Gegenwind-Gespräch: Michael Diers
Jun 261996
 

Radio Jade im Alleingang

Michael Diers: Dieses Radio ist eine Chance für Wilhelmshaven

(hk) Nach der Mitgliederversammlung von Radio Jade am 18. Juni ist klar: Es wird kein Zusammengehen mit den Zeitungsverlegerinitiativen aus Wilhelmshaven und Varel geben. Beinahe einstimmig beschloß die MV, daß Radio Jade den Spurt zur Lizenzierung im Alleingang antreten wird. Warum die Initiativen nicht zusammenkommen konnten, und wie Radio Jade einen Beitrag zur Medienvielfalt in der Region leisten will, darüber sprachen wir mit Michael Diers, einem der drei Radio-Jade-Redakteure.

Gegenwind: Die Mitgliederversammlung von Radio Jade hat sich eindeutig von den bei den anderen Initiativen gelöst. Es wird in unserer Region also entweder Radio Jade oder ein von Zeitungsverlegern gemachtes Radio geben. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Diers: Es war ja immer die Rede davon, dass wir die Fronten hier verhärten würden, daß wir niemanden an uns ranlassen und nicht kompromissbereit sind. Das ist aber nicht richtig. Wir sind und bleiben auch nach der Lizenzierung offen. Es ist die andere Seite, die sich keinen Millimeter bewegt hat. Ich behaupte, daß die gar nicht wissen, was es heißt, nichtkommerzielles Lokalradio zu machen. Die sprachen uns gegenüber immer davon, daß man Radio nicht neu erfinden muß. Diese Form eines Radios gibt es in ganz Deutschland noch nicht, da muß schon einiges neu erfunden werden.

Gegenwind: Radio Jade hat die Vorschläge der anderen Initiativen von vornherein abgelehnt.
Diers: Alle diese Vorschläge liefen darauf hinaus, daß die ein Zusammengehen wollten, in der jede der Initiativen zu einem Drittel beteiligt ist. Aber auf welcher Grundlage sollte das gehen? Nur weil die einen Antrag gestellt haben! Wenn ich die letzten zwei Jahre zurückdenke und von der anderen Wilhelmshavener Initiative, die Vareler kamen ja erst viel später, immer nur zwei Rechtsanwälte sehe – da kommt man doch ins Grübeln und fragt sich, wessen Interessen vertreten die eigentlich und wie wollen die denn Radio machen. Wir dagegen arbeiten seit 2 ½ Jahren daran, ein nichtkommerzielles Radio aufzubauen, wir haben eine Programmstruktur entwickelt, wir haben das Know-how erarbeitet, wir haben die technischen und strukturellen Voraussetzungen geschaffen -wir sind so weit, daß wir morgen auf Sendung gehen können. Und dann kommen die anderen Initiativen, die nichts weiter als ihren Antrag und einen Gesellschaftervertrag vorlegen können und wollen zwei Drittel. Das geht nicht. Die Unterschiede zwischen uns und den anderen beiden Initiativen sind so groß, daß es undenkbar ist, deren Drittel-Modell zuzustimmen.

Gegenwind: Inhaltlich gibt es von den anderen Initiativen keine Aussagen, wie die sich den Lokalfunk vorstellen?
Diers: Da gibt es nichts. Die kritisieren unser Programm, unsere Statuten, unsere Redaktion – haben aber selbst nie etwas Entsprechendes vorgelegt. Wie die sich den Betrieb des Radios vorstellen, ist uns völlig unbekannt. Vielleicht ja den ganzen Tag aus ihren Zeitungen vorlesen …

Gegenwind: … und drei Kuschelrock-CDs für den musikalischen Teil. Die Radio-Jade-Tür für die anderen Initiativen ist also dicht?
Diers: Das Radio ist ein Unterhaltungsmedium, welches zur Medienvielfalt beitragen soll. Das können doch nicht die Leute machen, die hier schon seit Jahrzehnten die Medienlandschaft in ihrem Sinn prägen. Trotzdem sind wir nicht dicht für die anderen. Wir haben den Varelern angeboten, dort ein Studio zu installieren, welches allerdings von ihnen selbst finanziert werden müßte, weil unser Etat so etwas nicht ermöglicht.

Gegenwind: Es könnte doch sein, daß die Mitglieder der anderen Initiativen ebenfalls ein wirkliches Bürgerradio machen wollen, wie können die denn noch mitmachen, wenn bei euch schon alles steht, ihr sogar schon eine Redaktion gewählt habt?
Diers: Wenn beispielsweise die Vareler bei uns mitmachen wollen, da wären wir sicher auch bereit, Neuwahlen des Vorstands durchzuführen. Wenn jemand wirklich Bürgerradio machen will und auch die Kompetenz dazu hat, dann wird er bei uns offene Türen vorfinden. Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, daß wir die Richtigen sind, daß wir die Besten sind, die die Region hat. Aber die Struktur von Radio Jade hat sich in den letzten Jahren so entwickelt, wie sie heute ist. Und das müssen die anderen Initiativen akzeptieren. Und natürlich läßt sich auch die Redaktion erweitern – aber nicht durch jemanden, der mit vordergründigen Absichten in die Redaktion geschickt wird.

Gegenwind: Am 13. August wird die Landesmedienanstalt darüber entscheiden, welche Initiative hier die Lizenz bekommt.
Diers: Richtig. und wir gehen davon aus, dass wir die Lizenz bekommen, weil wir mit unserem Konzept eine umfassende Meinungsvielfalt garantieren können. Das Mitgliederspektrum von Radio Jade umfaßt so ziemlich alle Schichten und Gruppen dieser Region. Das geht vom Antifaschistischen Bündnis bis hin zum Bundeswehrverband.

Gegenwind: Der Vertreter der WZ-lnitiative, Rechtsanwalt Harald Naraschewski, hat angekündigt, daß seine Initiative klagen wird, falls Radio Jade die Lizenz bekommt.
Diers: Herr Naraschewski und auch Herr Gottschalk haben das angekündigt und gefährden damit die einmalige Chance, in dieser Stadt, in dieser Region ein Bürgerradio zu installieren. Herr Naraschewski hat erklärt, daß er klagen wird, weil unser Finanzkonzept so schlecht sei. Die Landesmedienanstalt akzeptiert unser Konzept und die andere Initiative sieht das als Klagegrund – das ist doch ein Unding. Für mich bedeutet das, daß die gar kein Radio für die Region wollen.

RadioJadeGegenwind: Du sagtest eben, daß ihr hier die Gruppe seid, die eine große Medienvielfalt garantiert. Wie sieht diese Vielfalt aus?
Diers: Das Konzept von Radio Jade ist sehr demokratisch. Es wird immer wieder behauptet, daß wir gegen die WZ Radio machen wollen. Das stimmt nicht. Die WZ gehört zur Medienvielfalt der Stadt. Wir wollen gute journalistische Arbeit machen und die wird dieser Stadt gut tun. Dieses Radio ist eine Chance für diese Stadt, für die Region.

Gegenwind: Gibt es inzwischen Signale aus der Stadtverwaltung?
Diers: Nein. Da bewegt sich gar nichts.

Gegenwind: Hat die Stadt vielleicht Angst vor Radio Jade? Viele Dinge, die in dieser Stadt geschehen, gelangen ja nie in die Öffentlichkeit. Und ein Bürgerradio, das täglich mehrere Stunden sendet – ich kann mir schon vorstellen, daß da in so mancher Amtsstube die Zähne klappern.
Diers: Man muß in der Öffentlichkeit doch alles diskutieren können -und das ist mit unserem Sender möglich. Da kann durch diese Öffentlichkeit auch viel Schaden abgewendet werden, Fehlentwicklungen können frühzeitig erkannt werden. Bei uns kommen nicht nur die Bürger zu Wort. Wir wollen auch, dass die Politiker, daß die Verwaltung bei uns zu Wort kommen und gleichzeitig mit den Bürgern diskutieren können.

Gegenwind: Ihr plant auch Direktübertragungen aus dem Rathaus, von Ratssitzungen. Ist das nicht fürchterlich langweilig?
Diers: Direktübertragungen wird es wohl nicht geben -das wäre wirklich grottenlangweilig. Aber wir werden im Rathaus präsent sein, bei den Ratssitzungen und anderen Veranstaltungen vor Ort sein, die Debatten mitschneiden und die wichtigen Beiträge noch am selben Tag über den Äther schicken und mit den Kommunalpolitikern diskutieren. Das ist ein ganz wichtiger Teil unserer Aufgaben: Entscheidungen transparent machen. Wir wollen einen direkten Draht zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern spannen.

Gegenwind: Du erweckst den Eindruck, als wäre Radio Jade schon ein richtiger Sender. Mit vollem Programm, vielen Wortbeiträgen, einem neuartigen Musikteil usw. Wie wollt ihr das mit euren 3 ½ Leuten machen? Geht ihr da nicht etwas blauäugig ran?
Diers: Wir wollen gutes, professionelles Radio machen. Das braucht natürlich seine Zeit. Ein Sender wie z.B. Radio Bremen hat 350
feste Mitarbeiter – wir fangen mit3 ½ an. Aber Bürgerradio, nichtkommerzieller Lokalfunk das ist nicht der NDR. Wir haben eine engagierte Programmstruktur erarbeitet und die wollen wir verwirklichen. Das geht natürlich nicht mit 3 1/2 Leuten. Wir haben einen 200.000 DM-Etat für freie Mitarbeiter – das klingt nach viel Geld, aber aufs Jahr und auf die vielen Sendestunden aufgeteilt, ist das nicht viel.

Gegenwind: Freie Mitarbeiter sind fester Bestandteil eures Konzeptes?
Diers: Ganz sicher. Darauf können wir nicht verzichten. Wir sind schon dabei, diese freien Mitarbeiter auszubilden -wie muß ein Beitrag aussehen, wie mache ich eine Umfrage, rechtliche Fragen usw. usf. Im Verein haben wir Fachgruppen gebildet, die dafür sorgen werden, daß unser Programm inhaltlich lebendig ist. Das ist unser Konzept des Bürgerradios: Jeder kann sich bei uns einbringen, kann mitarbeiten, kann unter Umständen eigene Sendungen machen – von der Musik über die Moderation bis zur Technik. Darum sagen wir, daß alle, auch die anderen Initiativen, bei uns mitmachen und das Gesicht des Senders prägen können.

Gegenwind: Ich danke Dir für dieses Gespräch und hoffe, daß Radio Jade am 13. August die Lizenz bekommt, damit wir am 14. August hören können, was in dieser Stadt so los ist.

Was steckt hinter ‚87.8 – Dein Radio?’
Die Radioinitiative des WZ-Verlegers M. Adrian ist eine GmbH. Das heißt, wer Radio 87.8 unterstützen will, muß Gesellschafter werden und einen entsprechenden Beitrag einzahlen. Gesellschafter sind laut „87.8“ unter anderem das Deutsche Rote Kreuz, der Stadtsportbund (SSB), die Arbeiterwohlfahrt, die Ortsgruppe der IG Medien und die Kunstschule „Die Werft“.
Da hat sich denn ein ordentliches Finanzpolster angesammelt. Sollte man meinen. Doch so ganz abgesichert scheint dieses Radio wohl nicht zu sein! Auf einer Vollversammlung des Stadtsportbundes stellte der SVW-Vertreter, Herr Pochanke, dem SSB-Geschäftsführer Dr. Gerhard Eickmeier die Frage, wie es denn sein kann, dass in der Öffentlichkeit
behauptet wird, der unter notorischer Geldnot leidende SSB sei Mitglied bei der Radioinitiative des Herrn Adrian, mit einer Einlage von 10.000 DM. Eickmeier erklärte daraufhin, daß es zwischen der Radio Initiative und dem SSB keinen entsprechenden Vertrag gäbe. Es hätten zwar Gespräche zwischen ihm und Herrn Adrian stattgefunden, aber es gäbe keinen Vertrag. „Ein Vorstandsmitglied des SSB erklärte mir gegenüber, dass das Thema im Vorstand nie thematisiert worden sei, er sei davon völlig überrascht gewesen, “ erklärte Herr Pochanke gegenüber dem Gegenwind. Als weitere Konsequenz trat der Kassierer, der ebenfalls über die eigenmächtige Initiative Eickmeiers nicht unterrichtet war, von seinem Posten zurück.
Der Rechtsanwalt Harald Naraschewski erklärt als Vertreter der WZ-Radio-Initiative weiterhin öffentlich, daß der SSB zu den Gesellschaftern gehöre. Dieser Äußerung wurde bisher nicht widersprochen. Ob da ein erneuter Beschluß im SSB gefasst wurde, ist unbekannt und auf Grund der Finanzsituation des SSB unwahrscheinlich. Oder ob es beim SSB auch so läuft wie bei der Wilhelmshavener lG Medien? Unbestätigten, aber durchaus glaubhaften Berichten zufolge, bezahlt der WZ-Verleger Adrian den Beitrag der Gewerkschafter aus seiner eigenen Tasche. Der Jahresetat der Gewerkschaftsgruppe dürfte auch kaum ausreichen, solche Spielchen mitzumachen. Das nennt sich Sozialpartnerschaft!
Interessant.wird auch sein, zu erfahren, wie denn die anderen oben genannten gemeinnützigen, spendenabhängigen Organisationen zu einem solchen Beschluß kamen.(hk)

 

Kommentar:

Radio WZ – Nein Danke!
Mit überwältigender Mehrheit beschloß die Jahreshauptversammlung des Vereins „Radio Jade Lokalrundfunk e.V.“ am 18. Juni, den schon gestellten Lizenzantrag als Einzelinitiative aufrecht zu erhalten. Für die Alternative, mit den beiden Mitbewerbern eine Dachgesellschaft zu bilden und einen gemeinsamen Antrag zu stellen, fanden sich nur zwei Befürworter. Sturheit der „Radiofreaks mit einem Rattenschwanz dahinter“, wie der Sprecher der Verlegerinitiative „87,8 – Dein Radio“, Hans-Joachim Gottschalk, den Verein gelegentlich zu nennen beliebte? Arroganz, wie „-id“ in der WZ vom 20.6. mit seiner Zwischenüberschrift „Liefert das Geld ab“ anzudeuten versuchte?
In der Mitgliederversammlung hatten Gottschalk und auch der Sprecher der Vareler Radioinitiative „Jade-Welle“, Dierk (Auto)Filmer, Gelegenheit zu einer Darlegung ihrer Standpunkte. Was sie sagten, war im wesentlichen gleich. Beide beteuerten ihre Kompromißbereitschaft und sahen den Grund für die bisherige Erfolglosigkeit der Einigungsbemühungen in der mangelnden Kompromißbereitschaft von „Radio Jade“. Der einzige Unterschied zwischen den Statements der beiden war eigentlich nur, dass Gottschalk mehr vom Geld sprach, das Radio Jade nicht aufbringen könne, seine Gruppierung aber wohl.
Nun ist die Gottschalk-Initiative (hinter der der WZ-Herausgeber Manfred Adrian steht) eine GmbH (oder soll eine werden), doch die angeblichen Gesellschafter sind eher mit Skepsis zu betrachten. Bezüglich des Stadtsportbundes, den die Gruppe als Mitgesellschafter ausgab, hat sich schon herausgestellt, daß er seinem Vorsitzenden kein Mandat erteilt hat, sich an „87,8 – Dein Radio“ zu beteiligen; man darf gespannt sein, wie viele der anderen angeblichen Gesellschafter sich als Fiktion erweisen werden.
Die 163 Einzelpersonenund35 Vereine hingegen, die bei „Radio Jade“ Mitglied sind, sind sehr real. Und da fragt sich schon, was eigentlich für die beiden anderen Initiativen dagegen spricht, ihre Anhänger (bzw. Hintermänner) zum Beitritt zu einem jetzt schon großen und täglich wachsenden Verein und zur Zahlung eines großzügigen Beitrages aufzufordern, um den Sendebetrieb über die ganze Versuchszeit und darüber hinaus zu gewährleisten – daß sie das Geld haben ist ihnen ohne weiteres zu glauben.
Die Frage wurde in der Versammlung aufgeworfen, doch Gottschalks Mitstreiter Harald Naraschewski, dem dazu das Wort erteilt wurde, beantwortete sie sehr wortreich nicht und sprach stattdessen, wie vor ihm Gottschalk, vom Geld.
In einem Verein hat nun aber jede und jeder eine Stimme, unabhängig vom Inhalt de Portemonnaies. Und deshalb favorisieren die beiden anderen Gruppen die „Drittellösung“: Bei ihrem „Kompromißvorschlag“ aus den drei Gruppierungen eine Dachgesellschaft zu bilden, hätte Herr Adrian dann ein Drittel der Stimmen statt nur einer. Das fällt aus! Der Redebeitrag einer Versammlungsteilnehmerin „lch bin bei Radio Jade weil ich ein anderes Medium neben der WZ will, und ich zahle keinen Mitgliedsbeitrag für ein WZ-Radio!“ wurde von vielen mit Beifall bedacht, und das eindeutige Votum, statt einer solchen Beschneidung den Alleingang zu wagen – auch auf die Gefahr hin dann vielleicht am Ende zusehen zu müssen, daß die WZ den Zuschlag bekommt – unterstrich dies eindrucksvoll.

Anette Nowak

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