Flüssiggas-Terminal
Sep 032008
 

Global gemein

Aus für den Flüssiggas-Terminal erschüttert das Rathaus

(iz) In Wilhelmshaven sind die Spitzen von Rat und Verwaltung den Vertretern ansiedlungswilliger Konzerne innigst verbunden. Jetzt zeigte sich, dass so eine Liebe recht einseitig sein kann. Städtische Flächen und Dienstleistungen werden den Investoren angeboten wie Sauerbier, die BürgerInnen der Stadt werden mit einer Kampagne hochtrabender Verheißungen überzogen, doch wenn es zum Schwur kommt, kennen die Konzerne keine Freunde mehr. Enttäuschung und Wut machen sich breit. Nur ‚unsere’ Wirtschaftsexperten kriegen blitzschnell die Kurve und erklären uns flugs die Marktgesetze. Doch kam die Entscheidung von e.on Ruhrgas wirklich ganz überraschend? Und was lernen unsere Stadtväter und –mütter daraus?

Seit über 30 Jahren besteht die Option für den Bau eines deutschen Flüssiggas-Terminals auf dem nördlichen Voslapper Groden in Wilhelmshaven. Mehrheitlicher Eigner der Gesellschaft (DFTG) ist heute die e.on Ruhrgas. Im Frühjahr 2007 wurde das Gelände entwässert und planiert, obwohl weder seitens der Konzernzentrale noch von den Genehmigungsbehörden eine Entscheidung vorlag. „Italiener sollen Terminal bauen“, titelte die WZ noch am 18.7.2008 zuversichtlich. In dem Artikel war zwar von einer möglichen Verzögerung des für 2008 geplanten Baubeginns die Rede, die Entscheidung für eine italienische Baufirma klang aber sehr konkret. Doch schon zwei Wochen später ließ e.on die Bombe platzen: „Flüssig-Erdgas – kein Terminal in Wilhelmshaven“ war das WZ-Tagesthema am 6. August. Bundesweit berichteten die Medien über die Entscheidung des Konzerns, sich stattdessen dem „Gate“-Terminal in Rotterdam anzuschließen. Dabei waren weniger die lokalen als eher bundesweite Auswirkungen von Interesse: „Der Stopp für das Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven ist schlecht für die deutsche Energieversorgung. Die Suche nach alternativen Lieferquellen wird schwieriger“, sorgte sich die „Financial Times Deutschland“ (FTD).
Hier vor Ort aber schlugen die Wellen hoch: Als „Schlag ins Kontor“ bezeichnete OB Menzel die Entscheidung. Er hatte das Vorhaben bereits als gesichert betrachtet. „Eine rein unternehmerische Entscheidung“, versuchte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums zu trösten. Ja freilich, was denn sonst? Spätestens jetzt sollte auch dem Naivsten klar sein, dass ein Großunternehmen sich nicht deshalb hier oder anderswo ansiedelt, weil es den Bürgermeister so nett findet oder aus sozialem Engagement für verschuldete Städte. Entscheidungen für oder gegen einen Standort sind bei Global-Playern nie persönlich begründet. Selbst der WZ-Kommentator sagte es unverblümt: „Man wird den Eindruck nicht los, dass Unternehmen Wilhelmshaven als Tummelplatz für großspurige Ankündigungen nutzen. Wenn es zum Schwur kommt, begründen sie ihre Absage mit Marktdruck – eiskalt … Dafür baut derselbe Energieversorger wohl wirklich ein neues Kohlekraftwerk – immerhin. Im übertragenen Sinne gewiss kein sauberer Auftritt dieses Unternehmens.“
Statt kühler Distanz kamen aus dem Rathaus jedoch heiße Emotionen. Als „weiße Salbe“ und an den „Haaren herbeigezogen“ bezeichnete der Oberbürgermeister in einer Presseinformation vom 7.8.2008 die Argumente, mit denen e.on Ruhrgas seine Entscheidung begründete. Wenn er die 6-seitige Presseerklärung dazu betrachte, dränge sich ihm der Eindruck auf, hier sei ein 3-jähriges „Über-die-Hürden-Jagen“ in Wilhelmshaven nur ein Feigenblatt dafür gewesen, eine schon lange feststehende Entscheidung für einen anderen Standort zu verschleiern.
Erstaunt zeigte sich der Oberbürgermeister auch über die Leidenschaftslosigkeit der Landes- und Bundespolitik, mit der diese Absage begleitet wird. Nachdem die Bundeskanzlerin vor zwei Jahren das Vorhaben DFTG in Wilhelmshaven ausdrücklich als „äußerst wichtig“ für die Versorgungssicherheit Deutschlands angesichts der damals entstehenden Engpässe aus Richtung Russland bezeichnet habe, habe er sich davon überzeugt geglaubt, dass dies auch die Realisierung des Projektes in Wilhelmshaven bedeute. Scheinbar sei hier aber kein Einfluss genommen worden.

Normale Investitionen in Hoffnungen

Der Allgemeine Wirtschaftsverband (AWV) nahm das Unternehmen in Schutz: Nicht nur bei der Stadt, auch bei den Investoren entstünden erhebliche Vorlaufkosten. Die DFTG habe seit Jahren Millionen Euro für Genehmigungen und Planungen ausgegeben. Daraus könne aber kein Verwirklichungsversprechen abgeleitet werden; ebenso wenig könne daraus, dass auch die Behörden ihre gesetzlichen Prüfungsaufgaben erfüllten, eine Verpflichtung des Investors zur Realisierung entstehen. „Viele Unternehmen wenden viel Geld auf, wenn sie sich an größeren Ausschreibungen beteiligen. Das sind normale Investitionen in Hoffnungen. Den Zuschlag erhält dann nur einer und die übrigen bleiben auf ihren Kosten sitzen; so ist das im wirklichen wirtschaftlichen Leben“, so Lutz Bauermeister, Hauptgeschäftsführer des AWV, gegenüber der WZ (16.8.).

Widersprüchliches

Aber kam der Rückzug des Konzerns wirklich so überraschend? Im Sommer 2007 lief das Ausschreibungsverfahren („Open Season“), bei dem Gasunternehmen ihr Buchungsinteresse für Kapazitäten im neuen Terminal anmelden konnten. Die Ansiedlungsentscheidung sollte aber unabhängig vom Ergebnis der Ausschreibung Ende 2007 erfolgen (Börsenportal“ v. 19.7.2007.) „E.ON registriert hohes Interesse an LNG-Terminal Wilhelmshaven“, meldete das „Börsenportal“ am 20.8.2007. „Zahlreiche Marktteilnehmer“ hätten bereits Interesse an der Buchung von Kapazitäten angemeldet, erklärte die Betreibergesellschaft … ohne allerdings genauere Angaben hierzu zu machen.“ Jetzt aber sagt Dr. Jochen Weise, Mitglied des Vorstands der e.on Ruhrgas, es hätte zu wenige Shipper gegeben, die feste Kapazitäten buchen wollten.
Ja, wie denn nun? Laut Weise war der (zögerliche) Verlauf der Ausschreibung also doch ausschlaggebend für den Rückzug. Und es hat den Anschein, als sollten vor einem Jahr mit geschönten Erfolgsmeldungen („ohne genauere Angaben“) krampfhaft weitere Interessenten gewonnen werden. Die Entscheidung wurde derweil weiter verschoben: „Wir erwarten die Entscheidung über den Bau des Terminals voraussichtlich für das Frühjahr 2008“, sagte ein Unternehmenssprecher gegenüber der NWZ (10.9.2007).
Was auch stutzig macht: Im Gespräch mit der Genehmigungsbehörde sprach die DFTG noch im Februar 2007 davon, die Abwärme aus dem Kraftwerk im Rüstersieler Groden für die Erwärmung des Gases im Terminal auf dem Voslapper Groden zu nutzen. Auch auf der öffentlichen Informationsveranstaltung zum geplanten e.on-Kraftwerk im Rüstersieler Groden im Frühjahr 2008 war das noch Thema. Ein Plus in der Ökobilanz: Die Wärmebelastung der Jade würde dadurch deutlich gemindert und gleichzeitig Brennstoff für die Regasifizierung des Flüssiggases eingespart. Und naheliegend, da beide Projekte dem gleichen Mutterkonzern angehören. Im Fortgang der Kraftwerksplanung war dann aber die Abwärmenutzung kein Thema mehr. Dies musste das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg bereits am 18.06.08 auf der Scoping-Veranstaltung zum e.on-Kraftwerksvorhaben einräumen. War das schon ein Hinweis auf Umentscheidungen bei e.on hinsichtlich des Gasterminals?

Hinhaltetaktik hat Geschichte und Methode

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die 30-jährige Geschichte der DFTG, dass die Betreiber sich einerseits Zeit lassen mit verbindlichen Entscheidungen, andererseits aber die Behörden immer wieder unter Zeitdruck setzen und gleichzeitig auch die Auflagen entschärfen wollen. Zeitlich befristete Genehmigungen wurden mit juristischen Tricks in die Verlängerung geschickt und Verzögerungen den Behörden in die Schuhe geschoben (s. Gegenwind Nr. 215 v. März 2006). Schon 1982 musste der damalige Oberstadtdirektor Dr. Eickmeier bekennen, dass die DFTG ihre Planung mittelfristig nicht verwirklichen würde. Dabei stellte er die Frage in den Raum, „…welche Regressmöglichkeiten bestehen, wenn die Pläne in der Schublade bleiben und kommunale Erwartungen nicht erfüllt werden.“ (WZ 27.07.1982)
Diese Frage könnte auch OB Menzel heute stellen, er versteckt sie aber eher vorsichtig in seiner Auflistung über bereits erbrachte Vorleistungen der Stadt: „Seit September 2005 sei die Stadt Wilhelmshaven mit den verschiedensten Fachbereichen (Bauordnungsamt, Umwelt, Recht, Wirtschaftsförderung, Stadtplanung und Stadterneuerung) in die DFTG-Planungen einbezogen, über 3.000 Arbeitsstunden wurden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung aufgewendet, dabei seien die politischen Gremien und die Leitungsebene noch nicht berücksichtigt.“ (Presseinfo 7.8.) Wir hakten nach, welchem Geldbetrag das entspricht. „Wenn man als durchschnittlichen Stundensatz für einen Angestellten/ Beamten im öffentlichen Dienst ca. 36 Euro ansetzt, was in diesem Fall wohl realistisch sein müsste, sind bei 3.000 Arbeitsstunden 108.000 Euro an personellen Vorleistungen getätigt worden.“
E.on macht jedoch weiter auf Friede, Freude, Eierkuchen und stellt die Entscheidung für Wilhelmshaven nicht als aufgehoben, sondern nur aufgeschoben dar. Natürlich wollen sie sich alle Optionen offen halten. Da haben sie ihre Rechnung aber ohne Menzel gemacht: „Angesichts der Absage von e.on Ruhrgas betrachte er ein LNG-Terminal in Wilhelmshaven als auf lange Zeit nicht mehr realisierbar, die Abläufe, die es hier gegeben habe, würden in der Verwaltung dazu führen, die Kriterien, die es an künftige Industrieansiedlungen gäbe, zu überdenken.“ Dieser Standpunkt wird die Konzernentscheidung vermutlich ebenso wenig beeinflussen wie sein früherer Schmusekurs. Denn die jetzt wieder brachliegende Terminalfläche ist im Landesraumordnungsprogramm als „Vorranggebiet für hafengebundene wirtschaftliche Anlagen“ ausgewiesen, und der Konzern wird seine Rechtsansprüche schon geltend machen, sobald es ihm wieder opportun erscheint.

„Beleidigte Leberwurst“ ist keine Lösung

Letztlich belegt das Hickhack um diese vorerst gescheiterte Ansiedlung, dass kommunale Entwicklungsprozesse zunehmend nicht mehr von BürgerInnen, Verwaltung oder Politik, sondern von der Wirtschaft gesteuert werden. Umso mehr sollten die lokalen Akteure die ihnen verbliebenen Spielräume nutzen. So können sie entscheiden, ob sie von vornherein einen Kniefall vor Unternehmen machen, die großspurig, aber offensichtlich unverbindlich mit Investitionen, Steuerzahlungen und Arbeitsplätzen winken – und ihre örtlichen „Partner“ im Zweifelsfall wie Trottel im Regen stehen lassen. Klüger wäre es, zu jeder Zeit eine angemessene, höfliche aber kritische Distanz zu wahren, statt sich vorschnell zu Emotionen hinreißen zu lassen. Erst Gift zu spucken gegen kritische BürgerInnen und gleichzeitig die Unternehmensvertreter zu hätscheln, um diese nach erlebter Enttäuschung auch zu beschimpfen – das hat was von einem „politischen Borderline-Syndrom“. Ein schlichtes Schwarz-Weiß-Denken wird der Realität nicht gerecht. „Als Lehre kann man nur nehmen, weiterhin engagiert für den Standort zu werben“, erklärte AWV-Präsident Martin Steinbrecher in einem Interview mit der WZ (22.8.). Frage des Redakteurs Martin Wein: „Das tut man sicher nicht, indem man die beleidigte Leberwurst markiert?“ Steinbrecher: „Natürlich nicht. … Die Enttäuschung darf man nicht die Kunden, ich nenne mögliche Investoren bewusst so, spüren lassen.“ Persönliches Engagement ist nach seiner Empfehlung eher bei kleineren Unternehmen aus der Region angebracht: „Die Großindustrie entscheidet nach globalen Kriterien. Das muss man wissen … Die Wirtschaftsförderung sollte sich deshalb auch mit Volldampf um den Mittelstand kümmern.“

Wirklich ein Verlust?

Wer das Gebaren der DFTG und anderer Großinvestoren kritisch verfolgt, ist nicht überrascht von dem aktuellen Debakel. Hier und da mag es sogar klammheimliche Schadenfreude geben. Die Kosten der Vorleistungen, die die Stadt in den Sand des Voslapper Grodens gesetzt hat, tragen allerdings wie immer nicht die übereifrigen Entscheidungsträger, sondern alle BürgerInnen. Dazu kommt der entgangene Nutzen von angekündigten gut 100 Arbeitsplätzen und sechsstelligen Steuereinnahmen. Aus Sicht des Umwelt- und Gesundheitsschutzes und auch der Tourismuswirtschaft ist der Verzicht auf den Gasterminal eher ein Gewinn. Das Risiko durch Leckagen bis hin zu Explosionen ist erheblich (s. Gegenwind 225), erst recht im Zusammenspiel mit umliegenden Industrieanlagen. Hinzu kommt die wachsende Kollisionsgefahr, wenn die riesigen Gastanker zwischen einer steigenden Zahl von Containerschiffen und Kohlefrachtern auf der Jade rumschippern. Auch die Gemeinde Wangerland dürfte eher erleichtert sein, trieb doch die Nähe zu Hooksiel deren Bürgermeister Harald Hinrichs „Sorgenfalten auf die Stirn“ (WZ 3.4.08). „Die Ansicht der beiden über 50 Meter hohen LNG-Terminals könnte die Urlauber am Hooksieler Badestrand verschrecken“, aber auch die Anlagensicherheit ist ein „Knackpunkt“ für die Tourismusgemeinde. Gutachten und Umweltverträglichkeitsprüfungen sind, um mit unserem OB zu sprechen, auch nur „weiße“ Salbe, denn: Keine Technik ist 100% sicher und beherrschbar. So gab es in letzter Zeit gleich mehrfach Unfälle durch austretende Gase in Industrieanlagen im „Ruhrpott“ – dort, wo man langjährige Erfahrungen mit solchen Anlagen besitzt.

LNG
LNG heißt liquefied natural gas, zu deutsch verflüssigtes Erdgas. Schon heute werden weltweit, insbesondere in Asien, rund zehn Prozent des Erdgases nicht mehr über Pipelines, sondern in flüssiger Form per Schiff transportiert. Nach Schätzungen von Energie-Experten wird der Anteil bis 2020 auf 25 Prozent steigen. Für den Transport wird das Gas auf -161°C abgekühlt, dabei wird etwa ein Viertel der transportierten Energie für die Kühlung als solche verbraucht. Als Faustregel gilt eine Entfernung von 3.000 Kilometern, ab der sich LNG gegenüber einer Pipeline rechnet – zu teuer für das Erdgas aus der Nordsee, aber rentabel für Iran und Katar, wo einige der größten Felder der Welt liegen. In Europa können LNG-Tanker derzeit an 13 Terminals anlanden und das LNG wieder umwandeln. In Deutschland gibt es bislang noch keinen Flüssigerdgasterminal. Das Interesse daran wird mit der Unabhängigkeit von Lieferungen aus Russland und der Ukraine begründet.

 

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