Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Mai 211990
 

Oder: Watt jeht mich mein dummet Jeschwätz von jestern an?

(aj) Wer kennt sie nicht, die Geschichte von Dr. Jekyll, dem angesehenen Arzt, der des Nachts zum gefürchteten Mr. Hyde wird und aus den medizinischen Erfahrungen seines ersten Ichs mörderischen Nutzen zieht? Besonders faszinierend ist dabei doch immer wieder, daß der gute Dr. Jekyll lange Zeit das böse Treiben seiner Nachtperson ignoriert. . .

Olle Kamellen? Kintopp? Mitnichten – das zugrundeliegende Prinzip ist heute offenbar genauso wirksam wie dunnemals, z.B. in einem durchaus nicht unprominenten Wilhelmshavener Kopf.
Da war am 1. Dezember 1989 in unserer oberparteilichen Heimatgazette ein Leserbrief des in Umweltfragen stets engagierten SPD-Denkers Hartmut Herzog zu lesen, der einen Zeigefinger zum Thema Müllverbrennung hob. Auf „täglich wachsende Müllberge“ wurde dort ebenso verwiesen wie auf die Unbequemlichkeiten, die mit „vermeiden, vermindern, verwerten, behandeln und ablagern“ verbunden sind. Jedoch gab der Schlußsatz die eindeutige Richtung an: „Trotzdem – es muß sein: zu lange und zu sorglos haben wir alle auf Kosten der Natur gelebt.“
Soweit Dr. Hartmut Jekyll. Szenenwechsel. Dämmerung über Wilhelmshaven. Im Stadttheater flammen die Lichter auf , und ein gewisser Herzog Hyde schickt sich an, die Öffentlichkeit seiner Heimatstadt mit einem weiteren dramatischen Werk aus seiner Feder zu beglücken. Doch das ist noch nicht das Schlimmste: um auch die gewöhnlich in anderen Tempeln unserer Zivilisation Beheimateten in den Dunstkreis seiner dichterischen Botschaft zu locken, greift er zu dramatischen Mitteln und holt sie genau dort ab, wo sie stehen bzw. sitzen, nämlich der WHVer Filiale einer großen amerikanischen Imbißkette mit schottischem Namen: „Gegen Abgabe einer Eintrittskarte (für „Johnny B. Goode“) nach der Sonntagsnachmittagsvorstellung (…) gibt es einen „Bic Mac“ auf 2.95 DM reduziert bei Mc Donald’s in der Marktstraße.“, so steht es diesmal zu lesen, auf einem vor allen an Schulen kursierenden Werbezettel unsere s Heimatdichters.
Da schlägt nicht nur jedes Fast Food-Schlemmerherz höher, da reiben sich auch die WHVer Vertreter des Regenwaldvernichters Mc Donald’s die Hände über di ese kostenlose Werbung direkt am Magen der Zielgruppe und stopfen um so emsiger ihre Fleischklopse samt Wattebrötchen in die garantiert nicht recyclebaren, chlorgebleichten Schaumkästchen.
Wie sagte noch Dr. Hartmut Jekyll der WHVer Bevölkerung im letzten Dezember: „vermeiden, vermindern … usw. usw.“ Herzog Hyde hingegen trägt nun aktiv und offensiv dazu bei, daß die Müllhalden wachsen – solange es einer guten Sache, nämlich der Publikumsbeschaffung für sein Theater dient. Zugegeben – dessen Inhalt allein hätte wohl kaum für die Füllung der ersten zwei Reihen gelangt – aber mußte Hyde, genannt Duke, deshalb seinem braven, ernsthaft engagierten ersten Ich, dem unbestechlichen Hartmut Jekyll so mörderisch in den Rücken fallen?
Oder ist es vielleicht in Wirklichkeit ganz anders? Schon im Leserbrief von 1989 deutet Hartmut Herzog die trotz allem eventuelle Unvermeidbarkeit einer Müllverbrennungsanlage an, „weil immer ein Rest bleibt“. Damit befindet er sich durchaus nicht im Gegensatz zur Ratsmehrheit seiner Partei, die sich bislang zur MVA in Wilhelmshaven stets mit einem entschlossenen „Jein“ zu Wort gemeldet hat. Geht man/frau/ nun davon aus, daß eine Tat mehr sagt als tausend Worte, so kann man vielleicht nicht umhin festzustellen, daß das SPD-Mitglied Herzog mit seiner theatralisch verbrämten Müllbeschaffungsaktion das tut, was seit einiger Zeit an diesem Ort zum Tagesgeschäft gehört: Zeichen setzen, diesmal für die Notwendigkeit einer Müllverbrennungsanlage hier und jetzt und ohne wenn und aber.

In Stevensons Erzählung von Dr. Jekyll und Mr. Hyde entschließt sich der Mediziner, seine beiden Identitäten zu vernichten, damit die Welt gerettet werden kann. Man muß das im übertragenen Sinne verstehen: Neu anfangen!

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