Gegenwind-Gespräch: Frank Morgenstern
Jun 022005
 

Radikal Ja und Nein

(hk) Für einige Aufregung sorgte der Offene Brief des Oldenburger Journalisten Klaus Dede an Pastor Morgenstern, in dem er diesem vorwarf, sich nicht ehrlich mit dem Ehrenmal für die gefallenen Seeleute der Weltkriege auseinanderzusetzen und mit dem Festhalten an dem Denkmal die Lüge, dass die Soldaten für ihr Vaterland starben, zu vertreten.

Gegenwind: Herr Morgenstern, wir hatten im letzten Gegenwind einen Offenen Brief von Herrn Klaus Dede veröffentlicht, über den Sie sich doch ein wenig echauffiert haben. Das, was der Herr Dede da veröffentlicht hat, entspräche nicht dem, was sie in Wilhelmshaven darstellen, was Ihre Arbeit in Wilhelmshaven ausmacht. Können Sie darstellen, welche Punkt Ihnen da aufstoßen?
Pastor Morgenstern: Es geht mir gar nicht darum, dass mich jemand angreift – Angriffe gehören dazu, wenn man im öffentlichen Leben steht. Mein Interesse war, dass wir vorher miteinander hätten sprechen sollen. Dann hätte ich vielleicht gleich etwas dazu sagen können.

Das ist nicht unbedingt üblich
Grundsätzlich geht es mir darum, dass ich in dem Artikel in eine Ecke gestellt werde, in die ich eigentlich nicht gehöre. Ich arbeite hier seit elf Jahren, und seit elf Jahren setze ich mich mit dieser Kirche auseinander. Es ist meine Kirche. In der Kirche arbeite ich, zu der Kirche stehe ich auch. Trotzdem finde ich es sehr wichtig, mit der Geschichte konstruktiv umzugehen. Wir greifen die Geschichte dieser Kirche immer wieder an den unterschiedlichsten Punkten auf, versuchen, sie neu zu interpretieren und neu zu sehen. Dass das in dieser Kirche immer ein Problem ist, darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren – das ist auf jeden Fall klar. Das ist eine Kirche, die ein Gepräge hat, das in eine ganz bestimmte Zeit gehört. Und dass das in vielen Punkten aufstößt, ist auch klar. Wir haben an vielen Punkten immer wieder versucht, diese Geschichte neu zu betrachten. Wir benutzen die kniffligen Ecken dieser Kirche als Ausgangspunkt für neue Diskussionen. Ein Beispiel: Wir haben neun Tafeln da hängen, die von Schiffsunglücken erzählen, gleichzeitig aber auch von so genannten Expeditionen. Expeditionen, die teilweise nichts anderes waren als Völkermord.

…z.B. der Hereroaufstand…
Der Herero-Aufstand erzählt von einem gnadenlosen Völkermord. 60.000 Hereros und Namas sind da umgekommen. Wir nehmen diese Tafel als Ausgangspunkt für eine Aktion im Herbst. Wir wollen diese Tafel bearbeiten, wir wollen diese Tafel in den Vordergrund stellen und sagen, da wird erzählt, verherrlicht von den Deutschen, die umkamen, die ja minimal sind im Vergleich zu der großen Zahl der Hereros, die umgekommen sind. Wir haben eine Diskussion gehabt, diese Tafel komplett für eine längere Zeit zu bearbeiten, für eine längere Zeit auch so stehen zu lassen, also eine Vordertafel vor dieser Tafel anzubringen – was da jetzt genau passiert, ist noch nicht ganz klar; wir werden sie auf jeden Fall deutlich sichtbar bearbeiten.

HereroFür eine gewisse Zeit – und danach hängt sie wieder unkommentiert an der Wand?
Genau. Dazu gehört aber, dass bei uns eine Kirchensanierung ansteht. Ihr Kritikpunkt ist ja, dass Leute in diese Kirche kommen und plötzlich mit all diesen Problemfeldern konfrontiert werden. Unser Interesse ist es, bei einer Kirchensanierung den hinteren Bereich unter den Emporen zu einem Aufenthaltsort zu machen und von diesem Ort aus die Kirche zu erklären. Nach dem Motto: Gehen Sie nach vorne links – da entdecken sie das Mahnmal, das früher mal das „Ehrenmal“ hieß, dieser Raum hat folgende Geschichte und wir stehen folgendermaßen dazu…. Dann textlich und mit Bildern etwas dazu machen. Unser Ziel ist, den Leuten, die in die Kirche kommen, etwas in die Hand zu geben – das, was ich bei jeder Kirchenführung mache. Jede Kirchenführung ist eine kirchengeschichtliche und staatspolitische Führung, weil ich da erzähle, was hier für Besonderheiten, für große Stärken in der Kirche sind, aber auch für große Schrecklichkeiten.
Ich sage, Mitte der 50er Jahre – Wiederaufrüstungszeit. Gleichzeitig wird dieses Mahnmal, dieses Ehrenmal eingeweiht, und wer kommt da? Raeder und Dönitz kommen da. Der große Eklat damals in Wilhelmshaven! Das scheint eine Soloaktion von Militärdekan Ronneberger gewesen zu sein, der sich wohl auch gegen die Kirchengemeinde durchgesetzt hat. Das ist mein Interesse, dass wir nicht sagen, das ist alles traumhaft und wir gehen da auf in dieser Verherrlichung, das ist überhaupt nicht unser Ziel. Unser Ziel ist, immer wieder kritisch damit umzugehen.

Ich will Ihnen ja glauben, dass Sie da kritisch mit umgehen. Aber das Ehrenmal oder – wie Sie sagen – Mahnmal ist ja da. Und die Leute, die in die Kirche gehen, die sagen ja nicht, dass sie erst einmal den Pastor fragen wollen. Diese Menschen werden damit konfrontiert – in einer Kirche! Sie lesen „Sie alle starben für ihr Vaterland“ und sehen dann die Überschrift für die Gefallenen des 2. Weltkrieges. Betrügen Sie sich nicht selbst, wenn Sie sagen: „Ich bin ja eigentlich gar nicht so dafür“ – doch die Kirchenbesucher, die sich die Kirche anschauen, sind damit allein gelassen.
Genau. Und deswegen muss dieser Hintergrund in der anstehenden Kirchensanierung klar und fest installiert erklärt werden und bis zu dieser Zeit, das ist mir nach dem Gegenwind-Artikel noch einmal deutlich geworden, muss den Leuten etwas in die Hand gegeben werden – etwas, was ständig ausliegt.

Wir können ja auch nicht abstreiten, dass es leider genügend Leute gibt, die das Ehrenmal in der Kirche gut finden.
Zu diesem Mahnmal habe ich zwei Positionen. Die eine Position ist ein radikales Nein und die andere Position ist ein radikales Ja. Ein radikales Nein in der Form, dass dieser Raum nicht zur Ehrung dient, nicht glorifizierend, emporhebend ist. Wir wissen, was Krieg bedeutet hat, wir wissen, was dieser Krieg für Elend gebracht hat. Gerade hier in Wilhelmshaven wissen wir es. In dem Buch am Mahnmal stehen 60.000 Namen gefallener Soldaten. Das ist meines Wissens ein Viertel der deutschen Toten auf See. Wenn ich das nun multipliziere mit Freunden, Freundinnen, Eheleuten, Kindern usw. – allein das Elend, das mir da entgegenspringt, ist schon unerträglich groß. In diesem Sinne ist es kein Ehrenmal für mich, aber es ist ein Mahnmal – das ist ganz wichtig.
Ich entdecke aber auch ein radikales Ja. Das radikale Ja ist, diese Kirche hat die Stärke, dass sie eine Grabstelle anbietet. Sie bietet für Menschen, die keinen Ort des Trauerns haben, einen Ort des Trauerns. Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen. Es gibt viele Leute, die hierher kommen und an ihre verstorbenen Leute denken. Es gibt ja nichts Schlimmeres, als einen Menschen zu verlieren und keinen Ort er Erinnerung zu haben.

Stellen Sie dieses Ehrenmal da nicht in eine Reihe mit zum Beispiel dem Holocaust-Mahnmal in Berlin?
Das verstehe ich nicht.

Mit dem Ehrenmal in ihrer Kirche wird doch einer ganz bestimmten Seite der Geschichte gedacht – Ihre Wortwahl macht aber keinen Unterschied zwischen Täter und Opfer.
Nein. Eine solche Parallele sehe ich nicht

Sie haben vorhin die Zahl 60.000 genannt und diese Zahl mit Freunden und Angehörigen hochgerechnet, um das Ausmaß des Elends begreifbarer zu machen. Wo bleiben denn die Menschen, die von den Soldaten getötet wurden oder an deren Tod die Wehrmacht schuldig ist?
Das ist die andere Seite. Aber wir müssen ja damit umgehen, was wir da haben. Ich muss es zumindest tun. Ich muss auch mit der Trauer von Menschen umgehen. Die Menschen, die heute kommen – die waren während des zweiten Weltkrieges Kinder oder Jugendliche. Ich habe einen Freund, der sagt, das ist der Ort, wo ich Kontakt mit meinem Vater habe – wo ich eine Erinnerungsstätte habe.

Wenn mein Vater im Krieg gestorben wäre – ich könnte nicht unter der Überschrift „Sie alle starben für ihr Vaterland“ meines Vaters gedenken. Es würde mir hochkommen. Wenn ich einen Ort des Gedenkens bräuchte, würde ich mit Sicherheit einen passenderen finden.
Es gibt ja auch Vorschläge für eine andere Überschrift. Es gibt z.B. den Vorschlag, die Überschrift so zu lassen und den Mittelteil wegzulassen „Sie alle starben: Ihr Vaterland“. Dann hat man es ganz deutlich: Das ist Fakt.

Ich kann es nicht akzeptieren, dass jemand sagt, das, was die faschistische Wehrmacht gemacht hat, hätte etwas mit Vaterland zu tun. Die Soldaten im 2. Weltkrieg starben nicht für ihr Vaterland. Sie starben, um die Vernichtung der Juden zu ermöglichen, sie starben für Reich und Führer, aber niemals für ihr Vaterland! Und deswegen passt die Überschrift mit dem Doppelpunkt genauso wenig wie die jetzige. Das wird nicht dem gerecht, was Deutschland durch den 2. Weltkrieg angerichtet hat.
Wir werden diese Kirche nicht umbauen zu einer zweiten Wehrmachtsausstellung. Das ist nicht das Thema bei uns. Bei uns ist Thema, dass wir mit der existierenden Geschichte umgehen, diese Geschichte benutzen, um immer wieder mit ihr zu arbeiten. Wie wir es am 8. Mai mit den Lesungen zum 60. Jahrestag gemacht haben. Das ist auch Aufgabe von Kirche, das in den Blick zu nehmen. Damit vergessen wir nicht die Judenvernichtung, damit vergessen wir nicht, was an Verbrechen sonst passiert ist.
Ihre Kritik bleibt bestehen – nach außen, für jemanden, der zum ersten Mal in diese Kirche kommt, ist unsere Position nicht immer klar zu sehen. Und die Kritik ziehe ich mir auch an. Deswegen werden wir nicht das Mahnmal rausreißen, weil wir sagen, das ist Teil unserer Geschichte.

Vielen Dank für das Gespräch. Und unser Vorschlag für das Ehrenmal: Spenden Sie es dem Marinemuseum – das wäre der richtige reaktionäre Ort dafür.

Mahnmal

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