Aquarium
Aug 012001
 

Freischwimmer?

Zum Konzept für das neue Seewasseraquarium

(iz) Jahrelang haben Tierfreunde und Tierschutzbehörden angemahnt, der nicht artgerechten Haltung insbesondere der Seehunde im Seewasseraquarium ein Ende zu setzen. Ende Juni unterzeichnete die Stadt einen Vertrag mit der Bullermeck GmbH, die die Einrichtung nach Übernahme tier- und zeitgemäß umbauen will. Wir wollen das Konzept des Investors vorstellen und unter die Lupe nehmen.

Kurz nach der Übernahme wurde das Aquarium geschlossen, damit die wesentlichen Bauarbeiten – aus Gründen der Deichsicherheit – bis zum Herbst abgeschlossen sind und eines der ältesten Schauaquarien der Welt pünktlich zum 75. Jubiläum seines Bestehens im April 2002 neu eröffnet werden kann.
Mit einem Investitionsvolumen von zwölf Millionen DM, zu dessen Finanzierung (öffentliche Zuschüsse?) noch keine Details verlautbart wurden, werden Aquarium und Columbus („Strandhalle“) umgestaltet und durch einen Neubau im Bereich der jetzigen Terrasse verbunden. Im Neubau sind drei Becken vorgesehen, die jeweils über Keller- und Erdgeschoss reichen: Das neue Seehundbecken mit etwa 200.000 Litern Fassungsvermögen soll als Helgoländer Tangwald-Biotop gestaltet werden. Ein kleineres Becken beherbergt Haie und Schwarmfische (Atlantik), das dritte soll Pinguine aufnehmen. Hinzu kommen ein Antarktis-Biotop im Keller und ein Korallenriff (Karibik) und einige Aquarien im Erdgeschoss. Im jetzigen Aquarium-Altbau ist ein zweigeschossiges Kaimanbecken geplant, im Keller ergänzt durch eine Grotte, im Erdgeschoss durch eine Regenwaldlandschaft mit Vögeln und Faltern. Dazu kommt eine Tropenhalle mit Äffchen, Fröschen, Spinnen, Süßwasserfischen.
Im vorderen Teil der Strandhalle sollen Gastronomie und Kiosk, Eingangsbereich und technische Anlagen Platz finden. Der hintere Halbrundbau wird ein riesiger Spiel- und Erlebnisraum für Kinder. Erfreulich: Auf den Dachflächen soll Solarstrom erzeugt werden. Langfristig sollen bis zu 15 neue Arbeitsplätze entstehen. In einem späteren Bauabschnitt soll noch ein Hotel angegliedert werden.
Geschäftsführer der Bullermeck GmbH, deren Name einer friesischen Sage entlehnt ist, sind Volker Schiersch und Inge Adele Janssen. Architekt ist Johann H. Boner und technisch-biologischer Leiter Winfried Hochstetter.

Pinguinzucht am Südstrand

Hochstetter war bislang im Aquazoo in Düsseldorf beschäftigt und ist Sachverständiger für Fische und Korallen im Bereich Artenschutz des Bundesumweltministeriums, wo er im Zusammenhang mit (unerlaubten) Tierimporten auch mit der Zollfahndung zu tun hat. Auch vom Auftreten her macht er einen kompetenten und engagierten Eindruck. Unter anderem berichtete er uns von einer EU-Richtlinie, wonach Zoos und ähnliche Einrichtungen ab dem kommenden Jahr durch konkrete Projekte belegen müssen, dass sie sich über den kommerziellen Betrieb eines Schaugeheges hinaus ernsthaft für den Artenschutz engagieren. In diesem Zusammenhang hatte Hochstetter bislang schon an Regenwald-Projekten in Borneo gearbeitet. Für Wilhelmshaven hat er sich vorgenommen, die dort gehaltenen Pinguine nachzuzüchten.
Die Wilhelmshavener Seehunde haben übrigens im Zoo Jaderberg Quartier gefunden. Hochstetter möchte diese Tiere nach dem Umbau nicht zurückholen, einerseits, um ihnen einen weiteren Umzug zu ersparen, andererseits, um mit jungen Tieren von Anfang an einen engen Kontakt aufzubauen, der notwendige Pflege und Untersuchungen für beide Seiten vertrauensvoll und stressfrei ermöglicht.

Das Haar in der (Fisch)suppe

Das vorliegende Konzept ist auf den ersten Blick recht beeindruckend. Im Ensemble mit Wattenmeerhaus, „Walwelten“ und Oceanis scheint sich an der Jade ein Zentrum für Umweltbildung zu mausern. Nun ist der GEGENWIND dafür bekannt, bei mancher von Rat, Verwaltung und Tagespresse angestimmten Jubelarie immer mal wieder das Haar in der Suppe (hier: im Meerwasserbecken ) zu finden. Nicht weil es uns Spaß macht, sondern im Sinne einer ausgewogenen Information. Zu Gunsten der künftig am Südstrand gehaltenen Tiere hätten wir hier lieber keines gefunden. Doch sind wir nicht die einzigen, die bei näherer Betrachtung des Projekts in manchen Punkten, sagen wir mal, irritiert sind: Die hiesige Tierrechtsbewegung hat sich deutlich gegen Exoten am Südstrand ausgesprochen. Die Mitglieder sind grundsätzlich gegen die Gefangenschaftshaltung von Tieren, wollten aber, auch durch eigene Spendensammlungen, zumindest für die vorhandenen Seehunde eine Verbesserung erreichen. Dass nun zusätzlich weitere Tiere wie Haie, Pinguine, Affen und Kaimane „zur Ergötzung und zur Freude von Schaulustigen“ dort eingesperrt werden, könne nicht angehen, zumal diese in keinem Zusammenhang zu typischen Nordseetieren stünden (WZ vom 4.7.01).

Heimische Natur – oder die ganze Welt?

Man kann, abweichend davon, der Auffassung sein, dass es vertretbar ist, einige Wildtiere einzusperren, um durch den persönlichen Kontakt Menschen für die Bedrohung und Schutzwürdigkeit der wildlebenden Arten zu sensibilisieren. Doch hat die vorliegende Planung die Chance vertan, den dort zur Schau gestellten Tieren das größtmögliche Platzangebot herzurichten. 200.000 Liter allein für die Seehunde klingt zunächst nach viel Raum zum Schwimmen und Tauchen. Größer als das alte Becken wird es wohl sein; unterm Strich entspricht es dem Volumen des Nichtschwimmerbereiches im Hallenbad, wenn dieser 2,5 m tief wäre. Ausgehend von den vorgelegten (nicht bemaßten) Plänen, bei einer (abgeschrittenen) Länge des Neubaus von ca. 25 m, ist das Seehundbecken etwa 55 m² groß und hätte bei dem angegebenen Volumen eine Höhe von 3,5 m. Das Pinguinbecken hat eine Grundfläche von knapp 20 m². Wenn die Tiere sich in Gefangenschaft fortpflanzen sollen, muss man ihnen schon einen Mindestkomfort bieten. Bislang ist unklar, wie Fachwissen und Zielsetzungen von Herrn Hochstetter mit den kommerziellen Interessen der Betreiber unter einen Hut kommen sollen.
Allein der Eingangs- und Technikbereich in der Strandhalle hat die gleiche Grundfläche wie der Neubau. Eine ähnlich große Fläche im angrenzenden Halbrundbau ist statt den Tieren Kindern als Spielfläche vorbehalten. Auch diese werden im städtischen Bereich oft wenig „artgerecht gehalten“ und leiden unter Platzmangel – allerdings nicht gerade im Umfeld des Südstrandes, der von Natur aus ungeahnte Möglichkeiten zum Austoben bietet. Nur nicht unter Dach, und das wie auch die Beaufsichtigung durch Dritte mag für Eltern attraktiv sein.
Offen ist bislang das didaktische Konzept, von dem es abhängt, ob sich Kritiker ein Stück weit mit der Gefangenschaftshaltung der Tiere arrangieren können: Reine Zurschaustellung – nein, sensible Vermittlung von Natur- und Artenschutz – ja. Ein wenig zumindest hat Hochstetter dazu geäußert, z. B. Lerneffekte durch eine Regenwaldausstellung oder Darstellung von Symbiosen im Korallenriff.
Die virtuelle Reise von der Nordseeküste quer durch Meerwasserbiotope rings um den Globus zeugt für Oberstadtdirektor Schreiber von der „besonderen Weltoffenheit dieser Stadt“. Aus biologischer (Tierschutz / Platzangebot) wie umweltpädagogischer Sicht hätte es Sinn gemacht, sich auf das Biotop vor unserer Haustür zu beschränken (eines richtig statt von allem ein bisschen), dessen Besonderheit und Einmaligkeit herauszustellen und sich gerade dadurch von der Beliebigkeit vergleichbarer Einrichtungen abzuheben. Erst recht, nachdem die Bullermeck GmbH angekündigt hat, im Oktober auch im benachbarten Hooksiel eine Kinderspielscheune zu eröffnen.

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