Nichts ist umsonst
Die Wiederbelebung der Frauenliste: Nur auf den ersten Blick ein Flop
(ub/iz) Gut vierzig Frauen und Männer kamen am 29. Mai auf Einladung der Frauenliste in der „Perspektive“ zusammen, um unter dem Motto „Resignation ist keine Lösung“ neue Wege der WählerInnengemeinschaft zu diskutieren und im besten Fall gleich – in Blickrichtung auf die Kommunalwahl- zu beschreiten. Am Ende zeigte sich, daß zwischen den Alternativen „Aufgeben“ und „Wahlkampf fürs Ratsmandat“ noch andere Lösungen möglich und unter Umständen vielversprechender sind.
Für diese Veranstaltung hatte sich Hildegard Korell „mit viel Herzblut“ stark gemacht. Sie leitete die Diskussion zusammen mit Dora Fuhlbohm und der amtierenden Ratsfrau Monika Schwarz. Eingangs legten sie die Hintergründe für die Krise und den Handlungsbedarf offen: Vor der letzten Kommunalwahl wurden aus dem Stand vierzig Unterstützerinnen gewonnen, doch in der Etappe erwies sich die Gemeinschaft als „Durchlauferhitzer“. Ehemals aktive Frauen zogen sich, teilweise aus beruflichen Gründen zurück; zuwenig neue Mitstreiterinnen konnten gefunden werden.
Im gleichen Zeitraum ist die Unzufriedenheit mit den sogenannten etablierten Parteien und die Notwendigkeit einer „schlagkräftigen politischen Alternative in WHV gewachsen. So entschloß frau sich zur letzten Offensive einschließlich Öffnung der WählerInnengemeinschaft für Männer. Ihr Aufruf richtete sich „an alle Frauen und Männer, die sich durch die etablierten Parteien, einschließlich der Wilhelmshavener Grünen, nicht mehr vertreten fühlen“.
Mit der Kommunalwahl und damit einem knappen Zeitlimit vor Augen wurde, mit Hilfe von Wahlamtsleiter Perkams, der Handlungsspielraum ermittelt. Der Name „Frauenliste Wilhelmshaven“ ist quasi ein (durch die Niedersächsische Gemeindeordnung) geschütztes Warenzeichen. Wollte man/frau die Öffnung auch im Titel, z.B. auf den Stimmzetteln, dokumentieren, (etwa als „Frauen- und Männerliste“ oder „Linke Liste Wilhelmshaven“), müßte der unter dem jetzt gegebenen Zeitdruck umständliche Weg zur Gründung einer Wählerinnengemeinschaft neu beschritten werden. Sprich: Sammlung von mindestens 30 Unterschriften in jedem der sechs Wahlbezirke, mit nachfolgendem Zulassungsverfahren. Das jetzt geänderte Kommunalwahlverfahren verschärft den Druck, denn nach dem nun gültigen d’Hondtschen Zählverfahren sind die kleinen Parteien im Nachteil. Erheblich mehr Stimmen sind erforderlich, um in den Rat einzuziehen. Zum Vergleich: Ganze 154 Stimmen fehlten der Frauenliste 1991, um eine zweite Frau in den Rat zu schicken. Mit der gleichen Wählerstimmenzahl wie 1991 würde es im Herbst 1996 mal so eben für eine Ratsfrau reichen. Für einige Vertreterinnen der Frauenliste ein wichtiges Argument, mit bewährtem Namen in den Wahlkampf zu ziehen.
Deshalb gingen die Vertreterinnen der Frauenliste mit der Vorgabe in die Versammlung, auf der bestehenden WählerInnengemeinschaft aufzubauen und damit auch auf dem Parteiprogramm, das Monika Schwarz zusammenfassend in Erinnerung rief. Dabei wurde deutlich, daß das Programm, abgesehen von frauenspezifischen Aspekten, sich auf dem Papier nur in wenigen Punkten individuell von denen anderer Parteien abhebt und fast nichts tatsächlich umgesetzt werden konnte: Noch immer ist die Gleichstellungsstelle hoffnungslos unterbesetzt; noch immer gibt es kein Frauenbegegnungszentrum (statt dessen werden bestehende Begegnungs- und Kultureinrichtungen jeglicher Art systematisch ausgetrocknet); noch immer gibt es kein Frauen-Nachttaxi. Dazu Monika Schwarz: „Langer Atem und Kompromissbereitschaft sind erforderlich, um gesetzten Zielen näher zu kommen.“
Hervorstechend und brandaktuell sind einige Statements aus dem 91er Wahlprogramm wie „im Interesse von Natur und Kindern sollen Flächen brach liegen bleiben“ (während tatsächlich vorhandene Brachflächen kostenträchtig der Saubermann-Mentalität zum Opfer fallen und gleichzeitig vergleichsweise langweilige Spielplätze aus Geldmangel nicht instand gehalten werden). Oder: „Kurzfristige wirtschaftliche Erfolge dürfen nicht auf Kosten der Umwelt gehen“ – in der Praxis werden für völlig visionäre Projekte schon mal vorsorglich Biotope vernichtet.
Nicht um politische Mitstreiter/innen abzuschrecken, sondern vielmehr um ein realistisches Bild zu vermitteln, schilderte Monika Schwarz schonungslos, was auf potentielle RatskandidatInnen wie Unterstützerinnen zukommt: viel Arbeit und viel Zeitaufwand – und ohne aktive Unterstützerinnen, wohlgemerkt über die gesamte Legislaturperiode, undenkbar. Fünfzehn Ausschüsse sind zu besetzen, wobei zwei Leute eine Fraktion mit Grundmandat besetzen können; Stimmrecht hat erst eine Gruppe ab drei Personen.
An diesem Abend, mit dieser aufwendig zusammengetrommelten Gruppe, sollte etwas Konkretes passieren, im besten Fall der Einstieg in den Wahlkampf mit einem konsensfähigen Programm. Die Diskussion verlief bald kreisförmig: Der Wahlkampf erfordert KandidatInnen, diese brauchen ein Wahlprogramm, um sich für eine Kandidatur zu entscheiden; der Aufwand für ein Wahlprogramm ist wiederum nur gerechtfertigt, wenn eine solide KandidatInnenliste formal die Teilnahme am Wahlkampf garantiert … „Außergewöhnliche Umstände erfordern pragmatisches Handeln,“ so die Frauenliste. Sollte heißen: Die formal gesicherten Strukturen dieser zugelassenen Wählerinnengemeinschaft weiter nutzen.
An dieser Stelle der Diskussion regte sich Widerspruch aus dem Kreis der Interessierten. Einige Teilnehmer/innen der Veranstaltung machten ihre aktive Unterstützung von einer offenen Diskussion des Programms der erweiterten Wählerinneninitiativeabhängig. Sie wollten zunächst die Basis eines möglichen Bündnissen gemeinsam erarbeitet wissen. Denn, so ein Teilnehmer: „Eine Programmdiskussion ist notwendig, um mit einem neuen Programm neue Kräfte zu finden und um auch die Wählerschichten links von den Grünen zu erreichen“ .
In diesem Zusammenhang wurden aber auch die Probleme deutlich, eine Frauenliste plötzlich für Männer zu öffnen. Das erfordert von beiden Seiten Kompromisse, welche die Frauenliste aus gutem Grund bei ihrer Gründung ausklammern wollte. Mit der Öffnung der Gesellschaft für geschlechterspezifische Probleme sind diese noch lange nicht gelöst; und Frauen können nachweislich in selbstgewählten Strukturen ganz anders aus sich herausgehen, wie es z. B. die Politik der Frauenliste positiv gezeigt hat. Die teilweise sehr kontrovers geführte Diskussion an diesem Punkt machte deutlich, daß diese Problematik auch innerhalb der Frauenliste ungelöst ist.
Um nicht an diesem Problem stecken zu bleiben, sollte per Abstimmung die weitere Vorgehensweise beschlossen werden.
Diese ergab 6 Plädoyers für eine neue Liste gegen 18, die weiterhin eine (inhaltlich und personell erweiterte) Frauenliste als politische Plattform nutzen wollten. Eine weitere Abstimmung sollte zeigen, ob diese eindeutige Willensbekundung auch durch Bereitschaft zur aktiven Unterstützung bis hin zur Kandidatur untermauert wird – im Prinzip die spannendste Frage des Abends. Die Antwort: 19 Personen erklärten sich bereit, den Wahlkampf aktiv zu unterstützen. 11 Frauen und Männer konnten sich vorstellen, eine eventuelle Ratsarbeit über die ganze Legislaturperiode zu begleiten. Zu diesem Zeitpunkt für die Veranstalterinnen deprimierend: nur eine Frau stellte sich als Kandidatin zur Verfügung, ein Mann hatte diese Option mit einem Fragezeichen versehen.
Damit schien die Sache gestorben: eine klare Antwort, für Hildegard Korell enttäuschend, für Monika Schwarz „nicht überraschend“. Der harte Kern, der nach der Abstimmung im Saal blieb, wollte jedoch nicht klein beigeben. Es wurde der Wunsch laut, die offensichtlich vorhandenen Kräfte weiterhin in einer neuen, noch offenen Form zu bündeln -ein Bündnis, ein Forum, das vielleicht nicht jetzt, unter dem Druck der Kommunalwahl, sondern mit langem Atem imstande sein könnte, das Gemeinwesen dieser Stadt jenseits der etablierten Parteien positiv zu beeinflussen und zu stärken. Mehrere Anwesende schienen willens und in der Lage, ein solches Bündnis zu initiieren, und zum guten Schluß ließ auch Monika Schwarz verlauten, sie würde „alles daran setzen, ein solches Forum zustande zu kriegen. “
Zunächst einmal sei den Aktiven der Frauenliste, allen voran Ratsfrau Monika Schwarz, Anerkennung gezollt. In wohltuendem Gegensatz zu den meisten ihrer Rats“kollegInnen“, deren Verhalten untereinander mit dem nahenden Kommunalwahlkampf zunehmend unappetitlicher und zu Recht mehrfach vom Ratsvorsitzenden gerügt wurde, hat sie durchgängig Sachpolitik betrieben, ist nie in die Polemik, nie unter die Gürtellinie gerutscht. Vordergründig bürgerInnennahe und damit scheinbar unwidersprochen konsensfähige Beschlußvorlagen hat sie hinterfragt, dabei manches als populistisch entlarvt und ihre Zustimmung versagt bzw. von einer weiterführenden Diskussion abhängig gemacht.
Das sprichwörtliche Herzblut, das sie für die gemeinsame Sache vergossen haben, läßt sie an der Sache klammern, so der unterschwellige Eindruck der vordergründig offenen Diskussion. Auf der einen Seite saß Hildegard Korell, die vehement und teilweise gegen das Votum ihre Mitstreiterinnen diese Versammlung durchgedrückt hatte. Auf der anderen Seite Monika Schwarz, die von dem Versammlungsergebnis weder überrascht noch enttäuscht erschien und ein Weitermachen um jeden Preis als unrealistisch abtat. Da wurden Vermutungen aus dem Publikum hörbar, es sei von vorn herein eine geplante Beerdigungsveranstaltung gewesen. Dazwischen Dora Fuhlbohm, die den Unerschütterlichen bestätigte, jede/r könne ja weiterhin und jederzeit so eine Versammlung einberufen -wobei der Ton offenließ, ob das nun eine Ermunterung oder blanker Zynismus bzw. Zweifel am Sinn solcher Initiativen sein sollte.
Bei aller Widersprüchlichkeit -öffnen oder dichtmachen? Ein Ende mit Schrecken oder als Chance für den Neuanfang? – war die Veranstaltung alles andere als umsonst. Der Wunsch nach einer politischen Alternative, nach einem Forum für versprengte Engagierte, wurde mehr als deutlich. Kaisertreue Sozialdemokraten und von Hoffnungsträgern zu Postenjägern mutierte Grüne haben ihren Teil dazu beigetragen, wenn jetzt der Ruf nach neuen Bündnissen lauter wird.
Aber: Nicht nur diese Veranstaltung, auch die letzte Legislaturperiode hat gezeigt: eine parlamentarische Alternative läßt sich notfalls, d.h. termingerecht zu den Wahlen, übers Knie brechen, nicht aber die außerparlamentarische Unterstützung, ohne die sie ein zahnloser Tiger ist.
Zunächst einmal ist festzuhalten, daß im Herbst 1996 eine auch über Parteigrenzen hinaus viel beachtete Wählerinitiative nicht mehr auf dem Wahlzettel auftaucht. Man kann vermuten, daß damit die Position der Grünen gestärkt wird. Ein Machtwechsel hin zu schwarz/grün ist wahrscheinlicher geworden. Die PDS hat sich (noch?) nicht als politische Alternative für linksdenkende Menschen angeboten.
Es läßt sich vielleicht aber die Situation als Chance begreifen, die nächsten fünf Jahre zu nutzen, um die offensichtlich vorhandenen Kräfte, auch oder gerade ohne Ratsmandat, also jenseits des formal vorgegebenen Demokratieverständnisses zu nutzen und zu bündeln. Eine Vision: wenn es gelingt, bis zum Jahre 2001 ein Forum zu etablieren, in dem sich viele Wilhelmshavener wiederfinden können – die regelmäßig und durchgängig Einzelaspekte der kommunalen Gemeinschaft diskutieren und mit den Ergebnissen ein Wahlprogramm aufbauen – dann wird es auch ein Leichtes sein, aus dieser Interessengemeinschaft problemlos ein Bündnis für den Rat zu schmieden. Gleichzeitig wäre es die Probe aufs Exempel: Wenn es nicht gelingt, solch ein Forum über 5 Jahre wirklich am Leben zu erhalten, dann würde es auch keine Legislaturperiode überstehen. Dann ist es ehrlicher, es gleich ganz lassen. Denn noch eine Partei, bei der die Basis und die WählerInnen resigniert mit dem Kopf nicken zu den einsamen Entscheidungen einer pöstchengeilen Parteispitze, wäre reine Zeit- und Geldverschwendung.
Imke Zwoch/ Uwe Brams
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