Arbeitsloseninitiative
Okt 272005
 

Es kommt immer dicker!

Über zwei ALI-Monatsversammlungen, einige unbeantwortete Fragen und ziemlichen Käse

(noa) Verschiedene Ereignisse, u. a. die Bundestagswahl, haben unseren Rhythmus aus den Fugen geraten lassen. So kommt es, dass wir hier gleich über zwei Monatsversammlungen der Arbeitsloseninitiative berichten.
Am 13. September war Holger Kirschen, der stellvertretende Geschäftsführer der ARGE, eingeladen. Da er direkt davor gleich zweimal in der „WZ“ erwähnt worden war, einmal sogar mit Foto (sh. Kasten), konnten die Versammelten gespannt auf ihn sein. Aus der Einladung, die er bekommen hatte, wusste er, was sie von ihm wissen wollten.

Alles prima

„Die Zeit rennt“, fand Kirschen. Gut 8 Monate gab es die Arbeitsgemeinschaft zwischen Stadt und Arbeits-Agentur zum Zeitpunkt der Versammlung, und noch kann nicht alles richtig klappen, muss man flexibel sein, besser werden. Doch die Zusammenarbeit zwischen der Stadt, die den Geschäftsführer Grimminger beigesteuert hat, und der Arbeits-Agentur, von der Vize Kirschen kommt, sei „uneingeschränkt gut“, es gebe „einvernehmliche Entscheidungen“. Das Konstrukt ARGE sei nicht einfach umzusetzen gewesen, doch sie sei vollkommen eigenständig in ihrer Arbeit, es gebe keinerlei Reglementierung seitens der Arbeits-Agentur. Eine Verknüpfung zwischen ARGE und Arbeits-Agentur gebe es beim Arbeitgeber-Stellenservice. „Der Kontakt zu den Arbeitgebern ist wesentlich, die wollen wir nicht verscheuchen.“ Der zweite Verknüpfungspunkt sei der gemeinsame „Empfang“ im Erdgeschoss des AA-Gebäudes (der dazu führt, dass alle weiterhin sagen, sie müssen zum, waren beim oder ärgern sich über das Arbeitsamt), und der Verwaltungsrat ist gleichmäßig besetzt.

Wir können nix dafür

Die Kritik der ALI, dass die Alg II-Bescheide schwer bis gar nicht verständlich sind, nahm Kirschen an. „Auch wir haben unsere Probleme damit“, räumte er ein. Da gibt es halt dieses Computerprogramm, das die Bewilligungsbescheide aufgrund der Angaben der Bezugsberechtigten erstellt (wenn es nicht gerade abstürzt), und das produziert Bescheide, die sehr unübersichtlich und deswegen schwer nachzuvollziehen sind. Das hat nicht die ARGE Wilhelmshaven zu verantworten, wie sie ja auch nicht das zugrunde liegende Gesetz Hartz IV zu verantworten hat. „Wir setzen um, was andere ersonnen haben“, sagte Kirschen, und weiter – man beachte die Wortwahl – „wir müssen an der Front (!) viel aushalten“.
Nun, stimmt, Kirschen hat sich Hartz IV nicht ausgedacht. Dass er aber vehement dagegen sei, den Eindruck konnte man auch nicht unbedingt gewinnen. So erklärte er, dass die Eigenverantwortung der Arbeitslosen und der Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaften gestärkt werden müsse, denn es gehe nicht mehr ums Ausschütten von Beitragsgeldern, sondern um die Verteilung von Steuermitteln. Die Eingliederungsvereinbarungen, so Kirschen, seien notwendig, denn sie wirken verpflichtend. Und: „Darin stecken mehr Möglichkeiten, als auf den ersten Blick zu sehen sind.“ Doch dann musste auch er zugeben: Zur Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Arbeitslosen „braucht es Umgebungsfaktoren“, sprich: Es müssen Arbeitsplätze vorhanden sein, um die die Arbeitslosen sich bemühen können. Und davon gibt es bekanntlich in Wilhelmshaven nicht viele – woran auch das vom Wirtschaftsminister gelobte und mit viel Geld belohnte Konzept zur Eingliederung älterer Arbeitsloser kranken wird.

Äh…. hm….

Und als er eben ein bisschen von dem Konzept erzählen wollte, meldete sich eine Versammlungsteilnehmerin zu Wort und sorgte mit ihrem Beitrag dafür, dass Herrn Kirschen das Wort im Halse stecken blieb: Sie nimmt an einer Maßnahme des Job-Centers teil, an einem Kursus „Schlüsselkompetenzen für ältere Arbeitslose“ bei der VHS. Nicht zum ersten Mal – solche Maßnahmen hat sie früher schon durchlaufen. Und als sie nun den Kursus wieder antrat, traf sie einige alte Bekannte – Frauen nämlich, die auch schon in solchen Kursen gewesen sind. Nicht dass sie sich sträuben würde, gelegentlich mal eine solche Maßnahme mitzumachen, und die anderen Frauen sind ja auch alle nett, und es ist schön, sich wiederzusehen – aber, so wollten sie und auch die anderen Teilnehmerinnen der Maßnahme wissen (sie waren alle 18 vollzählig zur ALI-Versammlung gekommen!): Ist es denn wirklich im Sinne des Erfinders, dass immer wieder dieselben Leute immer wieder dieselben Kurse machen (müssen), während andere, die auch gerne mal drankämen, leer ausgehen?
Und eine ihrer „Mitschülerinnen“ fragte ergänzend, ob es vielleicht darum gehe, erprobte TeilnehmerInnen in die Kurse zu bringen, bei denen man wisse, dass sie gut mitarbeiten und nicht mittendrin abbrechen – das ist ja auch für den Träger des Kurses netter.
Herr Kirschen konnte dazu gar nichts sagen. Er ließ sich von den 18 Frauen den Namen des Kollegen nennen, der sie alle in diese Maßnahme geschickt hat, und versprach, sich darum zu kümmern.

Und noch mal äh…. hm….

Eine andere Frage, die die ALI schon in ihre Einladung geschrieben hatte, war die nach den Kosten der Unterkunft. Bekanntlich sind die Sätze, die in Wilhelmshaven gewährt werden, niedriger als z.B. im Kreis Friesland und außerdem nach Meinung von Juristen niedriger, als sie dürften, und so beschäftigt diese Frage die ALI immer wieder.
Nun, die Höhe der Unterkunftskosten, die hier höchstens erstattet werden, orientiert sich, so Kirschen, an dem, was bis zum 31.12.04 das Sozialamt getragen hat, und „die Stadt kann dokumentieren, dass es in Wilhelmshaven Wohnraum gibt, der billiger ist als in der rechten Spalte der Wohngeldtabelle.“ Mehr konnte er dazu auch gar nicht sagen, denn hier wurde er aus dem Zuhörerkreis unterbrochen mit der Frage: „Haben Sie sich diese Wohnungen mal angesehen?“ – Äh… nein, hat er nicht. Aber er wusste zu berichten, dass Vermieter bei der ARGE anrufen und Wohnungen für Alg II-Empfänger melden… Bei dem großen Wohnungsleerstand hier ist die Konkurrenz um Mieter groß!
Und dann kam wieder die obligatorische Frage aus dem Publikum, was denn mit den Umzugskosten sei, wenn die ARGE einen Alg II-Empfänger aufgefordert hat, seine Miete zu senken, und ihm nicht die volle Miete zahlt. „Umzugskosten können übernommen werden“, war Kirschens Antwort. Natürlich nicht für einen Umzug mit einem Umzugsunternehmen, aber die Kosten für einen Mietlaster und einen Kasten Bier für die mithelfenden Kumpels. Keine Antwort gab es dann schließlich auf die Frage, was passiert, wenn bei einem solchen mit Freunden durchgeführten Umzug einer der Kumpels stürzt – „kann ja mal passieren, wenn Leute, die das nicht professionell machen, Möbel die Treppen runtertragen“ – und sich ein Bein bricht oder gar eine bleibende Behinderung davonträgt. „Wie ist man da versichert?“, wollte der Fragesteller wissen. Und das wusste weder Herr Kirschen noch sein Kollege Schwarz, den er mitgebracht hatte. Auch darum wollte er sich kümmern.

Schade!

Leider konnte die Gegenwindlerin am 11. Oktober, als wieder ALI-Versammlung war, nichts darüber in Erfahrung bringen, ob Herr Kirschen Wort gehalten und sich erkundigt hatte. Die ALI hatte nach der Versammlung bis zum 5. Oktober dicht und das Telefon nicht besetzt, und auf dem Anrufbeantworter war nur die Ansage ohne die Möglichkeit, etwas aufs Band zu sprechen. Ernst Taux, der die September-Versammlung geleitet hatte, hatte seinerseits auch nicht bei Herrn Kirschen angerufen. Vielleicht sind die Zusage, sich um etwas kümmern zu wollen, sowie das an der Antwort bekundete Interesse nur Floskeln. Das wäre schade, denn es würde nicht gerade dafür sprechen, dass die ALI und die ARGE sich gegenseitig ernst nehmen!

Klassenmedizin

Auf diesen Begriff brachten Teilnehmer das Gesundheitswesen angesichts dessen, was Lars Loschwitz von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, ab 11 Uhr unterstützt von seinem Vorgesetzten, Herrn Diegel, am 11. Oktober vortrug. Das Gesundheits-Modernisierungsgesetz bringt höhere Zuzahlungen zu Medikamenten und Heilmitteln, beteiligt Kranke stärker an den Kosten von stationären Behandlungen, beschert weitere Einschränkungen bzw. Streckung von Leistungen.
Was wie ein Versuch der Krankenkassen aussieht, ihre Versicherten ein wenig zu entschädigen für das, was sie ihnen zumuten müssen, dient in Wirklichkeit demselben Zweck, nämlich dazu, die Kosten der Gesundheitsversorgung zu senken.
Da gibt es z.B. bei der DAK ein Bonussystem. Wenn sie diese oder jene Vorsorgemaßnahme wahrnehmen und sich aktiv um ihre Gesunderhaltung bemühen, z.B. an der Rückenschule oder am Lauftreff teilnehmen, dann bekommen sie Punkte, die sie irgendwann gegen eine Prämie eintauschen können. Wer am Hausarztmodell teilnimmt, spart beim Facharzt das Eintrittgeld von 10 Euro. Und so weiter. Aber: „Wenn sich herausstellt, dass diese Maßnahmen die Kosten nicht senken, wird das wieder abgeschafft“, so Diegel.

Käse

Nach vielen ALI-Versammlungen, bei denen der Saal bis auf den letzten Platz besetzt war, waren zu dieser Veranstaltung über die Veränderungen im Gesundheitswesen nur wenige gekommen. Es war ein goldener Oktobertag – vielleicht haben einige auf dem Weg zum Gewerkschaftshaus spontan beschlossen, lieber etwas für ihre Gesundheit zu tun und eine Radtour zu machen. Trotzdem ging es genauso lebhaft zu wie sonst. Als vom „Casemanager“ (im Zusammenhang mit den Erläuterungen des „Disease-Management-Programms“ – was weder richtiges Deutsch noch richtiges Englisch ist) die Rede war, kam aus dem Publikum die Verballhornung „Käsemanager“, und es gab viele Fragen.
Die umfassendste Frage war die von Günther Kraemmer, der sich noch an Zeiten erinnert, als man einfach zum Arzt ging, ein Rezept bekam und in der Apotheke eine Mark Rezeptgebühr entrichten musste. (Günther muss jünger sein als ich! Ich erinnere mich nämlich auch noch an Zeiten, als man keine Mark beim Einlösen des Rezepts zahlen musste! – noa) Und er fragte, woran es liege, dass man heutzutage bei jeder Krankheit so viel zuzahlen muss.
Dass wir alle immer älter werden und im Alter teure Krankheiten bekommen und dass der medizinische Fortschritt das Kranksein erheblich verteuert, wie Diegel antwortete, wurde aus dem Publikum ebenfalls als „Käse“ qualifiziert – der Entgegnung, dass die Krankenkassen ohne die Massenarbeitslosigkeit ein erheblich größeres Beitragsaufkommen hätten und bei vernünftigen Einnahmen auf der Ausgabenseite nicht so grausam sparen müsste, stimmte Diegel ohne weiteren Kommentar zu. Und auch der Beobachtung, dass das Sparen ziemlich viel Geld kostet, insofern das Kassieren der Praxisgebühr, das Berechnen von Eigenanteilen und Zuzahlungsobergrenzen und das viele Kontrollieren die Verwaltung verteuert, widersprach er nicht.

Ein Schnäppchen?

Da bei den gesetzlichen Krankenversicherungen keine Brillen mehr bezahlt werden und auch das, was sie bei Zahnersatz beisteuern, von Jahr zu Jahr mehr gegen Null geht, müssen Kassenpatienten entweder blind und zahnlos durch ihr Leben stolpern, oder sie müssen private Zusatzversicherungen abschließen. Die DAK kooperiert diesbezüglich mit der HanseMerkur. DAK-Versicherte können bei dieser privaten Versicherungsgesellschaft die Fälle absichern, die im gesetzlichen Versicherungsschutz nicht mehr enthalten sind. Das ist nicht mal sehr teuer, und wenn die Alg II-Empfänger sich noch mehr einschränken und z.B. ihr Haustier weggeben, können sie sich das leisten. Und es gibt ein Schnäppchen obendrauf: DAK-Mitglieder bekommen bei der HanseMerkur 10 % Rabatt auf alle möglichen Versicherungen, die nichts mit Krankheit zu tun haben.

Na bravo!
Unter der Überschrift „Spitze im Bund: Das Job-Center Wilhelmshaven“ berichtete die „WZ“ am 09.09.05 davon, dass die ARGE Wilhelmshaven zusammen mit der VHS unter rund 250 Teilnehmern an einem Ideenwettbewerb zur Integration älterer Menschen in den Arbeitsmarkt den ersten Platz geschafft hat. Ein Foto zeigt den stellvertretenden ARGE-Geschäftsführer Holger Kirschen und den VHS-Direktor Werner Sabisch zusammen mit Noch-Wirtschaftsminister Clement, der ihnen ihren 1. Preis (1,8 Mio. Euro) überreicht. Am 12.09.05 erläuterte die „WZ“ unter dem Titel „Gutes Konzept bringt 1,8 Mio. Euro“, dass und inwiefern dieses Geld „direkt auch den betroffenen Personen zugute“ kommen soll: „In Wilhelmshavener Betrieben soll dafür geworben werden, die Beschäftigung und die Verbleibquote älterer Arbeitnehmer nachhaltig zu erhöhen. Langzeitarbeitslose Männer und Frauen sollen vermittlungsorientiert für den 1. Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Für 50 ältere Arbeitnehmer werden individuelle Eingliederungszuschüsse bereitgestellt, um sie in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern. 80 Menschen über 55 Jahre sollen, fachlich begleitet, Arbeitspraxis erhalten, der den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Ferner sind ein Existenzgründungsprojekt 45 plus, eine Maßnahme ‚Gesundes Arbeiten im Alter’ und zwei Qualifizierungsmaßnahmen mit Zertifikat für ein Konzept ‚Lebenslanges Lernen’ vorgesehen.“

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