Gegenwind-Gespräch: Michael Diers
Sep 052000
 

Was war, was ist, was wird sein?

Seit drei Jahren versorgt Radio Jade die Region mit Infos und Unterhaltung

(hk) Es ist mit Sicherheit nicht die große Liebe, die den Gegenwind mit Radio Jade verbindet, denn schließlich haben vor drei Jahren die „falschen“ Leute die Lizenz zum Senden bekommen. Heute, drei Jahre später, ist das Radio auch für uns Gegenwind-Macher zum festen Bestandteil der Wilhelmshavener Medienlandschaft geworden. Wir sprachen mit Michael Diers, dem Redaktionsleiter des Bürgerradios.

Gegenwind: Wie steht Radio Jade heute, drei Jahre nachdem die erste Sendung ausgestrahlt wurde, da? Habt ihr eure Ziele von damals erreicht?
Michael Diers: Die Gruppe, die damals Radio Jade ins Leben gerufen hat, mit ihren vielen kritischen Menschen, die ja auch zum Teil vom Gegenwind kamen, die ist ja im Zuge der Entwicklung leider immer kleiner geworden. Aus der Ursprungsgruppe sind ja nur noch Rüdiger Schaarschmidt und ich dabei. Der kritische Journalismus, den wir ja machen wollten, der ist, ich will nicht sagen auf der Strecke geblieben, er ist aber sicherlich auf Grund der Notwendigkeiten zurückgedrängt worden. Das liegt auch daran, dass wir feststellen mussten, dass Wilhelmshaven nicht auf ein kritisches Medium gewartet hat. Die Leute, die heute Radio hören, die wollen im Großen und Ganzen entweder nur Musik hören oder nur Wortbeiträge. Wir sind da jetzt irgendwo in der Mitte, und wir machen das auch ganz gut. In den letzten Monaten sind wir auch, wie ich meine, wieder etwas kritischer geworden. Aber es ist bei weitem noch nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe und immer noch vorstelle.

b_radiojadeDas klingt ja etwas anders als das, was du im letzten O-Ton, der Zeitung von Radio Jade, geschrieben hast. Ich zitiere mal: „Auch nach drei Jahren Sendezeit sieht sich Radio Jade immer noch als unbeugsamer Radiosender.“ Und weiter: „Radio Jade hört einfach nicht auf, Widerstand zu leisten.“ Das, was Radio Jade seinen Hörerinnen und Hörern Tag für Tag bietet, als Widerstand zu bezeichnen, ist ja wohl ein bisschen stark auf den Putz gehauen.
Ich glaube, man kann das durchaus als „auf den Putz gehauen“ benennen. Der Punkt ist aber, dass wir durch unsere vollständige Unabhängigkeit in der Lage sind, unbeugsam zu sein und auch Widerstand zu leisten. Uns kann keiner ins Programm reinreden. Was wir machen wollen, können wir auch machen. Es gibt in Wilhelmshaven ja unendlich viele Themen, über die man sehr intensiv Bericht erstatten kann. Nur wir schaffen diese Arbeit zeitlich nicht. Wir machen heute Tag für Tag ca. 12 Stunden Programm – und das muss gefüllt werden, da fällt diese Art der Berichterstattung meistens hinten runter. Und da liegt unser Problem.

Wie viele Leute hören denn Radio Jade?
Wir haben eine Hörerschaft von 14.000 bis 16.000 täglich. Richtige Stammhörer, die jeden Tag Radio Jade hören. Wir können 200.000 Hörer erreichen. In den letzten vierzehn Tagen haben uns davon 26% gehört. Das ist eine verdammt hohe Zahl! Wir erreichen wesentlich mehr Leute als die Zeitung! Die hören jetzt nicht alle ständig Radio Jade – sie hören mal rein, hören nur eine bestimmte Sendung. Wir liegen damit doppelt so hoch wie beispielsweise der Deutschlandfunk und andere Kultursender.

16.000 oder gar 50.000 Hörer täglich – ist das nicht etwas hochgestapelt?
Die Zahl erscheint wirklich hoch. Aber das war eine Umfrage, die vom Meinungsforschungsinstitut EMNID nach dem gleichen Modus eingeholt wurde, wie zum Beispiel die Zahl der NDR2-Hörer ermittelt wird.

Gibt es denn einen Rücklauf von den HörerInnen zum Radio? Leute, die die Sendungen loben oder kritisieren oder die auf bestimmte Themen hinweisen?
Natürlich bekommen wir Post und Anrufe. Es kommen auch Leute zu uns, die uns auf Missstände hinweisen, über die wir berichten sollen. Wir haben da, sicherlich nicht in der Fülle, die ich mir erhofft hatte, sehr interessante Informationen bekommen – nur vieles ist für uns nicht verwertbar, weil die Leute oft nicht bereit sind, diese Sachen auch ins Mikrofon zu sagen – und dann wird die Sache einseitig.

Wie hat sich denn euer Verhältnis zu den offiziellen Gremien der Stadt entwickelt? Vor zwei Jahren, als wir ein ähnliches Gespräch führten, war da ja ziemliche Funkstille.
Da hat sich nicht viel verändert. Die Stadt ist sich immer noch nicht bewusst, dass ein Radiosender in der Stadt ja auch eine Imageverbesserung ist. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob sich unsere Stadtverwaltung nicht von anderen Leuten sagen lässt, mit wem sie zu tun haben darf. Es gibt zwar keine Probleme, Interviews mit den wichtigen Leuten der Verwaltung zu bekommen, ausgenommen unserem Stadtrat Herrn Frank. Der hat sich doch schon relativ häufig unseren Fragen verweigert. Ich habe einfach das Gefühl, dass da von bestimmten Kreisen ein gehöriger Druck ausgeübt wird.
Das Verhältnis zwischen Radio Jade und der Wilhelmshavener Zeitung war ja noch nie richtig gut – in den letzten Monaten hat es sich noch weiter verschlechtert. Ich finde es erschreckend, dass man sich gar nicht mehr darum kümmert, für diese Stadt etwas zu tun, sondern dass man einfach nur zusieht, dass es den Anderen nicht mehr gibt.

Wie kommst Du zu einem solchen Eindruck?
Wir haben ja noch einmal versucht, uns mit dem Verleger der WZ zusammenzusetzen, um unser Verhältnis zu verbessern – das war relativ fruchtlos. Ein Beispiel für das Verhältnis: Der Kanu- und Segelverein Wilhelmshaven (KSW) lädt uns ein, die Eröffnungsveranstaltung der Internationalen Segel- und Kanumeisterschaften. zu moderieren. Als der ebenfalls als Redner eingeladene Verleger der WZ, Manfred Adrian, davon erfährt, sagt er kurzfristig seine Rede ab. Die WZ ist immer noch weit davon entfernt, zu akzeptieren, dass es Radio Jade gibt.

Und wie sieht es mit den nicht offiziellen Gruppen wie z.B. Bürgerinitiativen aus?
Diese Gruppen kommen natürlich bei uns zu Wort, und mit ihnen kommen wir auch gut klar – sie brauchen die Medien, um ihre Vorstellungen publik zu machen Aber es kommen da oft zu viele zu uns, die uns dann auch live vor Ort haben wollen, wenn sie eine Veranstaltung machen, und da haben wir wieder das Problem, dass wir personell nicht in der Lage sind, allen Wünschen nachzukommen.

Auf jeder Sportveranstaltung ist Radio Jade live vor Ort. Bei Veranstaltungen der Bürgerinitiative gegen den Jadeport habe ich Radio Jade allerdings noch nicht erlebt.
Der Sportbereich ist bei uns gut abgedeckt – aber das ist keine Linie, die wir im Sender haben, dass wir nicht auf Veranstaltungen der JadePort-BI auftauchen. Das ist eine Frage der Belast- und Verfügbarkeit unserer Mitarbeiter. Wir würden gerne über jede Veranstaltung in Wilhelmshaven ausführlich und auch live berichten – aber wir schaffen es nicht.

Angetreten ist Radio Jade mit dem eindeutigen Willen, ein politischer Sender zu sein, ein Sender, der in Entscheidungsprozesse eingreifen oder sie gar in Gang setzen will. Macht Radio Jade heute Politik? Ist Radio Jade ein Sender, der die Streitkultur in dieser Region fördert?
Die Streitkultur zu fördern oder zu verbessern – das wäre schon ein sehr schöner Ansatz. Natürlich machen wir auch Politik – die allerdings sehr breit gefächert ist. Themen und Meinungen werden meistens unbewertet gesendet. Man kann uns in keine politische Ecke drängen. Entstanden sind wir ja mit ganz konkreten politischen Vorstellungen, nur die finden sich in unseren Sendungen kaum wieder – was eigentlich sehr schade ist. Wir könnten mit dem Radio wesentlich mehr Politik machen. Radio Jade würde allerdings nie so einseitige Politik machen, wie es die Wilhelmshavener Zeitung tut. Doch um Politik in dieser Region mitgestalten zu können, brauchen wir erst einmal die Mitarbeiter, die fachlich und zeitlich dazu in der Lage sind.

Im ARD-Fernsehen laufen zu 75% oder 80% Sendungen, die unterhaltsam, informativ oder doof sind. Aber es gibt Sendungen, die einfach ein Muss sind. Ich denke da z.B. an Monitor. Da wird problemorientierter Journalismus ohne Rücksicht auf Parteibuch und Funktion betrieben. Eine solche Sendung jeden Sonntag um 11 Uhr vielleicht sogar 19 Uhr (oder dienstags um 19.00 Uhr) auf Radio Jade – das wäre doch ein Einstieg in ein politisch-kritisches Profil.
Das ist ein schöner Ansatz, dass man sich mal traut zu sagen: „So Leute, mittwochs von 5 bis 6 wird auf Radio Jade Klartext gesprochen.“ Hätten wir die Leute, würden wir’s machen! Wie wär’s denn mit einer Gegenwind-Stunde pro Woche?

Wäre sicherlich gut, aber wie sagst du immer so schön: Das ist unser Problem – keine Zeit. Wie geht’s weiter mit Radio Jade?
Das Projekt endet am 31. März 2002. Jetzt sind wieder einmal die Politiker gefordert, dem Nichtkommerziellen Lokalfunk (NKL) in Niedersachsen eine Zukunft zu geben. Radio Jade und auch die anderen Sender haben in den vergangenen drei Jahren bewiesen, dass sie eine Bereicherung der ansonsten sehr monopolistischen Medienstruktur in Niedersachsen darstellen. Die NKLs müssen finanziell besser ausgestattet werden. Von den 1,1 Milliarden, die Niedersachsen jährlich an Rundfunkgebühren einnimmt, bekommt der NDR weit über 700 Millionen, für die Bürgermedien, das sind sechs nichtkommerzielle Lokalsender und sieben Offene Kanäle, stehen gerade mal 8 Millionen (0,7%) zur Verfügung. Hier gilt es, der Medienvielfalt unter die Arme zu greifen. Ich bin da aber recht guter Dinge – es wird auch 2002 weitergehen mit Radio Jade.

Der Gegenwind gratuliert natürlich auch Radio Jade zum Dreijährigen. Hast du bestimmte Wünsche für Radio Jade?
Ich würde mich freuen, wenn wir in einem Jahr wieder beisammen sitzen und uns über das politische Profil von Radio Jade unterhalten würden. Radio Jade ist im politischen Profil noch zu konturlos. Mein Wunsch ist, dass wir mehr politische Konturen entwickeln.

Vielen Dank für das Gespräch.

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