Machtwahn
Albrecht Müller hat nach “Die Reformlüge” ein neues Buch geschrieben
(noa) Es gibt ein neues Buch von Albrecht Müller. Am 18. Oktober 2004 las der Autor im gut besetzten Pumpwerk aus seinem Buch “Die Reformlüge” (vgl. Gegenwind 202 und 203). “Machtwahn” heißt sein jüngst erschienenes neues Werk. Wir haben schon einmal drin geblättert.
“Machtwahn” trägt den Untertitel “Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet”. Wow! Endlich spricht es jemand klar und offen aus! In der Einführung schreibt Müller über unsere Führungseliten, “dass sich ihr Denken in den immer gleichen Schablonen vollzieht… (und) …dass sie gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge nicht durchschauen”. (S. 14) Sie treffen schädliche Entscheidungen und haben seit den siebziger Jahren dafür gesorgt, dass es Deutschland von Jahr zu Jahr wirtschaftlich schlechter ging, dass das Bruttoinlandsprodukt, die privaten Konsumausgaben, die Investitionen im Vergleich zu vielen anderen OECD-Staaten sinken, während die Arbeitslosenrate stärker steigt als in den anderen Staaten. Schröders Agenda 2010, die von der jetzt regierenden großen Koalition weitergeführt wird, verschärft diese Probleme, statt sie zu bekämpfen. Die Verantwortlichen reden sich damit heraus, dass sie sagen, die Reformen bräuchten mehr Zeit zum Wirken, sie seien nicht scharf genug und müssten verstärkt werden – oder sie sprechen vom “Missbrauch” durch die “Nutznießer” (womit sie nicht die Wirtschaftsbosse, sondern die Arbeitslosen, die Kranken, die Alten meinen). Sie halten am Reformkurs fest und ignorieren die Erfahrungen anderer Länder, die zwar auch eine neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgen, aber gleichzeitig im Interesse ihrer Volkswirtschaften weitere wirtschaftpolitische Instrumente einsetzen und damit ihre Binnenmärkte stützen.
Müller zitiert aus einem Artikel der Londoner Times vom 14.11.05: “Deutschlands Plan, das eingestandene ökonomische Versagen dadurch zu korrigieren, dass man exakt das Gegenteil dessen tut, was die moderne Ökonomie vorschlägt, ist sicher eine herausragende und neue Idee.” (S.71)
Und so verschärft sich in Deutschland der Gegensatz zwischen Arm und Reich. “Schon über 13 Prozent aller Haushalte gelten nach amtlicher Bewertung als arm. Jedes fünfte Kind, in den neuen Bundesländern sogar jedes vierte Kind, lebt in einem Haushalt, der als arm gilt. Das Jahr 2005 ist typisch für die Spreizung der Einkommensentwicklung: Das Volkseinkommen insgesamt wuchs um 26 Milliarden Euro, die Arbeitnehmerentgelte jedoch gingen um 6 Milliarden zurück; entsprechend wuchsen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 32 Milliarden Euro.” (S.79)
“In keinem anderen Land ist der makroökonomische Sachverstand so gering wie bei uns” (S.90), und so wird privatisiert, um kurzfristig an Geld zu kommen – bis die ungleich höheren Kosten, die die Privatisierung verursacht, anfallen, ist der betreffende Politiker längst im gut alimentierten vorzeitigen Ruhestand. So werden die Sozialversicherungssysteme ausgehöhlt – die Folgekosten werden einfach ausgeblendet. Ein neuer Bildungsnotstand entsteht – doch die Verwahrlosung durch Kommerzialisierung wird in Kauf genommen.
Unsere Eliten sind in ein naives Denken zurückgefallen; sie verstehen komplizierte Wirkungszusammenhänge nicht, untersuchen und analysieren die Dinge, über die sie sprechen und entscheiden, nicht sorgfältig; sie denken einzel- und betriebswirtschaftlich, wo eine gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise angebracht wäre; und sie denken die Dinge nicht zu Ende. Und kaum jemand denkt noch kritisch über das nach, was sie sagen und anrichten. Sogar “Wissenschaftler, die in ihrem eigenen Fach auf empirische Belege achten, übernehmen außerhalb ihres Fachgebietes wie selbstverständlich die gleichgeschaltete Botschaft, auch wenn die Fakten dem widersprechen.” (S. 192)
Wie kann es angehen, dass gebildete Menschen, die in hohen politischen Ämtern sitzen und Verantwortung für ein ganzes Volk tragen, nicht merken, was sie tun? Eine Reihe von Gruppierungen, die etwa seit dem Jahr 2000 und verstärkt 2003 aus dem Boden geschossen sind, beeinflussen auf vielfältige Weise die Spitzen der Parteien und die Bundes- wie die Landesregierungen. Die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” und andere Lobbygruppen nutzen die Medien, um die den Unternehmern genehmen Botschaften unters Volk zu bringen. Die Spitzenpolitiker fallen darauf ebenso herein wie die schlichten Bürger, die nach Feierabend erschöpft vor der Glotze sitzen und sich berieseln lassen. “Neben den neugegründeten Reforminitiativen spielen die großen Unternehmensstiftungen, allen voran die allgegenwärtige Bertelsmann Stiftung eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, den politischen Diskurs der Bundesrepublik zu steuern. … Die Bertelsmann Stiftung und das mit ihr verbandelte Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) waren in den letzten Jahren der Kontakthof, in dem Politik und Wirtschaft politische Entscheidungen vorbesprechen.” (S. 312)
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