Die Wende
Nov 081982
 

Mit Volldampf in die 50er!

Gewerkschafter gegen die „Wende“

(RaWe) Hunderttausende folgten einem Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu Massenkundgebungen, die sich gegen den Arbeitsplatzabbau, die katastrophalen Sparbeschlüsse der neuen Bundesregierung in Bonn und die weiter fortschreitende Aufrüstung richteten.

Geplant und angekündigt waren die Protestaktionen bereits zu Zeiten der alten sozial-liberalen Regierung. Ebenfalls wegen vorgesehener Sparmaßnahmen, die vor allem untere Einkommensschichten und sozial Schwache betroffen hätten. Der Regierungssturz, das einseitige Sparprogramm des neuen Rechtsblocks und nicht zuletzt das anmaßende Auftreten führender Unionspolitiker, allen voran Norbert Blüm, gegenüber den Gewerkschaften, brachte nun das große Geduldsfaß zum Überlaufen. Das wurde auch durch die Redebeiträge und die mitgeführten Transparente sehr deutlich gemacht. Überhaupt hat sich der Ton in den letzten Wochen sehr verschärft und die Auseinandersetzungen drohen sich weiter zuzuspitzen,
Auch aus dem Raum Wilhelmshaven beteiligte sich eine große Zahl von Arbeitnehmern an den Demonstrationen, die an verschiedenen Orten stattfanden. Über 500 waren es, die sich am 6.11. per Sonderzug nach Hamburg auf den Weg machten. Am Wochenende zuvor, dem 30.10., demonstrierten in Hannover etwa 30.000 und am gleichen Tage in Stuttgart über 150.000 Gewerkschafter. Am 4.11. war Bremen Schauplatz einer Großdemonstration, auch hier mit Wilhelmshavener Beteiligung. Angst und Unwillen gehen um. Aber gleichzeitig wächst die Bereitschaft, zusammen mit anderen auf, gesellschaftliche Mißstände und Fehlentwicklungen masssiv aufmerksam zu machen. Die Arbeitnehmer, Rentner, Arbeitslosen, Schüler, Studenten und Kriegsopfer bekommen zu spüren, daß sie die Krise tragen und finanzieren sollen. Und eben das kann und darf nicht hingenommen werden. Die große Teilnehmerzahl aus Wilhelmshaven resultiert nicht zuletzt auch aus dem Zustand im hiesigen Wirtschaftsraum, der gekennzeichnet ist durch hohe Arbeitslosigkeit und weitere drohende Betriebsschließungen.
Gerade durch die vorgesehenen Maßnahmen und Forderungen der neuen Regierung, wie z.B. einer halbjährigen Lohnpause, Kürzungen für sozial Schwache, Mehrwertsteuererhöhung, Verschiebung der nächsten Rentenanpassung u.s.w., würde sich der wirtschaftliche Niedergang eher beschleunigen, weil dadurch gerade bei der breiten Masse eine Kaufkraftschwächung entsteht, die für den Konjunkturverlauf aüßerst schädlich ist. Mit Rezepten aus der Mottenkiste ist uns nicht geholfen. Andere westliche Staaten mußten bereits schlimme Erfahrungen mit konservativen Wirtschaftsvorstellungen machen (USA,GB).
Gleichzeitig werden Unternehmer durch Steuererleichterungen unterstützt, um durch Investitionen Arbeitsplätze zu schaffen. Bisher allerdings wurden durch Investitionen oft Arbeitsplätze eher wegrationalisiert als geschaffen. Und schließlich wird den „Besserverdienenden“ die sogenannte Zwangsanleihe nach kurzer Zeit zurückgezahlt. Wahrlich ein Musterbeispiel an Gerechtigkeit und sozialer Ausgewogenheit. Es zahlt also einzig und allein, wie schon immer, der kleine Mann die Zeche.
Die drastischen Kürzungen des Schüler- und die Umstellung des Studenten-BAföG auf ein zurückzuzahlendes Darlehen bedeuten einen Rückfall in die sechziger Jahre und ein Abwürgen der Lern- und Bildungsmöglichkeiten für weite Teile der Jugend. Bildung wird wieder zu einer Frage des Geldbeutels degradiert und Arbeiterkinder werden darunter am meisten zu leiden haben.
Und was sagt Wendekanzler Kohl dazu? Er ist verwundert. Er kann es gar nicht fassen, daß seine und die Pläne seiner Minister auf Kritik stoßen. Schon wittert er wieder ein Komplott zwischen DGB und SPD. Und Heiner Geißler gipfelt in der Bemerkung, daß die Mehrheit der DGB-Mitglieder die Union gewählt habe, und daß er deshalb die DGB-Proteste nicht begreife. Man spürt die Bürgernähe.
Die Gewerkschaften stehen gerade jetzt in ganz ,besonderer Verantwortung. Bei den kommenden Tarifverhandlungen wird es für den DGB von besonderer Wichtigkeit sein, daß die Abschlüsse nicht unterhalb der Inflationsrate bleiben.

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