Asylbewerber
Jan 261993
 

Menschenunwürdig

Skandalöse Verhältnisse in einem privaten Asylbewerberheim

(ub/noa) 287 Asylbewerberinnen kamen 1990 nach Wilhelmshaven 1991 mußte die Stadt 416 weitere unterbringen; 1992 waren bis zum 20.9. schon 688 dazugekommen. Bislang hat die Stadt auf das Unterbringungsproblem eher hilflos reagiert.

Das neueste Projekt dieser Planlosigkeit ist die ehemalige Möbeltischlerei Czech und Funke in der Gökerstraße 109. Im Mai 1992 hatte der Eigentümer, Herr Czech, Kontakt zu dem ehemaligen grünen Ratsherrn Werner Biehl aufgenommen und die Räumlichkeiten seiner pleite gegangenen Firma für die Unterbringung von Flüchtlingen angeboten. Als Anfang September eine größere Gruppe neuangekommener Flüchtlinge schnell untergebracht werden mußte, erinnerte man sich an dieses Angebot und quartierte sie ohne nähere Überprüfung dort ein.

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45 Personen müssen sich einen Kühlschrank teilen … Foto: Brams

Die Initiative „Viele Kulturen – eine Zukunft/Dem Haß keine Chance“ will sich nicht darauf beschränken, für Völkerverständigung zu werben und dem Ausländerhaß entgegenzutreten. Sie will auch erreichen, daß die Lebensbedingungen von Flüchtlingen verbessert werden. Andreas Koût als Vertreter dieser Initiative besuchte die Flüchtlinge, um sich ein Bild von den Zuständen in der Gökerstraße 109 zu machen, und informierte anschließend den Gegenwind über die unhaltbaren Zustände.

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… ersetzen angenagelte Wolldecken die Türen. Foto: Brams

Der GEGENWIND besichtigte daraufhin dieses „Asylbewerberheim im Werden“ (Sozialdezernent Milger). Für die 45 Personen, die zum Zeitpunkt unseres Besuches in den vier Räumen wohnten, stehen nur zwei Duschen und drei Waschbecken zur Verfügung. Nach Aussage der BewohnerInnen hatten die Kinder seit vier Wochen nicht geduscht, weil nur kaltes Wasser kommt. Die Heizung ist nur zeitweilig in Betrieb, und in einem Raum ist ein Fenster eingeschlagen. Die Fenster lassen sich zum Teil weder öffnen noch richtig schließen. An der notdürftig zusammengezimmerten Zwischendecke deuten Wasserflecke auf Undichtigkeiten hin. Durch die unzureichenden Möglichkeiten zu lüften hat sich an Wänden und Decken Schimmelpilz gebildet. Primitive Bettstellen Marke Eigenbau stehen dicht an dicht. Bettwäsche fehlt größtenteils. Schränke oder sonst irgendwelche Möbel sind nicht vorhanden. Die 45 BewohnerInnen müssen sich einen (!) Kühlschrank teilen; eine Waschmaschine war zum Zeitpunkt unseres Besuches nicht vorhanden. Größtenteils ersetzen angenagelte Wolldecken die Türen.

Außer diesen menschenunwürdigen äußeren Bedingungen müssen die BewohnerInnen sich persönliche Entmündigung gefallen lassen: Die Flüchtlinge sind ohne Rücksicht auf Familienzusammenhänge und Nationalität zusammengewürfelt. Niemand hat einen Schlüssel für die Haustür. Wer nach 23 Uhr „nach Hause“ kommt, muß draußen bleiben. Für die lediglich mit einigen Kochplatten bestückte „Küche“ gibt es eine „Benutzerordnung“: „Raum 1 09.00, Raum 2 12.00“ usw. Für einen Teller, eine Tasse, einen Löffel und eine Gabel mußte jede/r eine Kaution von 20 DM zahlen.

Noch hat die Stadt keinen Betreibervertrag mit Herrn Czech abgeschlossen. Gegenwärtig ist die Gökerstraße 109 eine „Privatunterkunft “ , die von der Stadt so hingenommen werden muß, wie der Eigentümer sie anbietet. Herr Czech strebt allerdings an, das Gebäude als eine „Gemeinschaftsunterkunft“ zu etablieren, angesichts von 20 DM pro Tag und Person (bei 45 Flüchtlingen sind das 27.000 DM monatlich!) ein verständlicher Wunsch.

Kommentar:

Daß man in Wilhelmshaven auf den Zuzug von Flüchtlingen nicht vorbereitet ist und hilflos-hektisch reagieren muß, wenn eine größere Anzahl auf einmal kommt, ist nicht neu. Bereits im Herbst 1990 hatte die Stadt vor so einer Situation gestanden und mußte AsylbewerberInnen Hals über Kopf im Banter Deich 16 in Räumen, in denen noch nicht einmal Betten standen, unterbringen (vgl. GEGENWIND 96 vom Oktober 1990). Auch in der Gökerstraße 109 wird „der Mindestanspruch an eine menschenwürdige Unterbringung noch nicht erfüllt“, wie Ursula Aljets, Mitglied des Sozialausschusses, gegenüber dem GEGENWIND erklärte.

Solange die Stadt Wilhelmshaven darauf verzichtet, ein Konzept für die Unterbringung von Flüchtlingen zu entwickeln, wird sie immer, wieder in Notsituationen auf solche „Unterkünfte“ zurückgreifen und Geldschneidern zur schnellen Mark verhelfen müssen. Es reicht nicht aus, wenn Politiker sich an die Spitze von Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit setzen – man darf von ihnen auch weitsichtiges und planvolles Handeln erwarten. Bezogen auf die Asylfrage heißt das, dass die Stadt trotz (oder gerade wegen) der schwierigen wirtschaftlichen Situation schon längst Unterkünfte hätte schaffen müssen. Aber erst jetzt wurde der Bau eines Flüchtlingsheimes ausgeschrieben. Bis zur Fertigstellung dieser Gemeinschaftsunterkunft wird noch einige Zeit ins Land gehen. Bis dahin wird Herr Milger geschäftstüchtigen Zeitgenossen noch manchen Tausender aus dem Stadtsäckel zuschieben müssen.

Uwe Brams
Anette Nowak

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