Achtung Sackgasse!
Noch in diesem Jahr soll der Rat der Stadt über die Bebauung des Rüstersieler Grodens mit Kraftwerken und Kohlehalden entscheiden.
(jt/jm) Wilhelmshavens Bestimmung ist es wohl, ewige Großbaustelle für Großprojekte zu sein, die letztendlich scheitern, weil man sich übernommen hat oder mal wieder blind für die Zeichen der Zeit ist.
Die Planungs- und Genehmigungsbehörden haben in Wilhelmshaven mal wieder gut zu tun:
- Änderung des Bebauungsplans JadeWeserPort
- Verlängerung der Autobahn BAB 29 bis zum geplanten JadeWeserPort
- Verlängerung des Nordgleises vom Rüstersieler Groden bis zum Marinearsenal
- Überplanung sowie Bebauung des Rüstersieler Grodens mit bis zu 4 Kraftwerken, Kohlehalden und Gleisanschlüssen
- Ertüchtigung der Niedersachsenbrücke
- Bau des Flüssiggasterminals mit Wärmekraftwerk
- Erweiterung der Raffinerie mit Zubau-Cracker und Kraftwerk
- Verlegung des Kühlwassereinlasses des E.ON-Kraftwerks aus dem Strömungsschatten des geplanten JadeWeserPorts.
- Strukturkonzept Voslapper Groden Süd
Weitere Wünsche der Hafenlobby, die man vorläufig noch beschweigt – die sich jedoch aus der Ertüchtigung der Niedersachsenbrücke ergeben – dürften folgen:
- Vertiefung von Zufahrt und Liegewanne vor der Niedersachsenbrücke für Kohlefrachter bis 17,50 m Tiefgang
- Anschluss Wilhelmshavens an das Binnenwasserstraßennetz via Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer
Und wie so oft in der Vergangenheit, so können die Behörden auch jetzt so manche Vorarbeit wieder um- oder gar in den Schornstein schreiben, z.B. die
- Biodieselfabrik auf dem Heppenser Groden
- Erweiterung, Erneuerung und Ausbau des Chlorchemiekombinats
So bleibt uns wohl auch das inzwischen 35 Jahre alte Chlor-/Natronlaugewerk erhalten, an dessen Chlorgasausbrüche sich sicher noch viele erinnern. Zwar verkündete die Geschäftsleitung des INEOS-Werks mehrfach, dass diese Altanlage durch eine dem heutigen Standard entsprechende ersetzt wird, die kein Quecksilber mehr in die Jade leitet und keines in die Luft pustet; allerdings unter der Bedingung, dass der JadeWeserPort gebaut wird. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass INEOS vollmundige Ankündigungen unter den Teppich kehrt.
Nachdem der JadeWeserPort genehmigt worden ist, bildet der Rüstersieler Groden den Arbeitschwerpunkt. Dieser soll die Ansiedlung von Kohlekraftwerken, die Erstellung diverser Kohlehalden sowie den Bau von Gleis-, Straßen- und Förderbandverbindungen ermöglichen.
Mit Nachdruck will die Stadt diese Pläne durch die Ratsausschüsse und den Rat peitschen. Dafür ist für den 21.11.2007 schon ein Sitzungsmarathon unter Beteiligung des Bau-, Finanz-, und Umweltausschusses sowie des Ortsrates, darauf eine Verwaltungsausschusssitzung und abschließend eine Ratssitzung zum Thema „Bebauungsplan 212 Rüstersieler Groden“ angesetzt.
Von höchster Stelle ist vorgesehen, dass der Rat noch in diesem Jahr positiv darüber abstimmen wird. Ob unsere kommunalen Volksvertreter ohne Rückkoppelung mit ihren Wählern eine alle Aspekte berücksichtigende und damit sachkundige Entscheidung fällen werden, das ist die Frage! Bislang jedenfalls gab sich unser Rat – was die Offenlegung von Gutachten betrifft – mit Magerkost zufrieden:
Schon am 25.09.2007 wurden die Mitglieder diverser Ratsausschüsse in die Stadthalle geladen und über die Inhalte von Gutachten zum Rüstersieler Groden informiert. Die Gutachten selbst blieben allerdings unter Verschluss. Auch kamen nicht alle Gutachter, sondern nur ein von der Verwaltung ausgewählter Gutachterkreis, der in nicht öffentlicher Sitzung unbequeme Fragen unbeantwortet ließ. Dieser Alibiveranstaltung sollten zwar weitere folgen, folgten aber bislang nicht.
Es ist also davon auszugehen, dass die Mehrheit der von uns Gewählten auf unzureichender Informationsgrundlage darüber abstimmen wird, was die Investoren „im Rahmen der Gesetze“ alles mit uns anstellen dürfen. Es ist daher höchste Zeit, aktiv in diesen Entscheidungsprozess einzugreifen, denn – so wird man uns einmal vorhalten – wer schweigt, stimmt zu!
Die von der Stadt am 6. November in Voslapp durchgeführte Info-Veranstaltung dürfte für die Einbeziehung interessierter Bürgerinnen und Bürger in den Entscheidungsprozess kaum ausreichend gewesen sein. Als erstes müssten wir Bürger das einfordern, worauf unsere Ratsvertreter offenbar leichten Herzens verzichten: Die Herausgabe aller Gutachten!
Vor einigen Tagen gab die E.ON bekannt, das umweltfreundlichste Kohlekraftwerk an die Jade bauen zu wollen, und preist dabei den 50%igen Wirkungsgrad des Kraftwerkes als einen enormen Schritt an, umweltschonend Strom aus Kohle zu produzieren.
So weit geht der zweite Ansiedlungsinteressent – die belgische Tochter Electrabel des französischen Energie-, Wasser- und Entsorgungsmultis SUEZ – nicht: Er verkündet in einem Schreiben an unsere Ratsvertreter: „…Versorgungssicherheit und Klimaschutz gehören für uns zusammen… Für unsere Kraftwerke setzen wir die modernste derzeit zur Verfügung stehende Technologie ein. Damit wird nicht nur ein erheblich höherer Wirkungsgrad – 46 Prozent gegenüber den bisher in Deutschland üblichen 38 – erreicht…
Herkömmliche Steinkohlekraftwerke in Deutschland emittieren auch etwa 20 Prozent mehr CO2 als unsere Neubauten. Das entspricht einer Einsparung von 900.000 Tonnen CO2 für ein 800 MW Kraftwerk jährlich…“
Doch durch Kraft-/Wärmekoppelung (KWK) in einem Wärmekraftwerk ließe sich allerdings nicht nur wesentlich mehr an Primärenergie einsparen, sondern es ließen sich auch erheblich größere Mengen an Schadstoffemissionen inkl. des Klimakillers CO2 einsparen.
Die EU hat bereits 1997 eine Verdopplung des Anteils der KWK an der Stromerzeugung bis 2010 beschlossen. Auch in Deutschland wurde bereits Ende 1997 von einer interministeriellen Arbeitsgruppe zur CO2-Reduktion die herausragende Bedeutung eines KWK-Ausbaus erkannt. Er sollte nach dem damals vorgelegten und von der Regierung beschlossenen Konzept mit 30 bis 60 Millionen Tonnen CO2-Reduktion den größten Einzelbeitrag leisten, um das Ziel einer CO2-Reduktion um 25% bis 2005 bezogen auf 1990 zu erreichen. Im Jahr 2000 beschloss die Bundesregierung, dass die KWK bis 2010 einen Beitrag von 23 Millionen Tonnen CO2-Minderung im Rahmen des Kyoto-Zieles erbringen sollen. Dieses Ziel gilt bis heute. Allerdings zeichnet sich bereits klar ab, dass die bisherigen konkreten politischen Maßnahmen – Steuerbefreiung für KWK im Rahmen der ökologischen Steuerreform und Förderung durch das KWK-Gesetz von 2002 – bei weitem nicht ausreichen werden, um es zu erreichen.
Übrigens: Auf dem jüngsten SPD-Bundesparteitag votierten die Delegierten mit knapper Mehrheit dafür, Kraftwerksneubauten nur noch zu genehmigen, wenn diese mit KWK-Technologie ausgestattet sind. Ob die Wilhelmshavener Delegierten für oder gegen diese sowohl ressourcen- als auch umweltverträglichere Technik der Energieproduktion votiert haben, ist nicht bekannt.
KWK-Werke erreichen einen Wirkungsgrad von bis zu 90%, weil sie die Abwärme als Fernwärme nutzen. Dagegen müssten die von unseren Stadtoberen herbeigewünschten Kohlekraftwerke ihre Abwärme in die Jade pumpen oder über Kühltürme an die Umgebungsluft abgeben.
Der geplante zweite E.ON-Kraftwerksblock soll übrigens nicht mit Kühltürmen ausgerüstet werden, sondern das Kühlwasser aus der Jade beziehen. Dabei hatte die E.ON im Planfeststellungsverfahren zum JadeWeserPort schon auf die Kühlwasserprobleme des bestehenden Kraftwerks hingewiesen, die durch den Bau des JadeWeserPort so verschärft würden, dass es im Sommer zu Abschaltungen führen müsste. Die Genehmigungsbehörde hatte daraufhin das Einrammen einer 400 m (!) langen Spundwand in die Jade zur Trennung des aufgeheizten Kühlwasserrückflusses vom Kühlwassereinlauf genehmigt. Als E.ON dann den zweiten Kraftwerksblock ins Spiel brachte, reichte diese Lösung nicht mehr aus. Auf der Veranstaltung am 06.11. in Voslapp wurde von der Stadt endlich schon längst zwischen der E.ON und dem Land Niedersachsen Beschlossenes bekannt gegeben: Der Kühlwassereinlauf soll auf Grund von Untersuchungen der Bundesanstalt für Wasserbau jetzt um ca. einen Kilometer seewärts verlegt werden. Das Kühlwasserproblem der E.ON scheint durch diese kostenträchtige Maßnahme gelöst. Allerdings wird die Jade dadurch weiter aufgeheizt, was die Lebensbedingungen der an den dortigen Meeresgrund gebundenen, d.h. hochgradig spezialisierten und gewiss nicht tropentauglichen Tierwelt erschwert, wenn nicht verunmöglicht.
Wie der Kühlwasseraustausch für die dicht an der Niedersachsenbrücke geplanten Kraftwerksblöcke der Electrabel gehandhabt werden soll, ist noch nicht abschließend bekannt. Auf der Veranstaltung in Voslapp wurde allerdings mitgeteilt, dass der Kühlwasseraustausch über die Jade erfolgen soll. Die schon heute bestehende Wärmebelastung der Jade lässt jedoch vermuten, dass man vielleicht doch Kühltürme bauen muss, die mit 106 dB sehr lärmintensiv sind. Unnötige Konflikte zwischen Mensch und Natur werden also wieder mal programmiert.
Doch schon allein schon durch die Steigerung des Kohleimports von jährlich 1,5 auf 8 Mio. Tonnen würde die Geräuschkulisse ansteigen. Das Umschlaggut Kohle soll in Massenschüttgutlagern zwischengelagert werden. Ein Teil davon soll in den geplanten Kohlekraftwerken vor Ort verfeuert und ein anderer Teil ins Binnenland abtransportiert werden. Der Transport soll per Bahn erfolgen. Die gegenwärtige Bahnlinie verläuft durch den Rüstersieler Groden nach Westen, biegt unmittelbar vor dem Stadtteil Rüstersiel nach Norden ab und verläuft anschließend zwischen der Wohnbebauung von Voslapp und dem Naturschutzgebiet Voslapper Groden Süd weiter nach Norden. Die Strecke wird bislang kaum genutzt. Mit der Durchfahrt von 700 m langen Güterzügen mit jährlich mehreren Millionen Tonnen Kohle wäre es jedoch mit der gegenwärtig noch relativen Ruhe in Rüstersiel und Voslapp endgültig vorbei.
Zu dem Lärm kommen weitere Emissionsbelastungen wie Schadstoffe, Staub, Licht hinzu.
Zusätzliche Emissionsquellen entstehen
- durch bis zu vier neue Kraftwerksblöcke
- auf der Niedersachsenbrücke beim Betrieb zusätzlicher Kräne mit Schütttrichtern und Transportbändern
- beim Fördertransport zu und der Aufschüttung in zunächst zwei Schüttgutzwischenlagern – jeweils ca. 830 m lang und 110 m breit – für weitere Kraftwerke und den Abtransport ins Binnenland
- bei der Umladung von den Zwischenlagern auf die Förderanlagen zu den geplanten Kraftwerken
- beim Beladen der Güterwaggons für den Abtransport ins Binnenland
- beim Schienentransport ins Binnenland
Doch die Stadt behauptet, dass es an keiner Stelle in Wilhelmshaven zu Problemen kommen wird. Leider kann sich wohl niemand Gegengutachten in Millionenhöhe leisten. Und seltsam scheinen schon mal einige Lärmwerte der Gutachter, die nach dem Bau der Kraftwerke, der Kohlehalden und dem dazugehörigen Ausbau der Niedersachsenbrücke zu geringeren Lärmbelastungen kommen, als die gleichen Gutachter schon vor Jahren ohne diese Kraftwerke errechnet haben.
Für die Gutachter – glaubt man ihren Ausführungen – halten sich diese Belastungen für Mensch und Natur im gesetzlich erlaubten Rahmen, wobei schon der gesetzliche Rahmen den Menschen einiges zumutet (und seine Einhaltung kaum zu gewährleisten ist). Nicht zu vergessen sei zudem die Vielfalt der seltenen und bedrohten, aber glücklicherweise bei uns noch existierenden Tier- und Pflanzenarten – trotz der von interessierter Seite aufgestachelten Wut auf den Naturschutz, für die man stellvertretend die Rohrdommel instrumentalisiert hat.
Hinzu kommt, dass durch den enormen Kohleverbrauch in Asien eine Kohleknappheit schon absehbar ist, was den Preis in die Höhe treiben wird.
Hätte man die vielen Milliarden Euro – auch viele Milliarden Steuergelder – für die Weiterentwicklung von alten Energietechniken in die Entwicklung umweltschonender Möglichkeiten gesteckt, würden heute Fotovoltaikanlagen preiswert auf unsere Dächer zu bauen sein, Gezeitenkraftwerke gebaut werden, Windenergieanlagen tatsächlich wirtschaftlich sein und der Stromverbrauch vieler Geräte auf ein Minimum verringert sein.
Die Wilhelmshavener Politiker verstecken derweil ihre Unwissenheit wieder einmal hinter bekannten Schlagworten wie „Schaffung von Arbeitsplätzen“. Dabei ist es auch hier mit den Arbeitsplätzen nicht so prall: Zwar werden pro Kraftwerksblock 100 Arbeitsplätze (Electrabel gar 110) angekündigt. Diese Anzahl wird aber noch nicht mal im alten, längst abgeschriebenen Block erreicht – dort sind es gerade mal 87. Und bei Kraftwerkszubauten werden zudem noch arbeitsplatzsparende Synergieeffekte wirksam.
Auch die Annahme, dass durch den Kohleumschlag viele zusätzliche Arbeitsplätze entstehen würden, ist ein Irrtum: Durch den gegenwärtigen Kohleumschlag (inkl. der Verladung von Natronlauge) an der Niedersachsenbrücke finden lt. Angaben der landeseigenen Hafengesellschaft „Niedersachsen Ports“ 28 Mitarbeiter Beschäftigung. Nächstes Jahr sollen neun dazukommen. Mit dem Umschlag an der Niedersachsenbrücke allein könnten sie allerdings kaum ihr täglich Brot verdienen, weil sie maximal sechs Monate im Jahr mit den dortigen Umschlagtätigkeiten ausgelastet werden können. Da die Hafenumschlaggesellschaft „Rhenus Midgard“ aber neben der Niedersachsenbrücke auch den Nordhafen betreibt, können sie, wenn an der Niedersachsenbrücke „tote Hose“ ist, auch dort eingesetzt werden. Insgesamt wurde angekündigt, die Anzahl der Arbeitsplätze – vermutlich im Jahre 2014, wenn das Umschlagvolumen von 8 Millionen Tonnen erreicht werden sollte – auf 50 zu erhöhen.
Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, ob es wirklich von so großem wirtschaftlichen Nutzen für uns Bürgerinnen und Bürger ist, wenn wir die damit einhergehenden Umweltbelastungen unabgewogen schlucken.
Wir sollten uns möglichst auch die Frage beantworten, ob sich unsere Stadt zu den fortschrittlichen Standorten im Sinne nachhaltiger Ressourcen- und Umweltschonung gesellen oder ob sie zukünftig die Rolle als Mahnmal für eine Ressourcen verschleudernde, klimaschädliche Auslauftechnologie übernehmen soll.
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