Gegenwind-Gespräch: Gerhard Hess
Jan 282004
 

Langstreckenlauf

Gerhard Hess bleibt bis 2011 Intendant der Landesbühne

(lb/red) Intendant Gerhard Hess, seit 1998 Intendant der Landesbühne Niedersachsen Nord, hat seinen Vertrag bis 2011 verlängert. Aufsichtsrat und Zweckverband haben ihn im Dezember 2003 einstimmig wiedergewählt. Begründet wurde die Wiederwahl mit dem erfolgreichen künstlerischen Profil der Landesbühne. Die Landesbühne führte ein Interview mit dem Intendanten, das wir nachfolgend leicht gekürzt abdrucken.

Gegenwind: Herr Hess, Sie sind seit 1998 an der Landesbühne hier in Wilhelmshaven. Mit was für Vorstellungen und Wünschen kommt man eigentlich aufs flache Land?
Gerhard Hess: Ich bin hergekommen, um ein Theater zu machen, das nicht nur eine Grundversorgung leistet, sondern Theater, das sich nicht aus der inhaltlichen und ästhetischen Diskussion der deutschen Theaterszene ausklammert. Bei den heutigen Kommunikations- und Verkehrsmöglichkeiten sind die Menschen hier genauso gut informiert wie in der Großstadt. Das war mein Ausgangspunkt.

Und wie hat sich das Theater bisher entwickelt?
Meiner Meinung nach hat es sich gut entwickelt! Das zeigt sich in der großen Resonanz, die wir auch überregional haben. Die Besucherzahlen sind sehr gut. Mit der letzten Spielzeit haben wir das zweitbeste Ergebnis der letzten zwölf Spielzeiten erreicht. Wilhelmshaven ist eine sehr ehrliche und bodenständige Stadt, nur wünsche ich mir manchmal ein wenig mehr Stolz auf unser Theater.
Hier kann man was machen! Ich war mir anfangs nicht ganz sicher, aber man kriegt auch richtig gute Leute hierher, die ein Stück des Weges mit einem mitgehen. Ein Kollege hat mal sehr schön gesagt: Als Intendant müssen Sie nur die Ideen haben und dann müssen Sie die guten Leute finden, die sie umsetzen.

Sie haben an großen Theatern gearbeitet, z.B. an der Oper in Dortmund. Was ist für Sie der Unterschied zu diesem Theater mittlerer Größe?
Keine Reibungsverluste und ganz kurze Wege. Das ist sehr angenehm. An jedem Staatstheater haben Sie viele Umwege und die Dinge versickern. Hier ist alles extrem eng organisiert, schon aus wirtschaftlichen Gründen, dadurch bin ich näher an Ensemble und Leitungsteam – also viel näher dran an der Kunst. Außerdem ist es sehr schön zu sehen, wie sich unser Theater im Spielgebiet entwickelt. Die Leute in der Region mögen uns und freuen sich, wenn die Landesbühne „vor Ort“ ist.

Und was ist für Sie persönlich das Besondere hier, in Wilhelmshaven, hier an dieser Landesbühne?
Sie ist klein genug und groß genug, dass man wirklich gutes Theater machen kann. Ein Schauspiel hat die optimale Größe, wenn das Theater auch ein Zuhause ist, dann funktioniert‘s. Sonst sind es nur viele Leute, die am gleichen Haus engagiert sind.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie als Intendant hier näher an der Kunst sind. Sie sind ja auch Regisseur…
Ich bin mit Leib und Seele Regisseur, allerdings mache ich nur eine Inszenierung pro Spielzeit. Ich tue es immer sehr gerne, es ist nur eine Doppelbelastung, und andere Aufgaben dürfen nicht zu kurz kommen. Das kann man ein Mal im Jahr machen, aber ich kann nicht als regieführender Intendant meinen Schreibtisch hier verwaisen lassen. Inszenieren können schließlich auch andere, und die machen ihre Sache gut, wie man an unserem Haus sieht.

Sie sind durch Ihre Arbeit im DEUTSCHEN BÜHNENVEREIN aktiv an der Debatte um die Strukturen und um die Zukunft des Theaters beteiligt. Was bedeutet diese Arbeit für Sie?
Ich bin in den Gremien, die sich mit der Programmatik der Theater beschäftigen, und im Tarifausschuss. Ich finde es wichtig, sich da zu engagieren, die Gemeinsamkeiten zu suchen. Abgesehen davon ist es für mich auch einfach interessant, zu sehen, wie andere denken.

Wir haben im Moment eine sehr schwierige Situation für die Theater in Deutschland. Wie sehen Sie die Gesamtstrukturen, wohin entwickelt sich das Theater?
An vielen Orten entwickeln sich Kooperationen von Städten, die sich kein eigenes Theater leisten können. Von daher ist unser Modell hier vor fünfzig Jahren schon zukunftsweisend gewesen. Wir sind im Moment in einer entsetzlichen Krise, einer Krise nicht des Theaters, sondern einer Finanzkrise der kommunalen Haushalte.

Es entsteht oft der Eindruck, es gäbe nur zwei Lager: die Intendanten und die Kunst und die öffentlichen Haushalte und ihre Finanzierung…
Das ist das Problem, wenn es zwei Lager werden. So wie in Berlin, wo sich der Finanzsenator gegen die Theater und Opernhäuser stellt. Herr Sarrazin hat uns Intendanten neulich als „Schweine, die zum Trog drängen“ bezeichnet. Das ist natürlich keine Umgangsweise in einem Gemeinwesen.
Theater ist eine Investition in unser kulturelles Leben, die nicht immer nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen werden sollte. Wirtschaftlich ist aber interessant, dass ungefähr das 1,3fache der Theatersubventionen zurück in den Wirtschaftskreislauf einer Stadt fließen.

So wird aber nur selten gerechnet. Meist wird ja das wirtschaftliche Rechnen gegen die künstlerische Programmatik in Stellung gebracht.
Eine Programmatik muss da sein, das ist schon richtig. Man muss etwas zu sagen haben. Anderseits untersuchen gerade jetzt Betriebswirtschaftler das Thalia Theater in Hamburg, um zu sehen, wie man einen Betrieb effizient leitet. Man sollte nicht denken, dass Theater schlecht wirtschaften. Im Gegenteil, hier werden mit sehr viel Kreativität Dinge möglich gemacht, die anderswo schon lange nicht mehr möglich sind. Wenn jedes Rathaus so organisiert wäre, dann wäre auch die Finanzkrise kleiner.

„Theater ist eine Investition in unser kulturelles Leben, die nicht immer nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen werden sollte.“

Haben Sie eine Utopie? Wie würde eine Welt aussehen, in der Theater gesellschaftlich anerkannt und etabliert ist?
Das ist für mich keine Utopie, das sollte die Normalität sein. Eine Stadt muss wissen, was sie an ihrem Theater hat. Und das Theater muss seine Qualität immer wieder unter Beweis stellen. Bei uns ist das Theater gewollt, und mein Aufsichtsrat hält mir den Rücken frei.

Wir haben jetzt viel über die wirtschaftlichen Bedingungen gesprochen. Wie sehen Sie die künstlerische Entwicklung des Theaters?
Wissen Sie, ich glaube nicht, dass man wie an der Börse auf Trends setzen sollte. Theater ist eine sehr subjektive Sache. Darum ist es auch wichtig, dass es einen Intendanten gibt, der sein Theater macht und nicht auf Trends setzt.

Gibt es denn so etwas wie Trends?
Ja, natürlich, die Dekonstruktivisten haben gerade den Zenit überschritten, also verkaufen (lacht). Aber im Ernst: René Pollesch finde ich einen ganz tollen Ausdruck unserer Zeit. Auch Frank Castorf ist jemand, der eine irrsinnig tolle Phantasie hat. Aber die Castorf-Epigonen, die ich leider häufig sehen muss, die sind gräßlich. Wenn Leute versuchen, etwas nachzumachen und nicht dieselbe Qualität an Einfällen haben, dann wird’s furchtbar. Ich möchte von einem Regisseur eine eigene Handschrift sehen. Mir geht es um Inhalte, um Sinnfragen, um eine eigene Sicht der Welt.

Wie bringt man denn Inhalte überhaupt unter die Leute? Wie macht man das?
Wenn Sie mit jemandem reden, versuchen Sie sich so zu formulieren, das der andere Sie versteht. Und je länger Sie dranbleiben – Theater ist ein Langstreckenlauf – desto besser kommen Sie mit ihm ins Gespräch.

Ja, aber es muss aber schon so etwas geben wie eine Strategie? Man will ja Publikum haben…
Natürlich, Theater ohne Publikum funktioniert nicht. Was wir machen, ist eine Mischkalkulation: Wir spielen Klassiker, Uraufführungen und Unterhaltung. Theater gehört in den Kopf und in den Bauch und es wird dem Einen mal etwas besser und dem Anderen etwas schlechter gefallen. Ich glaube, Theater muss sich beweisen, auch in dem Erlebniswert, den es hat.
Wenn wir aber über die Unterschiede reden zwischen ‘98 und heute: Damals war meine Strategie, „Wir machen einfach nur wirklich gutes Theater, und das spricht sich dann von alleine rum“. Heute weiß ich, dass das nicht alles ist. Früher zum Beispiel hat die Dramaturgie einen Artikel geschrieben, der kam in die Zeitung, und die Leute kamen einfach. Heute braucht es zusätzliche Anstrengungen in Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Hier an der Landesbühne habe ich vor zwei Jahren extra eine Stelle für Marketing geschaffen. Die zielgruppengerechte Vermarktung unseres Spielplans und unser regionalen und überegionalen Wirkung ist mir sehr wichtig. Außerdem multiplizieren wir Vermarktungsideen aus dem Spielgebiet, d.h. wir tragen sie weiter und helfen uns so gegenseitig, mit Erfolg, wie auch die Besucherzahlen im Spielgebiet zeigen. So treten wir im Gegensatz zu früher ganz anders an den Zuschauer heran.

Sie sind jetzt einstimmig bis 2011 wiedergewählt worden. Das heißt, dass aus dem Langstreckenlauf …
… ein Marathonlauf wird. (lacht)

Wie fühlen Sie sich damit?
Ich habe mich sehr darüber gefreut. Und ich muss sagen, ich fühle mich auch geehrt. Es freut mich vor allem – das wurde ausdrücklich gesagt – dass mit meiner Wiederwahl auch die künstlerische Linie der Landesbühne bestätigt wurde.
Wenn man sich umschaut und sieht, wie schwierig oder verfahren die Situation in anderen Städten ist, wo die Politik nicht hinter dem Theater steht, dann weiß man das hier besonders zu schätzen. Aufsichtsrat, Aufsichtsratsvorsitzender und auch die Bezirksregierung stehen hinter dem Theater. Und das ist heute leider nicht mehr selbstverständlich.

Bleibt jetzt nur noch die Frage nach Ihrem Fazit. Was sehen Sie verwirklicht und wo sehen Sie noch Potential?
Verwirklicht ist sehr viel, und das Potential besteht natürlich darin, dass man immer noch besser werden kann.

Können Sie ein paar Dinge konkret machen?
Das Autorentheater hat sich verwirklicht. Wir haben mit Katharina Gericke eine der bekanntesten jungen Autorinnen als Hausautorin. Es hat sich verwirklicht, dass man alte Stücke neu entdecken kann, wie jetzt gerade mit unserem Zyklus KLASSIKER DER MODERNE. Und – wie gesagt – dass ich hier wirklich in jedem Bereich gute Leute zusammenführen konnte.

Und wo sehen Sie die Zukunft?
Ich wünsche mir, mehr Projekte machen zu können. Dinge, die am Rand der üblichen Stücke sind. Und ich wünsche mir auch etwas mehr Zeit für alle Mitarbeiter des Hauses. Unser Zeitkorsett ist sehr sehr eng…

Was bedeutet Ihnen Theater?
Theater ist für mich eine kondensierte, intensivierte Form von Leben.

Herr Hess, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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