Was man so „Reform“ nennt...
…und andere Widersprüchlichkeiten der schwarz-gelben Schulpolitik
(noa) Viel war in den letzten Wochen auf der Niedersachsen-Seite der „WZ“ über die Politik der neuen Landesregierung zu lesen. Als das Thema kristallisierte sich die Schulpolitik heraus.
Schon wenige Tage nach der Wahl, noch deutlich bevor die neue Regierung sich konstituierte, kündigte der (damals noch designierte, mittlerweile amtierende) Kultusminister Busemann an, dass noch in diesem Sommer das gegliederte Schulsystem ab Klasse 5 eingeführt und die Verabschiedung von der Orientierungsstufe schwerpunktmäßig im Schuljahr 2004/2005 stattfinden werde. („WZ“, 13.02.) Zum Beginn des kommenden Schuljahres am 01.08.03 sollte das neue Schulgesetz rechtskräftig sein, so die „WZ“ am 17.02. in einem Artikel mit der Überschrift „Apotheker und Ingenieure sollen den Unterricht sichern“. Wenn es nicht genügend Lehrkräfte für die naturwissenschaftlichen Fächer gebe, so Busemann, müsse man kreativ sein und andere Leute für das Lehramt fortbilden.
So etwas gab es vor ca. 30 Jahren schon einmal, wie uns Bernd Pauluschke von der Bezirksregierung Weser-Ems, zuständig für Wilhelmshavens Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen sowie Orientierungsstufen, erinnert. Und viele der damals pädagogisch weitergebildeten Seiteneinsteiger kamen im Schuldienst gut klar (und zum Teil auch gut voran: So mancher Schulleiter war zunächst Ingenieur).
Solche Seiteneinsteiger und zusätzlich auf dem üblichen Weg ausgebildete Pädagogen und Pädagoginnen sollten zum 01.08. die Unterrichtsversorgung in Niedersachsen verbessern: 2500 zusätzliche Lehrerstellen sollten zum Beginn des nächsten Schuljahres eingerichtet werden. Dafür und für 1000 Polizisten (letztere wurden laut „WZ“ vom 09.04. auf „250 in diesem Jahr“ reduziert) will die CDU/FDP-Landesregierung „kompromisslos sparen“ (Landesfinanzminister Möllring laut „WZ“ vom 19.03.), und alle in Niedersachsen sollen wissen, „dass der Staat in Zukunft weniger leisten kann als bisher“ (Wulff am Tag vor seinem Amtsantritt als Ministerpräsident laut „WZ“ vom 04.03.03), denn es werden zukünftig nur noch Pflichtaufgaben bezahlt, und Zusagen der alten Regierung auf freiwillige finanzielle Zuwendungen wird die neue nicht einhalten.
Der Streit darüber, ob man bis zum 01.08.03 tatsächlich 2500 zusätzliche Lehrkräfte wird rekrutieren können oder nicht, beherrscht momentan die öffentliche schulpolitische Debatte – die anderen Aspekte schwarz-gelber Schulpolitik sind dadurch in den Hintergrund gedrängt worden.
Busemann beteuerte immer noch treu und fest, er werde die 2500 Lehrer innerhalb Niedersachsens finden (so in einem Interview, das die „WZ“ am 19.04. abdruckte), wenn auch mittlerweile nicht mehr alle zum 01.08., sondern „Oktober/November“, da kam ein Querschuss vom Koalitionspartner: „Nicht genug Lehrer auf dem Markt“, überschrieb die „WZ“ vom 12.04. einen Artikel, in dem der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Hans-Werner Schwarz, zu Wort kam mit dem Vorschlag, Lehrkräfte mittels bundesweiter Anzeigenkampagne aus anderen Bundesländern abzuwerben, da es in Niedersachsen nicht genügend gebe. Er sprach von 1000, die in der Vergangenheit nicht eingestellt wurden und mittlerweile andere Berufe ausüben, weiter von 2200, die in diesem Jahr ihre Ausbildung beenden und bestimmt eingestellt werden, da 2000 alte Lehrkräfte in den Ruhestand gehen. Damit wären es, wenn alle 1000 früher nicht eingestellten in den Schuldienst wollten – was definitiv nicht so ist – mal erst 1200 zusätzliche Stellen, und die auch nicht alle zum 01.08. Deshalb befürwortet auch er die Quereinsteiger – aber ob von heute bis August oder auch bis November aus einem Apotheker oder Ingenieur ein Lehrer gemacht werden kann, ist zu bezweifeln.
Nachdem auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ihre Zweifel an der Realisierbarkeit von Busemanns Ankündigung geäußert hatte („WZ“ vom 22.04.), machte er einen weiteren kleinen Rückzieher: „Es kann sein, dass ich das aus vernünftigen Gründen etwas staffele, dass ich einen Teil der neuen Lehrer erst zum 1. November einstelle“, soll er im „Nordwestradio“ gesagt haben. Vernünftige Gründe – so kann man das auch nennen…
In Wilhelmshavens Grund- und Hauptschulen, Realschulen und Sonderschulen werden jedenfalls 13 neue Lehrkräfte zum 01.08. fest erwartet, wie wir von der Bezirksregierung erfahren haben.
Außer der Frage der zusätzlichen Lehrerstellen gibt es aber noch anderes in Sachen Schulpolitik.
so nannte Werner Meier in einem Leserbrief, den die „WZ“ am 12. Februar veröffentlicht hat, die Pläne Busemanns für die Zukunft des Schulsystems in Niedersachsen. Ab Klasse 5 sollen die Schulkinder sortiert und eingeteilt werden. Das gab es ja vor sehr langer Zeit schon einmal, und es wurde abgeschafft, weil man bei einem 10-jährigen Kind kaum vorhersehen kann, wie seine Leistungsfähigkeit sich entwickeln wird.
Die Orientierungsstufe, die die Kinder noch zwei weitere Jahre gemeinsam unterrichtete und damit das Sortieren und Einteilen um zwei Jahre verschob, verkam leider schnell zur Vorsortierungsanlage mit ihrem Kurssystem in den so genannten Hauptfächern und wurde zur Dauer-Aufnahmeprüfung für ihre Schülerinnen und Schüler. Sie wurde dann auch kurz vor der Landtagswahl von der alten Landesregierung abgeschafft, doch das entsprechende Schulgesetz, das genau genommen momentan geltendes Recht ist, da das schwarz-gelbe noch nicht verabschiedet ist, konnte – und wird – nie in Kraft treten.
Diese Tatsache sorgt für einen gehörigen Kuddelmuddel, den schnell zu beseitigen die neue Regierung nicht geschafft hat, und kaum jemand weiß so richtig, was nun Sache ist. Für Kinder, die jetzt erst in den ersten Grundschulklassen sind, und für solche, die jetzt schon in der Orientierungsstufe oder weiter oben sind, ist das ziemlich egal, aber die augenblicklichen Viertklässler werden am 01.08. in die Orientierungsstufe gehen, von der jetzt schon fest steht, dass sie ein Jahr später, also noch bevor sie damit durch sind, endgültig abgeschafft wird. Wie die Wilhelmshavener Orientierungsstufen im kommenden Schuljahr mit dieser Situation umgehen werden, wissen sie selbst noch nicht, und so bekommt die Wilhelmshavener Außenstelle der Bezirksregierung zurzeit fast täglich telefonische Anfragen von Vertretern von Grundschulen und Orientierungsstufen, die demnächst Informationsveranstaltungen für Eltern machen wollen, aber nicht wissen, worüber sie die Eltern wie informieren sollen.
Und die Frage, wie sinnvoll es ist, Kinder in die Orientierungsstufe zu schicken, wenn klar ist, dass die nur noch ein Jahr lang besteht, kann auch Herr Pauluschke nicht beantworten – „Diese Frage beschäftigt momentan alle Beteiligten“, sagte er dem Gegenwind.
so beteuert Busemann immer wieder. Am 11.03. bot die Niedersachsen-Seite der „WZ“ einen Artikel mit diesem Titel, und am 05.04. lasen wir: „Busemann setzt auf freien Elternwillen“. Es wird jedoch nicht wahrer, wenn er es noch ein paar Mal mehr sagt. Bisher gilt: Die Orientierungsstufe gibt mit dem Zwischenzeugnis in Klasse 6 eine Schullaufbahnempfehlung, und die Eltern können sich daran halten oder es lassen, sie können ihr Kind an der weiterführenden Schule anmelden, wo sie wollen. Nach dem zukünftigen Schulgesetz sollen die Eltern, während ihr Kind die 4. Klasse besucht, intensiv von den Lehrkräften beraten werden und daraufhin entscheiden, welche weiterführende Schule ihr Kind danach zunächst besucht – zunächst, denn nach der 5. Klasse kann die weiterführende Schule diese Entscheidung noch „korrigieren“. Der zum Thema Schulen emsige und sehr kundige Leserbriefschreiber Werner Meier äußerte sich auch dazu („WZ“ vom 22.04.). Er prognostiziert zahlreiche solcher „Korrekturen“, sprich: Rückstufungen vom Gymnasium auf die Realschule und von dort auf die Hauptschule; zahlreichere als bisher, wo die gemeinsame Beschulung aller Kinder noch zwei Jahre länger dauerte und somit eher gültige Voraussagen bezüglich der richtigen weiterführenden Schule ermöglichte.
will Busemann, glaubt man einem entsprechenden „WZ“-Artikel vom 02.04. Neben engerer Zusammenarbeit der Hauptschulen mit den Berufsschulen soll dazu vor allem die Einstellung von Sozialpädagogen an Hauptschulen beitragen. Hier schmückt Busemann sich mit fremden Federn, und zwar ausgerechnet mit roten. Schulsozialarbeit ist nichts Neues, sondern wurde in der vorigen Legislaturperiode von der vorigen Landesregierung eingeführt.
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