Anzeige
Aug 021993
 

Der Deutsch-Türkische Freundeskreis, in dem sich Menschen zusammengeschlossen haben, die sich angesichts der Morde von Mölln und Solingen nicht mehr darauf beschränken wollen, an Demonstrationen und Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit teilzunehmen, hat den folgenden „Brief an die Nachbarn“ verfaßt.

Liebe Nachbarin, lieber Nachbar,

unter dem Eindruck von Mölln und von Solingen hat sich in Wilhelmshaven ein Deutsch-Türkischer Freundeskreis gegründet.
Dieser Kreis ist davon überzeugt, daß die wirtschaftliche Talfahrt, die Vereinsamung vieler Menschen, die bundespolitische gesetzgeberische Situation, die politische Perspektivlosigkeit vieler Parteien hauptverantwortlich für das Klima im Lande sind.
Der Kreis ist aber auch davon überzeugt, daß sich – trotz dieser Bedingungen – das Zusammenleben der Menschen in dieser Stadt, tatsächlich auch in dieser Stadt, verändern läßt.

Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer …

Die Kommunalpolitik setzt die Maßstäbe. Entscheidungen der kommunalpolitischen Parlamente bestimmen über die Gelder, die im sozialen Bereich, in der Jugend- und Jugendsozialarbeit, in den Schulen etc. nicht vorhanden sind.
Richard von Weizsäcker sagte in seiner Trauerrede an den Solinger Särgen u.a.: „Wenn Jugendliche zu Brandstiftern und Mördern werden, dann liegt nicht allein die Schuld bei ihnen, sondern bei uns allen; die Einfluß auf Erziehung haben.“ Gemeint sind hier sicherlich nicht nur die Eltern und das Personal in Kindergärten und Schulen. Gemeint sind hier auch die Bundes- und Landespolitiker, die (Schul)Gesetze formulieren und die Gelder (nicht) bewilligen, um ausreichend Personal beschäftigen zu können!

  • Meinen Sie nicht auch, daß es Jugendliche heute erheblich schwerer haben, „erwachsen“ zu werden? Welche Perspektiven haben sie? Viele Regeln, mit denen die heutige Erwachsenengeration aufgewachsen ist, gelten schon lange nicht mehr.
  • Meinen Sie auch, daß SozialarbeiterInnen, eingesetzt an den sozialen Brennpunkten dieser Stadt, volkswirtschaftlich billiger sind als viele zusätzliche Polizisten?
  • Meinen Sie nicht auch, daß Streetworker in der Kneipe besser sind als Streifenwagen oder Dealer vor der Kneipe?

Der Freundeskreis ist sich darüber im klaren, daß mit immer knapper werdenden Geldmitteln immer größere Probleme finanziert werden müssen. Das ist genauso, als ob die Suppenschüssel immer kleiner und die Familie immer größer wird.
Trotzdem gibt es viele Bereiche, in denen Sie als Nachbarin oder Nachbar, als Kollegin oder Kollege das Klima in Ihrem Haus, in Ihrem Betrieb, in Ihrer Straße – und damit in Ihrer Stadt – positiv verändern können.

Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer …

  • Wie steht es mit der Höflichkeit Ihren Mitmenschen gegenüber? Manchmal genügt nur ein freundliches Nicken …
  • Können Sie sich mit Ihren Mitmenschen freuen? Haben Sie schon einmal, z.B. auf einem türkischen Fest, außerhalb Ihres Urlaubs, getanzt?
  • Sind Sie tatsächlich Mitmensch, Helfer und Gebender?

Wichtig sind für uns noch ein paar Worte an die KommunalpolitikerInnen:

♦ Es ist für immer mehr Menschen dieser Stadt ein immer unerträglicherer Zustand, daß mann/frau bei „Lichterketten“, „Contra-Ausländerfeindlichkeit-Demonstrationen“ und anderen „Protestveranstaltungen“ viele KommunalpolitikerInnen sieht, die mit ihren Entscheidungen der vergangenen 10 – 20 Jahre entscheidend an dieser feindlichen Situation mitgewirkt haben.
Viele der heutigen Parlamentarier waren innerhalb ihrer Partei auch indirekt an vielen Entscheidungen der Vergangenheit beteiligt:
Heute könnten diese KommunalpolitikerInnen direkt entscheiden, dort die Mittel (wieder) einzusetzen bzw. deutlich zu erhöhen, wo sie zur Prävention oder zur „Sanierung“ menschlicher Umfeldschwächen dringend notwendig sind, wo Familien, Alleinerziehende, Jugendliche, Frauen, Kinder, Männer, Deutsche und Nichtdeutsche große Probleme haben.
Erkennen Sie Ihren Teil der Verantwortung an den (un)menschlichen Umgangsformen in dieser Stadt.

Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer …

Kontaktadressen:

Gerda Kümmel
Rosemarie Groß
Werner Biehl

Am 17. August trifft sich der Deutsch-Türkische Freundeskreis um 20 Uhr im Türkischen Verein in der Rheinstraße 123. Alle Menschen, die etwas gegen Ausländerfeindlichkeit tun wollen, sind eingeladen, zu diesem Treffen zu kommen.

 

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top