Altlasten
Feb 071995
 

Kein Handlungsbedarf

Das Gutachten über die Müllkippe Kirchreihe zwingt zum sofortigen Handeln

(hk) Wiederholt berichtete der GEGENWIND über die brisante Altlast der ehemaligen städtischen Müllkippe Kirchreihe, die, nur notdürftig mit Erde und Bauschutt abgedeckt, heute von Schulen, Sportstätten und Schrebergärten überbaut ist.

Der städtische Umweltdezernent Jens Graul hielt im März 1994 das von ihm in Auftrag gegebene Gutachten über die von der ehemaligen Müllkippe ausgehenden Gefahren in den Händen, das so brisant war, daß man ihm sogleich die Zuständigkeit dafür entzog und diese in die sicheren Hände des städtischen Baudirektors Karl-Georg Sonnemann legte. Nun sickerte zwar hier und dort doch etwas aus der abgeschotteten Stadtverwaltung an die Öffentlichkeit (siehe GEGENWIND vom August 1994), doch es sollte ein halbes Jahr dauern, bis ein oppositionelles Ratsmitglied (Focke Hofmann/Stattpartei) das Gutachten in den Händen hielt. Ihm wurde zwar erlaubt, das Gutachten zu lesen – nur öffentlich darüber sprechen durfte er nicht! Am 19. Januar 1995 gab es dann endlich Informationen für die Öffentlichkeit. Doch diese kamen natürlich nicht aus der Stadtverwaltung, sondern von Radio Bremen. In der Sendung „Buten & Binnen“ präsentierte der Sender das Ergebnis seiner Recherche. Da nur ein kleiner Teil der WilhelmshavenerInnen die Sendung gesehen hat, dokumentieren wir diese in Auszügen.

BUTEN UND BINNEN – 19.01.95:

Wilhelmshaven ist nicht der allerschönste Ort. Eine Stadt mit viel Marine und Industrieansiedlungen. Eine Stadt, die auch immer wieder in die Schlagzeilen gerät, z.B. die Diskussion um giftigen Klärschlamm oder auch wegen Statistiken, die angeblich außergewöhnlich viele mißgebildete Babies in dieser Region registrieren. In Wilhelmshaven sind deswegen viele Verantwortliche sehr sensibel, wenn es um die Veröffentlichung umweltkritischer Themen geht. Und diese Sensibilität scheint jetzt allerdings soweit zu gehen, daß offensichtlich wichtige Informationen für die Bevölkerung unter der Hand gehalten werden. Andreas Hötzel hat exklusiv die alarmierenden Ergebnisse eines Bodengutachtens recherchiert, von denen die Wilhelmshavener bis jetzt keine Ahnung haben.

Da, wo heute mehrere Schulgebäude stehen und ein großer Sportpark mit mehreren Freiluftanlagen, da modern darunter die Wegwerfprodukte der Nachkriegszeit. Damals die zentrale Müllkippe Wilhelmshavens – heute Schrebergärten. Weil die Deponie damals nur notdürftig mit Erde und Bauschutt zugedeckt wurde, lag der Verdacht nahe, daß hier eine Altlast schlummert. Der Umweltdezernent gab ein Gutachten in Auftrag. Im März 1994 erstatteten die Wissenschaftler Bericht. Sie schrieben unter anderem:

„Von den 20 auf dem Kleingartengelände… entnommenen … Bodenproben zeigten eine größere Anzahl kritische bis akut erhöhte Gehalte an Schwermetallen und Arsen. Insbesondere die Schwermetalle Blei, Kupfer und Zink sowie Chrom und Quecksilber waren über die gesamte Geländefläche verteilt in besorgniserregenden Konzentrationen nachzuweisen … „

Dazu der Leiter des Bauordnungsamtes Karl-Georg Sonnemann: „Das hier im März1994 vorgelegte Gutachten hat bei uns ein Alarmsignal ausgelöst, weil der Gutachter mit den damaligen Daten eine Richtung angegeben hat, die die Stadt Wilhelmshaven vielleicht zum sofortigen Handeln hätte führen müssen.“

Doch nicht die Böden – das Gutachten war das Problem. Die Gutachter entdeckten in der heilen Welt der Schrebergärten in den Böden krebserregende Substanzen. Aus dem Gutachten: „Empfehlungen für die weitere Vorgehensweise: Aufgrund der ermittelten Schadstoffgehalte im Kleingartengelände sowie der sensiblen Nutzung ist eine akute Gefährdung des Menschen nicht auszuschließen.“

Die Verwaltung (Sonnemann) über die Gutachter: „Wir sind nicht voneinander weit entfernt. Im Einzelpunkt mag es mal eine unterschiedliche Auffassung geben, aber das ist oft so. Wenn ich zu einem Mediziner gehe, da kann es sein, daß der sagt, ich habe die Krankheit oder die Krankheit. Aber im Grundsatz ist das vollkommen konform.“

Neben den Böden sind auch die Wassergräben verseucht: „Die chemischen Untersuchungen von 7 Grabenwasserproben ergaben generell erhöhte Zink-, Quecksilber-, Arsen- und Borgehalte. Die Gräben, die das Kleingartengelände durchfließen, zeigen Blei-, Cadmium-, Kupfer-, Eisen-, Zink-, Arsen- und Borgehalte in z. T. bedenklichen Konzentrationen.“

Die Gutachter sprechen auch Empfehlungen für die Kleingärtner aus: „Untersagung jeglichen Anbaus von Kulturpflanzen. Die Kleingärtner sollten darauf hingewiesen werden, daß alte Nutzpflanzen, die sie eingefroren haben, mit Schadstoffen belastet sein können. Jeglicher direkte Hautkontakt zum Boden muß ausgeschlossen werden, z.B. durch das Tragen von Handschuhen. Nutzungsverbot für Graben-, Stau- und Grundwasser insbesondere zur Gartenbewässerung und zum Planschen für Kinder.“

Um so erstaunlicher, wie im Wilhelmshavener Rathaus mit dem Gutachten Politik gemacht wurde. Die Zuständigkeit wechselte vom Umweltdezernenten zum Baudirektor Sonnemann. Der kündigte den Gutachtern die weitere Arbeit auf und beauftragte einen neuen Wissenschaftler. Die Stadt wartet auf das Ergebnis des zweiten Gutachters, der noch einmal alles messen soll und der sich gleich zu Beginn seiner Tätigkeit gut eingeführt hatte. Sonnemann: „Was wir nur bisher erreicht haben, ist, daß wir uns die Zeit vom Gutachter haben bescheinigen lassen, daß wir nicht sofort tätig werden müssen.“

Soweit die Auszüge aus „Buten & Binnen“ vom 19.01.95 – die von uns zum Zweck besserer Verständlichkeit z.T. in der zeitlichen Abfolge verändert wurden. Auch nach dieser Sendung sah sich die Wilhelmshavener Stadtverwaltung nicht veranlaßt, die Öffentlichkeit zu informieren!

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