Arbeitslosengeld II
Apr 272006
 

Der vierte Stand

Kinder von Alg II-Empfängern werden zu Alg II-Empfängern gemacht

(noa) „Kann man das wirklich so sagen?“, fragte die Gegenwindlerin zweifelnd nach, als auf der letzten Monatsversammlung der ALI davon gesprochen wurde, dass Kinder von Alg II-Empfängern so gut wie keine Chancen auf Vermittlung einer Lehrstelle haben, da es zwei Sorten Berufsberatung gibt.

Es gibt die Arbeits-Agentur (in Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit) und das Job-Center (in Trägerschaft der ARGE). Letzteres ist für die Bedarfsgemeinschaften nach Hartz IV zuständig. Den Part der Betreuung der jungen Leute bis zum Alter von 25 Jahren übernimmt hier die GAQ. Hier gibt es eine (1!) Person, die sich um die betreffenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen kümmert, so gut sie kann, es jedoch aufgrund von Arbeitsüberlastung nicht gerade gut kann. So kam es im Februar/März vor, dass ein junger Mann, der von seinem Stiefvater aus dem Haus gewiesen worden war und ohne alles dastand, zunächst einen Termin für irgendwann im April bekam! (siehe Gegenwind 216: „Obdachlos von Amts wegen?“)
„Allerdings kann man das so sagen!“, wurde der Gegenwindlerin entschieden versichert. Die heranwachsenden Kinder von Hartz IV-Betroffenen dürfen die Arbeitsberatung der Arbeits-Agentur (ehem. Arbeitsamt) nicht in Anspruch nehmen – und beim Job-Center kriegen sie kein Lehrstellen nachgewiesen, sondern „Maßnahmen“ (z.B. Bewerbertraining) und 1-Euro-Jobs angeboten.
Die letzten Zweifel von (noa) wurden durch die „WZ“-Berichterstattung der folgenden Tage zerstreut. „Diskriminierung wird abgestellt“, betitelte die „WZ“ am 12.04. einen Artikel, in dem berichtet wurde, dass MdB Kammer (CDU) eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ bezüglich der Berufsberatung angeprangert und eine Änderung des maßgeblichen Leitfadens verlangt hat. Dieser Artikel schließt mit den Worten: „Experten jedoch glauben zu wissen, dass die Formulierung im Leitfaden kein Zufall war. Sie weisen darauf hin, dass eine Änderung im Leitfaden möglicherweise nicht ausreichend sei und auch der entsprechende Gesetzestext geändert werden müsse.“
Im Artikel „Peter Lutz: MdB Kammer liegt falsch“ in der „WZ“ des folgenden Tages widerspricht der Leiter der Arbeits-Agentur Wilhelmshaven zunächst dem Diskriminierungsvorwurf von Herrn Kammer (Berufsberater gehen in alle Schulen, und alle Kinder können ins Berufsinformationszentrum gehen, um sich „allgemein“ zu informieren), um ihm danach aber zuzustimmen: „Diskriminierung gebe es allerdings – und das bedaure auch er – wenn sich die Jugendlichen für einen Beruf entschieden hätten und einen Ausbildungsplatz wollten.“ Wenn nämlich einE JugendlicheR sich mit dem konkreten Anliegen, eine Ausbildung absolvieren zu wollen, an einen Berufsberater wendet, muss der fragen, ob die Eltern Alg II bekommen und, wenn das der Fall ist, ihn/sie zum Job-Center schicken. „Ich wünsche mir, dass der Gesetzgeber das wieder in eine Hand gibt“, so Lutz zur „WZ“.
Dass unser OB Menzel zwei Tage später die Kritik von Peter Lutz, demzufolge „die Stadt und der Landkreis Friesland … das so gewollt“ haben, zurückweist, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es ist kindisch, sich hier vor Ort die Schuld gegenseitig zuzuschieben. Tatsache ist: Hartz IV benachteiligt die Kinder von Langzeitarbeitslosen und sorgt dafür, dass ihre Chancen, ihr Schicksal anders zu gestalten, kräftig eingeschränkt sind.
Im Mittelalter hatten Deutschland und andere europäische Staaten eine Ständegesellschaft. Adel blieb Adel, Kaufmannssöhne wurden Kaufmänner und heirateten Töchter von Kaufmännern, Bauernsöhne wurden Bauern. Keiner konnte seinen Stand verlassen. Soll es so wieder werden?

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