CVJM
Feb 051997
 

Ganz schön schlapp

Immer knapp an den Problemen vorbei – der ndr berichtete aus Wilhelmshaven

(noa) Wilhelmshaven live im Fernsehen! Leider “zusammenhanglos und oberflächlich”, wie ‚zy‘ von der WZ richtig feststellte – doch denen, die am 11.12. im Pumpwerk waren, als ‚Hallo Niedersachsen‘ vor Ort war, war es wichtig, und die haben den Zusammenhang verstanden.

Das Thema an diesem Abend: Die drohende Zunahme der Arbeitslosigkeit in Wilhelmshaven, die ohnehin schon am höchsten in ganz Niedersachsen ist. (Und das schon vor den Sitzungen der Verwaltungsspitze im Katastrophenschutzamt!)
Daß die Unruhe unter den Müllwerkern entstanden war, weil sie von der Abschaffung des Hol- und Bringedienstes in einigen Stadtbezirken gehört hatten, kam in der Fernsehsendung nicht zur Sprache, so daß den Zuschauern von Hallo Niedersachsen wahrscheinlich nicht klar wurde, warum die Kollegen befürchten, daß “ihre Arbeitsplätze draufgehen”.
Zugunsten einer Kontroverse zwischen OB Menzel und Ratsherr Kläne wurde auch die Zeit für die Darstellung der Probleme des CVJM (die während der “Generalprobe” noch einigermaßen deutlich wurden), gekappt, wodurch die Lehrgänge in Gefahr sind, kam nicht rüber, und die Förderschülerin, die darauf vorbereitet war, darzulegen, daß es “Scheiße” wäre, wenn der CVJM seine Einrichtung schließen müßte, kam nicht zu Wort.

Förderlehrgänge gefährdet

Sie durfte es dafür ein paar Tage später vor N3-Kameras sagen, als “Hallo fragt nach” beim CVJM zu Gast war. Der am 2. Januar ausgestrahlte Film über die Förderlehrgänge war überhaupt erheblich aufschlußreicher.
Bislang hatten Jugendliche, die nach Erfüllung ihrer Schulpflicht nicht in der Lage waren, eine Berufsausbildung oder eine Arbeit aufzunehmen, einen Rechtsanspruch auf besondere Hilfen nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Dieser Rechtsanspruch wurde jetzt wegreformiert, aus einer Muß-Bestimmung wurde eine Kann-Bestimmung. Gleich- zeitig wurde mit der Reform des AFG diese Förderung aus den Händen der Landesarbeitsämter genommen und den einzelnen örtlichen Arbeitsämtern als Aufgabe zugewiesen, mit der Maßgabe, dafür eine halbe Mil- liarde DM weniger auszugeben als bisher. Das Landesarbeitsamt Niedersachsen/Bremen kündigte daraufhin den Vertrag mit dem CVJM, der erst 1996 (mit einer Laufzeit von drei Jahren) geschlossen wurde, obwohl noch nicht einmal feststand, ob das Arbeitsförderungsreformgesetz überhaupt in Kraft tritt.
Für die Träger von berufsfördernden und berufsvorbereitenden Maßnahmen stellt sich damit eine völlig neue Situation: Bekamen sie bis 1996 ihre KlientInnen aus Hannover zugewiesen, müssen sie jetzt bei den einzelnen Arbeitsämtern hausieren gehen. Mit jedem Arbeitsamt müssen einzelne Verträge geschlossen werden – ein an sich unnötiger Zuwachs an Verwaltungsarbeit sowohl für die Träger als auch für die Arbeitsämter – und welchen Preis sie dafür erzielen, ob sie weniger Jugendliche als bisher oder dieselbe Anzahl für weniger Geld betreuen müssen, ob und wieviel Personal sie entlassen müssen – all das ist im Augenblick völlig unklar.

Vorgezogener Wahlkampf

Bezogen auf den CVJM in Wilhelmshaven ist es deshalb auch unklar, auf welcher Grundlage die SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Iwersen in der WZ vom 6.11.96 die von CVJM-Beschäftigten geäußerte “Befürchtung bestätigt”, ihre Arbeitsplätze zu verlieren, und diese Angst als “nicht nur berechtigt, sondern sogar schon bittere Realität” bezeichnet. Ebenso unklar ist, warum die CDU-Landtagsabgeordnete Inse-Marie Ortgies in Sachen CVJM mit dem Bundesministerium für Arbeit Rücksprache gehalten und wie sie dort erfahren hat, daß der Bestand der Lehrgänge auch über den augenblicklich laufenden Lehrgang hinaus gesichert sei (Hallo Niedersachsen, 2.1.). Die Schließung droht ja nicht als Maßnahme des Ministeriums, sondern, wenn überhaupt, als Folge von Einsparungen, die das Ministerium will. Befinden sich die beiden Politikerinnen schon im Wahlkampf? Damit ist den Jugendlichen und dem Personal beim CVJM nicht gedient.

Berufliche Förderung beim CVJM

Seit annähernd dreißig Jahren führt der CVJM Wilhelmshaven neben seiner Vereinsarbeit Berufsförderungslehrgänge für lernbehinderte Jugendliche durch. In den ersten Jahren waren es schulentlassene, aber noch nicht berufsreife Mädchen und Jungen aus Wilhelmshaven, die von ihren Elternhäusern aus den Unterricht, der damals noch in den Berufsschulen stattfand, aufsuchten. Mittlerweile laufen die Lehrgänge schon seit etwa 20 Jahren in eigenen Werkstätten und Unterrichtsräumen in der Marktstraße gegenüber dem Westbahnhof, und die Jugendlichen kommen aus dem ganzen Landesarbeitsamtsbezirk Niedersachsen/Bremen.
Fachpraktische Unterweisung in Hauswirtschaft/Kochen und textilem Gestalten, Bautechnik, Holzbearbeitung, Farb- und Raumgestaltung und Metallbearbeitung, theoretischer Unterricht und ein Berufsschultag strukturieren die Zeit der jungen Leute – jährlich etwa 80 an der Zahl – unter der Woche von 8 bis 17 Uhr. Ihre Freizeit verbringen sie im Wohnheim, z.T. mit von ErzieherInnen angebotenen Aktivitäten, z.T. in eigener Regie wie in der eigenen Disco und der selbst organisierten Cafeteria, oder sie gehen in die Stadt.
Ein besonderes Angebot ist die Möglichkeit, den Hauptschulabschluß zu erwerben. Mußten die geeigneten Jugendlichen bis vor einigen Jahren zusätzlich zu ihrem langen Unterrichtstag an einigen Abenden der Woche noch aus dem Haus, um einen Vorbereitungskursus der Volkshochschule zu besuchen, wird der Unterricht seit einigen Jahren innerhalb des Arbeitstages von eigenen Lehrkräften erteilt. Das wirkt sich auf die Zahl derer, die bis zum Ende durchhalten und sich der Prüfung unterziehen, positiv aus. Zwischen 30 und 40 Hauptschulabschlüsse kann der CVJM seither jährlich vorweisen, was den Lehrgang für die Jugendlichen im ganzen Landesarbeitsamtsbezirk sehr attraktiv macht.

Aha!
Ich habe mich bei Live-Sendungen schon oft gefragt, wie es kommt, daß alle Leute, die sich äußern, doch einigermaßen flüssig und zusammenhängend sprechen. Annähernd die Hälfte aller Leute, die ich anspreche, staksen entweder rum und sagen gar nichts Verständliches, oder aber sie reden ganz viel und sagen damit auch nichts. Ich war am 11. Dezember im Pumpwerk dabei und kenne jetzt des Rätsels Lösung.
Vor Beginn der Übertragung plaudert die Moderatorin – in diesem Fall die wegen ihrer Unsitte, Leuten das Wort abzuschneiden, bekannte und gefürchtete Hanna Legatis – nett vor dem Publikum und erklärt, wie es gleich ablaufen wird. Nach dem Aufsager (live) wird wieder ins Studio geschaltet, und dann läuft die Generalprobe. Alle tun so, als wäre man schon auf Sendung, und die Moderatorin interviewt verschiedene Leute. Komisch, bei dieser Gelegenheit unterbricht Frau Legatis ihre GesprächspartnerInnen gar nicht, man kann sich so richtig verbreiten!
Und auf einmal wird es ernst. Alle, die bei der Generalprobe dranwaren, räuspern sich noch einmal, damit sie gleich, wenn die Nation sie hört, eine klare Stimme haben, und sie fahren sich noch einmal durchs Haar oder rücken ihre Krawatte zurecht – und kommen u.U. nicht mehr zu Wort. Die Moderatorin hat sich nämlich gemerkt, wer fernsehgeeignet ist und wer nicht, und sie nimmt nur noch die dran, die ohne Ähm und Öh und Hm etwas Knackiges zum Thema beizutragen haben. (noa)

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top