Dazwischengefunkt
(iz) Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Auch die Deutsche Bahn nicht. Aber vermutlich kommt der Konzern nicht drumherum, die Sengwarder Marsch mit einem Bauwerk zu verschandeln, das seinesgleichen sucht. Der Hintergrund sind sehr spezielle Anforderungen der Marine zum Schutz ihrer Funkanlage auf dem Sengwarder Kasernengelände.
Seit Jahren arbeitet die Bahn am Ausbau und der Elektrifizierung der Strecke zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven. Zwischen Sengwarden und Fedderwarden liegt der letzte Abschnitt zur Anbindung bis zum JadeWeserPort. Doch kurz vorm Zieleinlauf kam Einspruch von unerwarteter Seite: Auf dem Kasernengelände Sengwarden befindet sich eine Marinefunk-Empfangsstation, deren Frequenzen durch die elektrische Oberleitung empfindlich gestört werden könnten.
Die Militärs verlangen einen Schutzabstand von rundum 1500 m. Schlägt man auf der Karte mit dem Zirkel einen entsprechenden Kreis um den Funkturm, so überdeckt der Radius das südlich verlaufende Gleis auf 2,3 km Länge. Diesen Gleisabschnitt gilt es zur Funkanlage hin abzuschirmen. Aber wie? Im Januar lud das zuständige Projektteam der Bahn die betroffenen Anlieger – das sind vor allem Landwirte – und die Träger öffentlicher Belange aus dem Naturschutzbereich (Untere Naturschutzbehörde, BUND und Nabu) ein, um die Problemstellung und mögliche Lösungen zu erörtern.
Variante 1: Ein 14 (!) Meter hoher Erdwall, der an der Basis bis zu 50 m breit sein müsste, auf besagten 2,3 km Länge. Der hätte zwar gewisse Ähnlichkeit mit einem Deich, wäre aber fast doppelt so hoch. Fast 12 Hektar landwirtschaftlicher und naturschutzrelevanter Flächen würden darunter verschwinden. Der darunter liegende Marschboden müsste gegen Sand ausgetauscht werden, um einem Grundbruch durch die gewaltige Auflast vorzubeugen.
Variante 2: Ein Galeriebauwerk aus Metall, etwa 8 m hoch, das ohne seitliche Stützen auskommt und somit wenig Fläche verbraucht. Allerdings stellt auch diese Variante einen sehr starken Eingriff in das typische Landschaftsbild der Marschen und den Lebensraum dort brütender Wiesenvögel dar.
Variante 3: Verlegung des Gleises Richtung Süden, außerhalb des Schutzraumes für den Funkturm. Dadurch würde das Gleis aber sehr dicht an mehrere Hofstellen und Siedlungsbereiche (Breddewarden) heranrücken und es würden landwirtschaftliche und naturschutzrelevante Flächen neu in Anspruch genommen.
Variante 4: Tieferlegung der Bahnstrecke im Schutzbereich in einen abgedeckelten Trog oder Tunnel. Dieses Bauwerk müsste wegen des Güterzugverkehrs neben der bestehenden Strecke gebaut werden, hinzu kämen lange Einschnittsabschnitte (Rampen), um die erforderliche Tiefe der Gleislage zu erreichen. Vorteil: keine dauerhafte Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und benachbarter Wiesenbrutvögel.
Seit der Präsentation im Januar wurden zahlreiche Gespräche mit betroffenen Anliegern und Trägern öffentlicher Belange geführt. Es gab Untersuchungen zum Artenschutz und Brutvogelkartierung), mögliche Kompensationsmaßnahmen wurden abgestimmt. Und man saß mit den Bundesministerien für Verkehr und für Verteidigung an einem Tisch.
Jetzt gab es eine sehr gut besuchte öffentliche Informationsveranstaltung in der „Antonslust“, bei der das Problem und die Lösungsvarianten nochmals vorgestellt und die bevorzugte Variante diskutiert wurde: das Galeriebauwerk. Baulich handelt es sich um eine umgedreht U-förmige, bis zu 10 m hohe Stahlträger-Konstruktion, die zum Funkturm hin(also Richtung Norden / Sengwarden) mit Lärmschutzplatten verkleidet wird. Das Dach besteht aus Stahltrapezblechen. Zur Südseite (Fedderwarden) hin bleibt das Bauwerk offen.
Das Publikum zeigte sich im Dialog mit dem DB-Team gut informiert. So wurde festgestellt, dass die Metallwände, die Gleis und Oberleitung nach Norden hin abschirmen, gleichzeitig Lärm und elektromagnetische Strahlung zur offenen Seite hin verstärken. Detlev Knauer, im Bahn-Projektteam Experte für Natur und Umwelt, versicherte, dass die Strahlung unterhalb der gesundheitsrelevanten Grenzwerte bleibe. Ein landwirtschaftliches Wohngebäude wäre durch eine Überschreitung der Lärm-Grenzwerte betroffen. Deshalb wird in einem Abschnitt von 450 m die Südseite des Bauwerks mit 3 m hohen Platten verkleidet. Zukünftig würden die Züge mit Flüsterbremsen aus Kunststoff ausgestattet, die nur halb so laut seien wie herkömmliche Metallbremsen.
Erwartet werden (bei Auslastung des JadeWeserPorts) 71 Züge täglich, 30 davon zur Nachtzeit, mit einer Länge von bis zu 700 m und einer Geschwindigkeit von 80 km/h. Die Anwohner fühlen sich bereits durch die Geräuschentwicklung der umliegenden Windkraftanlagen beeinträchtigt. Eine Anwohnerin fragte, warum das Schutzbauwerk nicht beidseitig komplett eingehaust wird: Projektleiter Frank Heuermann („ich komme aus dem Tunnelbau“) erklärte, das sei eine Kostenfrage. Der Bundesrechnungshof würde nur Maßnahmen genehmigen, die „unbedingt notwendig“ seien.
Fragen gab es auch zur Beeinträchtigung wildlebender Tiere. Bodenbrüter, die sich an offene Grünlandflächen angepasst haben und freie Sicht zum Schutz vor möglichen Fressfeinden brauchen, werden dem Bauwerk weiträumig ausweichen. Für das Wild gibt es auf 2,3 km Länge keine Querungshilfen, Wildschutzzäune sind bereits eingeplant.
Am Ende wurde das Bauwerk in der Landschaft mit einem animierten Video visualisiert. Dabei wurden die gewaltigen Dimensionen und die Auswirkungen auf das Landschaftsbild deutlich. Knauer erklärte, dass beidseitig ein bis zu 15 m breiter Grüngürtel mit schnellwachsenden Gehölzen angelegt werden soll. Zudem sei es möglich, die Verkleidungsplatten optisch so zu gestalten, dass sie gefälliger wirken. Auch die Verschönerung durch Streetart-Künstler sei andernorts schon erprobt worden. Ein Vorschlag aus dem Publikum, die Bedachung des Bauwerks für Solarenergie zu nutzen, soll auf Umsetzbarkeit geprüft werden.
Eine Frage blieb noch im Raum kleben: Wurde die Lösungsvariante geprüft, die Marine-Funkanlage zu versetzen, so dass sie außerhalb des Störungsbereiches der Oberleitung liegt? Heuermann schilderte seine Erfahrungen mit den Juristen der Bundeswehr: Störer sind immer die anderen – eine Verlegung der Funkanlage sei nicht möglich.
In Dänemark wurde gerade der 700 Tonnen schwere Leuchtturm Rubjerg Knude Fyr um 200 Meter landeinwärts versetzt, weil er zu nah an der Küsten-Abbruchkante stand. Kosten: ca. 700.000 Euro. Was das monströse Bauwerk in der Marschlandschaft kosten wird, konnten oder wollten die Projektleiter bei der Infoveranstaltung noch nicht beziffern (s. Fußnote). Aber vermutlich spielt das selbst für den Bundesrechnungshof keine Rolle – die Marine ist wohl irgendwie ein Heiligtum.
Die Unterlagen zum Planfeststellungsverfahren für den beschriebenen Bauabschnitt liegen voraussichtlich ab Dezember 2019 für einen Monat öffentlich aus. Betroffene können schriftlich ihre Einwände / Stellungnahme dazu einreichen, im Anschluss gibt es einen mündlichen Erörterungstermin. Infos zum gesamten Bauprojekt (mit fortlaufender Aktualisierung) unter https://bauprojekte.deutschebahn.com/p/oldenburg-wilhelmshaven.
Nachtrag: Am 25.10., einen Tag nach der Infoveranstaltung, wurde in einem NDR-Beitrag Baukosten von 40 Millionen Euro genannt. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Funkstoerungen-Teures-Aludach-fuer-Bahnstrecke,hallonds54742.html
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