Ausländerbeirat
Sep 231991
 

Wir sind alle Menschen

Gegenwind Gespräch mit Vertretern des Ausländerbeirates

(hk) Am 6. Oktober wird nicht nur ein neuer Stadtrat gewählt: Die ausländischen MitbürgerInnen sind am gleichen Tag aufgefordert, einen neuen Ausländerbeirat zu wählen. Der GEGENWIND führte aus diesem Anlaß ein Gespräch mit Ibrahim Uğurpala (Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Ausländerbeirates) und Ali Doğan (Vorsitzender des Vereins der Türken und Mitglied im Ausländerbeirat).

Gegenwind: Die Neuwahl des Ausländerbeirats steht an. Auf der Liste finden sich neben Türken auch Kurden, neben Jugoslawen auch Mazedonier. Was hat das zu bedeuten?
Uğurpala: Wir sind meines Wissens der erste Ausländerbeirat in Niedersachsen, der diese Überlegung in die Tat umgesetzt hat und den Kandidaten freigestellt hat, entweder ihre Nationalität oder ihre Volkszugehörigkeit anzugeben, sagen zu können ‚Ich bin zwar in der Türkei oder in Jugoslawien geboren, aber ich bin Kurde, Mazedonier.‘
Gegenwind: Werden damit nicht die überall schwelenden Nationalitätenkonflikte in den Wilhelmshavener Ausländerbeirat getragen?
Uğurpala: Natürlich gibt es Reibungen untereinander. Aber im Ausländerbeirat werden die Probleme der in Wilhelmshaven lebenden Ausländer behandelt. Wir haben ja alle, egal ob Jugoslawe, Grieche oder Türke, gleiche Forderungen und Probleme. Was in den Heimatländern passiert – das kann ja der Ausländerbeirat nicht lösen, ist auch nicht seine Aufgabe. Jeder kann im Ausländerbeirat natürlich versuchen, etwas für die Interessen seiner hier lebenden Landsleute zu tun. Aber Forderungen wie „Freiheit für Kurdistan“ oder „Unabhängigkeit für Kroatien“ – so etwas wird es im Ausländerbeirat nicht geben.
Doğan: Wir haben ja eine Listenwahl. Jedes Mitglied im Ausländerbeirat ist natürlich nicht nur für seine Landsleute, sondern für alle in Wilhelmshaven lebenden Ausländer zuständig. Es gibt ja auch Nationen, die nicht im Beirat vertreten sein werden, z.B. Bulgaren und Italiener, aber auch deren Interessen hat der Beirat zu vertreten.

Gegenwind: Wie viele Ausländer sind wahlberechtigt?
Uğurpala: Wir haben ca. 1.800 Wahlberechtigte, davon sind 600 Türken. Alle wahlberechtigten Ausländer sind vom Wahlamt angeschrieben worden, soweit es ging in deren Muttersprache.

Gegenwind: Was hat der Ausländerbeirat bewegt. War er Mittler zwischen den hier lebenden Ausländern und der Verwaltung, gingen von ihm auch eigene Impulse aus, oder hat der Ausländerbeirat nur eine Alibifunktion?
Uğurpala: Man hört das mit der Alibifunktion recht häufig. Aber es ist doch die Frage, wie der Ausländerbeirat seine Arbeit angeht und wie er sich stark macht.
Doğan: Wir haben einige Forderungen durchsetzen können und andere nicht. Das ist ja klar. Wir haben z.B. erreicht, dass ein türkischer Fernsehsender ins Wilhelmshavener Kabelnetz eingespeist wurde.
Uğurpala: In der Arbeit der ausländischen Vereine haben wir eine ganze Menge erreicht. Und zwar so, daß die Ausländer sich integrieren und gleichzeitig ihre nationale Identität behalten können. Darum brauchen die Ausländer ihre eigenen Räumlichkeiten. Wir haben für die Vereinsarbeit einen Etat von 21.500 DM. Davon bestreiten wir das Internationale Fest am Vorabend des 1. Mai, die Woche der ausländischen Mitbürger und die finanzielle Unterstützung der Vereinsaktivitäten. Um diese Arbeit vernünftig erledigen zu können, bräuchten wir mehr Geld und auch eine personelle Verstärkung der Geschäftsstelle. Aber bei allem was Geld kostet, wird es natürlich schwierig.

Gegenwind: Welche Probleme haben Ausländer in Wilhelmshaven?
Uğurpala: Probleme gibt es natürlich genug. Zumeist sind es die gleichen Probleme die auch die Deutschen haben: Arbeits- und Ausbildungsplätze. Nur stellt sich die Situation für die Ausländer durch Sprachschwierigkeiten aber auch durch Gesetze noch schwieriger dar. So benachteiligt das Arbeitsförderungsgesetz die Ausländer. Zuerst kommen die Deutschen, dann die Ausländer aus EG-Staaten, dann die aus Nicht-EG-Ländern und zuletzt die Asylbewerber, für die wir ja auch zuständig sind. Aber diese gesetzliche Diskriminierung ist ein bundesweites Problem.

Gegenwind: Wie könnt Ihr den Leuten helfen? Was habt Ihr z.B. getan, als die KSW dichtmachte?
Doğan: Da sind wir als Ausländerbeirat auch beteiligt gewesen. Wir haben die Leute informiert, ihre Rechte erklärt, aufgepaßt, daß sie nicht übers Ohr gehauen werden, ihnen zu Umschulungen und Weiterbildungsmaßnahmen verholfen. Aber die Chancen für einen arbeitslosen Ausländer, hier jemals wieder einen Arbeitsplatz zu finden, sind äußerst gering.
Uğurpala: Ein weiteres Problem ist der muttersprachliche Unterricht für die Kinder. Viele Jugendliche sind kaum noch in der Lage, sich in ihrer Muttersprache zu verständigen. Das ist bei momentan fast 80 Nationalitäten in Wilhelmshaven natürlich ein großes Problem – da müssen wir jetzt ran.

gw103_wirGegenwind: Wie wird die zukünftige Arbeit des Ausländerbeirates aussehen?
Doğan: Wir müssen einen besseren Kontakt zu allen hier lebenden Ausländern herstellen, Veranstaltungen machen, die Vereinsarbeit fördernd unterstützen und den Ausländerbeirat als Anlaufpunkt für die Probleme aller Ausländer bekannter machen. Wir müssen auch die deutsche Öffentlichkeit mit den Problemen, aber auch mit der Kultur der Ausländer bekannt machen. Wir müssen Konzepte haben, dem stärker werdenden Ausländerhaß entgegenzuwirken.

Gegenwind: Gibt es in Wilhelmshaven denn einen spürbaren Ausländerhaß?
Doğan: Ja. Wohl jeder Ausländer hat schon seine Erfahrungen damit gemacht. Man wird auf der Straße angesprochen ‚Das dauert nicht mehr lange, dann seid ihr alle raus ‚ oder ‚Was willst Du hier, Du Ausländer‘ – da wollen wir in Zukunft auch die deutsche Bevölkerung mehr ansprechen.
Uğurpala: Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir diesen Ausländerhaß, auch wenn er nur in geringem Maße da ist, mindern können. „Wir sind alle Menschen“ – auf dieser Basis wollen wir uns bewegen. Viele Ausländer leben ja schon seit 30 Jahren hier oder sind gar hier geboren. Für die meisten, ich würde sagen für 2/3, ist die Bundesrepublik der Lebensmittelpunkt. Unsere politische Aufgabe wird auch nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts die Durchsetzung des Wahlrechts für Ausländer sein. Wir müssen dafür kämpfen, daß die ausländischen Mitbürger sich eben durch Teilnahme an den Wahlen besser am Geschehen in der Kommune beteiligen können. Ich kann als Ausländer Bundesvorsitzender einer Partei werden, kann aber nicht einmal im Stadtrat mitarbeiten, weil ich kein Wahlrecht habe. Dieses Thema müssen wir in der Zukunft breit auch mit der deutschen Öffentlichkeit diskutieren.

Gegenwind: Die Öffentlichkeitsarbeit findet zumeist ja durch die Feste der ausländischen Vereine statt. Ich besuche solche Feste wirklich gerne, aber irgendwann muß doch auch mal klar werden, daß Jugoslawien mehr ist als Cevapcici und Kolo, Griechenland mehr-als Gyros und Sirtaki, die Türkei mehr als Döner und Aksak.
Uğurpala: Der Inhalt der Feste u.ä. soll kulturell verbessert werden. Wir haben damit schon erfolgreich angefangen. Wir wollen, daß die Vereine mehr von ihrem Leben, von ihrer Kultur und von ihrer Mentalität darstellen. Informationen aus den Heimatländern, Filme, Handwerk, soziale Bedingungen – all das kann das Verständnis der anderen Lebensweise der deutschen Bevölkerung näherbringen.
Gegenwind: Wäre es nicht auch wünschenswert, daß die hier aktiven Vereine mal den folkloristischen Rahmen ablegen und Ausstellungen in der Kunsthalle, Konzerte und Literatur im Stadttheater anbieten?
Uğurpala: Das wäre ein guter Ansatz. Aber eine solche Arbeit kann der Ausländerbeirat nicht leisten. Das muß aus den Vereinen kommen. Hier können wir nur Mittler zur Realisierung solcher Vorhaben sein.

Gegenwind: Wir danken für das Gespräch.

Seit 7 Jahren gibt es in Wilhelmshaven einen Ausländerbeirat. 2 Jahre nach seiner Gründung fand 1986 die erste Wahl statt. Damals gab es eine Nationenwahl, d.h. die Türken wählten türkische Kandidaten, die Jugoslawen jugoslawische usw. Der Ausländerbeirat bestand aus 12 Vertretern der ausländischen Mitbürger und 6 Mitgliedern des Stadtrates. Für die nun anstehende Neuwahl des Beirates wurde eine neue Wahlordnung erarbeitet. Jetzt findet eine Listenwahl statt. Auf einer von Ausländerbeirat und Wahlamt erstellten Liste stellen sich 21 ausländische Bürger verschiedener Nationalitäten zur Wahl, von denen 13 im neuen Ausländerbeirat sitzen werden. Komplettiert wird der Beirat durch 7 Ratsmitglieder. Der Ausländerbeirat kann dem Stadtrat Empfehlungen und Anregungen geben, hat aber nicht das Recht, direkte Anträge zu stellen. Der Ausländerbeirat Wilhelmshaven gehört der Arbeitsgemeinschaft der Ausländervertretungen Niedersachsen an.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top