Mehr Arbeit für weniger Leute
Mit der Einstellung des Hol- und Bringedienstes der Müllabfuhr wird eine Lawine losgetreten
(hw/noa) Gebührenerhöhungen, Schließung städtischer Einrichtungen, Streichung von kommunalen Dienstleistungen sind die Maßnahmen der Stadt Wilhelmshaven angesichts leerer Kassen. Zähneknirschend, aber doch mit Verständnis nehmen die BürgerInnen diese Einschränkungen zur Kenntnis. Wie sehen das die Beschäftigten der Stadt? Der Gegenwind sprach mit den ÖTV-Vorstandsmitgliedern Dieter Kanth und Bernd Kühler, die auch dem Personalrat der Stadt angehören.
Gegenwind: In der letzten Ratssitzung 1996 haben die Müllwerker mit Transparenten im Ratssaal demonstriert. “Roter Sumpf Teil III”, “Venske läßt grüßen”, “Verraten von den roten Piraten”, “Die Zukunft der SPD – arbeitslos”, das waren u.a. ihre Parolen. Was ist los?
Kanth: Die Abschaffung des Hol- und Bringedienstes ist der Einstieg in eine viel größere Geschichte. Es steht zu befürchten, daß die städtische Müllabfuhr insgesamt zur Disposition steht.
Gegenwind: Laut WZ wird durch die Streichung des Hol- und Bringedienstes in einigen Bezirken lediglich ein Beschäftigter arbeitslos…
Kühler: Vier Kollegen werden in andere Bereiche versetzt, und zwei gehen in den Ruhestand, so daß nur ein Kollege mit einer befristeten Stelle jetzt arbeitslos wird. Es werden also sieben Arbeitsplätze vernichtet!
Kanth: Und das ist ja erst der erste Schritt. Es steht schon jetzt fest, daß er auch in anderen Abfuhrbezirken aufgegeben werden soll – das ist jetzt erst mal ein “Modellversuch”.
Kühler: Der Arbeitskreis Abfallwirtschaft der ÖTV hat im August 96 die Parteien angeschrieben, dargestellt, was passiert, wenn der Hol- und Bringedienst gestrichen wird, und um Stellungnahme gebeten. Die SPD hat geantwortet, es handle sich nur um einen Prüfauftrag. Tatsächlich war es schon eine konkrete Planung. Die Müllwerker fühlen sich von der SPD verschaukelt, und sie wollen um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Vielleicht ist der Kampf erfolglos, aber sie wollen es der Stadt so schwer wir möglich machen, Arbeitsplätze zu vernichten. Es handelt sich in diesem Bereich um Leute, die größtenteils keinen Beruf erlernt haben und die danach keine Chancen mehr haben.
Gegenwind: In einigen Wahlprogrammen stand ja die Forderung nach der Abschaffung des Hol- und Bringedienstes – in dem der SPD nicht. Ist das denn jetzt eine Auflage der Bezirksregierung?
Kanth: Nein. Die Müllabfuhr rechnet sich doch, das ist doch kein Zuschußgeschäft! Es besteht gar keine Notwendigkeit, daß die Bezirksregierung da mitredet.
Gegenwind: Wo diese Leistung wegfällt, sollen ja auch die Gebühren sinken. Es gibt dadurch also gar keine Einsparung für die Stadt. Warum macht sie es dann überhaupt?
Kanth: Da gibt es zwei mögliche Erklärungen. Die eine Variante: Es gibt offen- sichtlich in den Parteien eine Lobby von Einfamilienhausbesitzern, die 30 DM im Jahr sparen wollen. Die andere Variante: Der sogenannte Modellversuch ist ein Einstieg in die Privatisierung der Müllabfuhr. Im Moment wird nur einer arbeitslos, und es sind sieben Arbeitsplätze weg. Wenn das ausgeweitet wird auf das gesamte Stadtgebiet, sind weitere acht bis zehn Arbeitsplätze weg – von einem Bestand von jetzt noch 45 Beschäftigten. In den Vierteln mit den Mehrfamilienhäusern wird es kaum möglich sein, daß die Bewohner die großen Müllcontainer an die Straße stellen. Die Wohnungsbaugesellschaft Jade schätzt das jedenfalls so ein. Die hat gegenüber der ÖTV erklärt, daß sie es nicht für machbar hält, daß die Mieter ihre Tonnen selber an die Straße bringen. Das wird dann der GMA übertragen, und dann ist der nächste Schritt, daß die auch die Container entleeren. Und dann ist der ganze Bereich weg. Wir schätzen den Modellversuch als einen Schritt zur Privatisierung der Müllabfuhr ein, wobei eine Salamitaktik angewendet wird.
Kühler: Und wenn man die alten mit den neuen Gebühren vergleicht – die WZ hat sie ja schon veröffentlicht – dann sucht man die Ersparnis für den Bürger vergebens. Ohne Hol- und Bringedienst müßte die Müllabfuhr ja billiger werden – wird sie aber nicht.
Gegenwind: Die Stadt ist ja aber nun mal fast zahlungsunfähig!
Kanth: Die Kollegen in der Stadtverwaltung haben eher den Verdacht, als handle es sich hier um eine Inszenierung. Jetzt auf einmal, nach der Kommunalwahl, lesen wir, daß Wilhelmshaven zahlungsunfähig sei. Niemand glaubt, daß das nicht schon vorher absehbar war. Die Stadt ist seit vielen Jahren verschuldet, aber nun hat man bis nach der Wahl gewartet, bevor man die Wähler mit der Streichung von Leistungen, der Schließung von Einrichtungen und der Erhöhung von Gebühren konfrontierte. Wenn der Oberbürgermeister den Müllwerkern nichts anderes sagen kann als “Denken Sie doch mal an die 7500 Wilhelmshavener, die schon arbeitslos sind”, dann ist das eine Bankrotterklärung der Personalpolitik!
Man muß sich einmal klarmachen, in welcher gesellschaftlichen Situation das passiert. Es gibt einen ungeheuren Reichtum – die Reichen wissen nicht, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen. Und da werden nun also ohne Not Arbeitsplätze vernichtet!
Gegenwind: Wie sieht es denn in den anderen Bereichen außer der Müllabfuhr aus?
Kanth: Der Stellenabbau hat vorrangig in den Arbeiter- und den unteren Angestelltenbereichen stattgefunden. In den oberen Bereichen hat es gar keine Stellenstreichungen gegeben.
Gegenwind: Ist nicht eine Dezernentenstelle gestrichen worden?
Kanth: Ja, das stimmt, und diese Dezernentenstelle wird dem Personalrat immer wieder als Beispiel vorgehalten. Und wenn wir sagen, daß die Schrumpfung des allgemeinen Sozialdienstes auf weniger als die Hälfte der Beschäftigten bei gleichzeitigem Aufgabenzuwachs unzumutbar ist, hören wir, wie sehr belastet die jetzt nur noch vier Dezernenten sind, die die Arbeit von fünf machen müssen und doch die ganze Verantwortung tragen. Wer aber die Dezember-Ratssitzung aufmerksam verfolgt hat, dem ist vielleicht aufgefallen, daß Herr Graul mit “Dr. Graul” angesprochen wurde. Wann der bei der ganzen Überlastung der Dezernenten die Zeit gefunden hat, seine Doktorarbeit zu schreiben, das wollen bestimmt die meisten Beschäftigten der Stadt sehr gerne wissen.
Gegenwind: Stimmt es, daß die Wohngeldstelle in Stoßzeiten – etwa am Saisonende, wenn Saisonarbeiter wieder wohngeldberechtigt werden – so überlastet ist, daß Anträge monatelang liegenbleiben?
Kanth: Ja, Anfang des Jahres sind etwa 1000 Anträge über Monate unbearbeitet geblieben. Dort sind auch zwei Stellen abgebaut worden. Das ist eine Tendenz, die man nicht nur in Wilhelmshaven, sondern auch beim Bund und den Ländern beobachten kann: Immer mehr Arbeit wird auf die Beschäftigten der unteren Einkommensklassen verteilt, während die Aufgaben zunehmen. Das führt zu einem Teufelskreis: Der Personalbestand des Sozialdienstes z.B. ist so stark geschrumpft, daß die Betreuung der Familien nicht mehr stattfinden kann. Die Familien werden mit ihren Problemen alleingelassen, und in vielen Fällen führt das dazu, daß die Kinder in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht werden müssen. Diese Unterbringungskosten hat aber auch wieder die Stadt zu tragen. Insgesamt ist es so, daß die Streichung von kommunalen Leistungen zu Lasten der sozial schwächeren Bevölkerungsschichten geht. Auch die Schließung des Freibades Nord trifft hauptsächlich Leute, die wenig Geld haben.
Kühler: Und was soll aus dem Freibad werden? Wenn es nicht gewartet wird, geht es kaputt – ein Jahr später übernimmt das auch kein privater Investor mehr.
Gegenwind: Gibt es denn außer der Müllabfuhr weitere Bereiche, die privatisiert werden können?
Kühler: Wir werden uns hüten, der Stadt per Gegenwind auch noch Tips zu geben.
Gegenwind: Und sind euch entsprechende Pläne der Verwaltung bekannt?
Kühler: Das wird die Verwaltung dem Personalrat nicht vorab verraten.
Kanth: Es ist eine Rosinenpickerei. Wo ein Privatunternehmer Profiterwartungen hat, ist Privatisierungsdruck. Die Müllabfuhr ist insofern ein Musterbereich. Und die Stadtverwaltung wird ein verbeamtetes Armenhaus. Personalkosten lassen sich besser in den Arbeiter- und Angestelltenbereichen einsparen. Durch die Schließung des Küstenmuseums werden zwei Stellen eingespart, aber die Miete muß dennoch weiterbezahlt werden.
Kühler: Die Kollegen sind enttäuscht, daß sie nicht einmal in den neu in den Rat gekommenen Arbeitern Fürsprecher haben. Und wenn eine DAG-Gewerkschaftssekretärin im Rat den Beschneidungen zustimmt, fühlen sie sich verraten.
Gegenwind: Eine Ratsfrau ist doch nicht in ihrer beruflichen Eigenschaft im Rat. Wenn sie auch eine Gewerkschaftssekretärin ist – als Ratsfrau ist sie Ratsfrau. Das sind doch zwei unterschiedliche Rollen.
Kühler: Das sind keine zwei Rollen, das sind zwei unterschiedliche Mäntel! Sie trägt bei den Müllwerkern einen Wintermantel und bei einem Festbankett einen Seidenschal! Ein Mensch kann doch nicht, nur weil er im Rat ist, seine inneren Überzeugungen leugnen!
Gegenwind: Es gab Gerüchte und Spekulationen, daß die Stadt nicht einmal mehr die Löhne und Gehälter bezahlen könne. Stimmt das?
Kanth: Die Dezembergehälter sind pünktlich überwiesen worden. Daß die Stadt keine Löhne und Gehälter zahlen kann, das wird es nicht geben. Wir sind hier doch nicht in Rußland! Trotzdem ist vor etwa anderthalb Jahren schon einmal mit den Gehältern spekuliert worden – bei verzögerter Auszahlung könnte die Stadt Zinsgewinne machen. Wenn das tatsächlich mal passieren würde, gäbe es eine Prozeßflut; das würde zu teuer. Als im Dezember in der Stadt die Parole umging, es sei nicht sicher, ob die Gehälter am 15. kommen, war für viele klar, daß sie dann klagen und auch die Verzugszinsen erstreiten würden.
Kühler: Verzögerte Auszahlung – das wäre ein gefährliches Spiel mit Menschen. Gerade in den unteren Bereichen leben viele mit einem dauernden Überziehungskredit. Und wenn eine alleinerziehende Mutter, die als Raumpflegerin bei der Stadt arbeitet, am 10. eines Monats nicht weiß, ob sie am 15. noch etwas zu beißen hat, das ist doch unmenschlich!
Gegenwind: Wir danken euch für das Gespräch.
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