Gegenwind-Gespräch: Drogen
Jun 071994
 

Legalize it?

Der Konsum von Haschisch und Marihuana wird straffrei

(ub) Das Urteil der Karlsruher Richter zur begrenzten Freigabe sogenannter weicher Drogen hat auch die Diskussion über die zukünftige Drogenpolitik insgesamt neu belebt. Der GEGENWIND sprach darüber mit Renè Grotzeck, Präventionsberater der Wilhelmshavener Drogenberatungsstelle, und mit Wolfgang Steen, dem Leiter des Café Regenbogen, einem Anlaufpunkt der hiesigen Drogenszene.

Gegenwind: Das Karlsruher Urteil könnte in seiner Konsequenz bedeuten, daß in Deutschland eine Liberalisierung ähnlich wie in Holland eintritt. Daß man z. B. hier analog zu den Coffeeshops in Holland öffentlich Haschisch kaufen und konsumieren darf, und daß der Anbau kleiner Mengen toleriert wird. Seht ihr in dieser möglichen Entwicklung eine Verbesserung der jetzigen Situation?
Grotzeck: Ich finde es schwierig, die Situation bei uns mit der in Holland zu vergleichen . Die Holländer sind uns, was die Drogenpolitik anbelangt, in einigem voraus. Die Liberalisierung der Drogenpolitik hat zumindest in Holland bewirkt, daß die Zahl der Kiffer gesunken ist. Aber was mich stört an der jetzigen Diskussion, ist, daß es eigentlich nicht um die Frage legal oder illegal geht. Das hat für die Drogenpolitik eigentlich kaum eine Bewandtnis. Ich halte das Strafrecht nicht für eine Hilfsmöglichkeit. Die Bestrafung ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Es kann nicht darum gehen, jemanden, der suchtkrank ist, zu versuchen mit Strafandrohung davon abzubringen . Das funktioniert nicht.

Gegenwind: Nun gibt es ja viele Haschischkonsumenten, die überhaupt nicht mit der Hartdrogenszene verstrickt sind. Wenn dieses Urteil der Karlsruher Richter nunmehr konsequent gehandhabt wird, bedeutet das doch erst einmal, daß der gewöhnliche Kiffer aus der Kriminalisierung herauskommt.
Grotzeck: Im Prinzip ist das sowieso schon so. Kiffer, die bisher Haschisch und Marihuana in kleinen Mengen benutzten, wurden auch vor dem Urteil kaum strafrechtlich verfolgt. Ich weiß aus gängiger Praxis, dass die Polizei in Wilhelmshaven wie überhaupt in Niedersachsen sich seit längerem im wesentlichen auf den Handel konzentriert. Es gibt eine große Zahl von Kiffern, die keine anderen Drogen nehmen. Wenn die Situation so bleibt, wie sie jetzt ist, heißt das, dass jemand mit einer geringen Menge Haschisch kein Thema ist für die Polizei. Aber jeder, der mit Drogen handelt, wird natürlich weiterhin belangt. Da ist das Urteil schwammig. Wie soll jemand konsumieren , wenn er nicht kaufen kann?

Gegenwind: Das Urteil sagt auch aus, daß man geringe Mengen einführen darf.
Steen: Ja, aber die Mengen, die derzeit verbraucht werden, werden ja nicht Stück für Stück eingeführt . Das ist illusionär zu glauben, daß jetzt jeder Kleinkonsument nach Holland fährt, um sich die erlaubte Menge zu kaufen . Es ist nicht wahrscheinlich, daß da jetzt ein Drogentourismus entsteht. Natürlich wird hier auch weiter gehandelt.

Gegenwind: Liest man die Veröffentlichungen zum Thema Haschischkonsum, so fällt auf, daß sich zwei gegensätzliche Aussagen gegenüberstehen. In der Fachzeitschrift „Sucht“ heißt es, Haschisch ist eine relativ sichere Droge mit geringem Gefährdungspotential. Der Hamburger Suchtberater Kai Wiese stellt im „Spiegel“ die These auf: „Wer über ein, zwei Jahre täglich einen Joint raucht, wird stumpf im Kopf‘. Wie sehen eure Erfahrungen aus?
Steen: Negative gesundheitliche Folgen von Haschischkonsum kann man nicht ausschließen.
Grotzeck: Haschisch ist ein Suchtmittel wie viele andere Dinge auch, und es geht darum, wie ich mit diesem Suchtmittel umgehe . Wenn ich gelegentlich kiffe, weil ich eine bestimmte Wirkung bei mir erzeugen möchte, ist Haschisch sicherlich eine ungefährliche Droge. Natürlich gibt es aber auch die Haschischpsychosen. Fälle, die uns immer wieder vorkommen, wo wirklich jemand über einen längeren Zeitraum relativ viel Haschisch konsumiert. Das bleibt dann nicht ohne Folgen.

Gegenwind: Alkohol, Nikotin und andere Stoffe sind sowohl Genuß- als auch Suchtmittel. Wenn es darum geht, daß Menschen lernen müssen, mit Drogen umzugehen, würde das dann in der Konsequenz bedeuten, alle Drogen zu legalisieren?
Grotzeck: Das Ziel kann nicht sein, daß wir alles freigeben, nur weil wir mit dem Problem nicht klarkommen und politisch an Grenzen stoßen. Es geht darum, dem Menschen zu vermitteln, mit den Stoffen umgehen zu können , die er schon haben kann. Wir haben ein riesiges Angebot von allen möglichen Dingen, mit denen wir uns dichtmachen können. Da kann man im Grunde die ganze Konsumpalette aufzählen. Wir müssen uns viel mehr Gedanken darüber machen, warum, aus welchen Gründen Menschen Drogen nehmen. Welche Funktionen übernehmen Drogen? Die Tendenz kann nicht dahin gehen, jetzt alles Mögliche freizugeben. Es muß darum gehen, Möglichkeiten zu schaffen, die eigenen Ressourcen von Drogenkonsumenten zu mobilisieren, um Drogen überflüssig zu machen. Für mich ist die Frage von Bedeutung, wie ich den Menschen in die Lage versetzen kann, sein Leben zu gestalten, ohne sich von irgendeiner Droge abhängig zu machen. Für jemanden, der krank ist und Suchtmittel , aus welchen Gründen auch immer, mißbraucht, ist Strafe natürlich keine Alternative. Die Freigabe von Drogen ist eine ganz andere Geschichte. Auf dem Hintergrund des Wissens, daß wir schon ein Riesenheer von Abhängigen haben, ist das Handeln nach dem Motto „Gebt der Masse, was sie braucht“ auch politisch sehr fragwürdig.

Gegenwind: Du plädierst also dafür, Drogenabhängige nicht zu bestrafen. Gleichzeitig hältst du eine völlige Drogenfreigabe nicht für sinnvoll. Wie kann das in der Praxis aussehen?
Grotzeck : So wie das auch jetzt schon praktiziert wird. Daß ein kleiner Konsument nicht mit Knast oder anderen drakonischen Strafen belegt wird. Also nicht kriminalisieren und gleichzeitig nach Alternativen suchen. Viele wollen ja aussteigen. Das gilt besonders auch für Kiffer. Nach den Untersuchungen, die ich kenne, nutzt ein Großteil der Kiffer die Droge lediglich phasenweise. Haschisch ist für viele in einer bestimmten Lebensphase interessant. Ein Großteil der Kiffer hat mit dem Konsum von Haschisch keine Probleme und springt nach einer Weile von selbst wieder ab. Was m.E. aber nicht zwangsläufig heißen muß, daß der Haschischkonsum freigegeben werden muß. Warum soll jemand ausgerechnet mit Haschisch zurechtkommen, wenn er mit vielen anderen alltäglichen Dingen nicht klarkommt? Die Coffeeshops in Holland sind ja auch keine tabufreien Zonen ohne Probleme. Im Umfeld dieser Cafés treffen sich die Dealer und die Hartdrogenkonsumenten. Die Zahl der Hartdrogenkonsumenten stagniert in Holland genauso wie in Deutschland. Das heißt, die Liberalisierung allein hat das Drogenproblem insgesamt nicht gelöst.

Gegenwind: Vielen Dank für das Gespräch.

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