Altenheime
Jun 261986
 

Nichts regt sich

Private Altenheime: Bisher nur Lippenbekenntnisse der Politiker – Heimbewohner weiterhin skandalösen Zuständen ausgesetzt

(woku) „Sie tun mir leid, daß Sie so etwas über uns schreiben.“ – „Ein beeindruckender Bericht der überfällig war.“ Zwischen diesen beiden Extremen lagen die zahlreichen Reaktionen auf unseren Artikel über die privaten Altenheime. Die Kommunalpolitiker zuckten ratlos mit den Schultern, andere packten aus.

alte erwin fiege„Sieben Jahre lang hatte unser Bekannter seine völlig bewegungsunfähige Frau gepflegt. Nachts wie tags bettete er sie mehrmals um, so daß sie sich niemals wundlag. Als er selbst bettlägerig wurde, mußte sie in ein privates Pflegeheim. Weil in Wilhelmshaven nichts frei war, nach Bockhorn. Dort lebte die geistig hellwache Frau völlig isoliert in einem Heim für 7 Alte. Kosten: 2.400.- DM pro Monat. Nach zwei Wochen war sie durchgelegen, weil sie nachts unversorgt blieb. Nach vier Wochen war der Rücken völlig wund und offen, an den Hacken hatte sich soviel faules schwarzes Fleisch gebildet, daß die Heimbetreiberin es täglich mit einer Nagelschere abschnitt.
Nach 5 Wochen (!) merkte der Arzt, was los war. Einweisung ins Reinhard-Nieter-Krankenhaus – zu spät – fünf Tage später war die Frau tot. Das Heim wollte dann noch die Wertgegenstände nicht herausrücken, weil die Kündigungsfrist von sechs Wochen nicht eingehalten war.“
Aber auch in Wilhelmshaven bleiben Heimbewohner schon mal nachts unversorgt. So holte vor einiger Zeit eine Heimbetreiberin im Stadtnorden abends um acht (!) die Polizei zu einer harmlos-mäßig-lauten Fete nebenan. Die Alten wollten noch nicht recht einschlafen, und vor der Tür wartete der Freund der Frau im Mercedes ungeduldig. Nachtpersonal scheint es in diesem Haus nicht zu geben. Der Polizei war das ganze peinlich.
Die schlecht geführten privaten Altenheime sind die Regel. Umso wichtiger ist es, auf die seltenen Ausnahmen hinzuweisen. Im privaten Altenwohnheim von Frau Treuhilde von Alten-Schnappauf in der Herbartstraße gibt es ihrer Auskunft zufolge keine Hausordnung und Besuchszeiten. Das Essen wird gemeinsam mit dem Personal in freundlich-gepflegter Umgebung zu normalen Zeiten eingenommen. Es gibt einen „Rauchersalon“, Tiere und Möbel können mitgebracht werden. Geburtstage und andere Feste werden gemeinsam gefeiert, auf Aktivierung der angeblich aus allen Schichten kommenden wird Wert gelegt. Frau von Alten orientiert sich an der SOS-Kinderdorfidee und bemüht sich, das Haus „wie eine Familie“ zu führen. Besonders stolz ist sie darauf, daß – „obwohl ich alle aus dem Krankenhaus nehme“ – keine langen Zeiten der Bettlägerigkeit auftreten. Frau von Alten, die in Wilhelmshaven als einzige Heimbetreiberin Mitglied im „Bundesverband privater Alten- und Pflegeheime“ (einer Art freiwilliger Selbstkontrolle) ist, findet „andere Häuser katastrophal. Die wollen nur verdienen.“
Mehr staatliche Kontrolle lehnt sie rigoros ab, weil das „sonst gegen die freie Marktwirtschaft“ ginge, aber „die Stadt kann mehr tun.“ Anders als Frau von Alten ist Heimbetreiberin Elfriede Borreck aus Heppens für verstärkte Staatseingriffe. Frau Borreck, die gelassen auf ihre großen Einzel- (15 m2) und Doppelzimmer (30 m2) und den Personalschlüssel von 1 Pflegerin zu 2 Heimbewohner verweist, fühlt sich von der Stadt „im Stich gelassen“. Borreck: „Kontrolle? Bitte! Ja!“
Der zuständige städtische Dezernent, Stadtrat Dr. Horst Engstler (CDU) wiegelt ab. Trotz der Probleme „hier und dort“ sieht er „überhaupt keine Möglichkeit“ zu vermehrten städtischen Eingriffen. Hier seien „der Bund und das Land“ gefordert. Mehr als sein Chef möchte der Leiter des Amtes für Soziales und Jugend, Heinz-Dieter Frerichs manchen Privaten Druck machen. Die Kommunalisierung der Altenhilfe gibt ihm die Möglichkeit, Sozialhilfeempfänger nur den Heimen zuzuweisen, die „nach sehr strengen Kriterien ausgewählt“ sind. In diesem Sinne solle die Einweisung in bestimmte Problemheime jetzt auslaufen. Eine Praxis, die informell und dem Vernehmen nach zum Wohle der Alten bereits seit einiger Zeit von der zuständigen Sozialdienst-Mitarbeiterin Jutta Bergmann praktiziert wird.
Die Wilhelmshavener Kommunalpolitiker sind überwiegend untätig und haben kein Konzept zur Lösung des Problems. Der hier eigentlich zuständige Seniorenrat hat „nur zwei Beschwerden in den Akten“. Seniorenratschef Reinhard Goette sieht sich aber gezwungen, aktiv zu werden und möchte „Regeln auf die Beine kriegen“. CDU-Oberbürgermeister Hans Janßen ist „skeptisch, wenn immer neue Regelungen“ getroffen werden, er möchte „die bestehenden Vorschriften ausnutzen“. In der CDU ist das Thema unseren Informationen zufolge ebensowenig diskutiert worden wie in der FDP oder der Bürgerschaft. Deren Ratsfrau Christa Kruse meint immerhin zur Staatskontrolle: „Das wäre schön.“ Ähnlich äußern sich die Grünen Dr. Uwe Anders und Werner Biehl.
Während die Bundesgrünen das Programm der Seniorenorganisation „Graue Panther“ vertreten, will man vor Ort den „Ausbau der ambulanten Pflegehilfe“ fördern und ein „tagesstationäres“ Pflegeangebot einrichten.
Am weitesten ist kommunalpolitisch offenbar die SPD. Sie sucht nach rechtlich durchsetzbaren „strengeren Richtlinien bei der Genehmigung und Kontrolle von privaten Pflegeheimen“ und diskutiert im „Arbeitskreis Soziales und Gesundheit“ das Problem seit vielen Monaten. Aber: Vor den Kommunalwahlen am 5. 0ktober wird sich wohl auch hier nichts regen. Die Vorsitzende des Sozialausschusses Ursel Aljets (SPD): „Wir haben bis dahin nur noch eine Ratssitzung.“
Der GEGENWIND wird das Problem nach der Wahl wieder aufgreifen.

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