Anspruchsvolles Kino
Nov 191990
 

Balanceakt

Von der (Fast-)Unmöglichkeit, in der Provinz anspruchsvolles Kino zu machen

(iz) Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Jahren in Ihre Heimatstadt zurück, die Sie noch als Kinostadt Wilhelmshaven in Erinnerung haben. Sie blättern in der WZ nach den aktuellen Programmen: Capitol, Regina, Gloria, Schauburg … umsonst. Nichts ist geblieben.Nichts ? Ortskundige weisen Sie freundlich auf eine Art Film-Supermarkt am Rathausplatz hin. Im Volksmund liebevoll ,,Schweinekino“ genannt (die Red. distanziert sich natürlich von solcher verbalen Meinungsmache.)
Nach der ersten Enttäuschung, ,,Rambo“ auf einer Leinwand kämpfen zu sehen, die nur unwesentlich größer ist als der heimische Bildschirm, bohren Sie weiter. Und siehe: unweit des Kulturautomaten hat doch ein kleines gallisches Kino die Feldzüge der Koalition von Verleihen und Filialunternehmen überlebt.
Wie es gelang, nach jahrelangem Hin und Her, Schließungen, Besitzerwechseln das APOLLO im Mai 1987 zu ergattern, diese spannende Geschichte muss Mensch sich vom derzeitigen Betreiber Michael Kundy selbst erzählen lassen. Seither wird das APOLLO als Programmkino mit konstanter bis steigender Qualität betrieben. Ein Happyend also?
Mitnichten. Kundy könnte eigentlich zufrieden sein. Sein Kino genießt nicht nur lokal, beim (speziellen) Publikum wie den ,,Offiziellen“ (Kulturmachern und Politikern) hohes Ansehen, man greift gern auf sein Know-how zurück (Maritime Filmtage).
Doch genau hier liegt der Hund begraben. Nicht nur beim APOLLO, nicht nur in Wilhelmshaven. Existiert in einer Stadt ein Kulturbetrieb, der den Rahmen des Üblichen, Kommerziellen sprengt, durch solide und konstante Arbeit den Charakter einer verrückten Idee überlebt, so nimmt es das Publikum freudig wahr, und die Politik bekleckert sich gern mit dem Ruhm. Aber wer außer den Betreibern macht sich Gedanken um das WIE und WEITER? Beim Stichwort ‚Unterstützung‘, vor allem in der Schreibweise ,,Subventionen“, haben plötzlich alle kalte Füße.

gw097_apolloInhaltlicher Anspruch contra finanzielle Sicherheit
Wer ausgefallene Filme zeigt, spricht immer nur einen Teil des Publikums an. Für ausverkaufte Säle gibt es keine Garantie.

Die Betreiber haben verschiedene Möglichkeiten:

  • sie betreiben das Kino so weiter wie gehabt. bis der cineastische goodwill der Gläubiger am Ende ist
  • sie setzen verstärkt kommerzielle Kassenschlager ein, bis die Schmerzgrenze zum Niveau der Fernsehanstalten, Videoverleihe und Massenkinos überschritten ist
  • sie versuchen, durch Sekundärfinanzierungen die Verluste im eigentlichen, inhaltlichen Teil ihrer Arbeit aufzufangen.

Zähe und überzeugte KinomacherInnen werden letztgenannte Option wählen. Doch hier bauen sich diverse Hürden auf.

Werbung als Finanzierungsträger?
Jein. Denn auch hier sind Filme für die Masse einträglicher, da der Interessenverband der Werbeträger gestaffelt nach Zuschauerzahlen zahlt. Hinzu kommt, dass der gesamte Vorspann  d.h. Werbefilme und -Dias, Trailer (Vorankündigungen für Filme) und der Vorfilm, im APOLLO auf 20 Minuten begrenzt sein soll. So sind Im APOLLO maximal 10% der monatlichen Kosten durch Werbung zu decken.

Die Praktiken der Filmverleihe
Neben der festgelegten Mindestabgabe richtet sich die Verleihgebühr, progressiv gestaffelt, nach der Zuschauerzahl (maximal 50% der Einnahmen). In jedem Fall ist die höhere anfallende Gebühr zu entrichten. Eine. Erstaufführung muss unabhängig vom Erfolg mindestens eine Woche lang (gebührenpflichtig) laufen.

Die Konkurrenz schläft nicht
Üblicherweise darf in derselben Stadt in verschiedenen Kinos derselbe Film nicht parallel laufen. Hat ein Kino einen Termin für den Beginn einer Aufführung vereinbart, so dürfen andere Kinos derselben Stadt diesen 8 Wochen vorher nicht zeigen.
Das APOLLO hält sich streng an diese Regelung. Wie naiv? Umgekehrt hat nämlich das Kinocenter schon mehrfach gegen diese Abmachung verstoßen.

Die Hackordnung
Will man sich daraufhin beim Verleih beschweren, erhält man Entschuldigungen und Beschwichtigungen. Es bleibt bei der Beschwerde, da sich ein kleines Kino nicht erlauben kann, sich mit dem allmächtigen Verleih zu überwerfen – der es sich wiederum mit den gebührenschwangeren Kinocenter-Filialbetrieben verderben darf.
Das Kinocenter kann schlecht laufende Filme während der ,,Pflichtwoche“ in kleinere Säle verschieben, andererseits Kopien der Kassenschlager solange festnageln, bis das Publikumsinteresse – zu Lasten der Konkurrenz – vollständig erschöpft ist.

Die Kino-Kneipe: Kommunikation und Kostendeckung
Erfolgreiche Programmkinos verfügen meist über eine intern zugängliche Kneipe (z. B. ,,Casablanca“ in OL oder ,,Schauburg“ in HB). Dies ist ein 2. wirtschaftliches Standbein, auch außerhalb der Programmzeiten, und bietet Gelegenheit, direkt im zeitlichen und örtlichen Anschluss über den Film zu reden.

Der real existierende Programmkinomacher
Neben der Bewältigung der genannten Hürden der Gestaltung des Programmheftes, dem täglichen Weg zur Expressgutabfertigung des Bahnhofes und der exakten Abrechnung der durchnummerierten Karten gegenüber Finanzamt, Werbeträgern, Filmverleihen dürfte Kundy nicht viel Zelt bleiben. Begriffe wie Urlaub oder Privatleben entlocken Ihm nur ein müdes Lächeln.
Doch er hat für ,,Weitermachen“ entschieden, was auch heißt: wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
Durch Besuch von Filmfestivals, durch Mitarbeit in der Selbstorganisation der Programmkinos bundesweit muss die Stellung gegenüber den Kommerziellen gestärkt werden. Und es ist eine Frage der Ideologie – und genau hier liegt die Abgrenzung zu kommerziellen Kinocentern – nicht die Massen, sondern die Minderheiten bzw. bestimmte Zielgruppen anzusprechen.
Das sind z.B. die Kinder, das Kinopublikum auch späterer Jahre. Die Zusammenarbeit mit den Schulen bzw. LehrerInnen, denen er laufend diesbezüglich Angebote macht, gestaltet sich erschreckend zäh. Und: „Hat man die Kinder dann trotzdem endlich sensibilisiert, spätestens zum Schulabschluss verliert man sie wieder.“ Weil fluchtartig die Provinz verlassen wird.
Aber es gibt noch mehr Kontakte, Angebote für thematische Filmreihen (z.B. mit der Anti-Apartheidgruppe).

Die Zeichen der Zeit
In Bonn hat man diese wohl erkannt und dem APOLLO als einem von zahlreichen Bewerbern den Kinopreis verliehen (s. GEGENWIND Nr. 96).
Jetzt warten wir auf die Zeichen, die Wilhelmshaven setzt. Wer? Das Publikum? Kundy übernahm das Kino damals vor dem Hintergrund, dass er selbst Stammgast in diesem (und nur in diesem) Kino gewesen war und nur einen Weg sah, das APOLLO auch für sich zu retten: die Sache selbst in die Hand nehmen. Der normal konsumierende Kinogänger ist hieran wohl nicht zu messen. Fühlt sich erst betroffen, wenn das Lieblingskino pleite ist.
Und die Kulturpäpste/innen der Stadt? Zweieinhalb Jahre Apollo bei gegebener Qualität sprechen für sich: kein Windei. Kein sinkendes Schiff, entgegen aller wohllancierten Gerüchte. Einzig die Renovierung vor zwei Jahren hat aufgrund unkalkulierbarer Kostenexpansionen ein böses Loch gerissen. Dringend wartet die neue Bestuhlung, die von der Bonner Prämie nur zu einem Viertel zu finanzieren ist, sowie der neue Fußboden.
Wer eine vielversprechende kulturelle Institution, die zum positiven Image der Stadt beiträgt, zwar mit Applaus, aber nicht mit Barem unterstützt, wer sich allein auf das Durchhaltevermögen der Betreiber verlässt, solange deren Kraft reicht, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt – oder ist einfach nur ignorant.

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