AufRecht bestehen!
Nov 232014
 

Reformen oder Rechtsvereinfachungen lassen bei der Arbeitsloseninitiative die Alarmglocken schrillen.

AufRecht(hk) Seit über einem Jahr tagt eine Bund-Länder-Kommission, die über Veränderungen des Sozialgesetzbuches II (hierin wird u.a. die Grundsicherung für Hartz IV-BezieherInnen geregelt) berät. Was hier geschieht, veranlasste die Mitarbeiter der Wilhelmshavener Arbeitsloseninitiative (Ali) das Gespräch mit der Presse zu suchen.

Ernst Taux von der Ali Wilhelmshaven/Friesland zum Gegenwind: „Schon immer, wenn von Reformen – Gesetzesreformen – die Rede war, mussten die Betroffenen skeptisch sein. Reformen bedeuten fast ausnahmslos Leistungsverschlechterungen. Und jetzt, wo man in Berlin die Vokabel änderte und von „Rechtsvereinfachungen“ die Rede ist, läuten bei uns die Alarmglocken.“ Als die Erwerbslosengruppen in den Besitz des Abschlussberichts der Bund-Länder-Kommission gelangten, wurde die Kampagne „AufRecht bestehen“ initiiert. Durch ihre Kritik haben die Erwerbslosen z.B. die geplante Streichung der Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende und auch die geplante Verschärfung der Leistungsansprüche Selbstständiger zum Skandal gemacht und erreicht, dass diese Streichungen wohl vom Tisch sind. Werner Ahrens, Sozialberater der Arbeitsloseninitiative, zum Gegenwind: „Uns ist noch nicht bekannt, wie das Gesetz zur Rechtsvereinfachung aussehen wird. Wir begrüßen ausdrücklich, wenn die Sanktionen, die bei jungen und älteren Erwerbslosen deutlich unterschiedlich sind, korrigiert werden. Aber wie diese ‚Sonderstrafen für junge Erwachsene’ erfolgen sollen ist haarsträubend: Bei einem Meldeversäumnis sind im ersten Schritt Kürzungen von 10% der Regelleistung gesetzlich vorgesehen. Der Kürzungsbetrag kann zwischen 29,60 €  und 39,10 € differieren. Jetzt wird vorgeschlagen, vereinfacht mit einem Abzug von 50 € zu strafen. So ist die Vereinfachung schäbig!“

Jobcenter als Ratgeber und Helfer

Die Polizei benutzt den Imageslogan „Dein Freund und Helfer!“ – so etwas stellt sich die Arbeitsloseninitiative auch für die Jobcenter vor. „Es muss ja nicht gleich zur Freundschaft kommen, aber als ‚Ratgeber und Helfer’ würden wir uns die Jobcenter schon wünschen“ meinte Ernst Taux. Doch die Wirklichkeit ist leider anders. Viele Leute bekommen schon Bauchschmerzen, sobald sie Post vom Jobcenter bekommen, viele verstehen die Bescheide nicht, haben Angst vor der barschen Behandlung im Jobcenter, so Ernst Taux weiter. Werner Ahrens dazu: „Die Jobcenter haben Sondergesetze und das was bisher zur ‚Rechtsvereinfachung’ bekannt wurde, macht sie zu weiteren Sonderrechtsbereichen, die Angst einflößen. Dagegen wehren wir uns.“

ChartaCharta 2Ahrens und Taux gaben noch einige Beispiele zur Rechtsvereinfachung:

– Leistungen, die falsch sind, können heute durch Überprüfungsanträge korrigiert werden, auch wenn diese Anträge, anders als im übrigen Sozialrecht nicht vier Jahre, sondern nur ein Jahr zurück wirken.

– Zukünftig seien falsche Leistungen nicht sofort zu korrigieren, sondern erst nachdem das BSG (Bundessozialgericht) zugunsten des Leistungsberechtigten entschieden hat.

– Aufrechnungen sollen verschärft werden.

– Auch der pauschale Freibetrag bei ehrenamtlichen Tätigkeiten von 200,- € soll auf die tatsächliche Entschädigung abgesenkt werden, was sich für diejenigen, die auch noch erwerbstätig sind, als Leistungskürzung auswirkt.

Taux: „Wir wollen, dass die Jobcenter ihren Aufgaben nachkommen, Aufklärung über ihre Leistungen betreiben, Beratungen umfassend vornehmen und nicht abwiegeln. Dazu haben wir eine „Charta der Selbstverständlichkeiten“ geschrieben.“ Diese „Charta der Selbstverständlichkeiten“ soll vor den Jobcentern in Varel, Wilhelmshaven und Jever verteilt werden.

In der nächsten Monatsversammlung im Gewerkschaftshaus am Dienstag, den 9.12. um 10:00 Uhr, soll die „Charta“ den Leitern der Jobcenter, Frau Giss (Jever) und Herrn Hein (Wilhelmshaven) übergeben werden und mit ihnen über diese Selbstverständlichkeiten und deren Einhaltung geredet werden.

 

Zum Download:  Charta der Selbstverständlichkeiten

Info

Respekt und Hilfe
statt Abschreckung und Misstrauen

 

Stellen Sie sich vor, Sie sind ernsthaft krank, …
… brauchen schnelle Hilfe und gehen an einem Montagvormittag zu Ihrem Hausarzt. Nach langer, nerviger Wartezeit erklärt man Ihnen am Empfangstresen in unfreundlichem Ton, dass Ihre Krankenakte verloren gegangen sei und dass sie ohne Termin sowieso nicht behandelt werden könnten. Und überhaupt: Sie hätten doch auch das Wochenende ohne Arzt überlebt. Man vermittelt Ihnen die ganze Zeit das Gefühl, hier unerwünscht zu sein, ein Simulant, dem eigentlich doch gar nichts fehlt. Und dann hören Sie auch noch, dass hier jedes zweite Rezept falsch ausgestellt wird, die Patienten also gar nicht bekommen, was sie brauchen…

Wir schätzen mal, dass Sie nie wieder in diese Arztpraxis gehen werden…

So wie im Arzt-Beispiel geht es vielen Hartz-IV-Beziehern mit ihrem Jobcenter: Deren „Service“ ist oftmals auch alles andere als bürgerfreundlich. Teils werden sogar Leistungen verweigert, auf die ein klarer Rechtsanspruch besteht. In jedem zweiten Fall, der vor Gericht landet, erhalten Hartz-IV-Bezieher mehr Geld zugesprochen. Geld, das die Jobcenter zuvor rechtwidrig vorenthalten hatten.

„Das ist bestimmt für diejenigen ganz schön bitter, die zum Jobcenter müssen. Aber was geht mich das an?“, denken Sie vielleicht. „Ich habe Arbeit und muss nicht von Hartz IV leben.“

Nachteile für alle Beschäftigten

Hartz IV bringt Nachteile für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Viele sind heute bereit zu verzichten und Zugeständnisse zu machen, nur um nichts mit den Jobcentern zu tun haben zu müssen. Oder um möglichst schnell wieder aus der Hartz-IV-Mühle heraus zu kommen: Schlechte Arbeitsbedingungen und ungünstige Arbeitszeiten werden ertragen und immer mehr Forderungen des Chefs erfüllt – aus Angst vor Hartz IV und dem sozialen Abstieg. Oder es werden miese Jobs mit niedrigsten Löhnen angenommen. Kurzum: Je abschreckender und steiniger der Hartz-IV-Bezug ist, desto mehr sind Arbeitnehmer erpressbar. Das spielt den Arbeitgebern in die Hände und schwächt Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Es ist wie bei einem Tauziehen, wo die eine Mannschaft auf Schmierseife steht.

Hartz IV befördert heute prekäre Arbeit und niedrige Löhne. Dadurch geraten aber die Löhne und Arbeitsbedingungen für alle unter Druck, weil die Betriebe ja untereinander in Konkurrenz stehen.

Gut für alle: Missstände in den Jobcentern überwinden

Höchste Zeit also, die bestehenden Missstände in den Jobcentern abzustellen. Doch statt dafür zu sorgen, dass jeder im Jobcenter zu seinem Recht kommt, plant die Bundesregierung für den Herbst weitere Verschlechterungen bei Hartz IV. Die Rechte der Leistungsbezieher sollen noch weiter eingeschränkt werden. Diese Pläne dürfen nicht Gesetz werden!

Unterstützen Sie die Forderungen der Erwerbslosengruppen – auch in Ihrem eigenen Interesse:

• Niemand soll sich im Jobcenter wie ein Mensch zweiter Klasse vorkommen müssen!

• Zustehende Leistungen müssen zügig und ohne Wenn und Aber ausgezahlt werden!

AufRECHT bestehen: Kein Sonderrecht im Jobcenter!

 

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