Gegenwind-Gespräch: Hartmut Tammen-Henke
Nov 292001
 

Effekte und Konzepte

Die Gewerkschaften wollen den JadeWeserPort

(hk) Eine Überraschung war es nicht, als sich die großen Wilhelmshavener Gewerkschaften vor zwei Jahren für den Bau des JadeWeserPorts aussprachen. Am diesjährigen 2. November legten die Gewerkschaften noch mal nach: Sie fordern mehr Tempo bei der Realisierung des Projektes und wollen ihren Teil dazu beitragen, dass der JadeWeserPort eine Erfolgsgeschichte wird. In einem Gespräch mit dem 1. Bevollmächtigten der IG Metall, Hartmut Tammen-Henke, versuchen wir zu klären, mit welchen Vorstellungen die Gewerkschaften an die Sache herangehen.

Gegenwind: Die Gewerkschaften als Vorreiter in Sachen JadeWeserPort?
Hartmut Tammen-Henke: Mit unserer Veranstaltung vor zwei Jahren haben wir deutlich gemacht, dass es bei solchen Projekten wichtig ist, von vorneherein die Interessen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Jetzt, nachdem die Entscheidung für Wilhelmshaven gefallen ist, ist der richtige Zeitpunkt, um an inhaltlichen Punkten weiter zu arbeiten, insbesondere an der Frage der Beschäftigungseffekte. Wir wollten mit unserer Veranstaltung auf diesen Punkt konkreter hinweisen, deutlich sagen, was getan werden muss, um möglichst viel Beschäftigung durch den Hafen in die Region zu bekommen.

In eurem Infoblatt zur Veranstaltung heißt es, dass ihr „transparente Beteiligungs- und Entscheidungsstrukturen“ fordert. Wie passt das damit zusammen, dass ihr, wie die Wilhelmshavener Zeitung berichtete, jetzt mehr Tempo fordert?
Der Verlauf der Konferenz und die Berichterstattung in den Medien hat den Eindruck hinterlassen, als wenn wir diejenigen wären, die jetzt auf die Zeitschiene drücken. Es war nicht unsere Intention, das in den Vordergrund zu stellen, aber im Laufe der Versammlung hat dieser Punkt große Bedeutung gewonnen. Wir wollen natürlich eine breite Beteiligung und Diskussion – nur so ist größtmögliche Akzeptanz herzustellen.

Welche Chancen sehen denn die Gewerkschaften durch den JadeWeserPort?
Bei der Diskussion darf es nicht nur um Umschlagszahlen gehen. Das ganze Drum und Dran muss berücksichtigt werden. Wir fordern in diesem Zusammenhang ein Ansiedlungskonzept. Es geht uns darum, die so genannten indirekten Effekte dieses Hafens herauszuarbeiten. Wir sind der Auffassung, dass dafür hier zu wenig getan wird.

Was meint ihr konkret mit indirekten Effekten? Glaubt ihr, dass sich durch den Bau des Hafens hier neue Industrie ansiedeln wird? Was soll da passieren? Sollen die Container hier ausgeladen werden und deren Inhalt hier zusammengeschraubt werden?
Es gibt ja Untersuchungen über die möglichen Arbeitsplatzeffekte. In dem BAW-Gutachten [Wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven des Jade-Weser-Raums unter besonderer Berücksichtigung des geplanten Jade-Weser-Ports, Regionalwirtschaftliche Auswirkungen und Handlungsnotwendigkeiten für die Stadt Wilhelmshaven und die Landkreise Friesland. Wesermarsch und Wittmund im Auftrag der kreisfreien Stadt Wilhelmshaven und der Landkreise Friesland, Wesermarsch und Wittmund sowie des Landes Bremen.] ist von 900 bis 1.100 direkt im Hafenbetrieb benötigten Arbeitskräften die Rede…

…in der letzten Ausbaustufe.
…in der letzten Ausbaustufe. Die indirekten Effekte werden da mit 1.600 bis 2.000 angesetzt, und dann gibt es darüber hinausgehende Effekte im verarbeitenden Gewerbe, die noch mal auf 2.000 geschätzt werden. Das heißt, es geht um einen Korridor von möglicher Beschäftigung von 2.800 bis knapp 5.000. Die direkten Effekte sind ja relativ klar und deutlich, das ist das, was im Bereich des Hafenbetriebes, der Wartungsarbeiten, der Kontrollaufgaben und der dazu gehörenden Verwaltung anfällt.

Und da hier ja ein hochmoderner, perfekt durchrationalisierter Hafen entstehen soll, sind hier die Beschäftigungseffekte doch eher gering einzuschätzen.
Die Schätzung liegt bei ungefähr 1.000 Arbeitsplätzen. Diese Zahl ist relativ unumstritten – das sind Erfahrungswerte, die man von anderen Standorten kennt.

Die Bürgerinitiative spricht von unter hundert direkten Arbeitsplätzen.
Ich weiß nicht, wo die BI diese Zahlen her hat, auf welche Erfahrungen und Erkenntnisse sie sich da stützt. Aber uns geht es um die indirekten Effekte. Da geht es um Büros von Feeder-Reedereien, um die Ver- und Entsorgung der Schiffe, Schiffsausrüstung, Container-Depots, Reparaturbetriebe, EDV-Dienstleistungen, Hotelübernachtungsmöglichkeiten für Seeleute, Zollaktivitäten, Personentransport auf dem Terminal, in die Stadt und die Region und umgekehrt uns so weiter. Durch diese indirekten Effekte können hier ca. 2.000 Arbeitsplätze entstehen.
Der dritte Bereich umfasst die Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe. Das Prognos-Instituts aus Basel hat versucht, die möglichen Potenziale in den einzelnen Bereichen des verarbeitenden Gewerbes aufzulisten, und hat eine Bedarfsanalyse bis 2020 gemacht. Da werden für die chemische Industrie, für den Maschinenbau, für die Elektro- und Elektronik-Industrie, Datenverarbeitung, Medizin, Mess- und Regeltechnik, optische Industrie aber auch z.B. im Kfz-Bau Wachstumsmöglichkeiten gesehen. Prognos setzt für Wilhelmshaven vorsichtig die Zahl von 2.000 neuen Arbeitsplätzen an. Das ist der Hintergrund für unsere Forderung nach einem Ansiedlungskonzept.
Nach unserer Auffassung dürfen sich die Aktivitäten für diesen Hafenbau nicht darin erschöpfen, dass man die Kaianlage baut und das Gelände zementiert, damit dort die Krane aufgebaut werden können – was hinter dem Deich ist, muss in den Vordergrund der Aktivitäten rücken. Man muss Überlegungen anstellen, wie sich dort Betriebe ansiedeln können.

Wer könnte denn Interesse haben, z.B. eine Elektronikfirma anzusiedeln, um in 6 oder gar erst in 9 Jahren die ersten Teile aus dem Container zu holen?
Interessen können natürlich in erster Linie nur die haben, die damit auch Geld verdienen können. Und der Kapitalismus ist ja nicht unbedingt eine langfristig denkende Veranstaltung, sondern eher eine, die kurzfristig auf Profite erpicht ist. Wenn man über Wirtschafts- und Strukturpolitik redet, dann muss man auch denjenigen, die meinen, das sie hier Geld verdienen können, mittel- und langfristige Perspektiven aufzeigen und die Interessenten dazu bringen, dass sie sagen: Das ist ein guter Standort – da gehe ich hin.

Der JadeWeserPort soll ja weitestgehend privat finanziert werden. Meinst du, dass die Politik dann noch Einfluss darauf hat, was in diesem Hafen und drum herum geschieht? Ist es nicht so, dass z.B. Eurogate sagt, diesen Hafen können wir gut gebrauchen als Ergänzung oder gar als Ersatz für andere Häfen – andere Interessen haben die doch nicht.
Natürlich ist diese Gefahr groß. Auf unserer Konferenz hat Jan Kahmann, der Kollege, der in der Gewerkschaft ver.di für den Hafenbereich zuständig ist, auf genau diese Gefahr hingewiesen und uns dringend empfohlen, auf die Frage der Betreiber Einfluss zu nehmen. Die JWP-Entwicklungsgesellschaft, die ja in diesem Zusammenhang die wesentlichen Vorarbeiten macht, besteht bis jetzt nur aus Vertretern der Länder Niedersachsen und Bremen und der Stadt Wilhelmshaven, ist also von der Politik besetzt. Hier werden Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gesamtstruktur dieses Hafens getroffen, so dass man jetzt durchaus auch noch Einfluss nehmen kann. Das muss genutzt werden.

Kann man auch vorher schon eingreifen, dass sich der JWP nicht zu einem großen Konkurrenzunternehmen für die anderen Containerhäfen in Deutschland entwickelt?
Das ist eine zweite ganz wichtige Aufgabe, und ich glaube, da ist die Gewerkschaftspolitik noch mehr gefordert. Ich denke zum Beispiel an die Bedingungen für die Menschen, die dort arbeiten. Es ist ja der Gewerkschaft ver.di gelungen, dass in den einzelnen heute vorhandenen Hafenstandorten Bremen, Bremerhaven, Hamburg usw. von den tariflichen Strukturen her gleiche Bedingungen herrschen – also der Flächentarifvertrag dort Anwendung findet. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, dass wir hier schon im Vorfeld dafür sorgen, dass es hier nicht anders wird.

Durch gleiche Arbeits- und Lohnbedingungen wird die Konkurrenz verhindert?
Das ist einer der wichtigsten Punkte. Hier darf kein Niedriglohnsektor entstehen. Wir wollen wir von Anfang an gleiche tarifliche Strukturen herstellen. Sonst könnte es passieren, dass die anderen Häfen hinten runter fallen.

Mit eurem Ansiedlungskonzept gebt ihr der bisher doch recht nebulösen Diskussion um die vielen Tausend Arbeitsplätze konkretere Konturen. Was genau soll dieses Konzept beinhalten?
Bei dem Ansiedlungskonzept geht es darum, so viel wie möglich von den möglichen indirekten Beschäftigungseffekten auch zu erzielen. Der direkte Effekt dieses Hafens, also die Beschäftigung direkt am Terminal, liegt bei ungefähr 1.000, aber die Untersuchungen sagen, dass mit dem Hafen fast 5.000 Arbeitsplätze verbunden sein können. Und diese Differenz von 4.000 Arbeitsplätzen ist eine ungesicherte Zahl. Wir wollen diese ungesicherte Zahl so sicher wie möglich machen. Dazu muss die Industrie, müssen die Dienstleistungsunternehmen und das Handwerk in dieser Region sich hinsetzen und ein Ansiedlungskonzept entwickeln, das alles das umfasst, was sich um diesen Hafen rankt. Es darf nicht sein, dass der Container hier ankommt und wieder verladen und abgeschickt wird. Es kommt darauf an, auch zu gucken, was da drin ist und Überlegungen anzustellen, was könnten wir mit dem, was da drin ist, vor Ort machen – wie kann man das weiter verarbeiten? Da ist ja vieles denkbar.

Aber das sind doch Lieferungen an Kunden.
Und diesen Kunden kann man anbieten, dass hier in Wilhelmshaven schon eine erste Weiterverarbeitung stattfinden kann, die kostensparend ist. Dafür müssen natürlich die Kapazitäten da sein. Welche Formen von Energie, welche Produktionsanlagen benötigen wir – das muss ergründet und analysiert werden. Und da stellt sich natürlich auch die Frage der Anbindung von bestimmten Dienstleistungsfunktionen, die sogenannten Hafen- oder unternehmensbezogenen Dienstleitungen, bei denen Wilhelmshaven ein Riesendefizit hat. Versicherungen, Banken die notwendigen Beratungsunternehmen – diese Formen müssen entwickelt werden. Das meinen wir mit Ansiedlungskonzept.

Also schauen, was ist, um ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen?
Nicht nur das – sondern auch Bedarf wecken – bestimmte Verfahren und Leistungen anbieten. Sich einen Kopf darüber machen, was ist hier möglich. Das gilt gerade für die Bereiche, die in der Prognos-Untersuchung als prosperierend dargestellt wurden, ich habe sie eingangs erwähnt, da gilt es aktiv zu werden. Also nicht nur gucken was da ist, sondern auch, was gebraucht wird, was möglich ist.

Setzte der Siegeszug der Container nicht deswegen ein, weil dadurch auf relativ bequeme Art und Weise auch entfernt von den Häfen produziert werden konnte?
Es gibt da keine Automatik. Man kann nicht sagen, dass ein Containerhafen auch Standort des weiterverarbeitenden Gewerbes sein muss, es gibt aber auch keinen Grund, dass er es nicht ist.

Schlägt dann nicht wieder die Marktferne Wilhelmshavens negativ zu Buche? Darum gibt es doch diese Containerentwicklung, um die Produktion in Marktnähe durchführen zu können.
Die Frage ist ja, welcher Markt gemeint ist – da kann man nicht ins Blaue hinein planen. Da muss man schon schauen, welche Bereiche von hier abgedeckt werden können. Es gibt natürlich viele Wenn und Aber – doch so etwas muss in diesem Ansiedlungskonzept Berücksichtigung finden – das muss konzeptionell schlüssig sein. Darum sagen wir ja auch, dass man diese Entwicklung nicht sich selbst überlassen darf. Wir müssen die Strukturen dieser Region entwickeln, und wenn dieser Hafen die Möglichkeit dazu bietet, dann müssen wir daran arbeiten.

Ist das denn eigentlich noch Gewerkschaftsarbeit?
In den letzten Jahren waren wir gezwungen, uns hauptsächlich mit Abwehrkämpfen gegen Arbeitsplatzabbau zu beschäftigen. Dabei wurden die gewerkschaftlichen Vorstellungen zur Strukturpolitik vernachlässigt. Und da müssen wir aktiv werden, wenn hier in unserer Region die Entwicklung wieder aufwärts gehen soll.

Wer soll denn ein solches Ansiedlungskonzept erarbeiten?
In erster Linie ist da natürlich die Wirtschaftsförderung in der Pflicht, wir meinen aber, dass man ein solches Konzept unter Beteiligung der wesentlichen Gruppen, wie den Gewerkschaften, erarbeitet werden muss. Um das deutlich zu machen und unseren Anspruch und unser Interesse deutlich zu machen, haben wir diese Konferenz durchgeführt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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