Atomtransporte
Nov 042009
 

Schaut was kommt von draußen rein!

Durch die von Schwarz-Gelb beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke verlängert sich auch die Laufzeit für Atomtransporte und -müll„entsorgung“

(jm) Wie steht die Stadt Wilhelmshaven zu eventuellen Atomtransporten, deren Fracht über städtisches Gebiet geleitet wird, und wie wird sie gegebenenfalls reagieren? Dies war der Grundtenor einer Kleinen Anfrage des Ratsmitglieds Gerold Tholen auf der Ratssitzung am 21. Oktober.

Als Anlass dafür gab er folgendes an:
Der Stromkonzern E.ON möchte 64 Mischoxid-Brennelemente (MOX) aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield für ihr Atomkraftwerk bei Grohnde beziehen. Ursprünglich sollte in diesem Herbst mit dem Antransport begonnen werden. Im Vorwege hat man bereits am 17.08.09 ein Frachtschiff nach Cuxhaven geschickt, um – wie es der Nds. Innenminister Schünemann nach Auffliegen der Aktion nannte – eine „Kalterprobung“ durchzuführen. Die öffentliche Empörung darüber hat den Rat der Stadt Cuxhaven dazu veranlasst, die geplanten Atomtransporte über den Cuxhavener Hafen abzulehnen (s. Cuxhavener Zeitung 05.09.09).
Daraufhin hat die mit den Atomtransporten beauftragte Spedition die Prüfung von Alternativrouten für deren Durchführung beantragt. Dafür stehen jedoch nur noch wenige Umschlaghäfen zur Auswahl: Der Bremer Senat lehnte lt. Pressemitteilung vom 08.09.09 „…die Transporte von Atombrennstäben aus dem britischen Sellafield zum Atomkraftwerk Grohnde über bremische Häfen und durch das Stadtgebiet von Bremen oder Bremerhaven aus politischen und aus Sicherheitsgründen entschieden ab.“ Und die Nds. Landesregierung soll sich lt. Pressemitteilungen gegen den Hafenumschlag von Atombrennstäben in Cuxhaven und Nordenham ausgesprochen haben. Zur Begründung habe man u.a. angeführt, dass das steigende Interesse der Öffentlichkeit und der Medien an den bevorstehenden Transporten dazu führen könnte, dass die logistische Abwicklung gefährdet sei. Für die übrigen in Frage kommenden niedersächsischen Hafenstädte scheint dies demnach nicht zu gelten. Also auch nicht für Wilhelmshaven.
Der sich daran anschließende Fragenkatalog wurde von Dr. Jens Graul – Dezernent für öffentliche Sicherheit und Ordnung – auf besagter Ratssitzung beantwortet.
Zunächst bestätigte er, dass der Beschluss des Rates der Stadt Wilhelmshaven vom 21.09.1988, in dem der Transport und Umschlag von radioaktiven Stoffen über die Jadestadt abgelehnt und die Verwaltung aufgefordert wird, alle rechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung zu nutzen, weiterhin Bestandskraft hat.
Rechtliche Vorbereitungen zur Verhinderung von atomarem Handling auf Wilhelmshavener Stadtgebiet habe man jedoch nicht getroffen. Dazu seien die jeweils zu Grunde liegenden Sachverhalte zu prüfen.
Für die Genehmigung von Atomtransporten sei das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zuständig. Die Behörden zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie der Verkehrssicherheit und damit auch die Stadt würden jedoch in das Genehmigungsverfahren einbezogen. Es gäbe derzeit keine konkreten Planungen.
Einem Hintergrundgespräch war zu entnehmen, dass die Stadt einen Unterschied zwischen dem Handling von radioaktiven Brennstoffen und Atommüll macht – woraus man schlussfolgern könnte, dass sie gegen die Schleusung von 64 plutoniumhaltigen MOX-Brennelementen über städtischen Boden nichts einzuwenden hätte.
Die Passivität der Stadt wird auch dadurch deutlich, dass sie sich nicht auf allen ihr zugänglichen Wegen über gestellte Anträge von Atomtransporten informiert hat und dies offenbar auch weiterhin nicht beabsichtigt. Eigentlich kann die Stadt auch gar nichts anderes tun, als bei der Sicherung des atomaren Hafenumschlags und des Transportes durchs Stadtgebiet streng vertraulich mit den der Landesregierung unterstehenden Polizeibehörden und dem BfS zusammenzuarbeiten.

Russisches Roulette mit Urencos Atommüll – Repression gegen Atomkraftgegner Nun wurde durch verschiedene Presseorgane bestätigt, was wir schon lange wussten: Urenco*) verfrachtet sein abgereichertes Uranhexafluorid nach Russland, und nur 10 bis 15 Prozent kommen davon wieder zurück nach Deutschland. Dies wurde nun durch die Pressesprecherin der Urenco, Antje Evers, gegenüber Spiegel Online bestätigt. Der verbleibende radioaktive und bei Berührung mit Luftfeuchtigkeit ätzende Uranmüll lagert in 1,6 cm starken Stahlfässern, welche in der sibirischen Winterkälte und Sommerhitze nun vor sich hinrosten. Gegenüber verschiedenen Presseorganen sprach die Urenco von inzwischen 27.300 Tonnen Uranhexafluorid, welche in Sewersk in Sibirien lagern. Gleichzeitig lehnte sie aber jede Verantwortung für den Müll ab, da dieser nun der russischen Tenex gehöre. „Das sei so üblich…“ Das zur Atomstromproduktion noch nutzbare Uran holt man also gerne zurück, den Müll sollen jedoch die anderen behalten. Dass dadurch Menschenleben gefährdet werden, weil die Fässer rosten und Leck schlagen, bestätigte erneut der Vorsitzende der russischen Umweltorganisation Ecodefense, Wladimir Sliviak, welcher auch schon die Urananreicherungsanlage in Gronau besuchte. In den Medien wird die Pressesprecherin mit den Worten „Wir müssen eben bei uns auf dem Hof kehren…“ zitiert. Das ist der blanke Hohn gegenüber den Betroffenen in Russland und zeigt einmal mehr, dass die Urenco versucht, sich hier auf Kosten anderer eine weiße Weste zu verschaffen. Diese skandalöse Verfahrensweise lässt die deutsche Justiz völlig kalt. Als die russischen Atomkraftgegner im Jahr 2006 Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Münster erstatteten, wurde das Verfahren eingestellt. Ganz anders hingegen der Protest gegen die sinnlose Atommüllverschiebung: Am 25.11.2009 steht die Kletteraktivistin Cecile Lecomte erneut vor dem Münsteraner Amtsgericht. Sie soll einen Polizeibeamten „verbal genötigt“ haben. (aus dem Internet: „Urantransporte“ 15.10.2009, 19:20)


*) Die Firma „Urenco Deutschland GmbH“ betreibt in Gronau (Münsterland) eine Urananreicherungsfabrik. Sie hat den deutschen Preis für Wirtschaftsethik erhalten (!!) (Quelle: Wikipedia)  

Wie die öffentliche Sicherheit gewährleistet wird, ist ja u.a. durch die Atomtransporte nach Gorleben weitgehend bekannt. Wie eingangs schon angeschnitten, hat eine solche Nacht- und Nebelaktion inzwischen auch die Cuxhavener vom Sofa geholt:
„200 uniformierte Gestalten machten sich in der Nacht zum 17. August am Europakai im Hafen von Cuxhaven zu schaffen – geschützt von niedersächsischen Polizeieinheiten, die das Gelände weiträumig abgesperrt hatten. Am Kai vor Anker lag der englische Frachter ‚Atlantic Osprey‘, ein 80 Meter langes Transportschiff. Eine Woche zuvor, am 10. August hatte es den Hafen im nordenglischen Workington verlassen – von dort pflegt die Plutonium-Fabrik Sellafield seit Jahren radioaktive Brennelemente und Atommüll zu verschiffen. Die ‚Atlantic Osprey’ allerdings war leer in jener Nacht.“ (TAZ, 31.08.09)
Jetzt pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass bereits in diesem Monat (November) ein erneuter Anlauf zur Anlandung von MOX-Brennelementen in einem niedersächsischen Hafen gestartet werden soll. Nur das genaue Datum und die Route sind geheim. Da hilft auch keine Anfrage beim BfS weiter – die wird schlicht ignoriert.
Schon mehrmals war die Atomindustrie erfolglos auf der Suche nach einem festen Hafenumschlagplatz für ihre atomare Frachten. So hat die Landesregierung von Schleswig- Holstein im Jahre 1988 – nach massivem, zehntausendköpfigem Protest der Lübecker Bürger – Atomtransporte über ihre landeseigenen Häfen untersagt.
Die niedersächsische Landesregierung erklärte sich dagegen am 05. Juli 1988 grundsätzlich dazu bereit, den Umschlag von bestrahlten Brennelementen aus Atomkraftwerken über niedersächsische Häfen zu gestatten. Am 01. Okt. 1988 gab das Nds. Wirtschaftsministerium bekannt, dass nun Atomtransporte über Emden oder Wilhelmshaven möglich seien.
Und schon vier Tage später kam der Atomfrachter „Sigyn“ in Emden an und wurde von 500 Polizisten mit Hundestaffeln gegen die aufgeschreckten Emder Bürger abgeschirmt. Da der Protest in den folgenden Tagen die gesamte Stadt erfasste und sich über ganz Ostfriesland ausbreitete, stand zu befürchten, dass die Transporteure ihre nukleare Fracht nach Wilhelmshaven umdisponieren würden. Aber auch hier entwickelte sich eine schnell anwachsende Ablehnungsfront, der die Mehrheit des Stadtrates mit ihrem o.a. Beschluss (mit Ausnahme von „Schwarzgelb“) Rechnung trug. Nach dem Ratsbeschluss sei dann die Angelegenheit im Sande verlaufen, berichtete Sicherheitsdezernent Graul dem Rat.
Nun also unternimmt die E.ON einen erneuten Anlauf, um den Umschlag ihrer radioaktiven Frachten über einen niedersächsischen Hafen durchzusetzen. Es liegt nahe, dass Wilhelmshaven für die Landesregierung wieder vorrangig dazu zählt.

Lüd, passt up, dat is weer sowiet!

Die Koalitionsvereinbarungen der neuen schwarz-gelben Bundesregierung sehen neben weiteren Schritten zum Ausstieg aus dem Solidaritätsprinzip der Sozialversicherungen auch Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke (AKW) vor. Letztere wurde ungeachtet der ungelösten Entsorgungsfrage für nukleare Abfälle und trotz der in beunruhigender Regelmäßigkeit ruchbar werdenden Pannen in der Atomindustrie vereinbart. Die Kette des Versagens, der Versäumnisse und Schlampereien ist lang und wird fast wöchentlich länger. Brunsbüttel, Krümmel und Asse sind nur einige aktuelle Beispiele für die permanenten Fehlleistungen des Atommanagements und der Ignoranz von Regierungsbehörden. Als jüngstes Glied muss jetzt der AKW-Komplex Biblis A und B auf die Fehlerkette aufgezogen werden: Ein Elektromonteur hatte die Betreiber und die zuständigen Behörden seit 2007 vergeblich über Montagepannen, Organisationsfehler, falsche Pläne und zeitweise chaotische Zustände im Block B unterrichtet und sah nur einen Ausweg: „Der Techniker hatte sich an die IPPNW Deutschland gewandt (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung). Der Verein leitete die Aussagen an das Bundesumweltministerium weiter, und dieses beauftragte das Ökoinstitut Freiburg mit einer Prüfung der Anschuldigungen. Nun gibt es ein 99-seitiges Gutachten über die Vorgänge, das SPIEGEL ONLINE vorliegt – und es bestätigt die Vorwürfe in Teilen.“ (Spiegel Online, 20.10.09).

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