Fachhochschule
Jun 101991
 

Praxis unpraktikabel

Studenten gegen Praxissemester

(noa) Am 6. Mai besuchte die Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Helga Schuchardt, die Fachhochschule Wilhelmshaven. Besonders viel haben sich die StudentInnen davon nicht versprochen.

Als die Ministerin auch noch zu spät kam, geriet der sorgsam ausgeklügelte Zeitplan durcheinander. Eine halbe Stunde war für die Begrüßung vorgesehen, eine volle Stunde sollten Rektor, Prorektoren, Kanzler und Dekane mit ihr die Probleme der FH wie die Planungen für den inhaltlichen und baulichen Ausbau oder Pensionierungsprobleme besprechen, für den Personalrat, den Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) und die Frauenbeauftragte war nur je eine Viertelstunde vorgesehen, und nach einem Mittagessen in der Mensa war eine 45minütige Pressekonferenz geplant.
Eine Viertelstunde für den AStA, das war angesichts der Anliegen der Studentenvertreter nicht alle Welt. Doch nachdem aus anderen niedersächsischen Fachhochschulen gemeldet worden war, daß Frau Schuchardt den Studentenvertretern eher unfreundlich und arrogant gegenübergetreten war, rechnete der hiesige AStA damit, daß die Sitzung vielleicht schon nach wenigen Minuten mit einem Eklat enden würde. Da kam dem AStA die durch die Verspätung bedingte Änderung des Zeitplans unerwarteterweise entgegen. Die Frauenbeauftragte wurde kurzerhand (ohne ihr wissen) in die Mittagspause verlegt, der AStA bekam deren Zeit, und außer der Ministerin und ihren beiden Referenten war die gesamte Hochschulobrigkeit zugegen. Und Frau Schuchardt war ganz Ohr, sehr entgegenkommend und zu allerhand Versprechungen bereit.
Bis Ende des Jahres wolle sie sich um das heiße Thema „Praxissemester“ kümmern, sagte sie zu. Bis jetzt beträgt die Regelstudienzeit an den Fachhochschulen sechs Semester, geplant ist eine Verlängerung um zwei Praxissemester. Das 4. Semester und zur Ausarbeitung der Diplomarbeit das 8. Semester sollen die Studenten in einem Betrieb verbringen. Wie die Sache geplant ist, wird sie zu einer ernsthaften finanziellen Hürde werden. Wo sollen in Wilhelmshaven 400 Praktikumsstellen pro Semester herkommen? Und wenn man/frau sich entscheidet, einen Praktikumsplatz z.B. in Süddeutschland zu suchen, wie soll von einem Praktikantenlohn von 700 DM monatlich eine zweite Miete aufgebracht werden?
Der Vorschlag der Ministerin, die Studis sollten doch für die Zeit ihrer praktikumsbedingten Abwesenheit ihre Wilhelmshavener Wohnung an andere Studierende abtreten, wobei der AStA die Vermittlung organisieren soll, braucht wohl an dieser Stelle nicht eingehend besprochen zu werden. Das finanzielle Argument ist vor allem nicht einmal der stärkste Einwand gegen den Plan, in der neuen Prüfungsordnung die Bindung der Diplomarbeit an ein Praxissemester zwingend vorzuschreiben. Der AStA sieht durch diese Verknüpfung auch die Freiheit von Lehre und Forschung gefährdet.
Diplomarbeiten sollen weiterhin auch innerhalb der Hochschule geschrieben werden können, so die Forderung, da ein Wirtschaftsunternehmen, das einen Praktikumsplatz zur Verfügung stellt, wohl kaum ein wirtschaftskritisches Thema für eine solche Arbeit anerkennen würde. Außerdem behandeln die in Frage kommenden Firmen etwaige Forschungsergebnisse, die Studenten erarbeiten, als Werkseigentum, so daß die Diplomanden sie nicht publizieren dürfen. Und schließlich wären rein theoretische Arbeiten dann auch nicht mehr möglich.
Selbstverständlich sind die Studenten nicht grundsätzlich gegen Praxissemester. Es gibt keinen Einwand dagegen, daß angehende Diplom-Ingenieurlnnen während ihrer Ausbildung auch erfahren sollen, wie sie nach Abschluß des Studiums arbeiten werden. Daß die Fachhochschule mit ihrer geplanten Prüfungsordnung jedoch den Eindruck vermittelt, sie selber könne für eine vernünftige Ausbildung nicht sorgen, sondern müsse das den Praktikumsbetrieben überlassen, geht eher in Richtung Armutszeugnis.
Die von den Studenten so genannte „Hochschulobrigkeit“ hat in den letzten Jahren per Selbstdarstellung in der örtlichen Presse immer wieder den Eindruck vermittelt, ihre Ausbildung sehr eng an den Erfordernissen der Wirtschaft zu orientieren. Daß die Fachhochschule Wilhelmshaven mehr ist als eine Kaderschmiede für die großen Konzerne, wollen die StudentInnen an einem Tag der offenen Tür im Herbst zeigen. Der GEGENWIND wird darauf rechtzeitig hinweisen.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top