Gegenwind-Gespräch: OB Menzel
Mai 081996
 

Hinterlegte Lügen?

OB Menzel: Es macht mich betroffen, daß es in dieser Stadt Leute gibt, die mir so etwas zutrauen

Artikel von Günther Handlögten und Henning Venske, der die politische Landschaft Wilhelmshavens veränderte. Mit ollen Kamellen (Mey-Grundstück), mit brisanten Themen (Müllkippe Kirchreihe, ICI-Dioxin) und mit der Behauptung, daß Persönlichkeiten dieser Stadt, unter ihnen Oberbürgermeister Menzel, politisch, geschäftlich und privat mit Neonazis Kontakt haben sollen. Im Gegenwind 132 forderten wir OB Menzel auf, alle gerichtlich möglichen Schritte dagegen einzuleiten, weil wir uns nicht vorstellen konnten, daß Journalisten ohne handfeste Belege solche Behauptungen aufstellen.

Eine Ausgabe später als geplant kommt nun OB Menzel im Gegenwind zu Wort.
Gegenwind: Als wir dieses Gespräch vorbereiteten, haben wir uns auch mit einem der Verfasser des Artikels im Magazin der Süddeutschen Zeitung unterhalten und ihn gefragt, ob er noch zu den von ihm veröffentlichten Behauptungen stehe. Er sagte, dass alle die Leute, die ihm gegenüber eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben, auch weiterhin dazu stehen. Die Informanten von Handlögten/Venske sind ja auch nicht im Ausschuß für besondere Angelegenheiten aufgetreten.
Menzel: Die haben sich nicht geoutet

Gegenwind: Dieser Ausschuß war ja auch eine gefährliche Sache – dort wurde jede kritische Meinung förmlich•zerrissen, sowohl von der Presse als auch von den Mitgliedern des Ausschusses.
Menzel: Auf der anderen Seite gibt es ja die presserechtlichen Auseinandersetzungen, die in Hamburg und München laufen. Ein Verfahren, das gegen Handlögten und die SZ läuft, wird sich mit der Frage befassen, wer die Informanten sind. In diesem Verfahren werden ja diese eidesstattlichen Versicherungen, von denen behauptet wird, daß es sie gibt, aufgedeckt werden. Mein Ziel, unser Ziel ist: Wir wollen diese Versicherungen sehen, wir wollen wissen, welche Leute dort wider besseres Wissen diese falschen Behauptungen immer noch aufrechterhalten.

Gegenwind: Welche rechtlichen Schritte haben Sie konkret eingeleitet?
Menzel: Neben den presserechtlichen Möglichkeiten, die wir hatten. habe ich noch strafrechtliche Schritte bei der Staatsanwaltschaft in Oldenburg eingeleitet. Diese gingen dann weiter an die Staatsanwaltschaften in Hamburg und München. Über den Stand der Ermittlungen ist mir nichts bekannt.

Gegenwind: Gegen Handlögten und Venske direkt haben Sie nichts unternommen?
Menzel: Gegen die Autoren ist Anzeige erstattet worden. Das schwebt alles noch. Ich habe alle Möglichkeiten ergriffen, um die Leute ans Tageslicht zu holen, die solche unwahren Behauptungen über die Stadt und über die Menschen, auch über mich, aufgestellt haben und diese eventuell auch durch eidesstattliche Versicherungen belegt haben, wobei die Qualität der sogenannten eidesstattlichen Versicherungen ja völlig unbekannt ist. Der Anwalt, der uns berät, hat einmal gesagt, jede eidesstattliche Versicherung, wenn sie nicht vor Gericht vorgelegt und beeidet wird, ist eine schriftlich hinterlegte Lüge. Man weiß ja auch nicht, ob jemand geschrieben hat: „Ich habe gehört, daß Herr Menzel mit dem
und dem dort gewesen sein soll“. Einer soll geschrieben haben, daß er gehört habe, dass ich mit Herrn Baar nach Herzlake gefahren sein soll – wenn das die Qualität ist, dann spricht das nicht gerade für die Verfasser des Artikels.

Tendenzjournalisten mit Informationslinien nach Wilhelmshaven

Gegenwind: Es ist nicht anzunehmen, daß ein Journalist aufgrund solch schwammiger Erklärungen einen Artikel veröffentlicht, in dem solche schwerwiegenden Behauptungen aufgestellt werden.
Menzel: Ich weiß es nicht. Für die journalistische Qualität der Herren Handlögten und Venske spricht ja auch nicht gerade, daß sie mich, wenn sie schon solche ungeheuren Vorwürfe in einem bundesweit verbreiteten Artikel gegen mich verbreiten, nicht mal den journalistischen Anstand und die journalistische Fairneß besitzen, mich anzurufen und zu sagen: Herr Menzel, das und das wird hier behauptet, was sagen Sie denn dazu? Das wäre nach meinem Verstand das richtige Vorgehen gewesen. Aber bitte, Tendenzjournalisten haben das sicher nicht nötig.

Gegenwind: Können Sie sich vorstellen, warum jemand solche Behauptungen in die Welt setzt?
Menzel: Also, meine Einschätzung ist, dass seit Erscheinen des „Dreckigen Sumpfes“ im Jahre 1983 noch Informationslinien aus Wilhelmshaven bestehen, daß einige Leute anscheinend ein Interesse daran haben dass gegen Menschen und gegen diese Stadt ab und an solche Artikel veröffentlicht werden. Ich habe dem Artikel nicht entnehmen können. Dass es hier um irgendwelche aktuellen Dinge geht. Der Artikel fing ja mit der Bausache an, das mit dem Reinhard Mey – das ist 20 Jahre her! Das wird da so geschrieben. als sei das gerade gestern gewesen – das aktuellste, was es in dieser Stadt gibt! Ich hab’s nicht verstanden!
Wenn man dann weiß, und das habe ich ja auch im Rat gesagt, daß in bestimmten Betrieben und in Szenekneipen dieser Artikel am Tage seines Erscheinens hundertfach kopiert auftaucht, dann muß man einfach die Feststellung treffen, daß viele in dieser Stadt davon gewußt haben und ein Interesse daran hatten, daß das auch verbreitet wird. Was mich sehr betroffen gemacht hat, ist eben, dass es Leute gibt in dieser Stadt, die mir so etwas zutrauen; Leute, mit denen ich zum Teil seit zig Jahren bei bestimmten Veranstaltungen zusammengearbeitet, zusammengewirkt habe. Sicherlich nicht immer einig in allen Dingen, die uns bewegen, aber doch einig, daß wir gegen Rechtsradikalismus und Faschismus in dieser Stadt eintreten – von denen dann in die Nähe solcher Leute gerückt zu werden – das ist schlimm.

Gegenwind: Sie sind doch nicht in die politische Nähe dieser Leute gerückt worden.
Menzel: Ich darf daran erinnern, was die Sprecherin des Antifaschistischen Bündnisses am Abend des 9.November auf dem Synagogenplatz gesagt hat. Sie stellte die Frage „Was ist los in dieser Stadt, in der sich stadtbekannte Persönlichkeiten in die Nähe von Rechtsradikalen rücken lassen müssen.“

Gegenwind: Aber Sie haben doch hinterher noch mit ihr darüber gesprochen. Ich dachte, die Stoßrichtung dieser Aussage wäre geklärt worden.
Menzel: Sie hat mir hinterher gesagt, dass sich ihre Aussage auf Bernhard Rech bezogen habe. Da habe ich gesagt, daß sie doch von Persönlichkeiten gesprochen habe, die sich in die Nähe…

Gegenwind: …und da haben Sie sich den Schuh gleich angezogen!?
Menzel: Das war doch völlig klar, daß sie mich gemeint hat – reden wir doch mal Klartext. Ich habe ihr auch gesagt: „Lassen Sie uns doch nicht so rumeiern – Sie haben vor Zeugen von Persönlichkeiten gesprochen …“

Gegenwind: Die Geschäfte der Herren Baar und Heger sind ja nun auch nicht die alleinige Sache des Herrn Rech – da stecken doch noch mehr Leute, Persönlichkeiten, drin.
Menzel: Namentlich genannt waren in dem Artikel ja Herr Rech und ich – insofern war schon klar, wen sie meinte.

Mit Schokolade aufgewogen

Gegenwind: Uns wurde vor einigen Wochen anonym zugetragen, daß Sie sich von einem Republikaner mit Schokolade haben aufwiegen lassen. Gemeint war ein gewisser Herr Reckner, Kassierer der Republikaner, und nach unseren Informationen will dieser Herr Reckner bei den Kommunalwahlen für die Reps antreten.
Menzel: Im Verwaltungsausschuß hat ein uns nicht unbekannter UWBler auch diese Frage gestellt. Ich habe daraufhin bei der Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, die diese Aktion vorbereitet hat, nachgefragt. Diese Aktion wurde mit der Hörgerätefirma Melz und Kurz vorbereitet. Da gibt es eine Elterninitiative, die sich in Leer, dem Stammsitz der Firma Melz und Kurz, gegründet hat. Diese Initiative hat solche Aktionen bereits in Emden, Wittmund und Aurich durchgeführt. Es gab nur Kontakte zwischen der Stadt und der Hörgerätefirma. Von einem Herrn Reckner war nie die Rede. Im nachhinein habe ich gesehen, daß in einer Anzeige, drei Tage vor der Aktion, der Name Reckner zum ersten Mal auftauchte. Da hieß es, daß die Immobilienfirma Reckner die Schokolade sponsert. Ich habe daraufhin bei dem Herrn angerufen, der die Sache in Wilhelmshaven vorbereitet hat, und ihn gefragt, wieso denn plötzlich Immobilien Reckner auftauchte. Er sagte mir, daß man sich um Sponsoren bemüht hätte, z.B. bei Karstadt und Leffers. Die hätten das auch gemacht, wollten die Aktion aber dann bei sich im Hause durchführen. Die Aktion sollte aber, wie in den anderen Orten auch, in direkter Verbindung mit dem Rathaus durchgeführt werden. Daraufhin kam es zum Sponsoring durch die Firma Reckner. Daß dieser Herr Reckner zur Kommunalwahl antreten will, ist mir nicht bekannt. Da steckt aber auch eine bittere Tendenz drin: Muß ich mich künftig bei jedem, der rechts oder links von mir geht, nachdem Parteibuch erkundigen? Ist es schon soweit?

Es gibt Leute in dieser Stadt, die die politische Szene destabilisieren wollen

Gegenwind: Meinen Sie, daß nach den Gerichtsverfahren die Sache ausgestanden ist?
Menzel: Ich bekam vor kurzen einen anonymen Anruf, in dem ich darüber informiert wurde, daß in Wilhelmshaven ein Treffen stattgefunden hat, an dem neben Handlögten auch einige Leute aus dem politischen Bereich teilgenommen haben. Es ging um eine mögliche Fortsetzung des Artikels kurz vor der Kommunalwahl. Ein Bestandteil dieses Gespräches war, so behauptete der Anrufer, daß man mich „körperlich“ in die Nähe von Leuten bringen wolle, die dem rechtsradikalen Umfeld zuzurechnen sind. Ich habe daraufhin die Stadtverwaltung gebeten, mich nicht mehr an irgendwelche Leute ran zu lassen, die ich nicht kenne. Wenn die Aussagen des Anrufers wahr sind, dann wäre das ein Zeichen dafür, daß es in dieser Stadt Leute gibt, die die politische Szene destabilisieren wollen. Ich stelle mir immer öfter die Frage, ob sich nicht alle an einen Tisch setzen sollten, um eine Schlammschlacht zu verhindern. Mit dieser Art der Diskriminierung muß endlich Schluß sein.

Gegenwind: Das ist sicher nicht so einfach. So kurz vor der Kommunalwahl sieht das nach Friede, Freude, Eierkuchen aus . So ähnlich wie das Zitat über die ‚Pflichten eines Bürgermeisters‘, das Sie in Ihrer Rede am 17. April im Rat gebracht haben.
Menzel: Ich bin für jeden politischen Streit zu haben – sachlich können wir uns gerne kloppen, aber das, was in den letzten Monaten abgelaufen ist, das war für mich schon ein Grund zu sagen, daß die nächste Kandidatur für mich gegessen ist. Die Diskussionen, gerade mit meiner Familie, machten mir aber klar, daß ich wieder antreten muß.
Damit keine Mißverständnisse entstehen: Ich bin niemand, der alles glattbügeln, alles egalisieren will. Ich kann und will auch streiten und gestehe jedem zu, mich polemisch und sonst wie anzumachen, aber so miserable Sachen zu machen, um daraus politisches Kapital zu schlagen, das war ja die erkennbare Absicht, das will ich nicht mehr mitmachen. Man hat wohl die Möglichkeit gesehen, mich auf diesem Wege wegzukriegen.

Gegenwind: Wer wollte denn daraus politisches Kapital schlagen?
Menzel: Die Tendenz war doch sehr eindeutig, daß Herr Kläne das versuchte.

Gegenwind: Aber Herr Kläne war mit Sicherheit nicht der Informant der Süddeutschen Zeitung.
Menzel: Ich weiß nicht, wer die Informanten sind. Ich habe alle Unterlagen der Staatsanwaltschaft übergeben und sie gebeten, diesen Dingen nachzugehen. Vielleicht bringen die Verfahren in Hamburg und München ja Licht in die ganze Sache – aber wenn man vor Gericht geht, weiß man nie genau, was dabei herauskommt.

Gegenwind: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Ferner soll ein Bürgermeister achthaben auf seine Ratmannen, die ihm das Jahr über zur Seite sitzen, daß alle in Liebe, Freundschaft und Einigkeit füreinander einstehen, daß keiner gegen den anderen seinen Willen durchsetzen will oder jemanden heimlich Haß trägt. Wenn der Bürgermeister so etwas fühlt, so soll er dem nach bestem Können entgegentreten, damit die Ratmannen nicht parteiisch werden; denn wo solches überhandnimmt kann nichts Nutzbringendes vollbracht werden.

OB Menzel in seiner Rede vor dem Stadtrat am 17.4. 96, von ihm zitiert nach Johannes Frauenburg (1476)

 

Kommentar:

Everybody’s Darling
Oberbürgermeister Menzel beklagt sich, daß viele von denen, mit denen er an einem Tisch gesessen hat, mit denen er Aktionen, Kundgebungen, Demonstrationen durchführte, mit denen er gegen Faschismus und Rechtsradikalismus mobil machte, daß gerade diese ihm „so etwas“ zutrauen. Aber ist es nicht seine Politik des „Everybody’s Darling“, die den Weg für dieses Mißtrauen säte? Wie kann ich heute ein Kreuz vor dem Marinearsenal als Mahnung gegen die Kriegsmaschinerie aufstellen und nach Wechseln von Jacke und Schlips eine Rede über die Notwendigkeit eben dieser Kriegsmaschine halten? Wie kann ich gegen Faschismus und Militarismus reden und gleichzeitig die Menschen, die gegen die Aufstellung eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals mit geschichtlich unumstößlichen Daten und Fakten opponieren, als Geschichtsklitterer und, im Adenauer/Kohl’schen Jargon, als „selbsternannte Antifaschisten“ bezeichnen?
Ich bin inzwischen auch der Meinung, dass die Handlögten/Venske-Geschichte zu viele Ungereimtheiten und zu wenig Beweise aufweist, aber ich verstehe das Mißtrauen, das viele innerhalb der Linken in den letzten Jahren gegen OB Menzel entwickelt haben. Darum sollte seine Enttäuschung über die Leichtgläubigen innerhalb der spärlichen Linken Wilhelmshavens für ihn ein Ansporn zum Nachdenken darüber sein, ob er nicht von sich selbst etwas enttäuscht ist.
Daß unserem Oberbürgermeister ein wenig die Grundlagen der demokratischen Gesellschaft abhanden gekommen sind, beweist sein Zitat des Johannes Frauenburg aus dem Jahre 1476 dem „es kaum etwas hinzuzufügen gibt“. (Rede von OB Menzel am 17.4.) Die in diesem Zitat ausgedrückte Politik ist die des Absolutismus, des Kaiserreichs und auch die des faschistischen Deutschlands. Sie darf niemals die Wilhelmshavens werden.

Hannes Klöpper

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