Ich habe fertig
Gegenwind-Gespräch mit der grünen Bürgermeisterin Marianne Fröhling.
(ef/noa) Dem Gegenwind kam das Gerücht zu Ohren, Marianne Fröhling wolle die Brocken hinwerfen. Schon wieder ein grüner Eklat? Nein, so schlimm ist es denn doch nicht. Den Rest der Legislaturperiode will sie doch noch durchhalten. Trotzdem fanden wir unser Gespräch in vielerlei Hinsicht aufschlussreich.
Gegenwind: Wir haben mitgekriegt, dass du aufhören willst. Womit?
Marianne Fröhling: Ich höre mit der Kommunalpolitik auf.
Jetzt sofort?
Nein – zum Ende der Legislaturperiode. Also: Ich werde bei der nächsten Wahl im September 2006 nicht wieder kandidieren.
Warum?
25 Jahre Politik reicht. Ich habe vor, mich aufs Altenteil zurückzuziehen.
Wie alt bis du denn?
Ich bin jetzt 57, dann werde ich 58 sein.
Fürs Altenteil doch noch zu jung.
Mein Mann ist jetzt im Vorruhestand. Bisher waren wir immer an Termine gebunden, und ich bin es immer noch. Nicht nur durch meine Ratstätigkeit, sondern auch durch meine sonstige Tätigkeit. Zwei unserer Töchter wohnen außerhalb. Ich kann nie so einfach sagen, ich fahre mal zu ihnen.. Es gehört sich einfach, bei den Ausschuss- und Ratssitzungen da zu sein, und ein Stück ist es auch…
Frust?
Nein, Frust eigentlich nicht. Ich habe das Gefühl, meine ganzen Ideale, die ich mal hatte, sind so richtig den Bach runtergegangen.
Das klingt schon nach Frust.
Naja, vielleicht auch… Aber ich sehe das eher so: Ich habe 25 Jahre meines Lebens für die Politik geopfert, und der Rest ist für mich.
Berufstätig bist du aber doch noch, oder?
Ja, ich bin ja noch Geschäftsführerin des Verbandes der Sozialversicherten, und nebenbei habe ich ein zweites Standbein: Ich vermiete Berliner Ferienwohnungen.
Und mit den Grünen ist nicht mehr viel los? Ihr wart mal 60 Leute hier in Wilhelmshaven.
Wir sind jetzt noch, wenn’s hoch kommt, 25 zahlende Mitglieder, davon aktiv, wenn’s hoch kommt, sechs. Und nach den Sommerferien noch aktiv: drei. Denn zwei fangen an zu studieren, und einer wird gerade mit dem Studium fertig.
Und was ist mit deinen Idealen?
Vor 25 Jahren bin ich in die SPD eingetreten, weil ich gedacht habe, ich könnte im sozialen Bereich etwas bewirken. Und ich musste schnell feststellen – schon damals bei der SPD, und dann auch bei den Grünen, das tut sich nichts –, dass das schönes Gerede ist, du aber nichts davon umsetzen kannst, weil du die Mehrheiten dafür nicht hast. Das Soziale geht immer wieder den Bach runter.
Aber die Grünen sind doch mit der SPD in der Mehrheitsgruppe.
Wir verwalten doch nur noch. Freiwillige Ausgaben müssen gestoppt oder gekürzt werden. Es ist nicht so, dass die SPD-Fraktion insgesamt unsozial ist und handelt, aber die, die sich noch für soziale Zwecke aussprechen, sind vermehrt in der Minderheit. Ich mit meiner einen Stimme als Grüne, was kann ich denn noch bewirken? Es gibt keine Gelder von Land und Bund, überall nur Einschnitte und Reförmchen – zu Lasten der Kleinen und vor allem auch der Rentner.
Und in unserer Stadt – wo kann denn noch etwas getan werden? Keine Gelder für die API, für die Pläne eines Jugendgästehauses im CVJM, somit noch mehr Arbeitslose, die irgendwann einmal der Stadt zur Last fallen können.
Du sprichst jetzt vom sozialen Bereich, in dem du nichts mehr machen kannst. Aber die Grünen sind ja – oder waren jedenfalls mal – eine Partei, die für Umweltschutz stand.
Ja. Aber auch das ist, wenn man der Realität ins Auge blickt, überhaupt nicht zu bewerkstelligen. JadeWeserPort – wir haben uns seinerzeit für den JadeWeserPort ausgesprochen, wohl wissend, was da alles auf uns zukommt. Wir haben gesagt, wir können da nicht dran vorbei. Arbeitsplätze, das war für uns immer ein wichtiges Kriterium. Oder jetzt ICI, da hast du immer im Hinterkopf diese Arbeitsplätze, die Arbeitsplatzsituation hier vor Ort. Und das ist real. So einfach ist das. Ob wir nur grün oder schwarz oder rot oder gelb sind…
Aber es sollte doch darin, wie man sich dazu verhält, einen Unterschied machen, ob man grün oder schwarz oder gelb oder rot ist. Und da vermissen wir bei den Grünen schon das Grüne. Spätestens als die Pläne mit den Chemieinvestitionen konkreter wurden, hättet ihr auf die Barrikaden gehen müssen. Was ist denn deine Meinung zur Chlorchemie?
Darüber weiß ich zu wenig, um eine endgültige Meinung zu haben.
Und gab es keine Diskussion, gibt es keine Beschlussfassung dazu in der Partei?
Wir haben darüber gesprochen, aber nichts beschlossen.
Ihr begleitet den JadeWeserPort unkritisch…
Nein, also, dagegen wehre ich mich, das tun wir ganz bestimmt nicht!
Hast du denn geglaubt, dass 3.500 Arbeitsplätze entstehen?
Nein, daran haben wir nie geglaubt. Wir haben gesagt, solange Umweltbelange berücksichtigt werden, sind wir nicht dagegen. Dazu stehe ich auch nach wie vor.
Ihr unterstützt das Projekt JadeWeserPort mit der Begründung, da kommt Verkehr von der Straße weg. Und jetzt unterstützt ihr die Autobahnpläne.
Wir unterstützen diese Pläne nicht unbedingt. Dazu haben wir noch gar nichts gesagt, weil in unseren Versammlungen über derartige Dinge z.Zt. sehr selten gesprochen wird. Unsere jungen Grünen haben da ganz andere Pläne, die wir gemeinsam besprechen und sie dabei unterstützen, z.B. jetzt die Antidiskriminierungskampagne, Fachhochschulprobleme usw..
Und habt ihr etwas gegen die Autobahnpläne gesagt?
Wir haben weder etwas dagegen noch dazu gesagt und uns auch nicht damit befasst, aus den von mir genannten Gründen.
Ich persönlich will mich damit auch nicht mehr auseinandersetzen. Nach Trittin wird es die A 22 ohnehin frühestens in 15 Jahren geben.
Das klingt doch ziemlich resigniert.
Ich bin auch resigniert. Das müsst ihr mal verstehen: Ich bin alleine in der Mehrheitsgruppe! Was soll ich alleine bewirken? Du wirst nur angemacht, wenn du etwas gegen etwas sagst. Wenn du irgendwo gegenteiliger Meinung bist, dann wirst du beschimpft. Es gibt keine vernünftige Auseinandersetzung mehr.
Was sagen die denn dann?
Z.B. meine Rede zur Ratsverkleinerung, hinter der ich stehe und hinter der meine Partei steht – da wurde ich hinterher angemacht: Du machst das nur aus Wahlzwecken! Das hat für mich mit Wahlzwecken nichts zu tun, sondern ich sehe einen Sinn darin, den Rat zu verkleinern. Wenn wir dadurch 20.000 Euro im Jahr sparen könnten – wenn ich andererseits sehe, dass es bei kleinen Sozialverbänden hapert, weil sie 2000 Euro nicht bekommen, die sie zum Weiterbestehen bräuchten, und wenn dann die SPD sich hinstellt und sagt, wir könnten eher einen Hausmeisterposten wegfallen lassen oder eine Verwaltungsangestellte – das finde ich schon haarsträubend. Das war ein Punkt, wo ich es zum Bruch hätte kommen lassen: Wenn die SPD von mir verlangt hätte, dass ich mich ihrer Meinung anschließe, hätte ich die Mehrheitsgruppe verlassen.
Es sind immer noch 45 Ratsmitglieder, wie zu Zeiten, als Wilhelmshaven 20.000 Einwohner mehr hatte.
Ich sehe das so: Die großen Parteien müssen ihre Leute zufrieden stellen, die jetzt schon mit den Hufen um einen oberen Listenplatz scharren. Die Anregung, den Rat zu verkleinern, kam von der Verwaltung, und das habe ich ebenso begründet wie das sich damit ergebende Einsparpotential. Worauf mir ein CDU-Mitglied vorwarf, ich wolle Wahlkampf machen und solle doch lieber meinen Posten als Bürgermeisterin aufgeben, damit spare man dann doch auch Geld.
Wäre es überhaupt möglich, in der laufenden Legislaturperiode den Posten aufzugeben?
Warum nicht? Wenn sich eine Mehrheit findet, mich abzuwählen…
Aber du könntest auch deinerseits aufhören?
Ich bleibe Bürgermeisterin bis zum Ende der Legislaturperiode, es sei denn, ich werde, wie gesagt, zwischenzeitlich abgewählt oder es passiert doch noch etwas, wozu ich nicht zustimmen kann und es käme zum Bruch mit der SPD. Allgemein ist es üblich, dass die zweitstärkste Partei den 1. Bürgermeister/in-Posten stellt. Man weiß ja auch nicht, wie nach der nächsten Kommunalwahl die Konstellation sein wird. Sollte die CDU mehr Stimmen bekommen als die SPD und vielleicht mit der FDP zusammengehen, würde sicher auch hier die Bürgermeisterposition eine Verhandlungsgrundlage sein. Verhandlungsgrundlage bei der Bildung der Mehrheitsgruppe mit der SPD war eben in meinem Falle ein Bürgermeisterposten. Damals waren wir ja noch zu zweit – Werner Biehl und ich. Zwischenzeitlich wurde ein Wechsel vollzogen. Für Werner Biehl folgte Gerda Kümmel, die nicht mehr bei den Grünen ist, sondern parteilos der Mehrheitsgruppe weiterhin angehört. Ich möchte aber auch die Grünen nicht beschädigen. Ob überhaupt noch Grüne kandidieren, ist ja zwischenzeitlich auch sehr fraglich. Wenn ich aus der Politik aussteige, dann soll das ein sauberer Schnitt sein. Ich will das nicht mit irgendeinem Buhei oder irgendeinem Skandal, sondern ganz normal zum Ende der Ratsperiode.
Gibt es eigentlich zwischen Gerda Kümmel und dir über die gemeinsame Arbeit in der Mehrheitsgruppe hinaus eine engere Zusammenarbeit – so als ehemalige Parteifreundinnen?
Nein.
Seid ihr euch gram?
Kein Kommentar. Das ist seit zwei Jahren erledigt.
Was war der Grund?
Sie ist ausgetreten, weil sie angeblich mit der Bundespartei nicht zufrieden war. Mehr kann ich euch dazu nicht sagen.
Bist du mit der Bundespartei noch zufrieden?
Nein. Aber das ist für mich kein Grund, auszutreten. Ich bin damals auch nicht aus der SPD ausgetreten, weil ich mit der Partei nicht zufrieden gewesen wäre, sondern aus persönlichen Gründen.
Wenn du deswegen auch nicht austrittst: Aus welchen Gründen bist du mit den Bundesgrünen nicht zufrieden?
Die Basisarbeit, die ja als so wichtig angesehen wurde – und eigentlich noch ist –, spielt fast keine Rolle mehr. Der Bundes- und Landesvorstand, die Abgeordneten sind so abgehoben, so fern aller Realität. Der letzte Parteitag, an dem ich teilgenommen habe in Bremen, war für mich so ernüchternd, und ich werde ihn auch so schnell nicht vergessen. Bodyguards, eine Schleuse mit dicken Tauen. Du wurdest abgetastet – ich weiß, aus Sicherheitsgründen – aber damit ist die Distanz zum Präsidium immens groß. Überhaupt nicht abgehoben sind für mich Trittin und Künast. Von den grünen Ministern sind diese beiden meine Favoriten. Ich denke, auch die Visa-Geschichte geht so nicht in Ordnung, und ich bin nicht einverstanden mit Hartz IV, wo die Grünen mitgemacht haben.
Was kritisierst du an Hartz IV?
Ja, dass Leute, die lange gearbeitet haben, nur so kurz Arbeitslosengeld bekommen sollen – ich habe nie verstanden, dass die Grünen so etwas unterstützen können. Jetzt ändern sie das ja peu à peu wieder – aber warum nicht gleich? Bei solchen Entscheidungen sollte es Gremien geben, die mit der Sache vertraut und befasst sind, bevor die da oben ihre Beschlüsse fassen. So etwas gab es mal bei den Grünen, aber das gibt es gar nicht mehr. Die kommen mit fertigen Pamphleten, die so geschwollen formuliert sind, dass du das nicht verstehst – und dann werden die Sachen abgenickt, und so haben sie ihre Mehrheit.
Wie stehst du überhaupt zu Hartz IV?
Im Grundsatz ist das nicht das Verkehrteste. Aber das mit den 1 Euro-Jobs: Du willst mir doch nicht ernsthaft sagen, dass die Leute, die da in der Stadt das Papier aufpicken, dadurch größere Chancen haben, in den 1. Arbeitsmarkt zurückzukommen. So war das sicher auch nicht von Herrn Hartz gewollt!
Und was denkst du über die Höhe von Arbeitslosengeld II und die Höchstgrenzen bei den Kosten der Unterkunft?
Dazu kann ich nur sehr wenig sagen. Allerdings denke ich, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes II und die Kosten der Unterkunft nicht allzu wenig sind. Aus meinen Erfahrungen im VdSB kann ich Beispiele aufzählen, wo es mancher Rentnerin und manchem Rentner schlechter geht, und das nach vielen Arbeitsjahren. Dass diese Rentner nicht vermehrt auf die Straße gehen, wundert mich allerdings immer wieder.
Und was meintest du mit der Visa-Affäre? Was ist für dich da nicht in Ordnung?
Fischer und Vollmer waren dafür verantwortlich, und ich finde es nicht in Ordnung, wie sie sich mit diesen Fernsehauftritten von der Verantwortung rein waschen wollen.
Nach Wilhelmshaven zurück: Wie konnte es passieren, dass ihr hier von 60 Leuten auf nur noch vier bis sechs Aktive gesunken seid?
Viele sind weggezogen. Einige sind auch ausgetreten – aufgrund der Diskussion um den JadeWeserPort; junge Leute gehen weg zum Studium…
Das Büro habt ihr nicht mehr?
Nein, das war nicht mehr zu finanzieren, als wir nur noch zu zweit im Rat waren, das haben wir dann aufgegeben.
Was tut ihr, um neue Mitglieder zu werben?
Vergesst nicht: Ich bin allein! Und die Leute, mit denen ich zu tun habe, die sagen mir, dass sie sich für einzelne Punkte in Bürgerinitiativen organisieren würden, aber nicht in eine Partei wollen. Die haben ein Projekt, für das sie kämpfen, und dann ist das wieder erledigt.
Kommen wir mal auf die Situation am Geniusstrand zu sprechen…
Ich finde es schade. Ich hätte mir etwas mehr Energie von Seiten der Stadt gewünscht, da etwas zu machen. Herr Tjaden hat da ja einen Antrag gestellt. Ich bin davon ausgegangen, dass man z.B. bis Ende des Jahres – falls dann der Baubeginn für den JadeWeserPort ist – den Leuten noch Toiletten zur Verfügung stellt. Das Toilettengebäude steht da ja noch. Die sagen sich natürlich, wer soll das bezahlen? Aber ich bin überzeugt, dass die, die da noch baden gehen wollen, auch einen Euro bezahlen würden, um einen Toilettenmann oder eine Toilettenfrau zu ermöglichen. Etwas mehr Flexibilität wäre auch schon wünschenswert. Genauso ist es mit dem Weihnachtsmarkt. Auch da könnte sich einiges verändern. Es ist doch bedauerlich, wenn man schon zufrieden ist, wenn in einer Stadt wie Wilhelmshaven dann ein „kleiner, aber feiner“ Weihnachtsmarkt, wie es in der WZ zu lesen war, aufgebaut wird und es viele andere Möglichkeiten gäbe. Das ist keine Kostenfrage, sondern mangelndes Interesse oder einseitiges Interesse. Ich war letztes Jahr in der Adventszeit in Berlin.
Der Weihnachtsmarkt auf dem Gendarmenmarkt kostete einen Euro Eintritt. Bei Nachfrage, wofür der Eintritt verwendet würde, teilte man mir mit, dass hiervon das Rahmenprogramm bezahlt wird, wie z.B. die Tenöre der Berliner Musiker, ein Weihnachtmärchen, das auf einer kleinen Bühne aufgeführt wurde usw. Warum ist hier nicht so etwas möglich? Die Menschen würden das bezahlen, da bin ich mir sicher.
Ich würde mir den Weihnachtsmarkt auf dem Valoisplatz oder eben im Park – neben dem Cafe Köhler – wünschen. Alles nur eine Frage des Wollens oder des Willens.
Vielen Dank für das Gespräch.
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