Der Wahn vom Weltreich
Der Militärgeschichtliche Arbeitskreis Wilhelmshaven (MAW) über die Rolle der Marine zu Kaisers Zeiten und das Marinemuseum
Im GEGENWIND 142 setzte sich Hartmut Peters vom MAW mit der Außenwerbung des Förderverein „Deutsches Marinemuseum e.V.“ auseinander. In dieser Ausgabe befasst sich der Fregattenkapitän a.D. Ulrich Meyer mit der Marine des Kaiserreichs.
Wilhelmshaven besitzt auch ohne Marinemuseum Zeugnisse der Marinegeschichte. Man denke nur an unsere Christuskirche, einzige Militärkirche der Stadt, die ihre militärische Vergangenheit unverhüllt zur Schau stellt. Ein aufmerksamer Rundgang vermittelt dem Kenner Einblicke in Leistungen und Leiden der Marine, aber auch in – bisher ungesühnte – Schuld an fremden Menschen und Völkern.
Prinz Adalbert in Marokko
So erinnert in der Militärkirche eine Gedenktafel u.a. an den Tod des Lt.z.S. Niesemann von S.M.S „Danzig“, gefallen am 7.8.1856 im Gefecht bei Tres Forcas, Marokko. Das kam so: Nach der Plünderung der Bark „Flora“ vor der marokkanischen Küste wollte Prinz Adalbert die unsichere Küste besichtigen. Von Land aus beschossen, („musste diese Beleidigung der preußischen Flagge sofort energisch bestraft werden“) wurden spontan 68 Mann an Land gesetzt, um die steile Felsenküste zu erstürmen. Bei dem viereinhalbstündigen Feuergefecht waren auf preußischer Seite 22 Verwundete – darunter Prinz Adalbert – und 7 Tote zu beklagen. Schließlich zog man sich – ergebnislos – wieder zurück. Kommentar Röhr: „Erstes Landungsgefecht der Marine, Feuertaufe der Seesoldaten“. Dieser militärische Unsinn und die leichtfertigen Verluste an Leib und Leben schadeten der weiteren Karriere vom Geschwaderchef zum Generalinspekteur der Marine nicht im Geringsten. Noch heute steht am Adalbertplatz das Denkmal von Prinz Adalbert, aufgestellt 1882 (er starb am 15.06.1873).
Bürgerkrieg in Spanien
Während der schweren Unruhen in Spanien 1873/74 griffen deutsche Kriegsschiffe eigenmächtig in den Bürgerkrieg ein, indem sie zwei Kriegsschiffe der Aufständischen („Victoria“ und „Almansa“) kaperten und der britischen Marine übergaben – der Privatkrieg eines Marineoffiziers, sehr zum Ärger von Reichskanzler Otto v. Bismarck, der die Ablösung des Geschwaderchefs, Kommodore Werner, durchsetzte.
Boxeraufstand
Eine andere Gedenktafel der Militärkirche dient „dem Andenken der bei der Expedition nach China 1900/1901 Gefallenen und Gestorbenen“. Es folgen viele Namen und Einheiten. – Wie war das damals?
Die Ermordung zweier Missionare war willkommener Anlass, am 14.11.1897 die Bucht von Kiautschou durch die kaiserliche Marine besetzen zu lassen. China musste einem Pachtvertrag auf 99 Jahre zustimmen. Es folgte ein rascher Aufbau von Gebäuden, Verkehrswegen, Hafenanlagen von Tsingtau etc. Die Einwohnerzahl wuchs von 1.000 (1898) auf 30.000 (1914).
Dazu wurden Tausende Chinesen zu unbezahlter Arbeit gezwungen. Sie hausten in umzäunten bewachten Arbeitslagern. Fluchtversuche wurden schwer bestraft. Als den Bauern die Bewässerung ihrer Ländereien entzogen wurde (Dammbauten für die Eisenbahnlinie zu den Kohlengruben), kam es zum ersten – blutig niedergeschlagenen – Aufstand.
Aus wachsender Unzufriedenheit über die deutschen Besatzer entstand 1899/1900 der sog. Boxeraufstand, bei dem die Aufständischen viele Gräuel verüben. – Der Aufstand wurde in kurzer Zeit durch ein internationales Expeditionskorps aus ca. 12.000 deutschen und 26.000 britischen, französischen, russischen und japanischen Soldaten blutig niedergeschlagen. Man kämpfte sich nach Peking durch und befreite die dort eingeschlossenen Gesandtschaften.
Kaiser Wilhelm II. hatte das deutsche Korps in Bremerhaven mit der berühmten „Hunnenrede“ verabschiedet: „Gefangene werden nicht gemacht“. Und so geschah es auch. Die alliierten Truppen verfolgten die Boxer überall. Dabei wurde geplündert, geraubt, gebrandschatzt und vergewaltigt. Gefangene wurden nicht gemacht. Auch viele Frauen und Kinder kamen ums Leben. Deutsche Soldaten berichteten: „Die gefangenen Chinesen haben wir alle totgeschossen, aber auch alle, die wir sahen und kriegten, haben wir niedergestochen und -geschossen.“ Oder „Am Sonntagnachmittag haben wir 74 Gefangene mit dem Bajonett erstechen müssen.“ – Einzig August Bebel brandmarkte im Reichstag diese deutschen und europäischen Gräueltaten. Für Deutschnationale war dergleichen noch nie ein Problem.
Straf- und Befriedungsaktionen
In den wenigen Jahren von 1876 bis etwa 1890 schuf sich das Deutsche Reich sein Kolonialreich: Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kaiser Wilhelm-Land (Neuguinea), Bismarck-Archipel und Samoa, häufig unter arglistiger Täuschung der vertragsschließenden Häuptlinge, stets aber mit Unterstützung der Marine. Nachdem diese Gebiete erfolgreich „unter deutschen Schutz“ gestellt waren, begann die Phase der in aller Regel gewaltsamen Befriedung – zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen. Jede Kolonie war davon betroffen. Strafaktionen waren an der Tagesordnung.
Besonders unterdrückt und ausgebeutet wurde der Kamerun. Hans Dominik, Chef der deutschen „Schutztruppe“, schreibt über eine seiner „Befriedungsaktionen“ in einem „aufständischen“ Dorf: „Da saß ich nun … inmitten des brennenden Mpako. Krachend stürzten die brennenden Häuser zusammen, …, Frauen und Kinder irrten ratlos umher, laut aufkreischend, wenn sie auf einen bekannten Gefallenen stießen, denn echt afrikanisch – mit dem Bajonette – hatten die Sudanesen gearbeitet. … – Ich gedachte der Lieben daheim. … .“
Völkermord an den Hereros
Furchtbare Rache nahm man in Deutsch-Südwest an den aufständischen Hereros. General von Trotha, der Theodor Leutwein als Kommandeur abgelöst hatte, gab schließlich den Befehl, „den hochmütigen Kaffernstamm für immer vernichtend aufs Haupt zu schlagen“ und ließ das ganze Volk in die wasserlose Omaheke-Wüste treiben. Man schätzt, dass ca. 60.000 Hereros erschossen oder massakriert wurden bzw. verhungert und verdurstet sind. Marinesoldaten waren anfangs an den Kämpfen beteiligt. In unserer Militärkirche heißt es dazu: „Dem Andenken der während des Aufstandes in Deutsch-Südwest-Afrika 1904-07 Gefallenen und Gestorbenen“.
Aktivitäten in Ostafrika
Ähnlich war es in Deutsch-Ostafrika, wo man nach offizieller Lesart aufständische arabische Sklavenhändler bekämpfte, meist zusammen mit den Briten. Ob dies einzig zum Wohle der betroffenen schwarzen Sklaven geschah, darf bezweifelt werden. (1888 Seeblockade, 1889 Daressalam, Kondutschi, Bagamojo, 1905/06 nehmen Seesoldaten teil am Befriedungszug gegen die Wangoni bis zum Njassasee) Auch an diese Ereignisse erinnern mehrere Tafeln der Militärkirche: Saadani 1888, Bagamoyo 1889 und ostafrikanischer Aufstand 1905-07.
Daneben gab es eine Fülle von Pressionen gegen kleinere Staaten, um Wiedergutmachung oder die Zahlung von Schulden zu erpressen, Kampfeinsätze gegen – echte oder vermeintliche – Rebellenschiffe, Schutz deutscher Bürger oder deutscher Interessen bei „Unruhen“. Bekannt geworden ist der sog. Panthersprung nach Agadir. q
Anhang
Befriedungsaktionen:
1887/1888 Samoa, 1891 Kamerun , Gilbert-Inseln , Butaritari (Mikronesien), 1892 Hatzfeldhafen (Kaiser Wilhelm-Land), 1893 Kamerun, 1894 Samoa, 1897 Bismarck-Archipel, 1904/05 Herero-Aufstand, Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika, 1908 Ponape, 1909 Samoa, 1911 Ponape.Militärische Pressionen:
1876 Türkei, 1878 Nicaragua, 1891 Chile, 1892 Venezuela, 1893 Bangkok, Rio de Janeiro, 1894 Brasilien, Seoul, Casablanca, 1895 Tschifu (China), Marokko, 1896 Habana, Sansibar, 1897 Kreta, Tsingtau, 1898 Puerto Rico, 1902 Haiti (Versenkung eines Rebellenkreuzers), 1902/03 Venezuela, 1908 Port-au-Prince, 1909 sog. türkische Wirren, 1910 Honduras, 1911 Hankau (China), Agadir (sog. Panthersprung), Port au Prince, 1912/13 Balkankrieg, 1912 Liberia, 1913 Mexiko, 1914 Haiti.Quellen: v.Mantey: Unsere Kriegsmarine; Röhr: Handbuch der deutschen Marinegeschichte; Petschull: Der Wahn vom Weltreich; Nuhn: Sturm über Südwest; Dokumentation Symposium Deutsches Marinemuseum;
Die Marine und die Tradition
Was haben nun unsere Marine und das geplante Marinemuseum damit zu tun? Ich meine, sehr viel. Eine eigene Tradition hat die Bundesmarine in den 42 Jahren ihrer Existenz eigentlich nicht aufgebaut. Ein Rückgriff auf „früher“ schied bislang aus: das Kaiserreich lag dafür zu weit zurück, die Weimarer Republik bot zu wenig Glanz, und die deutsche Wehrmacht war bisher kaum gestattet. Umso mehr verwundert es, dass das Werbeblättchen für das Marinemuseum heiter und unbeschwert auf die Kaiserzeit zurückgreift: S.M. Kreuzer „Prinzeß Wilhelmine“ z.B. war an der gewaltsamen Besetzung von Kiautschou beteiligt.
Die Marine war bei den meisten Auslandseinsätzen einschließlich der Kämpfe an Land aktiv beteiligt. Haben wir heute nicht die Pflicht, diese Jahre ebenso aufzuarbeiten, wie wir es mit dem 3. Reich versucht haben? Können wir diese Geschichte wirklich unkritisch der Tradition unserer Bundesmarine voranstellen und dabei einzig die technisch-militärischen Leistungen würdigen, nicht aber deren Legitimation? Nur das Leiden deutscher Soldaten würdigen, nicht aber das ihrer Opfer? Können wir diese Zeit wirklich völlig unkritisch ins geplante Marinemuseum stellen?
Das Symposium Deutsches Marinemuseum, das am 19./20. September 1988 in Wilhelmshaven tagte, hatte wiederholt die Frage der Legitimation von Streitkräften und deren Einsatz angesprochen. Wie aber will man im künftigen Marinemuseum maritime Tötungsapparate, wie es Waffensysteme mit ihren Plattformen zweifellos darstellen, „kritisch“ ausstellen? Wie des Kaisers Wahn vom Kolonialreich und die kaiserliche Kolonialpolitik, dem die Marine stets willfähriges Werkzeug war? Wie die Befriedungseinsätze gegen „Eingeborene“ und Pressionseinsätze gegen schwache Entwicklungsländer? Schließlich: Wie steht man zum Matrosenaufstand 1918, Geburtsstunde der deutschen Demokratie? Wie zur Freiheit des Gewissens, die sich als Widerstand im 3. Reich, als Wehrdienstverweigerung bis hin zur Desertion äußerte? Und wie ist es heute: wie steht man zu Eid und Verfassung, die den Erfordernissen weltweiter Auslandseinsätze anzupassen unser Gesetzgeber – Helmut Kohl und Gefolgschaft – für überflüssig gehalten hat?
Die Bundesmarine ist weder eine fröhlich bunte Trachtengruppe noch eine Männergemeinschaft harter Seesoldaten. Sie funktioniert auch nicht allein nach Befehl und Gehorsam wie möglicherweise die deutsche Wehrmacht. Und ein künftiges Marinemuseum muss mehr sein als die bunte Aneinanderreihung schöner Schiffsdarstellungen, strammer Seesoldaten, harter Weltkrieg II-Einsätze, soll es nicht zum Seekriegsmuseum verkommen. Das Ehrenmal Laboe und unsere Militärkirche sind in ihrer schlichten Einfalt, nämlich in falschem Pathos nur das Leiden und Sterben der Täter darzustellen, m.E. abschreckendes Beispiel genug.
Bis heute ist der Förderverein Deutsches Marinemuseum der Öffentlichkeit gegenüber klare Antworten schuldig geblieben.
Ulrich Meyer, FKpt a.D.
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