COURAGE
Jun 071994
 

Frauen in Wilhelmshaven

Ayshes Weg in Deutschland: Ausbeutung, Krankheit, Arbeitslosigkeit

Dritter Teil unserer Reportagen über die Perspektiven ausländischer und deutscher, arbeitsloser, alleinerziehender und verheirateter Frauen, die vom Frauenverband COURAGE erstellt werden.

Zum Beispiel Ayshe, seit Jahrzehnten in Wilhelmshaven lebende Türkin. Sie hat fast 20 Jahre bis zum „Schluß“ bei KSW gearbeitet und war dann wie die meisten ihrer türkischen und deutschen Leidensgenossinnen arbeitslos. Die meisten von ihnen sind es bis heute, inzwischen oft noch die Männer dazu und sind auf Arbeitslosen- oder Sozialhilfe angewiesen. Wobei gerade unter den türkischen Frauen große Unsicherheit, Unaufgeklärtheit und Unwissenheit über den Anspruch auf Leistungen vom Arbeitsamt besteht.
Einige der Familien haben ihr „Glück“ in anderen Städten versucht, sind aber aufgrund wachsender Arbeitslosigkeit und Mangel an bezahlbaren Wohnungen häufig wieder zurückgekehrt. Nach dem Ende bei KSW war Ayshe eine der Wenigen, die bei Müller&Raschig untergekommen sind. Aber nur ganz kurz, da von ihr als erfahrener Arbeiterin gleich die volle Leistung erwartet wurde, was natürlich aufgrund der Umstellung nicht möglich war; und so war sie gleich wieder draußen und bekam nicht einmal den Lohn für ihre geleistete Arbeit.
Seit kurzem pendelt sie zusammen mit ca. 50 ehemaligen KSWlerinnen jeden Tag zu Meica nach Edewecht bei Oldenburg, steht in der Frühschicht fast mitten in der Nacht auf und kommt in der Spätschicht fast ebenso spät nach Hause, und das neben Haushalt und Familie. Aber Ayshe ist eine Kämpferin und so meint sie auch, daß die Arbeit bei KSW trotz der Härte doch eine gute Arbeit war. Sie bekam auf Grund ihrer Geschicklichkeit und Einsatzbereitschaft einen Höchstlohn von 1.600 DM. Aber diese Höchstgrenze war nur zeitweilig durchzuhalten, da sie äußerste Flexibilität und Konzentration verlangte. Die allermeisten KSW-Arbeiterinnen kamen gerade mal knapp auf 1.000 DM im Monat. Und das bei Zweischichtbetrieb, Akkordarbeit und enormer Antreiberei.
So mußten zum Beispiel die Maschinen bis zur letzten Minute vor Schichtende laufen, sonst gab es Lohnabzug. Aus Angst vor Entlassung, aber auch aus Unerfahrenheit mit der Fabrikarbeit oder in der Hoffnung mehr Geld zu verdienen, wurde aus vielen Frauen das Äußerste herausgeholt. So gab es Kolleginnen, die den Akkord übertrafen oder überstunden machten, bis zu 2 Schichten am Stück arbeiteten. Trotzdem war nicht viel mehr Geld in der Lohntüte. Wer, warum, wieviel Lohn bekam, blieb vielen der türkischen Frauen völlig unklar. Sicherlich hätte mehr gewerkschaftliche Aufklärung Not getan, um der Akkordhetze und der Antreiberei entgegenzutreten. Auch die Angst, auf Grund von Krankheit entlassen zu werden, war groß. Die Frauen sollten den Meistern Rechenschaft über ihre Krankheit ablegen. So kam es vor, daß Ayshe wegen einer „Frauensache“ 2 Wochen gefehlt hatte. Als sie wiederkam, fragte der Meister, wo sie so lange gewesen wäre. Ayshe antwortete ihm so laut, daß alle mithören konnten: „Viel Blut, viel Blut! Ich habe soviel geblutet! “
Viele KSW-Kolleginnen haben wegen der harten Arbeit, des Drucks und wegen des vielen Schmutzes ihre Gesundheit verloren. Staub und Chemikalien riefen Allergien und Augenkrankheiten hervor. Dies und Arbeitslosigkeit ist der Dank für viele Jahre Ausbeutung. Dieses Wort haben viele türkische Frauen bei KSW gelernt und es begegnet einem inmitten der türkischen Unterhaltung neben „Meister“ und “ Arbeitsamt“ als deutsches Wort immer wieder.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top