Auszubildende
Jul 212004
 

Trotz Fleiß kein Preis

Stadt setzt ihre Auszubildenden unsanft auf die Straße

(iz) 21 Jugendliche schließen im Sommer ihre Ausbildung in der Stadtverwaltung ab. Alle haben sich angestrengt, war ihnen doch bei guten Noten eine Übernahme versprochen worden. Die Zeugnisse können sie sich an die Wand nageln – oder gleich in den Koffer packen. Aus dem Job im Rathaus wird nämlich nichts, wie ihnen jetzt auf wenig sensible Art und Weise mitgeteilt wurde.

„Wenn ich mich zusammennehme, werde ich übernommen!“ Mindestens 8 Punkte wollten die Auszubildenden der Stadt in der Abschlussprüfung erreichen, dann schien ihnen ein fester Arbeitsplatz sicher. Drei Jahre zuvor waren sie nach einem Auswahlverfahren als Auszubildende eingestellt worden – mit der mündlichen Zusage, „bei befriedigendem Prüfungsergebnis“ im Anschluss eingestellt zu werden.
Die Verwaltung hat damals den Bedarf an Auszubildenden gut kalkuliert: Aktuell sind durch Fluktuation und Altersabgänge 22 Stellen in der Verwaltung unbesetzt. Das Bürgeramt und die Stadtbücherei mussten bereits die Öffnungszeiten einschränken. Da kommen die neuen Absolventen wie gerufen, zumal es sich um klassische Einstiegstätigkeiten für frisch gebackene Verwaltungsfachleute handelt. Oder?
Nicht, wenn die Stadt zwischenzeitlich beschlossen hat zu sparen um jeden Preis. Schlecht für die BürgerInnen, weil weniger Personal schlechteren Service bedeutet. Schlecht für die jungen Leute, lernen zu müssen, dass ein Versprechen keine Bedeutung und Fleiß keinen Preis hat. Unglaublich aber, wie ihnen das vermittelt wurde.
Am 9.6. fand ein Treffen in der „Parklücke“ statt. Die Jugendlichen hatten alle Ratsmitglieder angeschrieben, einige erschienen, darunter Neumann (SPD), Tjaden (WALLI), Felbier und Molitor (CDU). Neumann soll dort regelrecht cholerisch geworden sein, blaffte die jungen Leute an: „Egal, was für eine Prüfung ihr macht – wir brauchen euch nicht mehr!“ Tjaden vertrat die Ansicht „Versprochen ist versprochen“. Woraufhin Neumann ihn angeschrien haben soll, auch wegen Tjadens kritischer Haltung zum JadeWeserPort. Der nun gar nicht Thema des Abends war.
Und den Jugendlichen drohte Neumann, wenn sie ihr Problem öffentlich machten: “Wenn ihr das macht, das hätte Folgen! Zukünftig stellen wir dann gar keine Auszubildenden mehr ein!“
Ein langjähriges SPD-Mitglied (Name ist der Redaktion bekannt) erklärte auf Grund dieser Vorfälle seinen Parteiaustritt: „Die Partei hat den Boden unter den Füßen verloren“.
„Wir werden nicht mehr gebraucht“
AuszubisTrotzdem malten die jungen Leute auf ein Transparent, was ihnen Neumann „vermittelt“ hatte: „Wir werden nicht mehr gebraucht“. Mit Transparent und Infostand , unterstützt durch die ver.di-Jugend, sammelten sie bis Ende Juni über 700 Unterschriften von BürgerInnen, die sich für die Übernahme aussprachen. Und Neumann soll wutschnaubend – sogar seinen eigenen SPD-Europawahl–Stand „links“ liegend lassend – durch die Marktstrasse getobt sein!
Die 10 Meter lange Liste mit Unterschriften wurde dann in der Juni-Ratssitzung über Norbert Schmidt an Eberhard Menzel übergeben. Der erläuterte ziemlich cool die Entscheidung gegen die Jugendlichen. Drei Faktoren seien ausschlaggebend für die Übernahme gewesen, nämlich Leistung der Auszubildenden, Personalbedarf und verfügbare Haushaltsmittel. Diese Kriterien seien nicht erfüllt. Die Jugendlichen sollten wenigstens froh sein, eine gute Ausbildung erhalten zu haben.
Toller Trost. Schlimm war, was dann noch hinter den Kulissen abging. Mitglieder des Personalrates waren dabei und schilderten uns den Vorfall: Die jungen Leute erhielten einen Termin bei Menzel, was sie zuversichtlich stimmte, offene Ohren für ihr Anliegen und ihre Ängste zu finden. Im Ergebnis verließen sie erschüttert, einige weinend die Besprechung und mussten psychologisch aufgebaut werden.
„Eine Lehrstunde in Demokratie“, fasste das Jeversche Wochenblatt zusammen, was gewählte Repräsentanten der Stadt sich gegenüber ihren Schutzbefohlenen geleistet haben. Die werden den Lehrstoff nie vergessen, und sollten sie noch so weit von Wilhelmshaven weg sein: Denn mit ihrer Ausbildung können sie nur in einer Kommunalverwaltung was werden. Es bleibt ihnen also nichts, als der Stadt den Rücken zu kehren.

 

Kommentar:

Wer hat uns …
Siegfried Neumann ist für sein hemdsärmeliges Auftreten bekannt. Seine RatskollegInnen von der Opposition können das verkraften, spätestens wenn man später beim Bier zusammen sitzt. Aber was da verschiedene Augen- und Ohrenzeugen über seinen Umgang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen berichten, mag man kaum glauben.
Niemand ist verpflichtet, junge Menschen zu mögen. Wer mit ihnen nicht angemessen umgehen kann, sollte es aber besser anderen überlassen.
Wenn einer junge Leute zur Sau machen will, mag das zu Zeiten von Deutschland-sucht-den-Superstar sogar voll im Trend liegen. Da lacht die ganze Nation über Halbwüchsige, die durch Gehässigkeiten von Popmanagern am Boden zerstört sind.
Der Unterschied ist: Bohlen, Stein & Co. haben Auswahl im Überfluss. Wilhelmshaven hingegen kämpft um jede/n BürgerIn, vor allem junge, die hier bleiben, Familien gründen, Steuern zahlen, Häuser kaufen und neue BürgerInnen machen. Wer das ernsthaft will, sollte in der Öffentlichkeit andere Signale setzen als der SPD-Sprecher.
Neben dem Signal „junge Leute werden hier nicht ernst genommen“ gab es noch eines. Das kommt momentan auch sehr stark aus Berlin: Die SPD demontiert Sozialstaat und Arbeitnehmerrechte und zeigt den Gewerkschaften politisch den Mittelfinger. Neumann macht das vor Ort ganz direkt: Jungen Leuten, die sich gewerkschaftlich engagieren, die demokratisch legitimierte Aktionsformen wählen, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen, droht er mit Repressalien. Offensiver können Sozialdemokraten die Gewerkschaften, die Linke, die Arbeitnehmer nicht verraten.
Aber womit wollte Neumann den Jugendlichen eigentlich konkret drohen? „Euren Job seid ihr sowieso los – und wenn ihr euch hier gewerkschaftlich engagiert, erst recht!“???

Imke Zwoch

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