bis jetzt um Sie und Ihre Familie herum geschah, aus Ihrer Sicht dar?
Iken: Aus meiner Sicht läuft das schon viel länger. Wer eine große Rolle spielte, ist ja die Tierpflegerin Frau Marschner. Sie arbeitet schon seit vielen Jahren im Tierheim, und wir hatten oft Schwierigkeiten miteinander. Die Querelen steigerten sich Ende 94/ Anfang 95. Es gab zwischen ihr und mir Ärger, wenn sie, ohne mich zu informieren, den Amtstierarzt und die Tierärztin heißmachte, oder als ein Freund von ihr, der ehrenamtlich im Tierheim arbeitete, eigenmächtig ein Aquarium säuberte und die Fische über Nacht in einem Eimer in die Heizung stellte mit dem Ergebnis, daß am nächsten Tag alle Fische tot waren. Eine Person muß nun mal das Sagen haben, und diese Person war ich – und Frau Marschner läßt sich nicht gerne etwas sagen. Von Januar bis August 95 hat sie nachweislich pro Monat 6 – 8 Tage gearbeitet und war den Rest der Zeit krank gemeldet, und als sie im August anbot, einen Aufhebungsvertrag zu akzeptieren, wenn sie 10.000 DM Abfindung bekäme, wurde ihr Arbeitsverhältnis zum 30.9. beendet.

…und „Mäusen“

Gegenwind: Aber wie kann das schlechte Verhältnis zwischen Ihnen und einer Mitarbeiterin zur Abwahl als Vorsitzende führen?
Iken: Dazu muß ich noch weiter ausholen. Im September 92 bat mich Frau Weinem, die damals Geschäftsführerin war, ihr und ihrem Mann ein kurzfristiges Darlehen von 20.000 DM aus Mitteln des Vereins zu geben. In zwei, spätestens drei Wochen wäre das Geld wieder in der Kasse.

Gegenwind: Und das haben Sie gemacht? Aus Vereinsmitteln?
Iken: Nun, damals bestand zwischen uns ein freundschaftliches Verhältnis, und ich habe mich auf die Rückzahlung verlassen. Die kam aber nicht, nach drei Wochen nicht und auch nach drei Monaten nicht. Tatsächlich war das Geld auch Anfang 94 noch nicht zurückgezahlt, als Frau Weinem mich um ein weiteres Darlehen von 5.000 DM bat. Ich habe dann erst unserer Schatzmeisterin, Frau Rodenberg, gebeichtet, was ich getan hatte, und sie stimmte rückwirkend für die 20.000 DM und aktuell für die 5.000 DM zu, allerdings gegen Sicherheiten. Weinems gaben uns dann zwei Lebensversicherungspolicen, und damit schien das gesichert.

Gegenwind: Herr Hensel, Sie müßten doch bei der Kassenprüfung gemerkt haben, dass da Vereinsmittel satzungswidrig verwendet worden waren.
Hensel: Nein, das war aus den Unterlagen nicht ersichtlich.
Iken: Ich hatte das als „Festgeld“ gebucht. Mittlerweile weiß ich, daß man Festgeld nur bei einer Bank haben kann.
Hensel: Ich hätte mir die Bankkonten ansehen müssen. Darauf kam ich nicht.
Iken: Mein Bruder hat das erst im Juli 95 bei der Umstellung der Buchführung auf EDV gemerkt. Da stand dann auf einmal „Festgeld Gutec“.

Gegenwind: Und was heißt das?
Hensel: Weinems haben eine Firma namens Gutec, und sie brauchten das Geld offenbar für diese Firma.

Gegenwind: Und so flog das also auf?
Iken: Ja. Ich habe dann der Schatzmeisterin gesagt, daß mein Bruder nun auch Bescheid weiß, und diese hat es Frau Weinem gesagt und dann wurde Unruhe ins Tierheim gebracht.

Gegenwind: Aber das ist ganz unverständlich. Wenn Sie annehmen, daß Unruhe gestiftet wurde, um Sie loszuwerden, dann wäre das Darlehen doch immer noch da gewesen. Und Sie hatten doch als Sicherheit die Lebensversicherungspolicen.
Iken: Die waren keinen Pfennig wert. Das bemerkte ich im Januar 95. Es waren keine Kapital-, sondern reine Risikolebensversicherungen, und sie waren zum 1.3.94 ausgelaufen. Ich befürchtete, das Geld würde ausgebucht als Beitrag zum Tierschutz. Die Firma Gutec arbeitet in Sachen Ölbekämpfung (auf See), und das hätte man als Beitrag zum Vogelschutz deklarieren können. Sehen Sie, es wurden auf einmal allerhand Vorwürfe erhoben – von Tierquälerei über willkürliche Einschläferungen bis hin zur Unterschlagung von Hunden. Darüber, was man mir aber tatsächlich zum Vorwurf machen konnte, nämlich die satzungswidrige Verwendung von Vereinsgeldern, wurde geschwiegen. Um die Aufmerksamkeit auf diesen Tatbestand zu richten, habe ich im März dann die Vereinsmitteilung „Das Komplott und die Hintergründe“ an alle Mitglieder und die Presse gegeben.

Gegenwind: Warum bezeichnen Sie das als „Komplott“?
Iken: Es ist auffällig, daß die meisten Leserbriefschreiber sich gegenseitig kennen. Und daß (für mich) positive Leserbriefe zwar geschrieben, aber bis auf zwei nicht gedruckt wurden.

Gegenwind: Sie nehmen also an, daß diejenigen, die Sie loswerden wollten, mobilisiert haben und ihre Bekannten veranlaßt haben, Leserbriefe gegen Sie zu schreiben.
Iken: Davon gehe ich aus.

Gegenwind: Um noch mal auf die 25.000DM zu kommen -die wurden doch zurückgezahlt.
Hensel: Ja, und in der WZ stand dann auch noch, daß sie sogar vor dem Fälligkeitstermin zurückgezahlt wurden. Dabei hatte meine Schwester alle Mühe, das Geld überhaupt für den Verein zurückzubekommen!
Iken: Wir haben im Februar 95 mit Weinems eine Vereinbarung über die Rückzahlungsbedingungen geschlossen und zurückdatiert auf die Auszahlungstermine. Von den Papieren her sieht das jetzt alles so aus, als wären von Anfang an ein Rückzahlungstermin und ein Zinssatz festgelegt worden. Daran gemessen haben Weinems das Geld tatsächlich vorzeitig zurückgezahlt.
Sturheit oder Naivität?

Gegenwind: Der WZ war auch zu entnehmen, daß Sie stur an Ihrem Posten festgehalten haben und eine außerordentliche Mitgliederversammlung abgelehnt haben, obwohl es eine Unterschriftensammlung gab, und dass Sie den Verein allein geführt haben, nachdem die anderen Vorstandsmitglieder zurückgetreten waren.
Iken: Ja, von dem Rücktritt der anderen Vorstandsmitglieder erfuhr ich durch die WZ am Tag nach einer Vorstandssitzung, zu der niemand erschienen war. Mir gegenüber haben diese Mitglieder sich nicht erklärt. Und was die Mitgliederversammlung angeht: Es stand eine ordentliche Jahreshauptversammlung an. Die beantragte außerordentliche hätte bei Einhaltung aller Fristen sogar noch später als die ordentliche stattgefunden. Und was das sture Festhalten an meinem Posten angeht – ich hatte die Vorstellung, mein Amt zur Verfügung zu stellen, nachdem alle Vorwürfe geklärt und alle Verfahren abgeschlossen sein würden. Aber durch diese ganzen Sachen wollte ich noch als 1. Vorsitzende durch.

Gegenwind: Glaubten Sie wirklich, daß Sie die Jahreshauptversammlung im April „überleben“ würden?
Iken: Da war ich wohl sehr naiv. Ja, ich dachte, es würde eine sachliche Diskussion geben, und wir würden – zwar mit Emotionen, aber eben doch inhaltsbezogen – diskutieren.

Gegenwind: Nach der Leserbriefkampagne mußten Sie doch eigentlich damit rechnen, daß auch zur Jahreshauptversammlung mobilisiert und Stimmung gemacht werden würde. Sind Sie nicht auf den Gedanken gekommen, ihrerseits Sympathisanten um sich zu scharen?
Iken: Das hat mein Anwalt auch gefragt. Nein, auf den Gedanken bin ich nichtgekommen. Das ist nicht meine Art. Ich war bei der Jahreshauptversammlung überhaupt nicht darauf gefaßt, daß so viele Nichtmitglieder wie Mitglieder kommen würden -die ehemaligen und jetzt wieder eingestellten Beschäftigten z.B. sind gar nicht im Verein, und es waren sehr viele Leute da, die noch nie etwas mit dem Tierschutzverein zu tun hatten. Und alle waren durch die Presseveröffentlichungen eingestimmt und gegen mich eingestellt. Ich kam kaum zu Wort und hatte keine Gelegenheit, die Dinge richtigzustellen. Es mag naiv klingen, aber damit hätte ich niemals gerechnet.

Gegenwind: Ein Gespräch mit irgendeinem aktiven Mitglied, z.B. mit jemandem aus dem Vorstand, hätte Ihnen das deutlich machen können.
Iken: Ich hatte in diesen letzten Wochen gar keinen Kontakt. Ich war -und bin immer noch – sehr beschäftigt damit, zu den zahlreichen Vorwürfen gegen mich Stellung zu beziehen.

Die juristische Seite

Gegenwind: Was für Strafverfahren kommen denn jetzt auf-sie zu?
Iken: Unterschlagung – das bezieht sich auf die zwei Westhighland-Terrier, wegen derer im Februar auch die Haussuchung im Tierheim war. Zu der Zeit, als diese Tiere bei uns waren, hatte ich zwar eine Augenoperation und war an der Sache nicht beteiligt, aber als damalige 1. Vorsitzende werde ich dafür haftbar gemacht. Dann Urkundenfälschung – es geht dabei um die Berliner Hunde, die wir als Wilhelmshavener Fundhunde ausgaben.

Gegenwind: In diesem Zusammenhang wird auch der Vorwurf der Bereicherung erhoben. Stimmt es, daß der Verein dafür Geld von der Stadt bekommen hat?
Iken: Nein. Der städtische Zuschuß zum Tierheim ist immer gleich hoch, egal, wie viele Tiere da sind.

Gegenwind: Warum wurden die Hunde denn dann überhaupt umdeklariert?
Hensel: Das sollte Ihre Vermittlungschancen erhöhen. Wer nimmt denn schon einen Fundhund aus einer Stadt wie Berlin?
Iken: Meine Tochter ist deswegen auch wegen Urkundenfälschung angeklagt. Ja, dann wird mir noch Untreue vorgeworfen – ich soll für mich privat eingekauft haben mit Geld, das dem Tierschutzverein gehörte. Der ermittelnde Polizeibeamte hat wahllos Belege mitgenommen, und ich habe nun die Arbeit, festzustellen, was ich wann eingekauft habe. Es sind Belege von Geschäften dabei, die ich noch nie betreten habe, wo also andere eingekauft haben. Auf meine Belege schreibe ich immer, was ich besorgt habe, aber man hält mir nun auch Einkäufe vor, die andere getätigt haben. Und schließlich habe ich eine Anzeige wegen des angeblichen Abhörens von Gesprächen.

Gegenwind: Stimmt es denn nicht, daß Sie Mitarbeiterinnen zum Mitschneiden von Gesprächen aufgefordert haben?
Iken: Man kann es so hindrehen. Meine Tochter und Frau Brüsemann haben sich oft bei mir über Frau Marschner beschwert. Ich sagte dann, sie sollten das mal mittels des Diktiergeräts aufnehmen, wenn Frau Marschner heftig wird, damit der Vorstand das mal hört – so konnte ich mir nicht viel vorstellen.
Bianca Iken: Wenn Frau Marschner etwas nicht paßt, dann reißt sie die Bürotür auf, sagt etwas Beleidigendes und knallt die Tür wieder zu, so daß man nicht mal etwas entgegnen kann. Frau Brüsemann und ich waren immer wieder total fertig deswegen.

Gegenwind: Und haben Sie so eine Szene dann jemals aufgenommen?
Bianca Iken: Nein, so weit kam es nie.

Und nochmal: Von „Mäusen“ …

Gegenwind: Frau Marschner ist ja nach der Jahreshauptversammlung wieder eingestellt worden. Noch jemand?
Iken: Ja, Frau Brüsemann. Ich hatte sie im Februar fristlos entlassen, nachdem sie gegenüber dem Rundfunk Behauptungen gemacht hatte, nach denen im Tierheim Tierquälerei stattfände. Die fristlose Kündigung
war rechtens – wegen Schädigung des Tierschutzvereins und -heims. Wenn Frau Leerhoff Ihnen gegenüber jetzt erklärt, sie müsse aus Kostengründen Personal entlassen, dann muß man auch wissen, daß die Pflegerinnen, die jetzt gehen mußten, ein Bruttogehalt von 1.800 DM hatten, Frau Brüsemann und Frau Marschner aber schon zu meiner Zeit 2.300 bzw. 2.900 DM hatten.

Gegenwind: Nun stand neulich in der WZ ein Artikel, bei dessen Lektüre bestimmt viele Leute gedacht haben, daß Sie ja wirklich keine Gelegenheit auslassen, sich unmöglich zu machen. Kurz vor Ihrer „Entmachtung“ haben Sie Ihrer Tochter die Kündigung gegeben, verbunden mit einer überhöhten Abfindung. Der Artikel klingt ganz so, als wollten Sie vor dem Ende noch schnell für Ihre Tochter die Schäfchen ins Trockene bringen.
Iken: Etwa ab Februar war für Bianca von Tag zu Tag weniger zu tun. Offensichtlich hat die Pressekampagne viele Leute davon abgehalten, ins Tierheim zu kommen oder dort anzurufen. Und wir hatten im Januareinen Tierheimverwalter eingestellt. Nach seiner Einarbeitungsphase konnte er Biancas Arbeit mit erledigen. Biancas Stelle wurde überflüssig. Ihre Arbeit wird nun von dem neuen Verwalter gemacht. Es tat mir zwar leid, meine Tochter arbeitslos zu machen, aber es ging nicht anders. Die Höhe der Abfindung fand ich angemessen. Der Arbeitsrichter hat allerdings in seinem Gütevorschlag die Auffassung vertreten, daß man Biancas Beschäftigungszeit nicht rechnerisch zusammenziehen kann.
Bianca Iken: Ich war zwischen der Beendigung meiner Ausbildung und der Einstellung als Büroangestellte ein halbes Jahr lang ohne Arbeit.

Gegenwind: Abgesehen von der Höhe der Abfindung sieht aber die kurz vorher erfolgte Lohnerhöhung recht verdächtig aus.
Iken: Biancas Bezüge wurden angepaßt, nachdem schon vorher die Bezüge der anderen Beschäftigten erhöht worden waren. Das war ein ganz normaler Vorgang. Wenn es nicht meine Tochter wäre, dann hätte niemand etwas dabei gefunden.

… und Menschen

Gegenwind: Von einer entlassenen Pflegerin haben wir gehört, daß es gleich am Tag nach der Mitgliederversammlung Schlag auf Schlag losging mit den Entlassungen.
Bianca Iken: Als ich am Morgen nach der Mitgliederversammlung zur Arbeit kam, hat man mir als erstes alle Schlüssel abgenommen.

Gegenwind: Darauf mußten Sie gefaßt sein, als Tochter der eben abgesetzten Vorsitzenden.
Bianca Iken: Das schon, aber schlimm war es trotzdem.

Gegenwind: Sie alle drei stecken ja noch mittendrin in der ganzen Affäre. Das ist eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt für einen Rückblick. Trotzdem: Wenn Sie von jetzt an zurückblicken, wie schätzen Sie das alles ein?
Hensel: Mich empört es, daß die Polizei genauso einseitig ermittelt, wie die WZ berichtet. Meiner Schwester wurde und wird alles sehr schwer gemacht.
Iken: Ich bin von den ersten Schlägen so getroffen worden, daß ich danach wohl nur noch mechanisch funktioniert habe. Ich habe einfach ganz viel nicht mitbekommen und nicht richtig eingeschätzt.
Bianca Iken: Ich bin im Tierheim groß geworden. Durch diese ganzen Vorgänge habe ich nicht nur meinen Arbeitsplatz, sondern gewissermaßen auch mein Zuhause verloren.

Gegenwind: Vielen Dank für das Gespräch!

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