(red) Zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie sind in Teilen der Bevölkerung Vernunft und Solidarität längst aufgebraucht. Frustration und Wut machen sich breit. Rechtspopulisten nutzen die Gelegenheit, das diffuse Gemenge aus Zweiflern, Leugnern und Verschwörungsfans für sich zu instrumentalisieren. Auch in Wilhelmshaven heizen einschlägig bekannte Personen aus dem rechten Spektrum die destruktive Stimmung an. Trauriger Höhepunkt war die Erstürmung des Weihnachtsmarktes am 13. Dezember. Mit einer friedlichen Kundgebung unter dem Motto „Pro Impfen – Gemeinsam aus der Pandemie“ haben sich heute Vertreter:innen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft dieser Entwicklung entgegengestellt.
Mitglieder und Mitläufer:innen der Bewegung, die sich gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie richtet, tauschen sich bevorzugt auf der Nachrichten-Plattform „Telegram“ aus. Dort verabredeten sich Mitglieder entsprechender Chatgruppen aus dem Raum Weser-Ems für den 13.12. zu einem sogenannten „Montags-Spaziergang“ in Wilhelmshaven. Laut Polizei-Pressemeldung vom gleichen Abend „versammelten sich gegen 19:00 Uhr etwa 250 Personen am Rathausplatz und bewegten sich zu Fuß gemeinsam durch Siebethsburg. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Aufzugs hielten sich hierbei an die Corona-Bestimmungen und die Straßenverkehrsordnung. Die Versammlung verlief friedlich und endete ohne besondere Vorkommnisse gegen 20:10 Uhr am Rathausplatz.“
Diese Darstellung deckte sich allerdings nicht mt Beobachtungen Dritter, die im Laufe des Abends in Wilhelmshavener Facebook-Gruppen veröffentlicht wurden. Demnach marschierte etwa die Hälfte der Teilnehmenden des „Spaziergangs“ im Anschluss durch die Marktstraße und Nordseepassage und stürmte dann den Weihnachtsmarkt auf dem Valoisplatz. Die Absperrgitter am Eingang, wo eigentlich der Impfnachweis für den Zugang geprüft wurde, wurden beiseite geräumt, dann zog der Mob laut skandierend durch die Budengasse und pöbelte auch die normalen Besucher an.
Mit Bezug auf die Polizeimeldung behaupteten Sprachrohre der Rechtspopulisten, diese Schilderung der Vorkommnisse sei erlogen. Die Teilnehmenden hatten ihren „Sturm auf den Weihnachtsmarkt“ allerdings selbst ausführlich per Video dokumentiert und die Aufnahmen auf Telegram hochgeladen. Diese Belege wurden dann von Dritten auf Facebook veröffentlicht. Ein Sprecher der Schausteller auf dem Weihnachtsmarkt bestätigte später, dass eine Gruppe mit Fackeln und Parolen über den Valoisplatz gelaufen sei.
Am nächsten Tag wurden die Ausschreitungen in einer ergänzenden Pressemitteilung seitens der Polizei bestätigt: „Im Rahmen der Versammlung skandierten die Teilnehmer vereinzelt „Frieden, Freiheit/Demokratie, keine Diktatur“ und nutzten weiterhin Tröten und Pfeifen. Nachdem die Versammlung auf dem Rathausplatz gegen 20.10 Uhr ohne besondere Vorkommnisse endete, trennten sich die Personen, wobei sich anschließend eine Personengruppe in den Innenstadtbereich und weiterhin auf den dortigen Weihnachtsmarkt begab. Einige Personen skandierten dort ebenfalls die o.g. Parole und nutzten erneut Tröten und Pfeifen.
Die Polizei wertet aktuell aus der Bevölkerung übersandtes und in den sozialen Medien veröffentlichtes Videomaterial sowie Zeugenaussagen aus und prüft die Einleitung von Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren. Bei der gestrigen unangemeldeten Versammlung besteht ein Zusammenhang zu den zurückliegenden Spaziergängen, die seit geraumer Zeit am Montagabend im Kontext zum Pandemiegeschehen und den politischen Maßnahmen landesweit stattfinden.
Die Polizei wird gemeinsam mit der zuständigen Ordnungs- und Versammlungsbehörde der Stadt Wilhelmshaven die aktuelle Entwicklung beobachten, verstärkt Präsenz zeigen und gegen Zuwiderhandlungen vorgehen.“
Gesagt, getan: Am darauf folgenden Montagabend war die Polizei mit einer Hundertschaft auf dem Rathausplatz präsent. Diesmal hatten sich ca. 150 Teilnehmende über einen Telegram-Aufruf zusammengefunden. „Aufgrund dieser verabredeten Zusammenkunft handelte es sich um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes. Dieses wurde den Teilnehmern über eine Lautsprecherdurchsage mitgeteilt und ihnen entsprechende Versammlungsauflagen, insbesondere das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, bekannt gegeben“, so der Polizeibericht. „Die Teilnehmer verließen daraufhin bewusst die Versammlung und fielen damit nicht mehr unter die Versammlungsfreiheit. Da die Teilnehmer anschließend immer wieder in größeren Gruppen zusammenkamen und weder Abstand zueinander hielten noch eine Mund-Nasenbedeckung trugen, verstießen sie gegen die geltenden Corona-Vorschriften. Diese Verstöße wurden konsequent durch die Polizei geahndet. Insgesamt wurden 35 Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. In einem Fall gab eine Person falsche Personalien gegenüber der Polizei an, eine weitere Person leistete Widerstand gegen die Maßnahme“.
Nachdem die Gegner der Corona-Maßnahmen also mehrfach in zweifelhafter Form von sich reden gemacht hatten, fand unter dem Motto „Pro Impfen – Gemeinsam aus der Pandemie“ am 27.12. auf dem Rathausplatz eine Veranstaltung der Befürworter von Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie statt. Im Unterschied zu den Gegner-„Spaziergängen“ handelte es sich um eine angemeldete, geordnete Kundgebung, bei der sich die 120 Teilnehmenden an das Versammlungsrecht hielten. Mit der Anmeldung gemäß Versammlungsrecht übernehmen die Veranstaltenden (hier: Grünes Wilhelmshaven) die Verantwortung dafür, dass alles geordnet abläuft. In ihren Redebeiträgen machten Ulf Berner, Alex von Fintel (beide Bündnis 90 / Die Grünen Wilhelmshaven), Oberbürgermeister Carsten Feist, Christina Heide (SPD) und weitere Redner:innen deutlich, dass nur ein wissenschaftsbasierter Umgang mit der Pandemie und die Impfbereitschaft als Akt gesellschaftlicher Solidarität helfen können, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Eine Frau, die vor einem Jahr an Corona erkrankte und seitdem unter den Long-Covid-Folgen leidete, berichtete über ihre Erfahrungen.
Die Polizei war mit 6 Mannschaftswagen vor Ort, nicht ohne Grund. „Die Versammlung verlief friedlich und ohne besondere Vorkommnisse.“ Aber: „Parallel zu der angemeldeten Veranstaltung trafen die Einsatzkräfte nahe des Veranstaltungsraumes immer wieder auf vereinzelte Personengruppen, die thematisch gegen die angemeldete Veranstaltung eingestellt waren. Da in diesen Gruppen vorwiegend ungeimpfter Personen z.T. Abstände nicht eingehalten und Mund-Nasenbedeckungen nicht getragen wurden, verstießen die Personen gegen die geltenden Corona-Vorschriften. Die Polizei ahndete diese Verstöße konsequent, leitete 40 Ordnungswidrigkeitenverfahren ein und sprach Platzverweise aus.“
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