Ein-Euro-Jobs 1
Jul 072008
 

Missbrauch

Auch Wilhelmshaven ersetzt reguläre Arbeitsplätze durch Ein-Euro-Jobs

(noa) Ein-Euro-Jobs bei der Stadt Wilhelmshaven und die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Personalrates bei diesen „Arbeitsgelegenheiten“ waren Thema der ALI-Monatsversammlung am 10. Juni. Dieter Kanth, Personalratsvorsitzender der Stadt, war der Referent. Kanth begann damit, dass er sich selbst zitierte. Er erinnerte an die Jahreswende 2004/2005, als Hartz IV Gesetz wurde.


Logo ALIDamals hatte er auf der Montagsdemo gesagt: „Für die Verwaltungsmitarbeiter, die das Hartz IV-Gesetz in Verwaltungen umsetzen sollen, ist dieses Gesetz eine Zumutung, weil es handwerklich schlecht gemacht ist, weil es unter Zeitdruck umgesetzt werden muss, weil es noch eine Fülle von Unklarheiten beinhaltet, weil es politisch noch immer hoch umstritten ist, weil es zusätzliche Arbeit und Überstunden bei jetzt schon nicht ausreichendem Personal in Sozial- und Arbeitsämtern erfordert.
Aber offensichtlich ist das der Bundesregierung egal, sie will Wirtschafts- und Unternehmerverbänden in diesem Land ihre Durchsetzungsfähigkeit auf Kosten breiter Bevölkerungsschichten beweisen.
Besser wäre es aus meiner Sicht, die Durchführung des Gesetzes so lange auszusetzen, bis Klarheit über die Rechtsnormen und die Organisationsformen, in denen dies geschieht, besteht und eine bessere politische Akzeptanz im Lande vorhanden ist.
Sonst baden nämlich die Beschäftigten vor Ort in den Ämtern dieses unausgegorene Gesetz zusammen mit den Betroffenen aus, und das kann auch Konflikte geben!
Am allerbesten wäre es jedoch, dieses Gesetz insgesamt fallen zu lassen, weil es Langzeitarbeitslose am Neujahrsmorgen 2005 in die Armutsfalle treibt, während am Silvesterabend 2004 davor bei den besser Verdienenden und Reichen in diesem Land die Champagnerkorken geknallt haben, weil sie massive Steuersenkungen feiern konnten.
Aber auch die eigentliche Zielsetzung von Hartz IV, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, wird eindeutig verfehlt. Ich will Ihnen einmal vorlesen, was das dann für Ein-Euro-Jobs sind, die im Zusammenhang mit Hartz IV geschaffen werden sollen: So will z. B. die Stadt Oldenburg Ein-Euro-Jobs als Hausmeisterhelfer, Hausarbeiter und Helfer in der Abfallwirtschaft usw. schaffen.
Meine Damen und Herren, das waren und sind bisher reguläre Arbeitsplätze mit Tarifgebundenheit in städtischen Verwaltungen gewesen. Es wird also vermutlich keine zusätzlichen Arbeitsplätze geben, sondern bestehende tariflich abgesicherte werden in ungesicherte Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. So hilft Hartz IV Arbeitgebern im kommunalen Bereich auch noch, Personalkosten zu sparen und weiter tarifgebundene Arbeitsplätze abzubauen.“
All das, so Kanth, hat sich bestätigt: Die Flut von Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Hartz IV zeigt, wie unausgegoren das Gesetz ist, und die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Organisationsform der Arge (Arbeitsgemeinschaft zwischen Arbeitsagentur und Kommune) als verfassungswidrig bezeichnet hat, bestätigt das erst recht. Die chaotischen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten bei den Job-Centern aus der Anfangsphase bestehen fort, weil die Personalausstattung nicht ausreicht – das ist keineswegs nur in Wilhelmshaven so.
Die Einschätzung der Gewerkschaft ver.di, dass die Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsplätze vernichten, dass die Kommunen durch ihre dauernde Finanznot dazu verführt werden, diese „Arbeitsgelegenheiten“ zu missbrauchen, trifft nach den Erfahrungen von Dieter Kanth auch in Wilhelmshaven zu.
Eine Kontrolle der Arbeitsgelegenheiten durch die Personalräte war zu Beginn nicht möglich, weil die Arbeitgeber sich weigerten, das Mitbestimmungsrecht der Personalvertretungen anzuerkennen. Erst seit einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts 2007 werden nun auch bei der Stadt Wilhelmshaven die Personalvertretungen beteiligt.
Erstaunt waren die TeilnehmerInnen der Versammlung über die geringe Zahl der AGHs bei der Stadt Wilhelmshaven: Von den seit diesem Bundesverwaltungsgerichtsbeschluss den Personalvertretungen vorgelegten Maßnahmen musste der Gesamtpersonalrat 37 AGH ablehnen, weil sie nicht den rechtlichen Bestimmungen entsprachen; lediglich 16 AGH konnten nach dem Beteiligungsverfahren dann durchgeführt werden. Nur 53 beantragte AGH? Nur 16 durchgeführte? Man sieht jeden Tag mehr als 16 Ein-Euro-Jobber in der Stadt ihren Tätigkeiten nachgehen.
Und die, die man bei der Arbeit beobachten kann, sind nicht unbedingt bei der Stadt beschäftigt. Die Zersplitterung der Stadtverwaltung in zahlreiche Eigenbetriebe, die dann offiziell nicht mehr zur Stadtverwaltung gehören, entzieht dem Personalrat die Mitbestimmungsmöglichkeit, und die zahlreichen Töchter der Stadt beschäftigen Ein-Euro-Jobber, von denen der Personalrat nicht einmal etwas erfährt.
Tatsächlich ist es aber auch so, dass es nicht mehr so viele Arbeitsgelegenheiten gibt wie zu Beginn der Gültigkeit des Gesetzes. Die Job-Center selber überprüfen die Anträge von Arbeitgebern nach einer kritischen Stellungnahme des Bundesrechnungshofes genauer und lehnen viele Anträge ab.
Die Personalvertretungen bestimmen da, wo sie beteiligt werden, nicht nur darüber mit, ob im Betrieb AGH eingerichtet werden. Bei ihrer Beteiligung geht es auch darum, Arbeitsbedingungen der AGH-Kräfte mitzugestalten und für die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen zu sorgen. Und da, wo keine Personalvertretung besteht oder sie nicht beteiligt wird, besteht die Gefahr, dass Mindeststandards der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsstätten nicht eingehalten werden.
Sehr überrascht waren die ZuhörerInnen, als Kanth erklärte, dass Ein-Euro-Jobber bei Betriebs- bzw. Personalratswahlen wahlberechtigt sind. Das werden wohl die wenigsten Arbeitgeber sagen.
Die Stadtverwaltung bedient sich neuerdings zunehmend der GAQ, um AGH durchzuführen. So sind viele Ein-Euro-Jobber im Bereich der städtischen Grünanlagen am Personalrat vorbei eingesetzt. Bei diesen Maßnahmen bestehen – wie schon in anderen ALI-Versammlungen von anderen Leuten angemerkt – erhebliche Zweifel daran, ob sie den Kriterien, die an AGH anzulegen sind, tatsächlich genügen. Dass eine Stadt ihre Grünanlagen pflegt und ihre Straßen reinigt, dürfte wohl kaum zusätzlich sein. Die Information von Dieter Kanth, dass momentan im städtischen Eigenbetrieb „Straße und Grün“ zehn Planstellen unbesetzt sind, während 25 AGH laufen, bestätigt die Behauptung, dass auch die Stadt Wilhelmshaven die AGH missbraucht.
Das erstaunte nun niemanden in der Versammlung.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top