Aquarium
Jul 232002
 

Neue Haimat

Seewasseraquarium nach Umbau wieder eröffnet

(iz) Nach einjähriger Umbauzeit durch die Bullermeck-GmbH sind die Seehunde Peter, Paul & Mary in ihr neu gestyltes Planschbecken am Südstrand zurückgekehrt. Hatte das inhaltliche Konzept zu öffentlichen Auseinandersetzungen um Tierschutzaspekte geführt, so ist es jetzt der Denkmalsschutz, der den Betreibern wie den Behörden Bauchschmerzen bereitet. Dieses und weitere Probleme führten dazu, dass das Aquarium mit zweimonatiger Verspätung immer noch unfertig eröffnet wurde.

Der historische Strandhallenbau war ursprünglich mit Sprossenfenstern versehen. Generationen von Wilhelmshavener/innen, die dort schwitzend den Abtanzball absolvierten oder, entspannter, Kaffee und Kuchen verkosteten, ist jedoch der Meerblick durch die später eingebauten Panoramafenster vertraut. Jetzt verlangt das städtische Bauordnungsamt vom neuen Eigentümer, das denkmalsgeschützte Gebäude wieder mit Sprossenfenstern auszustatten.
Bullermeck empfindet das als Vertrauensbruch: Bei Vertragsabschluss sei davon noch nicht die Rede gewesen, erst zwei Monate später sei der strittige Bescheid auf den Tisch geflattert. Das Bauordnungsamt hingegen zeigt sich sicher, den Investor von Anfang an über die denkmalsschutzbezogenen Auflagen informiert zu haben. Problematisch wären laut Bullermeck nicht nur die höheren Instandhaltungs- und Reinigungskosten für die besondere Fensterform: In die Kalkulation sind steuerliche Abschreibungen eingeflossen, die aber ohne offizielle Abnahme und Bestätigung durch die Denkmalsbehörde nicht fließen können.

Die Spielscheune

Im Vorraum der Strandhalle sind der Eintrittsbereich, das Restaurant und der Souvenirladen untergebracht. Der ehemalige Ball- und Speisesaal wird von einem riesigen labyrinthartigen Block von Spielgeräten gefüllt, wo die Kleinen sich behütet austoben können, während die Eltern auf der Empore Kuchen und Ausblick genießen. Das familienfreundliche Allwetterangebot mag eine touristische Bereicherung sein; die Innen-Ausstrahlung des einmaligen Kuppelbaus ist durch diese Nutzung jedoch zerstört.
Zwischen den Spielgeräten fand vor der Öffnung für die Allgemeinheit, die auf der Südstrandpromenade schon Schlange stand, ein Empfang für VIPs und Medien statt. Auch die mussten sich eineinhalb Stunden gedulden, bis verschiedenste Redner/innen alles zum dritten Mal gesagt und sich mehr oder weniger diplomatisch zu der unangenehmen Sache mit dem Denkmalsschutz geäußert hatten. Nachdem in der warmen Enge endlich eine Zuschauerin in Ohnmacht gefallen war, fasste Staatssekretärin Grote sich kurz, und der sympathische Aquariumsleiter Winfried Hochstetter leitete mit blumigen Schilderungen der harten Umbauphase seine gespannt erwartete Führung durchs Aquarium ein. Die wichtigsten Utensilien für den Aufbau einer solchen Einrichtung hatte er dabei: Eine Wollmütze – musste er doch im Januar die offene Baustelle mit betreuen – und eine Taschenlampe, die er noch am gleichen Morgen gebraucht hatte, als im Kellergeschoss der letzte Bauschutt beseitigt wurde.

Die Tiere

Der Rundgang beginnt im Untergeschoss, vorbei an den Panoramabecken für Seehunde und Haie. Für die Seehunde ist das neue, größere Becken mit offener Sonnenterrasse im Obergeschoss sichtbar ein Gewinn – nicht nur gegenüber dem alten Aquarium, auch gegenüber ihrer Zwischenpension im Tierpark Jaderberg. Dort waren sie in Süßwasser untergebracht, und die hiesigen Tierpfleger/innen haben Grund zu der Annahme, dass die Futterrationen dort zu knapp bemessen waren. Mit Hautkrankheiten, vereiterten Augen und völlig abgemagert kehrten sie an den Südstrand zurück, und man befürchtete, dass Peter die Wiedereröffnung gar nicht mehr erleben würde. Doch im vertrauten Meerwasser aus dem Jadebusen und bei guter Aufbaukost verheilten alle Wunden, und die drei sehen wieder ganz seehundstypisch wie kleine Specktorpedos aus. Zunächst war Hochstetter nicht begeistert, die drei Tiere übernehmen zu müssen, die durch lebenslange Gefangenschaft ihr natürliches Verhalten verloren haben; doch im neuen, naturnäheren Ambiente inklusive „Meeresgrund“ aus Sand statt Beton konnte er beobachten, dass sie anfangen, solche Verhaltensweisen zu zeigen.
Das Hai-Becken ist – wie auch die kleineren Aquarien – angenehm dünn besetzt. Neben einigen noch jugendlichen Schwarzspitzen-Riffhaien (aus James-Bond-Filmen für ihren großen Appetit auf Agenten bekannt) ist der Star ein größerer Tigerhai. Kleine Schwarmfische runden das künstliche Biotop ab. Einer der Agenten-Liebhaber, erzählte Hochstetter, war durch den stressigen Transport ohnmächtig geworden. Da diese Haie nur schwimmend atmen können, sprang ein beherzter Wilhelmshavener Aquaristiker ins Becken und schaukelte das kleine Monster so lange vor der Belüftung hin und her, bis es wieder selbständig schwimmen (und beißen) konnte.
Vorbei an den Terrarien mit Pfeilgiftfröschen und monströsen Stabheuschrecken geht es zum ehemaligen Seehundbecken, in dem jetzt drei Brillenkaimane abwechselnd vor sich hindümpeln oder in beängstigenden Kämpfen die Hierarchie klären. Von dort führt die Treppe hinauf ins lichtdurchflutete Obergeschoss.
pinguineHochstetter bemüht sich, Tiere zu beschaffen, die nicht aus Wildfängen stammen, sondern irgendwo „übrig geblieben“ sind. So stammen die Kaimane aus der Beschlagnahmung einer illegalen Einfuhr. Beo „Felix“, der aus einer großen Voliére auf die drei unheimlichen Gesellen hinabschaut, wurde unlängst von einem hiesigen Besitzer abgegeben (was ein Stück weit verständlich ist, wenn jemand den ganzen Tag „tschüß und denn bis bald“ vor sich hinplappert – aber man weiß eigentlich, ehe man sich einen Beo anschafft, dass das unterhaltsame gefiederte Tonbandgerät auch zur Nervensäge werden kann) . „Übrig“ waren auch einige Flughunde, die Hochstetter spontan in der bundesweiten zoologischen Tauschbörse ergattert hat. Für sie will er noch eine Freiflughalle über dem Haifischbecken einrichten; zur Eröffnung saßen sie allerdings als unglücklich wirkender Klumpen in einem Notkäfig im hellen Tageslicht direkt neben dem Fenster. Ihre Nachbarn, die Seidenäffchen, zogen es vor, sich in ihrem Transportkörbchen vor den Publikumsmassen zu verbergen.
Vorbei an der glasgesicherten Draufsicht aufs Haifischbecken geht es schließlich auf die Seehund-Freiterrasse. Die Magellan-Pinguine nebenan waren zur Eröffnung noch nicht eingezogen. Wenn die sich denn eingelebt haben, verriet ein Tierpfleger, kann die Absperrung zum Seehundsbecken zwecks gemeinsamer Beckennutzung zeitweise geöffnet werden.
Neben den geschilderten „Highlights“ befinden sich in beiden Geschossen noch kleinere Aquarien mit Bewohnern verschiedener Meereszonen.

Die Preise

Der Weg zum Ausgang führt, wie in solchen Einrichtungen üblich, zwangsweise durch den Merchandising-Bereich, wo Knuddelhaie und andere Souvenirs die erforderlichen Umsatzzahlen garantieren sollen.
Bullermeck rechnet mit jährlich über 200.000 Besucher/innen, die je 9 Euro (Erwachsene) bzw. 6,50 Euro (Kinder) Eintritt bezahlen sollen. Der Besuch der Spielscheune muss extra bezahlt werden (Kinder 2,50 €, Erwachsene 1,50 €). „Premieren“-Besucher, die wir auf der Südstrandpromenade ansprachen, zeigten sich enttäuscht bis erbost über das Preis-Leistungs-Verhältnis, erst recht, weil außer den Pinguinen auch sämtliche Beschriftungen und Erläuterungen fehlten.

Die Botschaft

Lokale Umwelt- und Tierschutzgruppen hatten im Vorfeld das Konzept kritisiert. Ihre Hoffnung, dass durch den Umbau mehr Platz für die vorhandenen Nordsee-Tiere geschaffen würde, zerschlug sich, als bekannt wurde, dass stattdessen weitere, exotische Tiere untergebracht werden sollten. Die Kritiker hatten konstruktive Gegenvorschläge, wie man auch und gerade mit heimischen Tierarten bei moderner, pfiffiger Präsentation eine für den Tourismus wie für die Umweltbildung interessante Einrichtung schaffen könnte. Der Investor sagte auf Vermittlung eines Ratsmitglieds ein Gespräch zu – nach der Eröffnung. Am Konzept war also nichts mehr zu rütteln.
Welche Rolle neben dem Erlebnis der Umweltbildung zukommt, lässt sich erst beurteilen, wenn das Aquarium mit entsprechenden Informationsmöglichkeiten für die Besucher ausgestattet ist.


Bleibende Eindrücke

Gleiches Recht für alle

Wessen Behauptungen nun richtig sind, ob der Investor von zusätzlichen Auflagen wirklich keine Ahnung hatte oder das Kleingedruckte nicht richtig gelesen hat, ist im Nachhinein müßig zu beantworten. „Bullermeck“ Volker Schiersch hat durch sein Projekt einen geschichtsträchtigen, verwaisten Bau wieder mit Leben erfüllt. Das berechtigt ihn andererseits nicht, „nach Gutsherrenart“ zu erwarten, dass im Rathaus alle Augen für ihn zugedrückt werden, zumal wenn es sich um höherwertiges Recht handelt, zu dessen Einhaltung die lokalen Behörden verpflichtet sind. Wiederum andererseits sollte sich die Stadt mal an die eigene Nase packen, wie sie mit ihrer Stein gewordenen Geschichte umgeht – Stichwort: geplanter Abriss der Südzentrale. Und auch anderen Eigentümern denkmalsgeschützter Gebäude, die in der Hoffnung auf Abriss und Neubau gezielt den Verfall zulassen, sollte man mal auf die Füße treten.
Wie auch immer: In diesem Fall könnten wir weiter mit den sprossenlosen Panoramafenstern leben – so lange die Stadt Eigentümer war, hat sich auch keiner daran gestört. Wesentlich ist, dass der Bau als solcher gerettet ist. Die Ausstrahlung des Gebäude-Inneren (um das sich der Denkmalsschutz nicht schert) ist durch das Spielgerätemonstrum ohnehin zerstört. Nichts gegen eine Spielscheune, aber die passt zur Strandhalle wie Gummistiefel zum Minirock.

Saftige Preise

9 Euro Standardpreis sind kein Pappenstiel für ein Erlebnisangebot, das man bei durchschnittlichem Interesse in einer halben Stunde „absolviert“. Dafür wird – bei etwa gleichem Preis – im Aquarium mehr geboten als in der Oceanis-Plastikwelt, vom Umfang her aber deutlich weniger als im Wattenmeerhaus, in dem man sich für nur 5 Euro gut und gerne eine Stunde die Zeit vertreiben kann. Vermutlich sind die Preise aber hart kalkuliert. Es ist nicht billig, 500.000 Liter Meerwasser rund um die Uhr in optimaler Qualität zu halten und dessen dickbäuchige Bewohner auch noch satt zu kriegen, während Museen sich aufs Abstauben der Exponate beschränken können. Nicht zuletzt haben nach Aussagen des Betreibers ein gutes Dutzend Leute dort einen festen Arbeitsplatz.
Um die enttäuschten Gemüter zu beruhigen, senkte Schiersch die Preise bis Mitte Juli – dann sollte die Einrichtung komplett sein – auf durchschnittlich zwei Drittel des Normalpreises: „So können sich alle Wilhelmshavener ein eigenes Bild von der neu gestalteten Einrichtung und ihren schuppigen Bewohnern machen.“ (WZ v. 9.7.02) Damit wird eingestanden, dass beim Normalpreis der Besuch nur betuchteren Interessenten möglich ist.
Was fehlt, sind Kombikarten mit Wattenmeerhaus, Wal.welten und Oceanis oder auch Jahreskarten für Wilhelmshavener, die öfter mal vor dem Haifischbecken meditieren und über die Zeit die Hai-Teenies zu eindrucksvollen Räubern heranwachsen sehen wollen. Unabdingbar sind wahrscheinlich auch Sonderausstellungen bzw. –veranstaltungen, um Interessierte mehr als einmal in die Unterwasserwelt zu locken.

Nordsee für alle statt Exoten für Betuchte

Unser Eindruck aus früheren Gesprächen, dass Winfried Hochstetter ein kompetenter Zoologe mit aufrichtigen Tierschutzzielen ist, bleibt. Andererseits muss er Kompromisse finden mit seinem Arbeitgeber, der lieber auf den oberflächlichen, schlichten Anspruch der breiten Masse setzt – möglichst bunt und exotisch -, als diese zur Freude am Schlichten zu bekehren. Aus unternehmerischer Sicht ist das leicht nachvollziehbar. Wer allerdings unsere schrille bunte Welt verändern will zu einem wirklichen Paradies für Mensch und Tier, bleibt mit dem dumpfen Gefühl einer weiteren verpassten Chance enttäuscht zurück.
Die Tiere sind nach bestehenden Rechtsnormen optimal untergebracht. Mit dem natürlichen Mindestareal und Bewegungsradius haben diese Normen wenig zu tun, aber auch wir Menschen geben uns zufrieden und vermehren uns sogar, wenn wir es warm und ausreichend Nahrung haben – auch wenn unsere natürliche Umwelt mit Wiesen und Wäldern zunehmend durch Beton ersetzt wird. Überdachte Spielscheunen statt natürlicher Kletterbäume für die Kinder. Die Tiere bei Bullermeck leben nicht schlechter als in den meisten Zoos bzw. Schauaquarien weltweit, und sie leben auf jeden Fall besser als Millionen Rinder, Schweine und Hühner, über deren „Leben“ in engen dunklen Ställen die meisten „Tierfreunde“ sich herzlich wenig Gedanken machen.
Die Bedenken der Kritiker sollen damit nicht weggeredet werden. Die Frage „in wie weit ist es gerechtfertigt, hier in einer weiteren Schaueinrichtung Tiere in Gefangenschaft zu halten, um das Bewusstsein für die Gefährdung ihrer wildlebenden Artgenossen zu schärfen“ lässt sich erst beantworten, wenn das Aquarium mit den angekündigten Informationsangeboten ausgestattet ist. Unterm Strich können wir die Ansicht der Betreiber und der Politik nicht teilen, diese Einrichtung sei weltweit einzigartig. Eine bunte Menagerie zusammenstellen kann jeder Tierpark oder Zirkus. Ein reines Nordseeaquarium, spannend aufbereitet, wäre nicht nur aus Tierschutzsicht interessanter gewesen, sondern eben was wirklich Besonderes. Gleichzeitig wäre es billiger im Unterhalt, und damit wäre eine sozial verträgliche Gestaltung der Eintrittspreise möglich gewesen.

Was fehlt? …

Richtig: Der JadeWeserPort. In offiziellen Verlautbarungen wurde das neue Aquarium in einem Atemzug mit dem geplanten Containerhafen als Hitlistenführer lokaler Höhepunkte genannt. Bei der Eröffnung wurde die exotische Ausrichtung der ausgestellten Tiere damit begründet, von Wilhelmshaven aus käme man ja um die ganze Welt und folgerichtig sei der Aquarienbesuch eine zoologische Weltreise bis zurück ins Wattenmeer.
Das hätte man aber noch pointierter umsetzen können. In der Tat haben Tier- und Pflanzenarten (Neozoen / Neophyten) durch die Weltschifffahrt als „blinde Passagiere“ neue Lebensräume erreicht und erobert. Die Neozoen sind in der Regel aber keine Pinguine oder Zwergseidenäffchen, sondern Fisch- oder Muschelarten, die (auch als Laich) angeheftet an Schiffsrümpfe und im Ballastwasser verschleppt werden. In der Regel sind es sehr anpassungsfähige Arten, die in der neuen Heimat keine natürlichen Feinde haben – mit der fatalen Folge, dass sie die eigentlich heimischen Tierarten verdrängen. Das wäre doch zumindest ein Themenbecken (mit Amerikanischer Bohrmuschel und Co.) im neuen Aquarium wert.

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